Zwei Jahre später

Ich saß in meinem silbernen Civic auf dem Weg in Richtung Osten. Vor ein paar Tagen hatte ich in der Zeitung von merkwürdigen Vorkommnissen in einer Kleinstadt in Missouri gelesen. Mehrere Menschen waren brutal ermordet worden. Das interessante für mich dabei war, dass allen Opfern die Herzen fehlten. Das ließ für mich erstmal nur einen Schluss zu. Es handelte sich um einen oder mehrere Werwölfe.

Ich wusste bisher, dass es recht viele Opfer gab, was eher dafürsprach, dass es sich um ein Rudel handeln musste. Ich schätzte es auf eine Größe von etwa drei Werwölfen, was ich allerdings vor Ort noch weiter klären wollte.
Gerade als ich die Grenze zwischen Kansas und Missouri überquerte wurde ich auf einen Song im Radio aufmerksam, der mir sehr bekannt vorkam.

Ich regelte die Lautstärke hoch und lauschte einen Moment. Dann schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Es war der Foreigner-Song, den Dean vor zwei Jahren gesummt hatte. Noch immer schwelgte ich in Erinnerungen, wenn ich ihn hörte. Inzwischen konnte ich auch jede einzelne Zeile auswendig.
Leise stimmte ich in den Gesang mit ein und ließ meinen Gedanken freien Lauf, bis ich Harrisonville erreicht hatte.

҉

Ich stand dem letzten der drei Werwolf gegenüber, ohne meine Waffe oder irgendetwas, dass dieses Monster von mir fernhalten konnte. Meine Silberkugeln steckten alle irgendwo in der Wand und in dem größten Werwolf, der passende Revolver dazu, lag in der Ecke. Die Silberklinge ragte aus der Werwölfin, die drei Meter von mir entfernt lag. Alles andere war zwecklos gegen diese Monster. Aber ich musste hier irgendwie raus.
Hastig suchte ich etwas, mit dem ich wenigstens die Zähne und Krallen des Werwolfes abwehren konnte, bis ich wieder an mein Messer kam. Ich durfte mich unter keinen Umständen beißen lassen.
Verdammter Mist, ich hatte mich diesmal wirklich überschätzt. Das würde sicher nicht gut ausgehen.

Ich ermahnte mich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Panik half mir jetzt überhaupt nichts. Durchatmen, irgendwie fand ich sicher eine Lösung. Eilig sah ich mich um und überlegte, ob ich das Tischbein als Pflog verwenden konnte, wenn ich nur schnell genug herankam.
Ich wollte gerade nach rechts zu dem zerbrochenen Tisch hechten, da knurrte das Monster und stürmte auf mich zu. Instinktiv riss ich schützend die Arme hoch, um meinen Kopf abzuschirmen, als drei schnelle Schüsse hintereinander erklangen, Blut auf mich spritzte und der Werwolf schlaff vor mir zusammenbrach.

Dahinter kam ein Mann zum Vorschein, den ich unter tausenden wiedererkannt hätte. Er sah älter aus, müder. Aber das machte ihn nicht weniger attraktiv.
Bilder der Erinnerung blitzten vor meinem inneren Auge auf und schickten wohlige Schauer über meine Haut. Diesmal noch intensiver als durch das Lied, dass ich auf der Fahrt gehört hatte. Ihn jetzt vor mir stehen zu sehen, brachte alles mit einem Mal zurück und verdrängte den Schock, den ich gerade durch den Werwolf erlitten hatte.

»Dean«, flüsterte ich trotz allem noch immer außer Atem durch den Kampf und das Adrenalin, dass durch meine Adern pumpte.
»Hey Kleine, lange nicht gesehen.« Er begrüßte mich mit breitem Grinsen, aber es war anders als das, was ich von ihm kannte. Es erreichte seine Augen nicht.
»Knapp zwei Jahre. Ich hatte wirklich nicht geglaubt, dich wiederzusehen«, erwiderte ich.
Während Dean nickend zustimmte, trat ich hinter dem Werwolf hervor und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Wie begrüßte man jemanden, den man zwei Jahre lang nicht gesehen hatte, nachdem man eine gemeinsame Nacht verbracht hatte und von dem man geglaubt hatte, ihn nicht lebendig wieder zutreffen?

»Aber du lebst.« Das war offensichtlich das Einzige, was mir einfiel und es war das Schlechteste, was ich jemals gehört hatte. Ich hätte wenigstens hinzufügen können, dass ich mich darüber freute. Aber mein Gehirn schien nach dem beinahe Angriff noch ein wenig eingeschränkt zu arbeiten. Vielleicht lag es auch daran, dass ich von Deans Anblick mehr überwältigt war, als ich zugeben wollte.
»Du offensichtlich auch«, entgegnete er, ohne sein Grinsen zu verlieren. Allmählich wurde es echter. Er warf mir meinen Revolver zu und zog mein Messer aus der Wölfin.
»Dank dir, sonst hätte das Ganze in den nächsten zwei Minuten deutlich anders ausgesehen.« Ich wies auf den Werwolf hinter mir und lächelte scheu, als Sam zu uns stieß.
»Okay, der letzte ist auch erledigt. Dann war's das hier.« Er stockte, als sein Blick auf mich fiel. »Oh hi! Schön dich wiederzusehen, Sherin.«
Er warf Dean einen verschwörerischen Blick zu, der mich noch immer ansah.

Als ich mich endlich vollständig vom Anblick des Älteren losreißen konnte, sickerte zu mir durch, was Sam da eben gesagt hatte und eine Gänsehaut überzog meinen Körper.
»Oh verdammt, es waren vier? Okay Jungs, damit ist es offiziell. Ihr habt mir gerade wirklich den Arsch gerettet. Danke.«
Wie hatte ich übersehen können, dass es noch einen Werwolf gegeben hatte? Ich war mir sicher, dass ich mich vorher ausreichend informiert hatte. Alles hatte auf drei Werwolfe hingedeutet. Ganz offensichtlich ist mir dabei einer durch die Lappen gegangen. Das war mir noch nie passiert. Ich wurde langsam schlampig und das konnte mich definitiv das Leben kosten.

»Damit wären wir dann wohl fürs erste quitt«, entgegnete Dean und ging bereits in Richtung Impala. »Lasst uns was essen gehen. Ich habe einen Mordshunger.«
Sam verdrehte angesichts der Aussage seines Bruders die Augen, während ich den beiden lächelnd zu unseren Wagen folgte.
Wer hätte gedacht, dass ich die Winchesters nochmal wiedersehe und das außerhalb der Hölle?

Bevor wir allerdings ein Restaurant aufsuchen konnten, musste ich mich noch der blutigen Kleidung entledigen, was in der Enge meines Kleinwagens nicht wirklich leicht war, aber ich schaffte es gerade so.

҉

»Ich hätte nicht gedacht, euch beiden in diesem Leben noch einmal zu begegnen. Euer Tod war so oft Gesprächsthema, dass ich irgendwann abgeschaltet habe, sobald es zur Sprache kam. Ich meine, wie oft seid ihr zwei eigentlich gestorben?«, fragte ich, nachdem ich mein halbes Bier mit einem Zug geleert hatte.
Dabei stimmte das, was ich gesagt hatte nicht ganz. Ich hatte jedes Mal einen Stich verspürt, als ich davon gehört hatte und war jedes Mal wieder erleichtert gewesen, als sie wieder aufgetaucht waren.
Dean hatte gerade so genüsslich in seinen Cheeseburger gebissen, dass an beiden Mundwinkeln Soßenreste hängen blieben. Ich schmunzelte und überlegte zugleich, wie er bei dieser schlechten Ernährung so einen Wahnsinnskörper haben konnte.

»Zu oft.« Das war die knappe Antwort, die ich von Sam erhielt, der in einem riesigen Salat herumstocherte.
Deans Blick wurde wieder glasig. So wie vor diesem riesigen, triefenden Cheeseburger ausgesehen hatte. Ob er sich gerade an etwas erinnerte? Vermutlich hatte ich mit meinem dummen Spruch alte Wunden aufgerissen, dabei stand mir das überhaupt nicht zu. Am liebsten hätte ich mir selbst eine Ohrfeige verpasst. Manchmal sollte ich mein Mundwerk dann doch lieber geschlossen halten.

Vorsichtig biss ich in mein Clubsandwich und hoffte, dass mir bald etwas einfiel, das die Stimmung lockerte. Aber dank Dean musste ich mir nicht lange Gedanken darüber machen.
»Ist ja auch egal. Wir sind jedenfalls inzwischen Immobilienbesitzer«, erklärte er mir mit einem leichten Grinsen, während Sam ihn nur skeptisch ansah.
»Alter«, flüsterte er seinem großen Bruder zu, aber Dean schüttelte nur den Kopf.
»Ich vertraue ihr zu einhundert Prozent.« Diese Worte aus seinem Mund zuhören, bedeutete mir mehr, als sie sollten und meine Haut begann zu kribbeln. Zumal er mir vielleicht nicht so sehr trauen sollte, nur weil wir miteinander geschlafen hatten.
Aber an dieser Stelle begann wieder das Kopfkino. Meine Gedanken drifteten ab und ich musste mich selbst ermahnen, um mir nicht anmerken zu lassen, was mir gerade durch den Kopf ging.

»Okay, na dann...« Mehr sagte Sam nicht und zuckte betrübt mit den Schultern. Er überließ Dean offensichtlich alles weitere.
»Also wie ich schon sagte, wir sind jetzt Hausbesitzer. Wenn du willst, zeige ich dir unser neues Heim.«
Ich nickte, vielleicht ein wenig zu heftig. Denn die Aussicht darauf noch mehr Zeit mit Sam und Dean verbringen zu können, freute mich unheimlich. Ich musste es ihnen nur nicht so auf die Nase binden.
Ehrlich gesagt war ich in der letzten Zeit ziemlich einsam. Die meisten Jäger hatten sich zurückgezogen, vorausgesetzt sie hatten die letzten Jahre überhaupt überlebt. Viele meiner Kontakte existierten schon nicht mehr. Das Roadhouse war zerstört und Jo und Ellen gab es nicht mehr. Das war einer meiner Rückzugsorte gewesen und seitdem stand ich vor dem Nichts was soziale Kontakte anging.

Nach dem Dean den Cheeseburger in rasender Geschwindigkeit verputzt hatte und schließlich noch auf Sam und mich gewartete hatte, traten wir nun nach draußen vor die kleine Bar. Zielstrebig steuerte ich schon auf meinen Civic zu, der inzwischen wirklich die besten Jahre hinter sich hatte, da trat mir Dean in den Weg.
»Es ist besser, wenn du nicht selber fährst. Einfach aus dem Grund, dass du den Weg dann vielleicht nicht sofort auswendig kannst.«
»Dean ich bin Jägerin. Ich achte auf viele Details, meinst du da hält mich das Mitfahren von ab?«, fragte ich stirnrunzelnd. So viel zu Ich vertraue ihr zu einhundert Prozent.

Auch Dean legte jetzt seine Stirn in Falten.
»Hm, vielleicht sollte ich dir lieber die Augen verbinden. Das würde es auch gleich interessanter machen.« Seine raue Stimme jagte erneut einen Schauer über meinen Rücken und ich wusste, dass es ihm nicht verborgen blieb, denn er grinste schon wieder.
»Okay Leute, macht was ihr wollt. Ich fahre Sherins Wagen. Dann muss ich mir das Geturtel wenigstens nicht mit ansehen« Sam streckte seine Hand nach mir aus und ich legte bereitwillig meine Autoschlüssel hinein. Ich vertraute ihm. Er würde mein Equipment schon heil dort hinbringen, wo sie auch mich hinhaben wollten.

»Steig ein«, rief Dean mir zu, der bereits neben der Fahrertür seines 67er Impalas stand. Ich hatte mich schlau gemacht und wusste inzwischen so einiges über seinen Wagen. Aber vor allem wusste ich, dass es wohl nichts auf dieser Welt gab, dass Dean mehr liebte als sein Baby.
Ehrfürchtig stieg in das Oldtimer-Schätzchen ein und sofort startete er den Motor. Der Wagen schnurrte wie ein Tiger und nur Sekunden später befanden wir uns auf der Straße.

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