Platin und Brillanten

Am nächsten Morgen hatte ich mit der größten Überraschung und einem ordentlichen Kribbeln im Bauch festgestellt, dass Dean noch immer da war. Ich wollte nicht zu viel in die Sache hineininterpretieren, aber ich hoffte wirklich, dass wir gerade dabei waren, uns etwas anzunähern.

Immerhin befanden wir uns, was unsere Beziehung zueinander anging, auch in einer denkbar schlechten Lage.
Ich war schwanger geworden, ehe wir überhaupt die Chance hatten, einander richtig kennenzulernen. Ich wusste zwar eine ganze Menge über die Winchesters, aber die Informationsquellen waren nur Erzählungen und Bücher eines Propheten gewesen. Das alles basierte nicht unbedingt auf Fakten. Abgesehen von den Büchern. Die waren mir sogar zu sehr an Fakten orientiert.

Außerdem waren Jäger von Grund auf verkorkst. Es war einigen gar nicht mehr möglich, sich ein normales Leben aufzubauen. Und dazu gehörte eben auch eine stabile Beziehung.
Das würde ich allerdings auf keinen Fall ansprechen. Eine Beziehung wäre ohnehin noch gar nicht denkbar. Wobei ich schon den Wunsch gehabt hätte, Dean auf diese Art nahe zu sein.

»Hey Sherin, wie geht's deinem Kopf?«, fragte Sam als ich mit einem Glas Wasser in die Bibliothek kam. Dean stand gerade unter der Dusche und so hatten wir ein wenig Zeit zu zweit. Ich musste nämlich dringend noch ein paar Dinge klarstellen.

»Es geht. Ein wenig dröhnt es noch in meinem Kopf, aber die Platzwunde ist halb so wild«, beruhigte ich den jüngeren Winchester, während er mich besorgt beäugte.
»Hör zu, ich wollte -«, begann er, aber ich ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen.
»Sam warte. Ich möchte dir zuerst danken«, unterbrach ich ihn eilig, während sich seine Augen weiteten.
»Du willst mir danken?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
Ich nickte heftig.
»Was auch immer du zu Dean gesagt hast - anscheinend hat es bei ihm einen Sinneswandel ausgelöst. Also dafür schonmal danke.«

Sam war in der Zwischenzeit um den Tisch herum direkt auf mich zu gekommen.
»Und dann auch danke dafür, dass ich dich begleiten durfte. Es hat wirklich sehr gutgetan, hier herauszukommen. Mach dir bitte kein Sorgen wegen der Platzwunde. Es geht mir gut.«

Zu meinem Erstaunen machte er noch einen schnellen Schritt auf mich zu und zog mich in seine Arme.
Sam war so viel größer als ich, dass ich mich fühlte, als würde ich komplett von ihm eingehüllt werden und seine Stimme erreichte mich nur gedämpft. »Ich weiß, dass es dir gut geht. Du bist stark und klug genug, darüber zu sprechen, wenn es dir schlecht geht.«
Ich lächelte, vergraben unter Sams Armen, bis ich ein Räuspern in meinem Rücken hörte.
»Darf ich mal fragen, was ihr zwei da macht?«
Hörte ich da vielleicht ein winziges bisschen Eifersucht aus Deans Stimme heraus?

Belustigt drehte ich mich um, nachdem Sam mich losgelassen hatte.
»Ich habe mich bei ihm bedankt, dass er dir den Kopf gewaschen hat«, erklärte ich mutig und hoffte, dass ich damit keinen Fehler gemacht hatte.
»Pass lieber auf, was du sagst! Sonst überlege ich mir nochmal, dich hier herauszulassen«, grummelte der ältere.
»Dean«, ermahnte Sam seinen Bruder.
»Was? Du hast mir nicht den Kopf gewaschen. Ich bin da schon ganz allein drauf gekommen.« Dean funkelte uns wütend an.
Allerdings war ich mir sicher, dass es nicht annähernd die gleiche Wut war wie die, die dazu geführt hatte, dass ich hier festgesessen hatte.
»Klar, von ganz allein«, murmelte Sam und verdrehte die Augen.

Ich schmunzelte über das Verhalten der Brüder. Nur zu gut konnte ich mir vorstellen, dass es solche Situationen öfter gab.
»Und nur um das klarzustellen: Behalt deine Flossen gefälligst bei dir.« Diese Entgegnung von Dean klang nun fast wie ein bockiges Kind und trotzdem führte sie zu einem leichten Kribbeln in mir.
Ich glaubte, dass noch nie jemand genug für mich empfunden hatte, um eifersüchtig zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass es nie jemanden gab, der anderen einen Grund dafür geboten hatte.
Trotzdem konnte ich nicht anders als zu lächeln. Das erste Mal seit einer Ewigkeit wollte ich behaupten, dass es mir gut ging. Durch diese kleinen Zugeständnisse, die Dean mir machte, drängten sich sogar schon die Engelsproblematiken in den Hintergrund.

Sam verließ den Raum und ließ Dean und mich allein zurück. Ich war nicht in der Lage meinen Blick zu heben. Ich befürchtete, dass meine Wangen kirschrot waren, so sehr brannten sie.
»Cherry?«, fragte Dean direkt neben meinem Ohr, was mich erschaudern lässt.
»Dean«, hauchte ich atemlos und ließ zu, dass er um mich herumtratt, um meine Hände in seine zu nehmen.
»Ich bin froh, dass du die ganze Nacht da warst.« Er war mir so nahe, dass seine Stirn beinahe an meiner lehnte.

»Das bin ich seit Wochen, es schien dir nur nicht mehr so ganz bewusst zu sein«, kanzelte ich ihn ein wenig ab.
Zwar freute ich mich, dass er so dachte, aber ich wollte nicht zu viel in seine momentane Zuwendung hineininterpretieren. Es konnte auch einfach nur an der Tatsache liegen, dass in meinem Körper sein Sohn heranwuchs, auch wenn er mir das Gegenteil versprochen hatte.

»Bitte fang nicht wieder damit an. Es tut mir leid und jetzt komm her.« Dean zog mich in seine Arme und hielt mich einen Augenblick, bevor er meinen sanften Kuss auf den Scheitel drückte. Alles in mir sehnte sich danach, dass er seine Lippen auf meine drückte, aber soweit waren wir noch lange nicht. Vielleicht würden wir auch nie wieder soweit sein.
Solange musste ich mit dem Leben, was er bereit war, mir zu geben und das würde ich akzeptieren. Dadurch hatte ich wenigstens selbst auch Zeit, mir darüber klar zu werden, was ich eigentlich will – was ich mir davon verspreche. Aber Dean hatte mich seine Familie genannt. Das war bereits mehr, als ich mir für mein Leben vorstellen konnte. Eine Familie. Nachdem ich meine verloren hatte, als mein Vater gestorben war, hatte ich nicht gedacht wieder eine haben zu können. Ganz zu schweigen von einem eigenen Kind.

Als Dean mich losließ und sich mit den Worten 'er wolle nochmal versuchen Castiel zu erreichen' von mir verabschiedete, ging ich zurück in mein Zimmer.
Ich öffnete meine Tasche und griff zielsicher in die kleine Innentasche. Daraus holte ich das erste Mal seit ich im Bunker war, die schmale silberne Kette hervor. Daran hingen der alte Anhänger meiner Mutter und der Ehering meines Vaters.

Dem Anhänger fehlten inzwischen zwei kleine Brillanten, von den acht, die um die kleine Perle angeordnet waren. Der Ring meines Vaters war zerschrammt, ansonsten hatte sich nichts daran verändert, seit er ihn das letzte Mal getragen hatte. Ich schloss meine Finger um die beiden einzigen Gegenstände, die mir von meinen Eltern geblieben waren und ließ mich auf das Bett hinter mir fallen.
»Ich wünschte, ihr wärt hier. Ihr wüsstet sicher einen Ausweg aus diesem Chaos«, murmelte ich und schloss die Augen.

Leise begann ich, meinen Eltern zu erzählen, was in den letzten Monaten passiert war. Auch wenn sie mich nicht wirklich hören konnten, ließ ich die pikanteren Stellen aus. Immerhin hätten sie mit Sicherheit gewusst, dass ihre Tochter nicht durch unbefleckte Empfängnis schwanger geworden war.
Dennoch tat es gut, mir alles einmal von der Seele zu reden, selbst wenn niemand zuhörte.

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