Knapp 5 Monate später
Seit fünf Monaten hatte ich nichts von den Winchesters gehört. Wobei das nur die halbe Wahrheit war. Dean hatte mir zwei Nachrichten geschrieben. Eine, in der er gefragt hatte, wie es mir ging und eine, in der er mir mitgeteilt hatte, dass er noch lebte und hoffte, dass ich auch noch auf der Erde weilte.
Weder hatte ich auf eine der Nachrichten geantwortet, noch hatte ich ihn angerufen. Auch wenn ich es sehr oft gewollte hatte. Ich hatte es nicht gekonnt. Die letzten Monate waren einfach zu viel für mich gewesen. Mit dem ganzen Schlamassel hatte ich erst einmal allein fertig werden wollen.
Allerdings stand ich nun vor einer Herausforderung, der ich allein nicht gewachsen war. Es gab eigentlich keine andere Möglichkeit. Ich musste ihn anrufen, denn allein kam ich aus dieser Sache ganz sicher nicht mehr heraus.
Ich überlegte hin und her, ob ich bereit war, die Brüder anzurufen und um Hilfe zu bitten. Wenn ich das tat, gab es kein Zurück mehr. Wenn ich das tat, musste ich mir absolut sicher sein. Und das war ich weiß Gott nicht. Ich hatte gehofft, es noch ein wenig herauszögern zu können. Wobei mir die ganze Zeit klar war, dass je später es wurde, desto schlimmer konnte es für mich ausgehen.
»Ach verdammter Mist!«, fluchte ich und entschied, dass es ohne die beiden wirklich nicht ging. Die Engel würden mich töten, wenn ich nicht tat, was sie verlangten und das konnte ich nicht zulassen. Nicht nur um meinetwillen, sondern um unseretwillen.
Ich zog also mein Handy aus meiner Hosentasche und musste nicht lang suchen. Deans Nummer war eine der wenigen, die ich überhaupt eingespeichert hatte. Mit zittrigen Fingern drückte ich auf den kleinen grünen Hörer auf dem Display und hoffte innerlich, dass er nicht abnahm.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich würde ihm meine Situation erklären und die Daumen drücken, dass mir die beiden helfen konnten und es auch wollten. Denn das war in meiner Situation nicht selbstverständlich. Wie mir das hatte passieren können, war mir noch immer schleierhaft, aber es war nun einmal so und daran konnte oder wollte ich auch nichts mehr ändern.
»Ja?«, meldete sich seine Stimme, die sofort wieder kleine Stromschläge über meine Haut sandte.
»Dean? Ich bin's, Sherin Langwood. Ich - Also na ja«, stotterte ich vor mich hin. »Ich brauche eure Hilfe bei einem Fall.«
Ich entschied, dass das die beste Bezeichnung dafür war, was vor sich ging. Er atmete tief ein und ich konnte seine Sorge förmlich spüren.
»Okay, wo bist du? Wir fahren sofort los.«
»Ich bin in Kansas. In der Nähe von Dodge City, um genau zu sein«, erklärte ich kurz meinen Standort. »Wir könnten uns dort treffen.«
Meine Stimme war inzwischen so leise, dass ich vermutete, Dean hätte mich überhaupt nicht gehört. Denn er antwortete erst nach ein paar Sekunden, in denen ich lautes Gepolter und ein paar Stimmen im Hintergrund gehört hatte.
»Okay, das schaffen wir in dreieinhalb Stunden. Pass auf dich auf, Sherin.«
»Mache ich, bis gleich!«, entgegnete ich, legte auf und hatte direkt ein schlechtes Gewissen.
Er hatte ehrlich besorgt geklungen. Vermutlich dachte er, ich wäre bereits in der Klemme. Genaugenommen war ich das auch, aber nicht so akut, wie Dean jetzt mit Sicherheit annahm. Nach diesem kuriosen Gespräch.
Ich entschied mich ein Diner in Dodge City zu suchen, in dem ich auf Sam und Dean warten konnte.
Schnell wurde ich fündig und ging in ein Restaurant, dass zu dieser späten Stunde kaum noch besucht war. Das war meinem Anliegen nämlich sehr zuträglich.
Von der Bedienung ließ ich mir einen Tisch in der hintersten Ecke geben und ließ mich schließlich seufzend auf die Bank fallen.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte die junge Frau in dem knappen hellblauen Kleid mit der Schürze darüber.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber ein Tee wäre super. Kamille vielleicht?«
Die Kellnerin nickte lächelnd. »Na klar, kommt sofort.«
Ich schickte Sam und Dean kurz eine Nachricht mit dem Namen des Restaurants. Jetzt blieb mir nur noch, abzuwarten.
҉
»Warum hast du sie nicht gefragt, um was für einen Fall es geht?«, beschwerte sich Sam neben ihm schon das dritte Mal innerhalb einer Stunde.
»Ich weiß es nicht, Sam! Sie klang so durcheinander, da habe ich einfach vergessen zu fragen.«
»Genau das, Dean! Du vertraust dieser Frau blind. Sie hat dich in den letzten zwei Jahren nicht einmal angerufen, geschweige denn auf deine Nachrichten in den letzten Monaten geantwortet und sie sagte selbst, dass sie am liebsten allein arbeitet. Also warum sollte sie jetzt unsere Hilfe brauchen?« Sam gestikulierte wild während er sprach.
Cas saß auf der Rückbank und beobachtete die beiden Brüder stumm.
»Sie arbeitet gern mit uns, hat sie das letzte Mal gesagt«, erwiderte Dean grinsend, wusste aber bereits, was als nächstes kam.
Und tatsächlich verdrehte Sam die Augen. »Du willst es einfach nicht verstehen.«
»Ich verstehe dich sehr wohl, Sam. Aber sie hat verzweifelt geklungen. Erzähl mir nicht, dass du nicht auch gleich ins Auto gestiegen wärst, um zu helfen.«
Sam warf die Hände in die Luft und schüttelte den Kopf. »Nicht ohne zu fragen, was eigentlich los ist.«
»Was meinst du denn, was passiert? Dass sie sich mit einer Armee Ghuls zusammengeschlossen hat, um uns umzubringen? Das ist doch Blödsinn. Du hast recht, ich vertraue ihr. Und dieses Vertrauen ist berechtigt.« Dean sah in den Rückspiegel und musterte den abwesenden Engel auf der Rückbank.
»Cas, was sagt das Engelsradio? Gibt es eine Armee Ghuls in Dodge City?«, verhöhnte er seinen Bruder.
Als Castiel nicht sofort antwortete, runzelte Dean die Stirn. »Erde an Cas!«
»Entschuldige Dean, ich war kurz abgelenkt. Nein, es gibt nichts über eine Armee von Ghuls in Dodge City. Wobei ich auch nicht denke, dass das von großem Interesse für die Engel wäre.«
Dean schüttelte den Kopf. »Na klar, die kümmern sich ja auch nur um ihren eigenen Kram.«
Er gab noch einmal etwas mehr Gas, denn inzwischen wollte er wirklich wissen, was mit Sherin los war. Sam hatte recht. Sie hatte sich jahrelang nicht gemeldet und war nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht einfach sang- und klanglos verschwunden. Warum also meldete sie sich jetzt?
Trotzdem glaubte Dean nicht, dass sie sie hereinlegen wollte oder so etwas. Was hätte das für einen Sinn gehabt? Sie hatte so verängstigt geklungen bei dem Telefonat und wenn er sie richtig einschätzte, kam es nicht oft vor, dass Sherin Langwood Angst hatte.
҉
Jetzt war es soweit. Gleich würde er mich sehen und dann konnte ich es nicht mehr geheim halten. Ich war definitiv nicht bereit dazu, aber nun war es zu spät sich noch weitere Gedanken dazu zu machen.
Den Impala hörte ich, bevor ich ihn sah, weshalb ich mich noch halbwegs gut positionieren konnte. Ich setzte mich möglichst weit vorn auf die Bank, sodass der Großteil meines Körpers vom Tisch verdeckt war und legte meine Jacke um mich. So würde es ihnen vielleicht nicht sofort auffallen. Wobei es wohl kaum zu übersehen war. Vor allem war es sicher merkwürdig, wenn ich einfach sitzen blieb, wenn sie das Restaurant betraten. Dennoch setzte ich auf das schummrige Licht. Immerhin war es schon kurz nach zehn.
Ich sah dabei zu, wie sie ausstiegen und stellte ein wenig entsetzt fest, dass sie Castiel mitgebracht hatten. Ich hatte davon gehört, dass der Engel wieder aufgetaucht war, hatte allerdings gehofft, dass sie ihn nicht mitbringen würden.
Dean betrat das Diner, ohne auf die anderen beiden zu warten. Sein Blick schweifte durch den Raum. Gerade als die Kellnerin zu ihm kam, hatte er mich entdeckt. Er ließ die junge Frau einfach links liegen und kam schnellen Schrittes auf mich zu.
»Hey, ist alles okay? Du klangst gar nicht gut am Telefon.« Oh man, ich hätte vielleicht noch ein paar Mal durchatmen sollen bevor ich angerufen hatte.
Bevor ich etwas Dummes sagte, entschied ich mich dazu, einfach nur zu nicken und geriet in Versuchung aufzustehen, ihn an mich zu ziehen und einfach mit ihm von hier zu verschwinden. So weit es ging. Aber ich widerstand. Er würde es schon noch früh genug erfahren.
Ich musste immer noch die richtigen Worte finden, um das alles zu erklären. Fahrig suchte ich nach einer Möglichkeit das auszudrücken was gesagt werden musste und von dem ich keine Ahnung hatte, wie ich es sagen sollte.
Allerdings wurde mir die Wahl bereits abgenommen, als Sam mit Castiel im Schlapptau zu uns stießen. Der Engel musterte mich nur für eine Sekunde, ehe er die Stirn runzelte. »Dean, du hast gar nicht erwähnt, dass sie schwanger ist. In diesem Zustand sollte sie nicht jagen.«
Bumm! Geplatzt war die Bombe. Ich verzog das Gesicht und hielt den Blick gesenkt. Ich bedauerte, so lange nach den richtigen Worten gesucht zu haben. Jedenfalls hätte ich es so nicht formuliert.
Ich hielt meinen Blick gesenkt und wartete auf eine Reaktion der beiden Brüder. Nach dieser Nachricht konnte ich ihnen nicht in die Augen sehen. Zu große Angst hatte ich vor Deans Gesichtsausdruck. Aber ich brauchten ihn gar nicht anzusehen. Denn seine Entgegnung war nicht zu überhören.
»Sie ist was? - Du bist was?!« Seine Stimme klang unheimlich schrill in meinen Ohren. Er drehte sich von Castiel zu mir und wieder zurück. Er sah vollkommen verloren aus und ich glaubte, dass er schon die vollkommen richtigen Schlüsse gezogen hatte.
»Wie lange? Also ich meine - seit wann?«
Bevor ich aber überhaupt etwas sagen konnte, kam mir der Engel schon wieder zuvor. »Ich würde sagen, ziemlich genau seit 4 Monaten und 17 Tagen.«
»Cas! Lass sie doch selbst erzählen«, ermahnte Sam den geflügelten Trenchcoat.
Allerdings schien ihm die Bedeutung der Worte in dem Moment klar werden. Genau wie Dean nur wenigen Momenten zuvor. Beide starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Ich war inzwischen aufgestanden und musste zugeben, dass es sich wirklich nicht leugnen ließ. Spätestens jetzt hätten die beiden es ohnehin gesehen. Mein Bauch wölbte sich bereits leicht und jeder, der nicht ganz auf den Kopf gefallen war, konnte sehen, dass ich nicht einfach nur zugenommen hatte.
»Vor knapp fünf Monaten warst du doch - also ihr wart - im Bunker und das ist dann...?« Sam ließ seinen Blick über meinen Bauch schweifen, während Dean laut ausatmete.
Ich musste ihnen wohl nicht erklären, was das alles zu bedeuten hatte.
»Wuh, ich muss mich kurz setzen.« Dean ließ sich mir gegenüber auf die Bank fallen.
Mit den Ellbogen auf die Knie gestützt ließ er den Kopf einen Moment hängen.
»Dean, vielleicht ist es ja gar nicht von dir.« Sam versuchte seinen Bruder mit einem Verlegenheitslacher etwas zu beruhigen, was aber nur mäßigen Erfolg hatte.
»Ich -« Castiel startete gerade den nächsten Satz, aber ich hatte inzwischen mein Selbstbewusstsein halbwegs wieder zusammengekratzt und konnte endlich dazwischen grätschen. Das war eine Sache, die ich gern selbst beantworten würde.
»Es ist von Dean. Daran besteht kein Zweifel. Alles andere ist unmöglich.« Ich war selbst erstaunt, wie fest meine Stimme geklungen hatte.
»Mein Gott, ich werde Vater«, schnaufte Dean und sah mich an. Jetzt war ich sogar in der Lage, seinen Blick zu erwidern.
Ich nickte vorsichtig.
Daraufhin fuhr sich Dean mit beiden Händen übers Gesicht.
»Es tut mir leid, ich hätte es dir auch eher gesagt. Aber ich wusste nicht wie.«
»Und da hast du beschlossen, es mir einfach überhaupt nicht zu sagen?«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sam Castiel zu nickte und der Engel die Stirn runzelte. Daraufhin verdrehte Sam die Augen, packte Castiel am Ellbogen und zog ihn mit sich zu einem der anderen Tische etwas weiter weg von uns.
Ich setzte mich wieder gegenüber von Dean auf die Bank und wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Er hatte ein Recht darauf gehabt, es zu wissen und ich hatte es ihm verwehrt. Das war nicht die feine englische Art.
»Dean, ich - es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht mit uns belasten. Du hast so viel um die Ohren und deine Worte vom letzten Mal hallen immer noch in meinen Ohren nach. Dass es dich zerstören würde, dich an jemand so sehr zu binden. Und jetzt hast du noch etwas an der Backe, das zur Zielscheibe werden kann.«
»Wenn es mein Baby ist, werde ich es mit meinemLeben beschützen. Das steht außer Frage und genau deshalb hattest du keinRecht, das vor mir zu verschweigen.« Die Enttäuschung in Deans Blick brachtemich beinahe um. Sie saß so tief und genau das hatte ich gefürchtet. Ich konntees nicht ertragen, wie er mich jetzt ansah.
»Es ist von dir, darüber würde ich keine Scherze machen. Es gab niemanden sonst.« Meine Stimme war deutlich leiser als ich beabsichtigt hatte, abereventuell wäre sie gebrochen, wenn ich lauter gesprochen hätte.
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