Ein Fall und ein wenig Verständnis
»Guten Morgen. Gut geschlafen?«, fragte Sam, als ich am nächsten Morgen in die Bibliothek kam.
»Ja, danke«, entgegnete ich lächelnd und ließ mich ihm gegenüber auf einem Stuhl nieder.
Nachdem Dean in mein Bett gekommen war, hatte ich so gut geschlafen wie schon ewig nicht mehr. Leider folgte die Ernüchterung beim Aufwachen. Heute Morgen war Dean ohne ein weiteres Wort weg und die Kälte, die ich zu Beginn der Nacht gespürt hatte, war zurückgewesen.
»Was machst du da?«
Die Frage wo sein Bruder sich aufhielt, ersparte ich uns beiden. Es würde ja doch wieder auf das gleiche Gespräch hinauslaufen wie schon die letzten Tage.
Sam saß vor seinem Laptop und schien tief in einen Artikel versunken zu sein. Vielleicht konnte ich ihn ja bei einem Fall unterstützen.
»Es gab hier in der Nähe ein paar ungewöhnliche Unfälle. Ich glaube, das da mehr dahintersteckt.«
Er sah nicht von seinem Bildschirm auf, weshalb ich den Stuhl zurückschob und beschloss, mir Frühstück zu machen.
»Ich hole mir was zu essen. Möchtest du einen Kaffee?«, fragte ich.
»Ja, gern. Danke, Sherin.«
҉
Bewaffnet mit einer Waffel und einer Tasse Kaffee ging ich zurück in die Bibliothek und stellte den Kaffee neben Sams Laptop ab.
Er sah auf und fand mit seinem Blick sofort die Waffel auf meinem Teller.
»Hat Dean nichts anderes gekauft? Ich habe ihm schon drei Mal gesagt, dass er nicht immer nur Kuchen und Süßkram mitbringen soll, aber er will es einfach nicht verstehen.«
Der jüngere der beiden Brüder verdrehte die Augen, lehnte sich zurück und griff nach seiner Tasse.
Ich schmunzelte. »Schon gut, immerhin gibt es mal etwas anderes als Apfelkuchen. Also ist wenigstens etwas Abwechselung dabei.«
Sam schüttelte seufzend den Kopf. »Dieser Idiot«, fügte er murmelnd hinzu.
»Vielleicht kannst du mir das nächste Mal ein bisschen Obst und Gemüse mitbringen. Ein paar Vitamine wären glaube ich auch mal nicht schlecht«, sagte ich und versuchte mich an einem kleinen Lachen, allerdings kam es nicht so leicht über meine Lippen, wie ich es gerngehabt hätte.
Es belastete mich schon sehr, dass Dean nicht wollte, dass ich den Bunker verließ. Nur so konnten sie für meine Sicherheit garantieren, hatte er betont. Dabei wäre es doch nur mal ein kleiner Spaziergang oder der Weg zum nächsten Supermarkt gewesen. Sonnenlicht auf der Haut wäre auch nicht schlecht gewesen.
Sam runzelte die Stirn, ehe er kurz auf seinem Laptop herumtippte.
Ich biss in die Waffel und wünschte mir wirklich, Dean hätte wenigstens einen Apfel mitgebracht. Das wäre doch nicht zu viel verlangt, oder doch?
Gerade als ich aufstehen wollte, um mir etwas zu trinken zu holen, drehte Sam seinen Laptop so, dass ich auf den Bildschirm sehen konnte.
»Hier. Vielleicht kannst du dir das mal ansehen?«, fragte Sam und zeigte auf den Artikel. »Ich bin mir nicht sicher, was wir hier haben.«
Sein Blick war nicht zu deuten, aber es kribbelte in meinem ganzen Körper. Ich witterte eine Chance darauf, mich nicht mehr stundenlang langweilen zu müssen oder darauf zu warten, wann Dean endlich mit mir sprach.
Ich nickte aufgeregt und überflog eilig die Zeilen des kurzen Artikels einer Klainstadt, nicht weit von hier.
Direkt im Anschluss rümpfte ich kurz die Nase, ehe ich misstrauisch eine Augenbraue hob. Der Artikel war eindeutig und ließ eigentlich kaum einen Spielraum zu. Es sei denn natürlich, es handelte sich um einen wirklich schrägen Zufall. Und wenn ich eins in all den Jahren gelernt hatte, dabn das es in unserem Job keine Zufälle gab.
Damit war wohl klar, dass Sam sehr genau wusste, was hier vorlag.
»Sam?«, fragte ich mit vor der Brust verschränkten Armen. »Was genau versuchst du hier?«
Der jüngere Winchester zuckte mit den Schultern, drehte den Laptop wieder zurück und klappte ihn zu.
»Ich wollte dich ein wenig ablenken. Ich sehe doch, dass es dir zusetzt, hier den ganzen Tag nur herumzusitzen. Vielleicht bringt dich der Fall ein wenig auf andere Gedanken?«
Jetzt musste ich sogar wirklich grinsen. »Danke, das weiß ich zu schätzen.« Und das war die Wahrheit. Schon allein die Tatsache, dass er mich kurz miteinbezog, löste ein Gefühl von Dankbarkeit in mir aus.
Sam stand auf und schob den Stuhl am den Tisch, ehe er mich wieder an sah und ein Lächeln seine Lippen umspielte.
»Na dann, schnapp dir deine Sachen. Ich war so frei, dir ein paar passende Klamotten in deiner momentanen Größe hinzulegen. Wir fahren in zwanzig Minuten los. Ich habe telefonisch schon ein paar Erkundigungen eingeholt. Also im Prinzip weiß ich schon, was zu tun ist.«
»Du meinst, ich soll mit dir fahren?«, fragte ich und wurde allein von dem Gedanken, gleich im Wagen zu sitzen ganz nervös.
»Klar, vorausgesetzt du willst mit«, entgegnete er mit fragender Miene.
Ich nickte hastig und musste mich ziemlich zusammenreißen, um nicht kreischend in die Luft zu springen. Niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich mich mal so über einen neuen Fall freuen würde. Und vor allem darüber, dass Sam das Ganze wohl schon länger geplant hatte. Wie sonst sollte er so schnell an passende Kleidung gekommen sein?
Im Eiltempo lief ich in mein Zimmer, zog mich um und schnappte mir eine Tasche mit meiner Schrotflinte und den Steinsalz-Patronen. Zuletzt überprüfte ich noch ob mein Feuerzeug funktionierte. Wenn ich eins in all den Jahren gelernt hatte, war es, dass ein kaputtes oder leeres Feuerzeug das schlimmste war, wenn man es mit einem Geist zu tun hatte.
Ich legte mir den Gurt meiner Tasche über die Schulter und verließ mein Zimmer, um in die Tiefgarage zu gehen.
Dort wartet Sam schon an meinen Wagen gelehnt. »Willst du fahren?«
»Klar, kein Problem«, entgegnete ich, öffnete den Kofferraum und warf meine Tasche hinein. Dann klemmte ich mich hinters Steuer und wir verließen den Bunker. Das erste Mal seit fast drei Wochen.
Knapp eine Stunde Fahrt lag bereits hinter uns. Sam hat mich auf den Stand der Dinge gebracht, die er bereits wusste. Schon im Bubker hatte er einige Telefonate geführt und konnte mir somit viele Details vermitteln. Der eigentliche Job bestand deshalb nicht mehr aus Recherche, sondern eher aus reinem Handeln.
»Danke, dass du mich da herausgeholt hast. Dean hätte das niemals erlaubt!« Die Erleichterung in meiner Stimme war wohl kaum zu überhören. Zumindest konnte man sicher mein Lächeln hören.
Sam dagegen sah einfach durch die Windschutzscheibe meines Civics nach draußen. »Er macht sich nur Sorgen um euch. Familie geht für ihn über alles und ihr gehört jetzt dazu. Deswegen will er euch schützen. Sei bitte nicht zu streng mit ihm.«
Sams ernste Worte ließen mich nachdenklich werden.
»Das verstehe ich, aber ich würde auch gern etwas tun, um unseren Sohn zu schützen. Ich fühle mich in den letzten Tagen ziemlich nutzlos, weißt du?«
Sam nickte. »Und deswegen sitzen wir jetzt hier. Wir sollten auch gleich da sein. Dann hast du mal wieder was zu tun. Auch wenn es nichts mit eurem Kind zu tun hat. Vorausgesetzt du siehst dich wirklich in der Lage, mir zu helfen?«
Er hatte eine Augenbraue hochgezogen und ich konnte aus dem Augenwinkel seinen skeptischen Blick sehen.
»Klar! Ich meine, ich würde jetzt nicht gerade ein Nest Vampire mit dir ausräuchern wollen in meinem Zustand, aber ein Geist, der die Menschen noch nicht mal tötet – Das sollte ich schaffen. Du sagtest, wir müssen nur einen Gegenstand verbrennen, weil es die Knochen schon gar nicht mehr gibt.«
Sam nickte wieder. »Ja genau. Ich habe mit der Mutter des Jungen gesprochen. Er wurde verbrannt. Ich habe auch versucht, herauszufinden, ob es eine Sache gibt, an die er sich gebunden haben könnte, aber seine Mutter war da nicht gerade ein Quell des Wissens. Sie erzählte allerdings, dass ein Baumhaus gibt. Es war wohl eine Art Clubhaus für ihn und seine Kumpels. Das können wir uns gleich mal anschauen.«
»Es muss schrecklich sein, das eigene Kind zu verlieren. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie sich seine Mutter fühlen muss.« In meinem Hals bildete sich ein Kloß, den ich nur mit Mühe herunterschlucken konnte.
Es machte mir gerade noch einmal mehr als deutlich, dass ich es nicht ertragen konnte, wenn die Engel meinen Sohn in ihre Finger bekämen.
»Dir wird das nicht passieren, Sherin«, entgegnete Sam und traf damit genau ins Schwarze, denn das war der erste Gedanke, der mir gekommen war. Vielleicht würde es mir bald genauso ergehen. Auch wenn es in diesem Fall hier ein Unfall war, ist die Sache an sich genauso schrecklich.
»Dean tut alles, um uns die Engel vom Hals zu halten.«
Ich nickte. »Das weiß ich, aber -« Mir fehlten die Worte um zu beschreiben, wie ich mich im Moment fühlte. Angst, Sorge, Nutzlosigkeit, Hilflosigkeit – das waren nur wenige Worte, um zu beschreiben, was in mir vorging.
»Bist du dir sicher, dass du das mit mir machen willst?«, fragte Sam besorgt.
»Klar, ich bin mir sicher. Können wir vielleicht mit den Freunden des Jungen sprechen?«, versuchte ich das Thema wieder auf den Geist zu bringen.
Ich lenkte den Civic in ein Wohngebiet, dass aussah, als wäre es hier schon ein Skandal, wenn der Rasen einen Millimeter zu lang war.
»Einer von ihnen liegt mit Verbrennungen im Krankenhaus und ein anderer sitzt mit einem gebrochenen Bein zuhause, aber beide sind in der Lage ein paar Fragen zu beantworten. Der letzte der Truppe wartet im Moment in ihrem Clubhaus auf uns. Ich habe uns als Agents der Homeland angekündigt.«
Angesichts des letzten Satzes lachte ich kurz auf. »Homeland Security? Mehr Respekt hättest du dem Jungen nicht einflößen können, oder?«
Jetzt lachte auch Sam. »Mir fiel in dem Moment nichts besseres ein. Er wird es schon überleben. Deine Marke habe ich auch dabei Agent Miller.«
»Danke, dann kann's ja jetzt losgehen«, erwiderte ich und stellte den Wagen vor einem Haus mit einem großen Baumhaus im Vorgarten ab. Das musste wohl besagtes Clubhaus sein.
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