Der Morgen danach
Als er die Augen aufschlug, war der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss Sherin. Er hoffte inständig, dass sie nicht wieder verschwunden war.
Viel zu hastig setzte er sich in seinem Bett auf und verpasste der zierlichen Frau neben sich dabei einen recht heftigen Stoß.
Aufschreiend fiel sie von der Bettkante auf den Boden und riss die Bettdecke mit sich. Immerhin wusste er jetzt, dass sie noch da war.
Ein Grinsen schlich sich ein, aber er biss sich auf die Unterlippe, um es noch zurückzuhalten. Hastig schaltete er die kleine Lampe auf seinem Nachtisch an.
»Verdammt Sherin! Ist alles in Ordnung?« Er lehnte sich über die Bettkante und sah hinunter auf das Bündel am Boden seines Zimmers.
Sherin zappelt wie wild, um wieder aus dem Gewirr der Decke herauszukommen.
»Meine Güte Dean! Was sollte das?«, zeterte sie und streifte sich endlich die Decke vom Kopf ab.
Schon als er gesehen hatte, dass es ihr gut ging, hatte er angefangen zu lachen. Sie sah einfach zu lustig aus, mit nichts als seiner Decke und ihrem Slip bekleidet und hochrotem Kopf. Er befürchtete, dass sie eigentlich noch gar nicht richtig wach war und trotzdem sah sie unheimlich wütend aus.
»Es tut mir leid, ich wollte dich nicht aus dem Bett werfen. Ich bin es nur nicht gewohnt, dass ich neben so einer Wahnsinnsfrau aufwache. Also komm wieder her und ich entschuldige mich auf angemessene Art.«
Leider hatte er sein Angebot wohl etwas überschätzt, denn Sherin stand mit grimmigem Gesichtsausdruck auf. Die Decke eng um ihren Körper geschlungen.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst! Du weckst mich, indem du mich aus dem Bett wirfst - im wahrsten Sinne des Wortes - und dann denkst du, mit einer schnellen Nummer kannst du mich besänftigen?«
»Kann ich das nicht?«, fragte er so unschuldig wie möglich.
Inzwischen wusste er zur Genüge, wie Sherin auf ihn reagierte.
»Nein, Dean!« Brummelnd hob sie ihr Top auf, drehte ihm den Rücken zu, ließ die Decke fallen und zog ihr Oberteil über. »Wie spät ist es überhaupt?«
Dean zuckte mit den Schultern und griff nach seinem Handy. »Halb fünf morgens.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wusste er schon, dass es Konsequenzen haben würde.
»Du spinnst doch«, knurrte sie, legte sich wieder ins Bett und zog die Decke über sich.
»Also können wir nicht...?«, fragte er zur Sicherheit.
Ihre Antwort kam prompt in Form ihrer Faust, die gegen seine Schulter boxte. Aber er konnte ihr Schmunzeln sehen, auch wenn sie versuchte, es hinter der Decke zu verstecken.
»Na schön, dann schlafen wir eben noch ein bisschen«, brummelte er gespielt beleidigt und schaltete das Licht aus.
Als er sich wieder neben sie in die Kissen sinken ließ, spürte er, wie sie sich sofort in seine Arme schmiegte.
Eigentlich war er gar nicht der Typ fürs Kuscheln und eigentlich hätte er sie auch nicht mit hergebracht. Eigentlich. Aber irgendetwas war an ihr anders.
Und augenblicklich schoss ihm wieder der Foreigner Song in den Kopf.
»And I guess it's just the woman in you,
That brings out the man in me«, sang er leise vor sich hin.
Allerdings war es nicht leise genug. Denn kurz darauf hörte er Sherin die nächsten zwei Zeilen singen, bevor er sie fester in seine Arme zog und lächelte.
In dem Moment war alles was zählte, dass Sherin noch da war und wie froh er erstaunlicherweise darüber war. Vielleicht bedeutete diese Frau ihm doch mehr, als er sich eingestehen wollte.
҉
Als ich das zweite Mal an diesem Morgen aufwachte, war das Bett neben mir leer.
Für einen Augenblick musste ich ernsthaft überlegen, ob der kleine Unfall heute Morgen wirklich passiert war. Aber die ungewöhnlichen Schmerzen an meinem Hinterkopf zeugten davon, dass es kein Traum gewesen war.
Was war auch in Dean gefahren, mich so aus dem Bett zu katapultieren?
Meine Wut darüber war allerdings schon in dem Moment verraucht, als ich sein Lachen gehört hatte. Aber spätestens als er angefangen hatte zu singen, war es vollends um mich geschehen.
Mir war natürlich bewusst, dass es sich auch um eine Masche seinerseits handeln konnte, aber das verdrängte ich bisher ganz gut. Denn bei dem Gedanken, dass Dean noch andere Frauen mit diesem Song ins Bett bekam, wurde mir flau im Magen.
Ich streckte mich ein letztes Mal, bevor ich aufstand und mich anzog. Schließlich verließ ich Deans Zimmer und machte mich im Bad frisch, ehe ich die Jungs suchte.
Ich vermutete, dass sie in der Küche saßen. Offenbar waren sie sehr darum bemüht, möglichst leise zu sprechen, aber das Gemurmel war dennoch zu hören.
Als ich die Küche betrat, verstummten die beiden und machten diesen wirklich unangenehmen Moment noch beschämender.
Es war schon schlimm genug, dass sich keiner von uns beiden am Morgen herausgeschlichen hatte, um den anderen nie wieder anzurufen. Ich habe noch nie mit der Familie eines meiner - ja was war er nun für mich? - gefrühstückt.
»Guten Morgen, Sherin«, begrüßte Sam mich.
Ich nickte ihm knapp zu und nahm die Tasse Kaffee entgegen, die er mir hinhielt.
»Na, hast du irgendwo Schmerzen? Ich meine, nachdem was letzte Nacht passiert ist...?«, fragte Dean mit breitem Grinsen, wurde aber direkt von seinem Bruder unterbrochen.
»Bitte keine Einzelheiten!«, flehte Sam
Aber Deans Grinsen blieb, während meine Wangen Feuer fingen. Mein Gott, konnte das alles noch peinlicher werden?
»Das meine ich nicht. Wobei der Teil wirklich super war. Cherry ist heute Morgen aus dem Bett gefallen«, erklärte Dean seinem kleinen Bruder.
Sam runzelte kurz die Stirn. »Was?«
»Dean hat mich geschubst und jetzt habe ich höllische Kopfschmerzen«, brummelte ich und versteckte mich hinter der Tasse, während besagter Mann wieder in Gelächter ausbrach.
In der Zwischenzeit rief ich in Gedanken eine höhere Macht an und bat darum, dass sich bald ein Loch im Boden auftun und mich verschlucken möge.
Das Problem war nicht nur dieses überaus unpassende Gespräch. Es war auch die Tatsache, dass mir der Kosename, den Dean mir verpasst hatte, ein deutliches Kribbeln im Bauch bescherte. Und vor genau diesem Gefühl war ich beim letzten Mal geflohen. Ich verfluchte mich dafür, dass ich dieses Mal geblieben war. Wobei ich aus diesem verdammten Bunker auch allein nicht herausgekommen wäre. Zumindest definitiv nicht so still und heimlich wie aus dem Motelzimmer.
Zwei Jahre war das bereits her gewesen und trotzdem fühlte es sich an, als wäre es erst gestern gewesen.
Ich war nicht blöd und wusste natürlich, dass Dean auch noch andere Frauen gehabt hatte, aber für mich war diese Situation ein Riesending. Normalerweise ließ ich mich weder auf andere Jäger noch auf ein und denselben Mann zweimal ein. Und trotzdem stand ich hier.
Angestrengt nippte ich an meinem Kaffee und hoffte, dass irgendjemand die entstandene Stille überbrücken würde. Aber keiner der beiden Männer erbarmte sich.
Deshalb räusperte ich mich, stellte die Tasse auf den Tresen und bewegte mich langsam in Richtung Tür. Ich musste meinen Rucksack noch aus der Bibliothek holen, ehe ich hier verschwinden konnte. Und das musste ich ganz dringend. Alles andere wäre mein Verderben.
»Also dann Jungs. Ich will euch nicht weiter aufhalten und muss dann mal wieder los. Wenn einer von euch so freundlich wäre, mich zu meinem Auto zu bringen?« Ich rang mir ein gequältes Lächeln ab, dass mindestens genauso gequält von Sam erwidert wurde. Während Dean sich aufrichtete und auf mich zu kam. Ohne abzuwarten, drehte ich mich um und verließ die Küche.
»Hey hey, wohin denn so eilig?«, fragte Dean, nachdem er auf halber Strecke zur Bibliothek mein Handgelenk gepackt hat.
»Ihr - genauso wie ich - werdet doch sicher zu tun haben. Deshalb werde ich jetzt losfahren.« Abgesehen davon, dass mich noch eine Minute hier in mein Verderben stürzte.
Dean sollte auf keinen Fall merken, wie schwer mir das ganze jetzt schon fiel und eigentlich wollte ich es mir selbst auch nicht eingestehen müssen.
Dieser Bunker kam mir plötzlich ziemlich erdrückend vor. So eng und stickig. Es wurde mir allmählich wirklich zu viel. Deans Nähe kam mir plötzlich so komisch vor. Mein Herz stolperte, als er noch einen Schritt auf mich zu machte. Und das war definitiv nicht gut.
»Okay.« Das war alles, was er in dem Moment sagte und doch lag sehr viel in dem kleinen Wort. Dabei war er doch derjenige, der gestern Nacht noch gesagt hatte, er wolle sich an niemanden binden, weil er daran zerbräche.
Und genauso ging es mir. Also musste er es verstehen.
Eilig holte ich meine Sachen aus Deans Zimmer und ließ mich dann von den beiden Brüdern in ihre Tiefgarage begleiten. Sie erlaubten mir den Bunker allein zu verlassen. Immerhin hätte ich jetzt beim zweiten Mal den Weg ohnehin gesehen.
Ich warf meinen Rucksack in den Kofferraum und drehte mich ein letztes Mal zu den beiden um.
Sam trat ein paar Schritte näher und schloss halbherzig die Arme um mich. »Man sieht sich, Sherin. Das nächste Mal solltest du bei einem Fall besser recherchieren, bevor du ein Rudel Werwölfe sprengst«, tadelte er und ich lächelte.
»Klar, mache ich«, entgegnete ich, als wir uns lösten.
Noch bevor Dean den Blick vom Boden hob und sich mir zuwandte, verließ Sam die Garage bereits.
Langsam kam er auf mich zu und nahm meine Hände in seine. Er strich wieder über die Schrammen auf meinen Handrücken.
»Pass auf dich auf Kleine«, raunte er und zog mich in eine sehr feste Umarmung.
»Das mache ich immer«, antwortete ich atemlos.
Er presste mir die Luft aus den Lungen, aber als er losließ, fühlte es sich an, als würde er einen Teil von mir für sich behalten.
»Ich meins ernst. Ich würde dich gern in diesem Leben nochmal wiedersehen und nicht in der Hölle, Cherry«, gab er mir eindringlich zu verstehen.
»Ich gebe mein Bestes. Du dann aber auch. Immerhin bist du derjenige, der schon öfter gestorben ist, als jeder Menschenverstand begreifen kann.«
Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann trat er einen Schritt zurück und entließ mich zu meinem Wagen.
Ich wagte es nicht, nochmal auf ihn zuzugehen. Stattdessen drehte ich mich um, stieg ein und verließ den Bunker, ohne noch einmal zurückzuschauen.
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