Diebisches Geschick
Mit Genuss vertilgte Bleuciel das Essen, das dampfend vor ihm auf dem Teller lag. Der salzige Speck harmonierte hervorragend mit den Kartoffeln und auch der Braten war mit seiner knusprigen Haut nicht zu vernachlässigen. Perceval, der dem Dieb indes gegenübersaß, erfreute sich an dessen großen Appetit. Sie saßen am äußersten Rand des Tisches, weshalb sie ihr Mahl unter halbwegs normalen Umständen verspeisen konnten, ohne dabei von einem der feierwütigen Gäste angerempelt zu werden.
Auch die zwei Weinflaschen wurden derweil nicht außer Acht gelassen. Während ein Teil des Inhalts schon durch ihre Kehlen geflossen war, verweilte der Rest davon noch in den Flaschen, sowie ihren halbvollen Gläsern. Hin und wieder tranken sie davon, ohne sich um die Auswirkungen des Alkohols zu scheren. Jedwede Moral fiel der ausgelassenen Stimmung anheim.
„Gefällt Ihnen der bisherige Abend, Monsieur?", fragte Perceval, als dessen Fuß mit dem von Bleuciel zusammenstieß.
Noch etwas scheu erwiderte Dubois die Berührung, indem er mit seinem Stiefel nach vorn rutschte und somit eine sanfte Reibung erzeugte.
„Ja Monsieur. Und das Essen ist wirklich hervorragend."
Schmunzelnd nahm Perceval das Glas in die Hand. „Meine Wenigkeit begünstigt ja eher den Wein", säuselte er, bevor er sinnlich davon trank. Dabei ruhten seine glänzenden grünen Augen fortweilend auf Bleuciel. „Heute schmeckt er mir besonders gut", fügte er anschließend mit einem Raunen hinzu.
Der Dieb musste achtgeben, nicht an seinem Braten zu ersticken, weswegen er das Fleisch zügig hinunterschluckte. Mit einem Mal fühlte sich die Luft hier drin noch stickiger an, in deren Folge sie unerträglich zu werden drohte. Bleuciel war unglaublich heiß, was mitunter auch am Alkohol liegen mochte, doch der eigentliche Verursacher saß ihm mit vielsagenden Blicken und einem spitzbübischem Grinsen gegenüber.
„I-Ihr Verhalten behagt mir nicht, M-Monsieur", stammelte Dubois peinlich berührt, woraufhin Percevals Fußrücken über die Wade nach oben glitt.
„Lügner", hauchte der Adelige betört und biss sich danach auf die Unterlippe.
Die Reaktionen des Diebes beinhalteten etwas Niedliches, von dem sich Perceval zunehmend hingezogen fühlte. Er wollte mehr davon an die Oberfläche bringen, ohne Bleuciel zu verschrecken. Die empfindliche Waagschale musste gut im Auge behalten werden, da schon die geringste Fehleinschätzung sämtliche Bemühungen mit einem Schlag zu Nichte machen könnte.
Das wirklich Erstaunliche an alldem war die starke Sympathie, die Perceval schon nach so kurzer Zeit für den verschlossenen Mann hegte. Woran das liegen mochte, war nicht ganz gewiss. Vermutlich weil Dubois den Anschein eines Abenteurers machte, der frei und unabhängig war und damit genau das verkörperte, wonach sich der Adelige schon seit Jahren so schmerzlich sehnte.
Hier offenbarte sich die Schwäche von Perceval, der ohne den Reichtum keinen festen Fuß fassen konnte. Ihm fehlte bisweilen der Mut, um all das endgültig hinter sich zu lassen. Er war es nun mal nicht anders gewohnt, weshalb er fürchtete, dass ihm sein Vorhaben nicht gelingen würde. Vielleicht sah er in Bleuciel den Hoffnungsschimmer, der daran etwas ändern könnte ...
„Ihr Essen wird kalt", bemerkte Bleuciel, dessen Ohren noch einen sanften Rotschimmer offenbarten.
„Wie aufmerksam, Monsieur. Ich danke Ihnen", jauchzte Perceval, der sich eine voll beladene Gabel zwischen die Lippen schob.
Zur gleichen Zeit lief die Bedienung an ihnen vorbei. Dabei trug die ächzende Frau einen Korb mit Kartoffeln vor sich her. Unglücklicherweise fiel eine davon über den Rand, sodass die Dame unweigerlich nach Luft schnappen musste. Blitzschnell fuhr Bleuciels rechter Arm zur Seite, um die Kartoffel in der Luft aufzufangen.
„Du meine Güte", schmatzte Perceval mit halbvollem Mund. „Sie besitzen ja wahnsinnige Reflexe, Monsieur."
Und auch die Frau starrte den Dieb mit großen Augen an. Räuspernd platzierte Dubois die Kartoffel auf einen sicheren Platz im Korb.
„Nur etwas Glück", grummelte er, womit er seine beiden Bewunderer bewusst anlog.
Da der Korb nicht leichter wurde, war die Frau gezwungen ihren Weg trotz Erstaunen fortzusetzen. Bleuciel, der Percevals Blick auf sich spürte, gönnte sich derweil ein paar Schlucke Wein. Er leerte das Glas in einem Zug und füllte es rasch wieder auf.
„Ich beneide Sie, Monsieur Dubois", seufzte Perceval, der sein Glas ebenfalls leerte und sich nachschenkte. „Die Welt gehört Ihnen."
Schön wäre es, dachte Bleuciel, dessen Aufmerksamkeit jetzt auf einen der Artisten überging. Dieser war etwas größer und stämmiger, als sein gelenkiger Kollege und gerade dabei, sich von der Theke zu entfernen. Zu Bleuciels Überraschung lief der Mann nun geradewegs auf sie zu.
„Mein werter Monsieur!", rief der Mann, als er dem ahnungslosen Perceval von hinten an den Rücken griff. „Sie sind der spendable Gönner, dem ich mein kostenloses Getränk zu verdanken habe, nicht wahr?" Dabei rutschte die Hand über den Rücken hinweg nach oben. Zeitgleich lehnte sich der Artist brüderlich nach vorn, sodass sich der Adelige in einer halben Umarmung wiederfand. „Ich wollte Ihnen von Herzen dafür danken Monsieur!"
Was dann folgte, geschah so schnell und unauffällig, dass niemand – mit Ausnahme von Bleuciel – es mitbekam. Die andere Hand des Artisten hatte ihren Weg in die Außentasche des Gehrocks gefunden, um einen Beutel mit Münzen daraus zu entwenden. Keine Sekunde später setzte der dreiste Mann seinen Weg fort.
Was der Langfinger nicht kommen sah, war das Bein, das Bleuciel heimlich ausgestreckt hatte, um den Gauner mit einem überraschten Aufschrei zu Fall zu bringen.
Die umliegenden Gäste raunten und fassten sich an ihre offenen Münder. Auch Bleuciel sprang mit gespielter Betroffenheit von seinem Platz, um dem Mann am Boden aufzuhelfen. Geschickt ergriff er dabei den Beutel, der durch den Sturz etwas zur Seite gerollt war.
„Ist alles in Ordnung, Monsieur?", fragte Bleuciel, der die Verwirrung und Wut im Gesicht seines Gegenübers eindeutig erkennen konnte.
Dem Langfinger blieb keine andere Wahl, als die Frage mit einem Nicken abzutun. Er klopfte sich den unsichtbaren Dreck von seinem Kostüm und setzte den Weg ohne gemachte Beute stillschweigend fort. Zufrieden damit setzte sich Bleuciel zurück auf seinen Platz.
„Hier, Monsieur", sagte Dubois, als er Perceval das Münzsäckchen übergab. „Das lag auf dem Boden. Ist Ihnen wahrscheinlich aus der Tasche gefallen."
Schweigend nahm Perceval das Geld entgegen. Man konnte förmlich hören, wie es hinter der Stirn des Mannes zu rattern begann. Offenbar zweifelte der Adelige an der Aussage von Bleuciel, beließ es vorerst jedoch dabei.
Was sich hingegen nicht vermeiden ließ, war der Umstand, dass diese Aktion ein noch größeres Interesse weckte. Nicht länger war Bleuciel bloß der schüchterne, leicht unbeholfene Mann, dem das Ungeschick in die Wiege gelegt worden war. Im Gegenteil. Plötzlich offenbarte sich eine Seite an ihm, die Perceval bisher noch nicht kennenlernen durfte, die aber durchaus ein großes Potential besaß und die Neugier des Feudalen wie ein loderndes Feuer entfachte.
„Monsieur Dubois", hörte Perceval sich selbst sagen. „Ich möchte mit Ihnen um die Wette trinken."
Bleuciels Augenbrauen schnellten nach oben. „Sie wollen was?"
„Lassen Sie uns um die Wette trinken", wiederholte Perceval entschlossener, denn je. Er stopfte sich die Überbleibsel seines Essens in den Mund und sprang auf.
Bleuciel, den die Verwirrung noch nicht aus ihren Fängen entlassen wollte, betrachtete die aufgeblähten Wangen seines Gegenübers, in denen das Essen mühsam zerkleinert wurde. Da er selbst schon fertig gespeist hatte, musste er nichts dergleichen tun. Er wartete, bis Perceval alles hinuntergeschluckt hatte und weitersprach.
„Ich meine es ernst, Monsieur. Ich möchte mit Ihnen um die Wette trinken, hier und jetzt."
Ungläubig starrte Bleuciel auf die halbvollen Weinflaschen auf dem Tisch. „Das alles? Auf einmal?", hakte er vorsichtshalber nochmal nach.
Mit einem eifrigen Nicken nahm Perceval die Flasche zur Hand. „Selbstverständlich, werter Freund", flötete er. „Zeigen Sie mir, was in Ihnen steckt."
Eine ganze Menge Wein, mutmaßte Bleuciel, falls sie die Sache wirklich durchziehen sollten. Einen Augenblick lang betrachtete er die Flasche. Warum eigentlich nicht? Die Atmosphäre einer Taverne lud zu solchen Spielchen regelrecht ein. Außerdem verspürte der Dieb nach der erfolgreichen Rückeroberung des Geldsäckchens einen kleinen Höhenflug.
Drum schnappte er sich seine eigene Flasche, um damit an die Seite von Perceval zu treten. Erfreut darüber schlang dieser seinen Arm um Bleuciels Nacken.
„Ich wusste, dass Sie mich nicht enttäuschen würden, Monsieur", jubilierte der Adelige. „Sind Sie soweit?"
„Bin ich."
„Dann los!"
Zeitgleich führten die Männer die Flaschenhälse an ihre Münder, um fleißig daraus zu trinken. Der Alkohol brannte auf Bleuciels Zunge, ebenso wie in seinem Hals. Seine Augenlider begannen zu flattern. Einen kurzen Moment über, wusste der Dieb nicht mehr, wo er sich gerade befand. Die Stimmen der Gäste vermischten sich zu einem unverständlichen Geräuschklumpen, der für Bleuciel in zunehmende Entfernung rückte. Zudem spürte er, wie sich der Griff seines Nebenmannes verstärkte. Percevals Finger strichen kurz über den Oberarm, ehe sie beherzt zulangten.
Die ganzen Eindrücke formten sich zu einem heillosen Durcheinander, welches die Sinne trübte und Bleuciels Körper ermatten ließ. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis die Flasche keinen Tropfen mehr hergeben wollte.
Nach Luft ringend entzog sich Bleuciel der leeren Flasche. Keine Sekunde später tat es ihm sein Trinkkumpane gleich.
„Oohh", seufzte Perceval. „Sie haben ja gewonnen, Monsieur." Mit einem Grinsen lehnte er sich gegen den Dieb. „Sie sind ja sooo gerissen, mein Freund."
Die warme stickige Luft beschleunigte die Wirkung des Alkohols, der auch Bleuciel nicht länger zu entgehen vermochte. Kichernd klopfte er dem Adeligen gegen die Brust.
„Sie waren mein Antrieb, Monsieur"
„Wirklich?", säuselte Perceval, als ihre Blicke sich trafen.
Plötzlich öffnete sich die Tür des Gasthauses, durch die sechs Männer mit finsteren Mienen hinein marschierten. Trotz des Alkohols erschrak Perceval bei ihrem Anblick.
„Ich kenne die Männer. Mein Vater hat sie geschickt", keuchte er Bleuciel bangend ins Ohr. „Sie werden mich mitnehmen, Monsieur."
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