Die Folgen des Umtrunks

Es dauerte einen Moment, bis die Wörter für Bleuciel einen Sinn ergaben. Kurz galt sein Blick den Männern, die sich in dem Getümmel einen Überblick zu machen versuchten. Da sie noch nicht auf Perceval aufmerksam geworden waren, ergriff Bleuciel dessen Hand, um ihn mit sich zu ziehen.

„Die Männer werden Sie nicht finden", sprach er dem Adeligen aufmunternd zu. „Das werde ich verhindern, indem wir uns vor ihnen verstecken."

Leichter gesagt, als getan. Der Alkohol hemmte Bleuciel in seinen Koordinationsfähigkeiten. Schwankend bahnte er sich den Weg durch die Leute, die teils genauso betrunken waren, wie er selbst, und daher kaum auf ihren eigenen Füßen stehen konnten.

„Wie aufregend!", gluckste Perceval im Hintergrund, wobei er die Hand von Dubois fest umklammert hielt.

Trotz des gedanklich gefassten Vorhabens, fiel es Bleuciel zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren. Der konsumierte Wein erhitzte seine Wangen und sorgte für regelrechte Schweißausbrüche. Hinzukamen die plumpen Bewegungen, die den Dieb ins Stolpern brachten, sodass die beiden Flüchtenden einem permanenten Gekicher zum Opfer fielen. Obschon die Situation durchaus ernste Folgen für sie haben könnte, minderte das nicht ihre heitere Stimmung. Vielmehr wirkte es so, als spornte sie die Gefahr zusätzlich an.

Endlich gelang es den beiden, dem Menschenauflauf zu entfliehen. Sie erreichten den langen Gang, dessen Ende zum Hinterausgang der Taverne führte. Der Triumph lag somit in greifbarer Nähe. Dummerweise schritten ihre Verfolger schneller voran, als gedacht. Selbst mit Alkohol im Blut wusste Bleuciel, dass man sie entdecken würde, ehe sie den Hinterausgang erreicht hätten. Daher blieb dem Dieb keine andere Wahl, als blindlinks in eine der Unterkünfte hineinzuplatzen.

„Verzeiiihen Sie die Stööörung, Mesdames et Messieurs!", prustete Perceval ausgelassen, wobei er mit der freien Hand in der Außentasche seines Gehrocks herumfummelte. „Was kostet unser diebisches Eindringen?", fügte er mit rauer Stimme hinzu, obwohl niemand außer ihnen im Raum zugegen war.

Mit einem Kichern schüttelte Dubois den Kopf. „Jetzt nicht, Monsieeeeur", säuselte er. „Wir müssen uns doch verstecken."

„Ah ja, richtig", pflichtete Perceval bei, dessen Augenmerk dem Bett in der Ecke galt. Schmunzelnd zog er Bleuciel zu sich heran. „Kriechen wir unter die Decke, Monsieur?"

Die glasigen Augen und rotschimmernden Wangen verrieten ein jedem, wie betrunken der Adelige war. Ein Schicksal, das Bleuciel mit ihm teilte.

„Mhh, lieber der Schrank", murmelte der Dieb mit halb verschlossenen Augen und einem milden Lächeln im Gesicht. „Da ist es sooo schön dunkel."

„Oh ja! Das klingt so aufregend!"

Wie zwei kleine Schuljungen, die kurz davorstanden, einen Streich zu begehen, schlichen sie zu dem massiven Schrank, um ihn zu öffnen. Darin entdeckten sie ein paar leere Fächer und einen Hohlraum, der gerade noch genügend Platz bot, um sich gemeinsam hinein zu quetschen.

„Au! Mein Fuß", jammerte Dubois. „Sie stehen drauf."

„Oohh, Verzeihung, werter Freund", giggelte Perceval, der sich das darauffolgende Lachen nicht mehr verkneifen konnte.

Mühsam griff Bleuciel von innen heraus nach den Schranktüren, um sie mit Schwung zu verschließen. Dadurch umfasste sie jetzt die völlige Dunkelheit. Aufgeregt tasteten ihre Hände über den Körper des jeweils anderen.

„Das macht sooo viel Spaß", jauchzte Perceval, dessen Stimme durch den Schrank gedämpft wurde.

Aufgrund ihrer schweren Atmung wurde die stickige Luft darin noch verstärkt.

Mit seinen Fingern suchte Bleuciel den Mund seines Gegenübers, um zwei davon gegen die vollmundigen Lippen zu pressen.

„Shh ... Shh, Shh", mahnte er, obwohl er selbst keinen Deut besser war. „Sie müssen doch leise sein, Monsieur."

Daraufhin lehnte sich Perceval so weit nach vorn, dass sein Gesicht seitlich am Hals des Diebes hing.

„Ach jaa? Wirklich? Muss ich das?", wisperte er im Zuge eines breiten Grinsens. „Dann sollte ich zügig was dagegen tun."

Was Bleuciel anschließend fühlte, war Percevals Zunge, die entlang seines Halses nach oben glitt, um eine feuchte Spur darauf zu hinterlassen. Keuchend drückte sich der Dieb seinem Wohltäter entgegen. Nachdem Perceval von der salzigen Haut gekostet hatte, saugte er sich daran fest. Innerhalb des Schranks wirkte das schmatzende Geräusch um ein Vielfaches intensiver. Bleuciel verdrehte die Augen und fühlte, wie das Blut durch seinen schweren Körper nach unten sackte. Er stöhnte kurzweilig auf und schnellte mit dem Becken nach vorn, sodass sich ihre Leiber jetzt permanent berührten.

Plötzlich öffnete sich die Tür des Zimmers, was die beiden vor Schreck innehalten ließ. Gespannt horchten sie den Geräuschen, die außerhalb des Schrankes zu vernehmen waren. In der Zwischenzeit schlug Bleuciels Herz wie wild gegen die Brust, was einerseits an der Aufregung, andererseits an der körperlichen Nähe zu Perceval lag. Er fürchtete, dass man den Herzschlag bis nach außen wahrnehmen konnte. Selbst wenn dem nicht so sein sollte, war es zumindest Perceval, dem dieses Herzrasen unmöglich entgehen konnte. Dafür standen sich die beiden schlichtweg zu nah. Den einzigen Vorteil, den Bleuciel derzeit besaß, war die Dunkelheit. Ein Umstand, den der Dieb durchaus willkommen hieß. Andernfalls wäre Perceval auf seinen verräterischen Gesichtsausdruck aufmerksam geworden.

Als sich die Tür wenige Sekunden später wieder verschloss, atmeten die Männer hörbar aus.

„Mhh ... Ihre Talente sind einzigartig, Monsieur", erklang Percevals sinnliches Geflüster. „Ebenso wie der Geschmack Ihrer Haut", fügte er betört hinzu.

Worte, die bei Bleuciel ein deutliches Kribbeln verursachten und ihn kurz nach Luft schnappen ließen. Er spürte weitere Hitze in sich aufsteigen, ebenso wie den Druck, der zwischen seinen Beinen entstand. Alles, was er in diesem heiklen Moment noch tun konnte, war es, den Schrank zu öffnen, bevor er die endgültige Kontrolle über sich und seinen Körper verlor. Die eigentliche Gefahr war schließlich noch nicht vorüber. Es galt immer noch, unbemerkt aus der Taverne zu entfliehen.

Ehe Perceval etwas anmerken konnte, schnappte er sich ein weiteres Mal dessen Hand, um ihn mit sich zu schleifen. Sie gingen zur Tür, um von dort in den Gang zu spähen. Nachdem sich Bleuciel davon überzeugt hatte, dass keiner der Männer in Reichweite war, eilte er mit Perceval zum Hinterausgang. Obgleich ihr vermeintlich leiser Abgang mehr einem donnernden Getrampel ähnelte, gelang ihnen die vorübergehende Flucht.

Die klare kalte Luft, die Bleuciel anschließend entgegenschlug, wirkte wie ein Flegel, der seinen Verstand zermarterte und seinen schwerfälligen Körper um ein Haar in die Knie zwang. Selbst Perceval machte keinen sonderlich stabilen Eindruck mehr.

Da ihre verschwitzten Leiber jetzt der bitterlichen Kälte ausgesetzt waren, sehnten sie sich die Männer nach einem baldigen Unterschlupf. Drum setzten sie ihren Weg stolpernd und kichernd durch eine schmale Gasse fort, die über eine kurvige Steigung zur altbekannten Kirche führte.

Beim Anblick des Gebäudes verspürte Perceval einen Anflug wohltuender Euphorie. „Was glauben Sieee, Monsieur?", flötete er trotz bestehender Erschöpfung. „Wird Gott zwei räudige Sünder in Empfang nehmen, hmmm?"

Bleuciel sah hinter sich, wo die Augen des Adeligen fast so hell strahlten, wie die zahlreichen Sterne am Himmelszelt. Die knisternde Ausstrahlung sprang förmlich auf ihn über, sodass er die Hand von Perceval vielsagend drückte.

„W-Wollen wir es herausfinden, Monsieur?", fragte Dubois, was bei seinem Gegenüber für ein eifriges Nicken sorgte.

„Unbedingt. Ich liebe das Abenteuer, Monsieur."

Kichernd wagten sie ihren Weg über die schmalen Steinstufen, die sie letztlich vor den Eingang der Kirche führten. Zu ihrem Glück war diese nicht abgeschlossen, weshalb sie ohne Probleme ins Innere gelangen konnten. Ungeschickt, wie sie der Alkohol machte, stieß Perceval mit dem Fuß gegen einen der zahlreichen Kerzenständer. Das anschließende Geschepper löste bei Bleuciel einen unkontrollierbaren Lachanfall aus. Im Kopf eines Betrunkenen erscheint nun mal alles witzig, sei es auch noch so belanglos.

„Lachen Sie etwa über mich, Monsieur?", fragte Perceval mit gespielter Empörung.

Bleuciel konnte nicht darauf antworten, selbst wenn er gewollt hätte. Zu sehr wurde er von seinen strapazierten Lachmuskeln vereinnahmt.

„Dann bleibt mir wohl keeeeine andere Wahl, Monsieur!", strotzte der Adelige. „Ich werde Sie jetzt zum Schweigen bringen! Jawohl!"

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