5.1 Psalída - Ranke
Taras konnte sich kaum an all den Köstlichkeiten sattsehen, geschweige denn entscheiden, was er davon am liebsten aß. Da waren saftige und fettige Braten, mit Fleisch, so zart und wohlschmeckend, dass es bereits auf seiner Zunge zerging; Obst, mit solch fruchtigem Geschmack und so knackig, dass sie direkt vom Olymp stammen müssten. Und dann noch Getränke, die so süß und so reichhaltig an Geschmack waren, dass er sich alleine davon hätte satttrinken können. Die goldenen Platten waren binnen weniger Minuten verschmiert vom Saft und den Saucen und obwohl Taras eigentlich keinen Hunger mehr hatte, so aß er weiter. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gegessen. Jedes Mal, wenn er dachte, er hätte die köstlichste Speise am Tisch probiert, tauchte auf einmal eine neue in seinem Sichtfeld auf und er musste mit seinen verschmierten Fingern danach greifen.
Seinem Bruder ging es ebenso. Er konnte nicht aufhören zu essen und beinahe hatte Taras das ungute Gefühl, dass die Göttin Tyche das Essen vielleicht verzaubert hatte. Vielleicht mussten sie so lange essen, bis ihre Mägen platzen und ihre Speiseröhren verstopft sein würden. Den Gedanken aber verwarf er wieder. Er wollte der Göttin Tyche keine solch boshaften Pläne zutrauen.
Außerdem konnte es nicht sein.
Aigis hatte bereits aufgehört zu essen. Sie hatte sich ebenfalls all die köstlichen Speisen auf ihre Platten gefüllt und gegessen, bis ihre Mundwinkel schmutzig und voll mit Sauce waren, aber sie hatte aufgehört. Ihre Augen waren jedoch auf das saftige, knackige Obst gerichtet und ihre Finger zuckten. „Meint ihr, wir dürfen etwas mitnehmen?", fragte sie mit matter Stimme, ehe sie sich mit der Zunge über die verschmierten Lippen leckte, als wäre sie noch lange nicht bereit, aufzuhören. „Es wäre doch schade, wenn es verkommen würde."
„Genau. So ein Mahl kann man nicht verkommen lassen!", stimmte Orion zu, den Mund voll mit Braten und Sauce und griff während er noch sprach nach der nächsten Platte mit saftigen Fleischstücken.
„Nehmt mit, was in eure Beutel passt", sprach die melodische, tiefe Stimme von Tyche in ihren Köpfen, oder vielleicht im ganzen Raum. Sie hallte von überall wider und Taras ließ erschrocken einen Apfel fallen, der über den Steinboden davonkullerte. „Dies ist alles euer, nehmt und esst, meine jungen Helden."
„V-Vielen Dank", sagte Aigis leise, doch die Schicksalsgöttin antwortete nicht noch einmal. Das Mädchen öffnete zögerlich ihren Beutel und steckte die knackigen Äpfel, Birnen und Trauben ein, deren glatte, tadellose Oberfläche dort im Licht glänzten.
„Ich hatte schon den Verdacht", murmelte Taras leise, „dass wir diesen Ort nicht mehr verlassen dürften, sobald wir von den Speisen gekostet hätten."
„Wie Persephone mit den Speisen der Unterwelt", fügte Orion hinzu und schluckte einen gewaltigen Bissen herunter. Taras bewunderte, dass sein Bruder so viel Essen konnte, aber er konnte ihn auch verstehen. Nicht eine Traube und nicht einen Tropfen Sauce wollte er übriglassen.
„Richtig", erwiderte er. „Aber... es scheint mir nicht so zu sein. Ich glaube nicht, dass die Göttin Tyche uns so hereinlegen würde."
„Sie war sicherlich nicht da, um uns Geschenke zu bringen, aber bösartig war sie nicht, glaube ich."
Beinahe meinte Taras, dass er ihr leises Lachen in seinem Kopf hören konnte, aber als er angestrengt lauschte, hörte er nur die flink arbeitenden Hände Aigis' und die schmatzenden Geräusche seines Bruders. Es musste eine Einbildung gewesen sein.
Als sie alle vom Essen träge geworden waren und wirklich nichts mehr herunterbekamen, da standen auch die beiden jungen Männer auf und fingen an, ihre Proviantbeutel zu füllen. Taras tauschte die viel zu weichen und auf einmal geschmacklos aussehenden Äpfel in seinem Beutel mit den wunderschönen vom Marmortisch, wollte sogar seinen Trinkschlauch auskippen und mit Saft füllen, konnte sich aber beherrschen.
Orion warf sein Laib Brot zur Seite, damit er etwas von dem Braten einpacken konnte. Sie stopften solange, bis nicht einmal mehr ein Fingernagel Platz gefunden hätte, schulterten die nun schweren Beutel und wandten sich schwerem Herzens vom Marmortisch ab, den Tyche für sie erschaffen hatte.
Taras hatte das Gefühl, dass, sobald er sich wieder umdrehen würde, der Tisch mit all seinen Speisen und Getränken verschwunden sein würde. Zerknirscht biss er sich auf die Zunge, um dem Drang zu widerstehen, auch noch all die goldenen Platten mitzunehmen und einfach in seinen Armen zu tragen. Sie mussten weiter.
Die Bronzetür, die zuvor so fest verschlossen war, als hätten all die Titanen von der anderen Seite daran gezogen, schwang auf, sobald Orion sie auch nur leicht berührte. „Merkwürdig", murmelte er. „Das muss ein Traum sein."
„Es kann kein Traum gewesen sein", widersprach Aigis, die Stimme auf einmal mutig erhoben. „Noch nie in meinem Leben habe ich mich so wach gefühlt. Ich spüre, wie mich Energie durchfließt. Sie knistert in meinen Ohren und rauscht durch meinen Körper. Ich frage mich, ob dies ebenfalls der Verdienst der Mutter Hera ist?"
„Also hältst du weiterhin daran fest?", fragte Orion. „Du denkst immer noch, dass Hera – die große Göttin auf dem Olymp – dir geholfen hat?"
„Ich weiß es!", beharrte sie mit funkelenden Augen.
Der Gang, der dem Raum folgte, unterschied sich um keinen Stein um den vorherigen. Graue Steinplatten in der Wand und im Boden, auch an der Decke und noch immer dieses sanfte Licht, welches vielleicht durch ihr Völlegefühl etwas schummriger wirkte.
Taras spürte, dass er nicht so schnell auf den Beinen war wie zuvor. Er ging viel gemächlicher, aber plötzlich störte ihn nicht einmal mehr der kaputte Schwertgriff in seiner Handinnenfläche.
„Warum sollte die große Hera dir helfen?", fragte Taras und versuchte seine Stimme nicht zu vorwurfsvoll klingen zu lassen.
„Ich habe zu ihr gebetet! Die Götter erhören manche Gebete!", antwortete sie vollkommen davon überzeugt. „Ich habe es doch gespürt. Sie hat mir gesagt, ich solle Tyches Spiel annehmen und hat mir auch verraten, welches Hütchen ich auswählen muss, um zu gewinnen. Warum glaubt ihr mir denn nicht?", fügte sie betrübt hinzu.
„Es klingt so... unglaubwürdig", erwiderte Taras mit gedrungener Stimme, „dass ausgerechnet die große Hera dir geholfen haben soll, eines dieser Glücksspiele zu gewinnen. Warum sollte sie denn überhaupt?"
„Ich glaube daran", sagte Aigis noch einmal. „Hera hat zu mir gesprochen und mir geholfen. Nur dank ihrer Hilfe konnten wir dieses Festmahl zu uns nehmen! Wenn ihr mir nicht glauben wollt, dann ist das so!"
„Ich möchte dir ja glauben", fing Orion an, sprach aber nicht weiter und verzog das Gesicht.
„Die Göttin Tyche hat uns aufgesucht und uns reich beschenkt. Aber dennoch zweifelt ihr an der Präsenz einer Gottheit in diesem Labyrinth?", fragte Aigis und Taras biss sich auf die Lippe. Sie hatte Recht.
Welchen Grund sollte sie haben, sie zu belügen? Wenn Hera wahrlich mit ihr gesprochen hatte, dann sollte er ihr glauben und nicht zweifeln. Dem Zweifelnden sind nicht alle Götter wohlgesonnen, so sagte seine Mutter immer. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was der Gott des Krieges wohl täte, wenn er dessen Präsenz anzweifelte. Wahrscheinlich würde Taras die Spitze seines Schwertes zu spüren bekommen, ehe er auch nur eine Entschuldigung murmeln könnte.
„Du hast ja Recht. Verzeih, dass ich deinen Worten nicht glaubte. Wenn du wirklich der Überzeugung bist, dass die große Hera zu dir gesprochen und dich geleitet hat, dann glaube ich dir."
Orion sah seinen Bruder an, als wäre dieser wahnsinnig geworden oder als hätte er persönlich einen Fluch von Dionysos auf sich genommen, doch er sagte nichts weiter dazu. Er sagte nicht, dass er ihr glaubte, bestritt aber auch nicht weiter Aigis' Worte. Und das war Taras nur Recht. Er konnte seinen Bruder sowieso nicht dazu bringen, etwas zu glauben, von dem er nicht überzeugt war.
Dem ersten Gang folgte ein zweiter. An einer Weggabelung nahmen sie nach kurzer Debatte den rechten Weg. Kein Stein änderte sich. Alles war wie immer, jeder Stein hatte die gleiche Farbe und dieselbe Oberfläche. Es war ein monotones, endloses Gebilde, erschaffen aus den grauen Träumen eines genialen Baumeisters und eines verrückten Königs.
Und mitten drin wartete die grausame, menschenfressende Manifestation von Zorn und Hass.
Dann folgte ein dritter Gang und dann ein vierter. Es wollte kein Ende nehmen. Langsam ließ das Sättigungsgefühl, das Taras verspürt hatte, wieder nach und er spürte jeden einzelnen seiner Knochen ächzen, spürte die Fasern seiner Muskeln, wie sie sich anspannten, bei jedem Schritt dem Reißen nahekamen.
Beinahe wünschte er sich, dass sie einer weiteren Gottheit begegneten, die ihnen ebenfalls ein Geschenk hinterlassen würde. Fast hatte er sogar die Hoffnung, dass vielleicht um der nächsten Ecke die leuchtende Gestalt von Tyche warten würde, die mit ihrem fliegenden Füllhorn erneut einen Tisch aus Marmor erschaffen würde, an dem sie rasten konnten.
Als hätte Orion die Gedanken seines jüngeren Bruders gelesen, sagte er einen Moment später: „Es ist zu ruhig."
„Wie meinst du das?", fragte Aigis verwirrt.
„Es fehlt die Anspannung in der Luft. Jeden Moment könnten wir dem Untier in die ausgebreiteten Klauen laufen, aber es fühlt sich nicht danach an. Es ist zu... friedlich. Als ob wir hier wirklich in Sicherheit wären." Orion hatte die Augenbrauen zusammengezogen und den Blick düster in die Ferne gerichtet. „Wenn ein Kampf ansteht, dann sollte doch etwas passieren. Mit der Umgebung, meine ich. Die Luft sollte knistern und man sollte den Atem so laut in den Ohren können, wie einen rauschenden Bach. Aber es... es ist einfach so still."
„Still, ja", erwiderte Taras. „Beinahe so, als wollte man uns genau das vermitteln. Dass es hier sicher ist."
Aigis runzelte die Stirn. „Wie die Ruhe vor einem tosendem Sturm?", fragte sie.
„Genauso." Orion verstärkte den Griff um seine Waffe, ließ die Knöchel an seinen Fingern knacken und tat jeden Schritt nun etwas bedachter, als würde er damit rechnen, das im nächsten Moment etwas Bösartiges um die nächste Ecke rennen und ihn attackieren.
Aber es geschah nichts. Es blieb ruhig. Die Ecken blieben leer.
Wahrscheinlich war genau das der Grund, wieso niemand im Labyrinth lange genug überlebte. Selbst nach diesen wenigen Stunden spürte Taras, wie etwas an seinem Verstand nagte. Er wollte, dass etwas passierte. Wenn es so lange still blieb, dann wirbelten in seinem Geist die Gedanken umher und er sagte sich bei jeder Biegung, dass jetzt ein Feind auf sie lauerte. Bei jedem Schritt, den er tat, erwartete er, dass der Boden einbrechen würde. Mit jedem Atemzug dachte er daran, vielleicht ein tödliches Gift aufzunehmen. Irgendetwas musste doch passieren.
Friedlich blieb es im Labyrinth. Es geschah nichts und es blieb harmlos. Es war ein spottender Frieden, fand Taras. Er konnte sich nicht darauf konzentrieren, wie ruhig es war, denn jeder seiner Nerven war angespannt. Er wartete darauf, dass etwas passierte, was nicht kam.
Selbst, wenn der Minotaurus vor ihnen erschienen wäre, wäre es leichter zu ertragen gewesen, als die dröhnende Stille. Dieser falsche Frieden zerrte an seinen Nerven und ließ seinen Geist dünn werden.
„Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir alles ganz und gar nicht", murmelte Orion. „Vielleicht will es, dass wir unachtsam werden."
„Es?", fragte Aigis. „Was meinst du mit 'Es'?"
„Das Labyrinth", ergänzte Taras knurrend. „Ich kann es spüren. Das ist kein einfaches Bauwerk. Es ist so... als ob es leben würde."
„Als ob das Labyrinth lebt?", erwiderte sie irritiert. „Ich verstehe nicht –"
„Durch den Stein pulsiert die Energie", erklärte Orion. „Ich hatte anfangs gedacht, es sei der Luftzug gewesen, aber das ist ganz anders. Hier geht etwas ganz und gar unnatürliches vor sich. Irgendwie... irgendwie gehe ich davon aus, dass Dädalus nicht der alleinige Erbauer war."
„Nicht der alleinige? Aber wer sollte denn – "
„Denk nach", entgegnete Taras, der den Gedanken seines Bruders verstand. „Die Göttin des Glücks taucht hier einfach auf. Die Türen sind aus dem schönsten Bronze, welches du je sehen wirst. Alles ist perfekt und gleichmäßig. Hier gibt es keine Ungereimtheiten im Stein."
Aigis runzelte wieder die Stirn. Sie dachte nach, dass konnte er an ihren Augen sehen. Aber sie schien nicht darauf zu kommen, was Taras und Orion dachten.
„Woran denkt ihr denn?", fragte sie schließlich, mit vor Anspannung überschlagender Stimme.
Die beiden Brüder tauschten einen Blick, dann sagten sie gemeinsam: „Hephaistos."
„Der Gott der Schmiedekunst?"
„Und der Handwerker", ergänzte Orion. „Welcher Gott sonst sollte Dädalus, den größten, sterblichen Baumeister der Geschichte, unterstützen, wenn nicht er? Für Hephaistos wäre es ein Leichtes, das Labyrinth zu erbauen. Wie sonst, hätte diese Tür im Raum, in dem wir Tyche antrafen, so verschlossen sein sollen? Sie muss von göttlicher Herstellung sein. Du hast die Göttin gehört. Normalerweise mischen sie sich nicht in die Belange von Sterblichen ein... aber denk an Hephaistos' Geschichte."
„Seine Mutter warf ihn vom Olymp, als er gerade geboren wurde", sagte Aigis.
„Genau. Und wer genau hat dir geholfen, Tyches Spiel zu gewinnen und den Raum zu durchqueren?"
„Hera...", murmelte sie und Taras nickte.
„Wenn du mich fragst, dann ist es offensichtlich. Dädalus und Hephaistos müssen das Labyrinth zusammen erbaut haben. Selbst der große Dädalus hätte diese hunderten Gänge nicht perfekt bauen können, ohne die Hilfe eines Gottes zu haben. Und wenn du dich ganz genau darauf konzentrierst, dann spürst du es", sagte Orion. „Den Atem des Labyrinths. Es ist lebendig."
Aigis sagte nichts dazu. Wahrscheinlich musste sie das erstmal sacken lassen.
Taras fand es auch einfach zu unglaublich, um wahr zu sein. Wenn er an diesem Tag nicht mit der Göttin Tyche in Kontakt getreten wäre, dann hätte er es auch für ein Ammenmärchen oder ein Hirngespinst abgetan, aber er konnte es spüren. Das Labyrinth atmete. Ganz langsam und bedächtig nur, aber es atmete. Und die Energie, die durch den Stein pulsierte... wahrscheinlich war es das Blut des Bauwerkes.
„Das kann nicht sein", hauchte sie ungläubig. „Ich kann das nicht glauben."
„Glaub es, oder glaub es nicht, es ist letztendlich nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass wir das Labyrinth nicht verärgern. Zerstört keinen Stein. Kratzt nichts an. Wenn es uns als seine Feinde ansieht, dann werden wir sterben, daran besteht kein Zweifel. Das Labyrinth ist größer als ganz Kreta, es ist größer als die Metalltitanen, die Hephaistos bauen ließ, um die Titanen selbst zu bekämpfen."
Als Aigis erneut den Kopf schüttelte, passierte etwas. Vielleicht war es ein Zufall. Vielleicht wollte das Labyrinth aber, dass sie daran glaubte. Als sie ihren Fuß wieder aufsetzte, sprossen dunkelgrüne Wurzeln aus den Ritzen im Boden hervor. Sie schlangen sich mit einem Mal wie Schlangen um ihre Knöchel und warfen sie auf den Stein. Mit einem Aufschrei ließ sie den Bogen fallen.
„Was ist das?", schrie sie mit hoher, panischer Stimme und riss verzweifelt an den Wurzeln.
Taras, der aus seiner kurzen Schockstarre erwacht war, wollte ihr zur Hilfe eilen, doch ohne, dass er bemerkt hatte, wie die Ranken und Wurzeln sich in Lauerstellung um ihn herum aufgebaut hatten, hatten sie sich plötzlich um seine Hüfte geschlungen und hielten seine Handgelenkte gepackt. Das Gewächs zwang ihn auf die Knie und zog mit einer immensen Kraft an ihm, sodass er sich nach hinten beugen musste. Schmerz pochte durch seinen Rücken und er kniff die Augen zusammen. Sein Mund füllte sich mit Pein und er konnte nicht sprechen. Wenn die Ranken ihn weiter dehnen würde, dann würde noch sein Rücken durchbrechen!
Orion hatte sich von den Rankenschlangen befreien können. Mit dem Schwert hatte er die windenden Gewächse zerschnitten und war dann zurückgesprungen, als sie auch aus den Wänden gekrochen waren, bis sein Blick endlich die verzweifelten Augen seines Bruders gefunden hatte.
„Taras!", rief er und stürmte voran, als er sah, wie das Gewächs seinen Bruder drohte wie einen jungen Ast in zwei Hälften zu brechen.
Aus vor Schmerz tränenden Augenwinkeln bekam er gerade so mit, dass Aigis beinahe vollständig von dunklen, grünen Wurzeln und Ranken bedeckt, lediglich ihre Hände, ein Stück ihrer Hüfte und ihr Gesicht waren noch zu erkennen und sie schrie verzweifelt und voller Panik.
Mit der schimmernden Schwertklinge zerschnitt Orion eine der Ranke, die seinen Bruder an der Hüfte gepackt hatte und beinahe meinte Taras, dass er einen schmerzerfüllten, nicht-menschlichen Schrei vernehmen konnte, doch dann war es schon verklungen und zwei weitere Pflanzen waren hervorgeschossen und hatten versucht, sich um seinen Bruder zu schlingen. Noch verloren die Pflanzen nicht an Kraft.
Schnelligkeit rettete Orion. Er wich den schlangenartigen Gewächsen aus, zerschnitt sie und ließ sie sich windend wieder in den Erdboden zurückkehren.
Mittlerweile konnte Taras erkennen, dass Aigis von einem Haufen an Gewächs verborgen war. Nur ihre gedämpften Schreie waren zu vernehmen, die stumpf von den Wänden widerhallten. Es sah aus, als würde sich ein Haufen an dicken, dunkelgrünen Schlangen dort winden.
Mit einigen gezielten Schwerthieben schaffte Orion es, dass sein Bruder nicht mehr weiter gestreckt wurde und mit schmerzenden Handgelenken und einem vor Schmerz pochenden Rücken rollte dieser sich zu seinem Schwert. Gemeinsam rannten sie zu dem Rankenhaufen, der Aigis bedeckte und hackten so schnell und vorsichtig wie möglich darauf ein, damit sie sie zwar befreiten, sie aber nicht aus Versehen um ein Bein erleichtern würden.
Nach einigen schmerzhaften Minuten hatten sie das Mädchen schließlich befreit. Sie rappelte sich so schnell es ihre geschundene Gestalt zuließ auf und klammerte sich mit zitterndem Leib an Orions Arm fest. Ihre Glieder und auch ihr Hals waren von roten Würgespuren bedeckt. Die Hände, mit denen sie über den Boden geschleift worden war, waren aufgeschürft und blutig gekratzt. Sie weinte fürchterlich.
Die Ranken hatten sich alle verzogen und waren wieder in den Ritzen des Steins verschwunden. Beinahe sah es so aus, als wäre nichts in diesem Gang passiert, der aussah, wie jeder andere, doch die Schwerter der Brüder waren mit dickflüssigem, grünem Saft getränkt und tropften verräterisch auf den Boden.
„Es ist alles gut", sagte Orion, dessen Stimme zitterte. Er versuchte, die vollkommen aufgelöste Aigis zu beruhigen. „Es ist vorbei, okay? Wir sind sicher."
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