Kapitel 27
Der Vorteil an meinem erneuten Gewichtsverlust war, dass die Korsetts nicht mehr so drückend eng waren. Nemours empfing mich an der Treppe, die zum Speisesaal führte, wo mehr Diplomaten warteten, als mir lieb war und musterte mich einmal besorgt. „Ihr könnt das Wochenende auf Mathews Landsitz verbringen", eröffnete Nemours das Gespräch und ich nickte stumm. Als er mir seinen Arm anbot, fühlte ich mich zum ersten Mal unbehaglich in seiner Gegenwart. Er liebte mich. Bisher hatte ich noch keine schlüssige Erklärung für diesen Umstand gefunden. Nemours war mein bester Freund, zumindest soweit es mir meine Position erlaubte. Es war nicht gerecht, dass er das nicht genauso empfinden konnte. Alleine der Gedanke, Dorian könnte jemand anderen mehr lieben als mich, schnürte mir die Luft ab. Nemours musste mit diesem Gefühl jeden Tag leben.
„Habt Ihr Euch Gedanken gemacht, wie wir die Sache mit Kenneth überstehen?", fragte Nemours und ich zuckte zusammen. Mechanisch nickte ich. Ich hatte sogar ausführlich darüber nachgedacht. Dabei war ich zu keinem wirklich zufriedenstellenden Schluss gekommen, aber immerhin habe ich einiges an Zeit damit todgeschlagen. Zeit, in der ich ansonsten Sehnsucht nach allen gehabt hätte, die mich in letzter Zeit verlassen hatten.
Das Licht des Saales blendete mich und die Stimme des Saalhüters war mir zu laut. Ich starrte an den Menschen vorbei. Nemours zog meinen Stuhl heraus und Chevaliers schob ihn hinein. Das würde unsere neue Routine werden. Sie wird gut sein, wenn ich sie erst gewohnt bin. „Meine Herren", ich nickte einmal in die Runde, „Es ist mir eine Freude, sie alle als Organe zu den jeweiligen Verbindungen an meinem Hof begrüßen zu dürfen. Bitte", ich hob mein Glas und die Herren folgten mir. Die Spanier saßen zum Glück einiges weiter links von mir, aber Grace Verlobter senkte respektvoll den Kopf, als er meinen Blick auf sich spürte. Er schien es endlich zu lernen. „Auf das unsere Zusammenarbeit weiter besteht und der Handel erblühen mag" Die Gesandten murmelten mehrere Zustimmungen und wir nahmen alle platz. „Wir haben die Kontrollen an den Häfen verstärkt, Majestät", erklärte der französische Gesandte. Mein Kopf ruckte zu ihm herum. Einen Platz weiter saß Grace Verlobter als spanischer Vertreter, der seinen Blick genauso entsetzt auf ihn richtete. „Mir wurde heute gemeldet, dass unsere Kapitäne angewiesen wurden, die Augen offen zu halten", berichtete Esposito. Italien war nicht direkt von diesem Konflikt betroffen, deshalb schätzte ich es umso mehr, dass sie mich unterstützten. Ich lächelte Esposito an. Das hatte ich mit Sicherheit seiner Schwester, der Princesse zu verdanken. „Habt Ihr bereits entschieden, wie Ihr mit Kenneth verfahren wollt, sollte er auf spanischem Boden gefasst werden?", fragten der norwegische Gesandte und ich lächelte schmal. Eigenartig, dass gerade er so großes Interesse daran zeigte. Alle 11 Gesandten, die heute anwesend waren, spitzten die Ohren. „Nun, ich hoffe, dass sich die Spanier in diesem Fall bereit erklären, uns bei der Niederstreckung dieses Verräters zu helfen", erwiderte und griff nach meinem Suppenlöffel. Ich hatte gehofft, dass zumindest bis zum Hauptgang Frieden herrschte.
„Ich nehme an, daran ist gekoppelt, ob Prinzessin Grace nach Spanien zurückkehren darf"
„Natürlich. Ich schicke mein Kind in kein Land, das solch einer Gefahr ausgesetzt ist"
„Sie ist doch gar nicht Euer Kind!"
Ich verkrampfte meine Fäuste, um mein Besteck und funkelte ihren Verlobten an. „Das Einzige, das für Euch zählt, mein lieber Schwiegersohn ist, dass sie Staatsbürgerin meines Staates und Mitglied meiner Familie ist. Ihr werdet mein Stiefkind nicht heiraten, solange ich es nicht gestatte", ich lehnte mich entspannt zurück und lächelte ihn an. Er hatte sich geirrt, sollte er darauf gehofft haben, dass ich ihm diesen Sieg schenkte. Daran dachte ich nicht im Traum. „Ich vermute, Ihr möchtet Euch entschuldigen, damit Ihr Euch sammeln könnt?", fragte ich scheinheilig, worauf sein Kopf rot anschwoll. Für einen Moment wagte er es, meinem Blick standzuhalten, bevor er seinen Kopf beugte und sich erhob. Er verbeugte sich, nicht besonders tief, aber anständig genug, dass ich es akzeptieren konnte.
Ich schloss für einen Moment die Augen, bevor ich lächelte und mich Esposito zuwandte. „Bei Seiner Majestät dem Kaiser, hat das immer leichter gewirkt", scherzte ich und er tat mir den Gefallen und lachte. Die restlichen Gesandten stiegen zum Glück darauf ein. Mittlerweile musste ich bewiesen haben, ich dieselbe Autorität sein möchte, wie es Mathew gewesen ist.
***
Dorian schloss mich lachend in die Arme, als ich mich in den grünen Salon schleppte. „Wie kannst du bereits Bescheid wissen?", beschwerte ich mich. „Der ganze Palast spricht darüber, dass die Spanier nicht einmal die Vorspeise beenden durften" – „So war es nicht" – „Ich weiß" Er zog mich näher an sich und ich seufzte auf. Schloss die Augen und war im nächsten Moment kurz davor stehend einzuschlafen. Entschieden schob ich mich von ihm. „Bitte sprich gleich morgen mit Nemours", bat ich, worauf mir Dorian vorsichtig eine Strähne aus dem Nacken strich und anschließend einen Kuss auf die Stelle hauchte. „Du hast eine Staatskrise zu bewältigen – mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um alles" Ein Schauer überlief mich und ich nickte stumm.
***
Ich ließ meinen Blick einmal durch Grace Zimmer schweifen. Es war europäisch. Zu europäisch für meinen Geschmack. „Ihr habt ihn vorgeführt" – „Ich habe ihn auf seinen Platz verwiesen, Grace!" – „Sein Platz ist bei mir" Ich verschränkte seufzend die Hände und ließ mich auf die Sitzgarnitur gleiten. Wieso konnte sie nicht begreifen, dass diese Sache bei Weitem nicht so simpel war.
„Meine oberste Priorität ist eure Sicherheit"
„Auch Ignacios?"
Ich nickte stumm. Es missfiel mir, aber ihr Strahlen entschädigte zumindest die Umstände, die mir diese ungebetenen Gäste machen. „Ich danke Euch, Mama", murmelte sie leise und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich nickte erneut. Einerseits wollte ich es noch ansprechen, dass sie mit ihren Anliegen nur zu mir kommen sollte, aber andererseits wollte ich diesen filigranen Frieden nicht gefährden. Zögerlich erhob ich mich. Ich hatte so sehr gehofft, dass alles gleich geblieben wäre. Aber sie war ebenfalls erwachsen geworden. Genauso wie ich. „Ich freue mich, dass du mich besuchst", würgte ich heraus und strich ihr kurz über die Wange, bevor ich mich Richtung Tür bewegte. Wahrscheinlich wird sie dieser Mann, Ignacio, nie wieder einen Fuß auf dieses Land setzen lassen. Ich musste eindeutig mehr Zeit für sie einräumen.
***
Die drei Männer stürmten in einer Geschwindigkeit in mein Arbeitszimmer, dass Princesse Solei erschrocken ihre Teetasse fallen ließ. Prince Esposito lachte auf, eilte auf sie zu und drückte einen Kuss auf ihre Hand. Seiner Schwester gab er einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Meine Hofdame nahm Princesse Solei an der Hand und führte sie in den grünen Salon. Überrascht zog ich meine Augenbrauen hinauf.
„Wir haben Kenneths Kurs aufgenommen", platzte Esposito heraus. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Nur äußerst widerwillig bedeutete ich den Männern platz zu nehmen. Chevaliers sah mindestens genauso erregt aus wie Esposito.
„Worauf nimmt er Kurs?"
„Spanien"
„Gebt den Spaniern und unseren Männern Bescheid. Ich verlange, dass die Spanier ihn in Gewahrsam nehmen und öffentlich ein Urteil verkünden"
Chevaliers nickte eifrig und Esposito lächelte breit. Ich reichte ihm meine Hand. „Ich werde mich dafür erkenntlich zeigen", versprach ich und Esposito zuckte mit den Schultern. „Wenn wir alles beim Alten belassen, bin ich bereits zufrieden", tat er ab und drückte einen Kuss auf meine Hand. Ich nickte Chevaliers zu, der sich umgehend mit dem Oberkommandanten in Verbindung setzen sollte. Es wäre mir am liebsten den Spaniern die frohe Botschaft selbst zu verkünden, aber ich möchte sie so rasch nicht wieder empfangen.
„Majestät?", fragte Nemours vorsichtig und ich zog überrascht meine Augenbrauen nach oben. Chevaliers schloss die Tür hinter sich und Esposito. Verlegen trat ich einen Schritt zurück. Das war das erste Mal, dass wir alleine waren, seitdem ... Ich schüttelte den Gedanken ab und räusperte mich. „Dorian hat mit mir gesprochen und ...", begann er stockend und mich überlief ein Schauer. „Es tut mir so leid, Nemours, das wir das über Euch abwickeln", unterbrach ich ihn und hätte am liebsten seine Hand gedrückt. Aber anstelle flüchtete ich mich auf die andere Seite des Schreibtisches. „Ich werde das Anliegen mit Chevaliers weiter besprechen, aber da er sich mit der Stelle als Prinzgemahl zufrieden gibt, sehe ich keine weiteren Komplikationen", redete er unbeirrt weiter. Ich stolperte in meinem Kopf über dieses Zugeständnis. Dorian ... würde nicht mit mir regieren. Ich wäre immer noch alleine. Ich starrte einen Moment lang in meinen Schoß, bevor ich nickte. Sollten wir noch warten, bis Dorians Regentschaft akzeptiert werden würde? Wird der Zeitpunkt jemals kommen, an dem das Volk Kenneths Sohn auf seinem Thron sitzen haben möchte? Ich seufzte auf, als ich einsah, dass dieser Kampf bereits verloren war.
„Aber wir sollten mit der Verkündung warten, bis Kenneth tot ist"
„Glaubt Ihr nicht, dass es stärker wirkt, wenn wir unabhängig von Kenneth handeln?"
„Nichts geschah in den letzten Jahren unabhängig von Kenneth. Wir machen uns lächerlich, wenn wir versuchen vorzutäuschen, der ganze Staatsapparat drehe sich zurzeit nicht darum"
Wage nickend gab ich nach. Nemours konnte die Reaktion der Adeligen besser abschätzen wie ich. Außerdem konnte ich mir vorstellen, dass es den Adel vielleicht verärgert, wenn ich ausgerechnet jetzt meine Bedürfnisse in den Vordergrund stellte. Ein bisschen Zeit mussten wir wohl noch abwarten.
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