Kapitel 25
Ich versteckte mich hinter der nächsten Sträuchergruppe und ließ mich auf den Boden fallen. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es etwas Schlimmeres gäbe, als von Paget verlassen zu werden. Heute wurde ich eines besseren belehrt. Er hatte mir nie gehört. „Majestät", Nemours Stimme wehte über mich, wie eine sanfte Frühlingsprise. „Ihr müsst aufstehen", mahnte er und seine Fingerspitzen strichen kurz über meine Schultern.
„Wieso?"
„Eure Lunge Majestät"
„Glaubt Ihr, ich wäre tot, wenn ich die ganze Nacht hier säße?"
„Daran dürfen Majestät nicht einmal denken"
„Wieso?"
„Weil Euch so viele Menschen lieben und brauchen"
Ich stützte meinen Kopf auf meinen Handballen ab und machte mich noch kleiner. Es soll doch einfach nur aufhören zu schmerzen. Nur für eine Nacht möchte ich die Gewissheit haben, dass ich am nächsten Morgen nicht aufwachen werde und einem Desaster entgegenblicke. Nemours dauerte es zu lange und er griff unter meine Schulter, um mich auf meine Beine zu ziehen. Als ich mich weigerte zu stehen, zog er mich in eine Umarmung. Einen Moment zögerte ich, bevor ich meine Arme um ihn schlang. Er war der Einzige, der mich nie verlassen hatte. Augenblicklich klammerte ich mich fester an ihn.
„Diese Liebe, von der Ihr da sprecht ... ich habe sie mir nicht verdient, Nemours"
„Aber natürlich habt Ihr das Majestät"
„Niemand hat mich gewählt. Meine Kinder haben keine andere Wahl, als ihre Mutter zu lieben, weil ihr Vater fort ist"
„Ich habe gewählt Euch zu lieben"
Seine Worte waren lediglich ein Wispern und trotzdem konnte ich sie deutlich hören. Meine Tränen versiegten schlagartig und ich drückte mich von ihm los. Entschieden schob ich alles beiseite außer seine letzten Worte. Nemours durfte mich nicht lieben.
„Ihr scherzt", tat ich es ab, in der Hoffnung, dass er Lachen würde. Aber Nemours verzog keine Miene und starrte nur stumm zu mir herunter. Ich schlug die Hände vor das Gesicht. „Weiß Gwen es?", fragte ich, inständig hoffend, dass er verneinte. Wie konnte ich das all die Jahre nicht bemerkt haben? Nemours war der Einzige, der mich nie verlassen hatte. Ich zog die Hände zurück und starrte in sein nickendes Gesicht. Bei Gott! „Was soll ich jetzt tun?" – „Nichts, Majestät. Wir machen weiter wie bisher" Ich starrte zu ihm auf und nickte mechanisch. Nichts würde je wieder sein wie bisher. Aber Nemours bot mir seinen Arm an und ich hackte mich unter.
„Ist ... ist mir Gwen böse?", flüsterte ich und starrte auf den Saum meines Kleides. Ich habe sie in den letzten Jahren in alles eingeweiht. Sie hat mit mir um Paget getrauert und mir Freundschaften fernab vom Adel ermöglicht. Wie konnte ich sie bloß so ausnutzen? „Gwendolin und ich haben unseren Frieden gefunden, Majestät. Sie ist Euch nicht böse" Ein Diener stand an der Tür bereit, um sie uns zu öffnen. Ob er erahnte, welche Dinge sich gerade zugetragen hatten? Alleine der Gedanke ließ mir erröten. Aber für ihn schien sich die Welt noch im selben Takt weiterzudrehen.
Maida
Ich sah mich mehrere Male um, doch ich konnte beruhigt sein. Mich hatte niemand entdeckt. Der Weg durch die unterirdischen Gänge nahm heute zu viel Zeit in Anspruch. Ich schlüpfte beim Kücheneingang in das Anwesen der Nemours und war erleichtert, dass die Dienstboten alle im Dienstbotenzimmer versammelt waren. So schenkten sie mir keine Aufmerksamkeit. Eilig hastete ich über die Treppen nach oben. Gwendolin kam mir entgegen und sah mich verwundert an. Hastig drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange.
„Ist etwas geschehen?"
„Ich bin hier um das herauszufinden. Ihre Majestät ist völlig aufgelöst und war den ganzen Abend bei André"
Ich sah Gwendolin forschend an. Am Ende hat ihr Mann bereits berichtet, was heute Abend schief gelaufen war. Er hatte wohl nicht ... Ich zog die Augenbrauen nach oben. Gwendolin verstand und schüttelte langsam den Kopf. „Doch nicht nach all den Jahren", gab sie zu Bedenken. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und begab mich auf den Weg in Andrés Arbeitszimmer. Als würde er im Schloss nicht bereits genug arbeiten. „Maida", lallte er, als ich die Tür hinter mir schloss. Er goss sofort ein zweites Glas Brandy für mich ein. Es muss ernst sein, wenn er bereits die halbe Karaffe geleert hat.
Ich legte meine Hände an seine Wange und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen. Er versuchte mich zu küssen, aber in seinem benebelten zustand war es mir ein Leichtes, ihm auszuweichen. „Was ist geschehen?", fragte ich eindringlich, worauf er sich meinem Griff entwand. „Ein Narr bin ich ...", schimpfte er, worauf ich auflachte und meine Arme um ihn schlang. Er wird es schon wieder in Ordnung bringen. Es gab bisher noch nichts, dass André nicht in Ordnung gebracht hätte. „Du weißt, dass ich dich unglaublich gern habe, oder?", fragte er und ich lachte auf. Natürlich wusste ich das. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Nase. „Aber ich liebe die Kaiserin", ich fuhr zusammen. Er durfte es nicht laut aussprechen. Erstens versetzte es mir dabei jedes Mal einen Stich und zweitens, brachte uns das alle in Schwierigkeiten. „Ich hoffe, Ihre Majestät ist nicht so aufgelöst, weil du ihr diese Tatsache erläutert hast!", erwiderte ich bissig, worauf Nemours aufseufzte und sich in die Sitzgruppe plumpsen ließ. Ich erblasste.
„Komm her", lud er ein. Er streckte mir die Hand entgegen. „Bleibt heute Nacht bei mir. Ein letztes Mal, bevor sich unsere kleine Welt um 180 Grad dreht", in seinen Augen stand Reue. „Wir müssen es Gwendolin erzählen. Das tangiert sie auch", hielt ich dagegen, worauf er seufzte. Trotzdem nickte er nachgiebig. Er wusste, dass ich Recht hatte. Er hatte die schlafenden Hunde geweckt und wenn etwas durchsickerte, wird das Gwendolin ebenso betreffen wie André.
Lavinia
Ich wurde von dem Gefühl wach, dass mich jemand umsorgt. Es dauerte einen Moment, bis ich die Berührung einordnen konnte. Jemand teilte meine Haare und löste so sanft meine Knoten. Ich wollte dieses Gefühl noch länger auskosten, deshalb blieb ich ruhig liegen.
„Darf ich Euch etwas erzählen, Lavinia? Es wäre mir sehr wichtig", vernahm ich von hinter mir. Sofort entspannte ich mich noch mehr, als ich mir bewusst wurde, dass es Maida war, die bei mir ist. „Natürlich", krächzte ich. Ich fuhr mit meiner Hand an meinen Hals und zuckte vor meinen eigenen, kalten Fingern zusammen. Sofort schlang ich die Decke noch enger um mich. „Ich habe eine Affäre mit Nemours", platzte sie heraus. Es dauerte einen Moment, bis ich diese Informationen verarbeitet hatte. „Wie lange bereits?" – „4 oder 5 Jahre?" Ich wandte mich unter meinen Decken um, damit ich ihr in die Augen sehen konnte. Warum bei Gott hatte sie darüber nie ein Wort verloren?
„Ich habe ihn aufgesucht um ihn zu fragen, was gestern geschehen ist"
„Wusstet Ihr davon?"
„Ja"
„Oh Maida"
Schluchzend schlug ich mir die Hände vor das Gesicht. Wieso wusste jedermann Bescheid? Wie konnte Nemours mir das antun? „Bitte grämt Euch nicht Majestät", flehte Maida und griff nach meinen Händen. Sie wollte sie von meinem Gesicht wegziehen, aber ich musste mich noch einen Moment verstecken. „Gwendolin ist hier. Wollt Ihr ..." – „Nein!" Ich ließ die Hände sinken und rollte mich auf den Rücken. Gerade sie sollte nicht über Gwen sprechen. Immerhin schlief sie mit ihrem Mann. Die Ärmste. Die Schuld wog plötzlich noch eine Spur schwerer auf mir. Maida war meine Hofdame. Ich hätte besser auf Gwen Acht geben müssen. „Majestät ..." – „Nein! Gwen ist mir so eine große Stütze und wir beide nehmen ihr den Mann weg!" Wie hatte sie es bloß geschafft mir so lange etwas vorzuspielen? Mit Sicherheit hat sie mich nach jeder gemeinsam verbrachten Stunde verflucht. Mich überlief ein Schauer, wenn ich an ein Leben ohne Gwen dachte. Ohne Paget, ohne Mathew, ohne Gwen. Ich schluchzte auf. „Majestät?", ich fuhr zusammen, als ich das Hinunterdrücken einer Türschnalle gemeinsam mit Gwens Stimme hörte.
„Oh Majestät", rief sie entsetzt und setzte sich sofort auf die andere Seite des Bettes. Aber ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Wie oft hatte ich Nemours zum Dinner gebeten? Wie oft ist er länger im Schloss geblieben, um mit mir spazieren zu gehen? Wie viele Nächte arbeitete er zuhause? Mit hätte längst bewusst werden müssen, dass ich Gwen den Mann stahl. „Warum hast du bloß nichts gesagt?", warf ich ihr vor und ließ meine Hände von meinem Gesicht gleiten, „Ich habe es nicht bemerkt. Ich war so dankbar, dass er auf meiner Seite war, dass ich nicht bemerkt habe ..." Gwendolin griff nach meinen Händen und drückte einen Kuss darauf. Plötzlich wurde mir bewusst, wie skurril diese Situation war. Ich war erwachsen und lag trotzdem wie ein Kind im Bett und weinte.
„Ich sollte aufstehen", brachte ich heraus und stemmte mich mühsam in eine aufrechte Position. Maida rutschte zurück in ihre Rolle als Hofdame, reichte mir meinen Morgenmantel und läutete nach dem Frühstück.
„Für mich wird alles so bleiben, wie es war, Lavinia"
„Seid Ihr nicht zornig?"
„André und ich haben unseren Frieden geschlossen. Bitte glaube nicht, dass ich nicht auch eine Maida hätte, die mir gelegentlich Gesellschaft leistet"
Ich schnappte empört nach Luft und starrte Gwen entgeistert an. Sie hatte einen Liebhaber? Gwen reagierte mit einer abtuenden Handbewegung und einem Schulterzucken. Ich prustete. Um Gottes Willen! „Außerdem, Majestät. Ich liebe Euch immerhin auch. Da kann ich André nicht vorwerfen, wenn es ihm ebenso geht" Ich eilte auf sie zu und schlang meine Arme um sie. Gwen lachte leise auf und erwiderte meine Umarmung. Vorsichtig schob sie mich von sich fort und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Wenn ich mich nicht irre, wartet eine Ratssitzung auf Euch"
***
Nemours und Chevaliers erwarteten mich wie üblich in meinem Arbeitszimmer. Wie immer schien es einige Probleme betreffend der anstehenden Sitzung zu geben. Wie konnte sich die Welt bloß einfach immer weiter drehen, während mir ein Schlag nach dem anderen versetzt wurde? „Meine Herren, wir sind spät", drängte ich sie zur Eile. „Wir sind davon unterrichtet worden, dass Kenneth auf dem Weg nach Spanien ist", kam Nemours sofort auf den Punkt. Er behandelte mich, als hätte der gestrige Abend nie stattgefunden. Aber ich konnte das nicht. Ich wich seinem Blick aus.
„Wie sicher seid Ihr Euch, Nemours?"
„Mehrere Quellen haben das bestätigt, also absolut sicher"
„Gut. Grace reist nicht aus bis wir wissen, wo die Spanier in dieser Angelegenheit stehen"
„Majestät"
Chevaliers und Nemours verbeugten sich synchron und ich stapfte verärgert aus der Tür. Kenneth schien Schwäche zu wittern, aber da hatte sich seine Nase getäuscht. Ich werde mich mit Sicherheit nicht geschlagen geben.
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