Kapitel 23
Die Forderungen ließen nicht lange auf sich warten. Unruhig tigerte ich auf und ab und wartete auf den Oberkommandierenden. Zum Glück befand er sich gerade in der Stadt und konnte bereits eine Audienz am Nachmittag wahrnehmen. Ich biss mir immer wieder auf die Zunge. Heute würde ich diesem Militär beweisen, dass ich zwischen Politik und Privatleben unterscheiden konnte. Obwohl die Erziehung des Thronfolgers kein rein privates Problem war. Ich fragte mich, ob ich überhaupt ein privates Problem habe, oder ob alles, worüber ich mir den Kopf zerbreche höfisch oder politisch war.
„Ich bewundere Euch, dass Ihr seinen Rat einholt"
„Er gibt niemanden sonst, der mir sagen kann, ob meine Gedanken umsetzbar sind. Er ist ein hervorragender Militärstratege, auch wenn ein grausamer Erzieher ist"
Esposito beugte zustimmend den Kopf und ich setzte mich zu meinen Damen an den Tisch. Für einen Moment beobachtete ich Espositos Finger, wie sie über das Stickkissen huschten. Wann hatte ich das letzte Mal eine Handarbeit angefasst? „Der Oberkommandierende der Armee"
Das Klopfen des Saalhüters ließ mich aufspringen und ich trat hinter Stuhl, auf dem ich gerade gesessen bin. Als er durch die Tür trat und sich verbeugte, trat ich einige Schritte auf ihn zu. Die restlichen Meter überbrückte er und hauchte einen Kuss auf meine Hand. Anscheinend viel es ihm bei Hof leichter höfischen Umgangsformen zu entsprechen.
„Bitte" ich deutete ihm platz zu nehmen, worauf er mich irritiert ansah. Die Situation war für ihn mindestens so unangenehm wie für mich. Als ich platz genommen hatte, schloss ich für einen Moment die Augen, um mir die richtigen Worte zurechtzulegen. Ich schätzte es ihm hoch an, dass er mir, so wie es gehörte, denn Beginn des Gesprächs überließ. „Die Spanier verlangen, dass wir unsere militärischen Maßnahmen verringern", begann ich worauf sich seine Augenbrauen zusammenzogen. Seine Narbe wirkte noch grimmig und sein Blick absolut entschlossen dieser Forderung nicht nachzugeben. Er setzte bereits zu einem Widerspruch an, aber ich hob die Hand. „Es ist kaum vertretbar für mich, ihren Forderungen nicht entgegen zu kommen" Jetzt zeigte seine Miene nicht länger Entschlossenheit sondern Wut. „Deshalb wollte ich Ihren Rat einholen, ob die Möglichkeit besteht, die Truppen auf die Nachbarländer aufzuteilen"
„Um diese Frage mit Gewissheit beantworten zu können, bräuchte ich meine Unterlagen"
„Bitte verzeiht, das sich Euch mit diesen Fragen überfalle. Aber seht Ihr generell die Möglichkeit dazu?"
„Ja, Majestät, durchaus. Mit Verlaub", er sah mich fragend an, worauf ich zustimmend nickte. Wann war dieser Stier zu so einem zahmen Lamm geworden, „Ich rate davon ab, dass vollständige Militär zurückzuziehen. Ohne Dokumente lässt sich das nicht mit Gewissheit sagen, aber wahrscheinlich werden nicht alle Soldaten in den Nachbarländer unterkommen. Weiters kann ich keine Spekulation über die außenpolitischen Verbindungen über solche Verschiebungen anstellen" Sein Gehirn lief auf Hochtouren, genauso wie meines, seitdem der unscheinbare Pergamentbogen eingetroffen ist.
„Mit Sicherheit können wir viele Männer nach Frankreich und Marokko schicken. Meine Minister sind dabei herauszufinden, wie die Portugiesen dazu stehen", erwiderte ich sachlich und er nickte mir zu. War das Anerkennung in seinem Blick. „Wie lange werdet Ihr brauchen um die Akten zu studieren?", fragte ich und erhob mich aus meinem Stuhl. Es machte keinen Sinn weiter zu spekulieren und ich wollte nicht länger in seiner Gegenwart sein, als unbedingt notwendig.
„Ein oder zwei Tage, Majestät"
„Ich brauche einen Tag, Oberkommandant, damit ich eine Ratssitzung einberufen kann"
„Natürlich, Majestät. Dann morgen Vormittag"
„Danke, Oberkommandierender"
Ich nickte ihm zu. Er wiederholte die Geste, bevor er sich verbeugte. Ich hatte das Gefühl, dass mir sein Nicken mehr Anerkennung zollte, als jede Verbeugung. „Der Junge", begann er zögerlich, worauf ich erstarrte. Ich presste die Lippen zusammen, um meine Wut zu bremsen.
„Es ist ein guter Schütze. Für Schwertkämpfe braucht er noch mehr Muskeln, aber das wird"
„Geht es ihm somit gut?"
„Ja, Majestät"
Wir starrten uns weiter an, bis sein Gesicht vormeinen Augen verschwamm und ich den Blick abwenden musste. Dumme Tränen, dummes Mädchen.
***
„Lasst uns einen Moment alleine", verlangte ich, worauf sich der Lehrer von Bonnebelles Bastard vor mir verbeugte und sich rückwärts aus dem Raum zurückzog. „Ist alles in Ordnung, Mama?", fragte er, während er sich erhob. Ich bemerkte, wie viel Überwindung es ihn kostete, mich Mama zu nennen. Wahrscheinlich hätte ich früher nachfragen sollen, warum er ausgeschlossen ist und Mathews Sohn Georg nicht. „Nein", erwiderte ich und drückte einen Kuss auf seine Stirn. Er spannte sich an. Bekümmert trat ich einen Schritt zurück und ging vor ihm auf die Knie. „Kannst du mir sagen, warum du deinen Geschwistern aus dem Weg gehst?", fragte ich direkt. Seine Augenbrauen zuckten, worauf er sich schnell abwandte. „Setzen wir uns", fuhr ich fort und steuerte auf die schmale Sitzgruppe zu, die sich in seinem Studienzimmer befand. Er zögerte und vermied es mir in die Augen zu sehen.
„Ich möchte die anderen nicht in ihrer Trauer stören. Vor allem George und Euch nicht"
„Trauerst du nicht um Mathew?"
„Ich traue um meinen Kaiser, Mama. Aber nicht um meine Vaterfigur wie Ihr und Novel es tut. Er machte nie ein Geheimnis daraus, dass Ihr mich am Hof wolltet und sonst niemand aus der Familie"
Ich sah Marcel entsetzt an. Hätte ich dieses Gespräch bloß schon viel früher geführt, dann könnte ich Mathew aufsuchen und das alles entkräften lassen. Das schien der Junge zu brauchen.
„Aber ich wollte dich, Marcel. Ich habe geglaubt du fühlst dich als Bestandteil der Familie"
„Bitte verzeiht, Mama, aber Ihr wolltet den Bastard Eures Mannes"
Wann war er so erwachsen geworden? Ich verschränkte verzweifelt die Hände. Wie sollte ich darauf reagieren? Natürlich habe ich ihn zu mir genommen, um Paget eine Anlaufstelle bei Bonnebelle wegzunehmen. Aber ich habe Marcel immer als Teil unserer Familie gesehen. „Wie kann ich dir helfen?" – „Ich denke schon länger über die Frau nach, die wirklich meine Mama war" Ich verkrallte meine Hände in meinem Kleid und schloss für einen Moment die Augen. Ich musste anscheinend besser auf die Kinder achtgeben, die nicht von mir sind. Sie laufen mir ansonsten weg. Ich nickte langsam.
„Du möchtest, dass ich Sie einlade?"
„Ich will Euch nicht wehtun, Mama"
„Du kannst gerne Lavinia zu mir sagen, Marcel. Du scheinst mich nicht als deine Mama wahrzunehmen und das ist ... ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Aber ich werde Maida Bescheid sagen, dass sie ihre Fühler aufs Festland ausstreckt"
Ich erhob mich und lächelte ihm zu. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich zwei meiner Kinder verloren. „Seid Ihr mir böse?", fragte er verunsichert, worauf ich kurz die Lippen zusammenpresste, um meine Tränen in den Griff zu bekommen. Ich drückte ihm nochmal einen Kuss auf die Stirn. „Nein, ich bin traurig, dass ich dich auch noch verloren habe" – „Aber das bedeutet ja nicht, dass ich Euch nicht lieb habe. Ich möchte nur wissen ..." Er zögerte und ich lächelte. Oh ja dieses Gefühl kenne ich. Bisher hatte ich nie daran gedacht, dass er Interesse an Bonnebelle haben könnte. „Komm heute Abend zum Diner. Dann erzähle ich dir, woher du kommst"
Mich überlief ein Schauer bei dem Gedanken, welche alten Geschichte ich dazu ausgraben musste.
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