Kapitel 10
„Begleitest du mich ins Ballett?", fragte ich Dorian, der mich schräg von der Seite mustert. Er wusste, dass ich seit dem Erlass kein Wort mehr mit Mathew gewechselt habe. Ich ärgere mich fürchterlich über mich selbst. Bald werde ich ihn verloren haben. Obwohl er kämpft wie ein Löwe schwinden seine Kräfte viel zu schnell. Manchmal beobachte ich ihn nachts beim Schlafen.
Er atmet wie eine Pumpe. Langsam, aber zum Glück regelmäßig. Zusätzlich ist seine Haut dünn wie ein altes Blatt Pergament und hat die gleiche, gelblich-ungesunde Farbe. „Natürlich begleite ich dich. Aber du kannst ihm nicht ewig aus dem Weg gehen", erinnerte mich Dorian. Vielleicht war gerade das mein Problem. Denn die Ewigkeit meines Lebens ohne ihn stand direkt ins Haus. Noch verbitterter als vor dem Lunch schmiss ich Dorian hinaus und vergrub mich hinter meinem Schreibtisch.
„Lord Karjha"
Überrascht wandte ich mich der Tür zu. Elegant wie eh und je schlenderte der spanische Botschafter durch die Tür und sank in eine tiefe Verbeugung. „Erlaubt mir anzumerken, dass Euch anscheinend die Krone der Diplomatie geraubt worden ist", spottete er und lächelte mich dabei überlegen an. Er schien Machtspiele zu lieben und ich war gerade dabei unseres zu verlieren. Dummer Erlass!
„Noch ist nicht aller Tage Abend, Mylord"
„Das Dekret ist unterzeichnet, Majestät. Wie gedenkt Ihr nun vorzugehen?"
„Haben wir nicht vereinbart, dass Ihr Euch aus meiner Politik heraushaltet?"
„Das war, bevor Ihr den absoluten Herrschaftsanspruch verloren habt und ich Euch die dechiffrierten Briefe gegeben habe"
Ich war geschlagen. Sollte ich wirklich eine Chance haben wollen mein Kind zurück zu haben, durfte ich ihn jetzt nicht verärgern. Das mir unglaublich schwer fiel. „Seid Ihr nur hier um Euch über mich lustig zu machen?", fragte ich und sofort verändert sich sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf. Wirkte sogar ehrlich betroffen. „Nein, Majestät. Das sollte bloß ein Spaß unter Freunden sein. Ich kam wegen etwas anderem"
Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich sah erbittert zu Karjha. Ich war gefallen und hatte es vergessen, wie es sich anfühlte, auf der machtlosen Seite zu sein. „Der Geheimgesellschaft schwebt vor Prinzessin Grace mit einem Cousin eines der führenden Mitglieder zu verheiraten", berichtete er und nahm unaufgefordert platz. Ich hingegen sprang sofort auf. Könnte ich bloß laut schreien! „Nein", schnaufte ich und verkrallte meine Hände im Rock meines Kleides. „Mein Kind ist alleine durch das Versagen meines verstorbenen Mannes in die Hände Eurer Leute gefallen. Ich werde sie nicht bis an ihr Lebensende in Spanien lassen", brauste ich auf und Karjha drehte sich gelangweilt um. Wie ich es hasste, dass ich ihm nichts entgegen zu setzen habe. „Ich weigere mich" wiederholte ich mich und ein leichtes Lächeln schlich sich auf Karjhas Gesicht. Dieses überhebliche Miststück.
„Ändert ihr Eure Meinung wenn ich Euch erzähle, dass die Prinzessin ihrem Verlobten sehr zugetan ist?"
„Davon möchte ich mich mit eigenen Augen überzeugen. Bringt sie zu mir"
„Nein!"
Ich stieß ein leises Lachen aus. Karjhas Gesichtszüge waren verrutscht. Er war nicht hier, weil er sich um meine Meinung scherte. Bei irgendetwas brauchte er Hilfe. Mit viel Überwindung ließ ich mich gegenüber von ihm nieder und setzte ein Lächeln auf.
„Was braucht Ihr?", fragte ich worauf Karjha zusammenzuckte. Also doch! Vielleicht habe ich das Ausmaß von Mathews Maßnahmen überschätzt. „Rückhalt im Ministerrat" – „Ich dachte Euch sei klar, dass ich entmachtet wurde" – „Der Kaiser ist schwach, Majestät"
Entschlossen erhob ich mich und deutete mit dem Kopf zur Tür. „Seine Majestät der Kaiser hat solange die absolute Macht, bis sein Herz aufhört zu schlagen. Über mögliche Vorteile seines Ablebens zu sprechen ist in meinen Augen Hochverrat" Karjha zog belustigt die Augenbrauen nach oben und erhob sich langsam aus seinem Stuhl. Ich war eine Närrin, ihm anvertraut zu haben, dass ich Kenneth gegen Mathews ausdrücklichen Befehl begnadigen wollte. Mathew hatte bereits Jahre in seinem geschwächten Zustand durchgehalten. Nichts verspricht, das er ihm gerade jetzt die Kraft verlassen sollte.
„Eine Kooperation mit mir wäre in Eurem Sinne gewesen, Majestät"
Ich wartete, bis die Saalhüter die Türen hinter ihm geschlossen haben. Dann ließ ich mich zurücksinken und atmete tief durch. Mein Herz raste. Eher würde die Welt untergehen, als das ich zuließ, dass Grace irgendeines dieser marokkanischen Monster heiratet. „Gräfin Delune?", meine erste Hofdame erhob sich mit ihrem üblichen arroganten Grinsen. „Erstattet dem Kaiser Bericht"
Ich konnte nicht schlafen. Bisher hatte ich an dem Gedanken festgeklammert Grace wäre von der spanischen Kultur isoliert und von meinen Damen umgeben. Aber anscheinend hatten die Spanier das Spiel gewendet. Auf leisen Sohlen schlich ich durch die versteckten Gänge in den Wänden und späte durch Mathews Tür. Sein Anblick gab mir immer Frieden.
Sein Atem ging heute seltsam unregelmäßig und besorgt trat ich ganz durch die Tür. Ein eisiger Windzug fegte hinter mir vorbei und ich erschauerte. Mathew bewegte sich in seinem Bett. „Nun kommt schon her", murrte er und ich zuckte zusammen. Woher bei Gott ... ? „Ihr holt Euch den Tod", warnte er und hob einladend die Bettdecke hoch. Er sah mich zwar immer noch nicht an, aber das waren die wärmsten Worte die mir in der letzten Woche zuteil geworden sind. Deshalb würde ich mir das nicht zwei Mal sagen lassen.
„Was macht Ihr hier?"
„Ich sehe nach Euch"
„Ich kann nicht schlafen, Lavinia"
„Ich auch nicht"
Vorsichtig beugte ich mich über ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Mathews Wärme strahlte zu mir herüber und mir wurde erst in diesem Moment klar, wie nah ich ihm war. Leise seufzte ich auf und rutschte noch ein Stück näher. Zulange sollte ich nicht bleiben. Sein Kammerdiener würde mich zwar nicht verraten, aber ich wollte nicht riskieren, dass hier sonst noch jemand Augen Ohren hatte.
„Macht Euch keine Sorgen, Lavinia. Ich lasse nicht zu, dass Grace für immer in Spanien bleibt"
Sein Versprechen, war das Einzige, das mir durch die nächsten Tage half. Alle wuselten geschäftig um mich herum, während ich unter meiner Machtlosigkeit mehr litt, als unter jedem vergangenen Stress. Immerhin bedeutete das, dass ich gebraucht und geachtet wurde. Das mir jetzt wie ein Traum erschien. Die dechiffrierten Briefe halfen mir nichts, ohne die notwendige Handhabe mich an Kenneths Fersen zu heften. Auch wenn ich Mathew liebte und achtete, wusste ich, dass er eine Blutjagd starten würde, sollte ich ihm Kenneths Daten weitergeben.
Also wartete ich und versuchte die Verschnaufpause von den Regierungsgeschäften so gut ich es konnte mit meinen Kindern zu nutzen. Leila war hell in Aufregung. Ganz im Vergleich zu den Buben. Novel bevorzugte seine Studien meinen Spaziergängen und die anderen eiferten ihm natürlich nach. Einzig für einen Ausritt konnte ich die vier gewinnen.
Da ich ihren Unterricht aber nicht auf lange Zeit auf Eis legen wollte, forderte ich Dorians Versprechen ein mich ins Ballett zu begleiten. Wir wollten noch im Salon dinieren und uns dann auf den Weg machen.
„Du siehst bezaubernd aus", rief Dorian und drückte mir einen Kuss rechts und links auf meine Wange. Ich konnte nichts gegen das erröten meiner Wange tun. Dorian ignorierte es zum Glück. „Wo sind die Kinder?" – „Hoffentlich in ihrem Bett" Dorian lachte auf und rückte mir meinen Stuhl zurecht. „Hast du mit Mathew gesprochen?" – „Kurz" Ein leichtes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Mathews Kammerdiener hatte mich kurz vor halb vier geweckt und mich in meine eigenen Räume geschickt. Mittlerweile war er wie ein zweiter Vater für mich. Er sah mehrmals in der Nacht nach dem Feuer in Mathews Zimmer und sorgte dafür, dass ich in meinen eigenen Räumen war, bevor jemand mein Verschwinden bemerken könnte.
„Ich bitte vielmals um Verzeihung, Majestät", flüsterte der Saalhüter. Dorian zog belustigt die Mundwinkel nach oben. „Was gibt es?", fragte er, während ich meine Suppe weitelöffelte. Ich wollte einen schönen Abend verbringen fern von dem politischen Differenzen des Hofes. Er sollte mir das nicht verderben. „Der spanische Botschafter ist hier" – „Wir wünschen nicht gestört zu werden" Dorian wäre sicher mehr als froh bei einem meiner Wortgefechte mit Karjha dabei zu sein. Alleine aus Rücksicht auf mich wies er ihn ab. Ich schenkte ihm ein stilles Lächeln.
Einen Moment lang wurde es ganz still im Raum und ich konnte laute Stimmen aus meinem Arbeitszimmer wahrnehmen. Schnaubend legte ich meinen Löffel zur Seite und erhob mich. Dorian folgte mir schulterzuckend und der arme Diener zog sich noch immer murmelnd zurück.
„Worum geht es meine Herren?", fragte ich und bemerkte den hochroten Kopf Karjhas.
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Ich wünsche euch allen ein wunderschönes, magisches, liebevolles - also einfach großartiges Weihnachtsfest. Mit euren Kommentaren, Sternchen und dem verfolgen von Lavinias Geschichte macht ihr mir ein großes Geschenk, dass mir gerade zu Weihnachten jedes Jahr aufs neue bewusst wird. Danke!
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