9-Eine ziemlich lädierte Wand

Die Wohnungsbesichtigung verlief gut.
Die Wohnung an sich war zwar nicht wirklich toll, aber von all den Bewerbern, die aufgekreuzt waren, um sie sich anzusehen, schien ich mit Abstand die Vertrauenswürdigste zu sein.
Die Wohnung lag in einem viel bewohnten Viertel. Keine Ahnung wie es hiess, ich hatte es nur dank Google Maps bis dort hin geschafft. Das mehrstöckige, in dem sie war, war alt. Der Putz blätterte bereits ab und ich war mir ziemlich sicher, dass dieser Ort kein einziges Fleckchen Grün besass. Das Haus war umringt von weiteren Häusern, die genauso heruntergekommen aussahen. Mir waren von Anfang an die vielen Leute aufgefallen; die herkamen für eine Besichtigung. Es waren wirklich viele. Und ich wusste nicht, wie gut meine Chancen standen. Wenn ich allerdings die Kleidung einiger der Bewerber sah und wie fettig und unrein ihre Haare teilweise waren, stiegen meine Chancen doch schon erheblich.
Die Vermieterin, eine ältere, fest gebaute und kleine Frau, führte uns in Gruppen durch die Einzimmerwohnung. Alle hätten gar keinek Platz gehabt. Automatisch ratterte sie die Infos hinunter und würdigte uns keines Blickes. So konnten ihr auch die ganzen ungepflegten Ekel nicht auffallen. Ich versuchte auf dem Hinausweg ein kurzes Gespräch mit ihr anzufangen, doch sie war nicht wirklich interessiert. Also stoffelte ich schweigend wieder aus dem Haus.
Es war nicht wirklich eine anziehende Gegend. Auch die winzige Wohnung mit der nicht existenten Waschmaschine und der Küche mit nur zwei Platten war nicht gerade Luxus. Ich ertappte mich dabei, wie ich das Loft idealisierte, in dem ich momentan wohnte. Ich mochte es dort wirklich. Ich fühlte mich wohl. Wenn nur dieser Keller nicht wäre. Und die illegalen Tätigkeiten meiner Mitbewohner.
Ich seufzte und schlang die Arme um mich.
Ich trug nur eine Jeansjacke über meinem Top. Die letzten Tage war das Wetter deutlich besser geworden. Der kühle Wind hatte sich zu einem warmen Föhn verwandelt, die Temperaturen waren gestiegen und erste Blüten begannen sich an den Bäumen um das ehemalige Fabrikgebäude herum zu bilden. Der Frühling hatte begonnen. Eine gute Zeit. Aber je später es wurde, desto mehr kühlte es ab. Unterdessen war es sicher schon nach Fünf, obwohl es noch hell war, wurde es langsam wirklich kalt.
Ich stieg in die U-Bahn und stieg eine halbe Stunde später wieder aus. Langsam begann ich das komplexe Transportnetz zu verstehen.
Als sich der Zug hinter mir bewegte und quietschend weiterfuhr, war die U-Bahn Station fast leer.
Das war ungewöhnlich für den Abend eines Freitags.
Naja, einige Menschen liefen schon geschäftig die breite Treppe rechts von mir hinauf oder hinunter, aber eben nicht so viele wie sonst. Ich sah hoch zum hellen Licht, das die Stufen hinunter schien, in die unterirdische Bahnstation. Die fetten Säulen, die den Boden davon abhielten, hinunter zu krachen waren voll gesprüht mit Graffitis.
Ich setzte mich langsam in Bewegung als ich merkte, dass mich einige Passanten bereits komisch ansahen. Ich hing meinen Gedanken nach und näherte mich den ersten Treppenstufen.
Doch bevor ich sie erreichen konnte, wurde ich an der Schulter gepackt. Hart. Von einer grossen Hand, die ich nicht kannte. Bevor ich aufschreien konnte, drehte mich die Person um.
Es war Nick. Er legte einen Finger auf die Lippen und sah mich vielsagend an. Die Angst fuhr mir in die Glieder. Gern hätte ich den Mut gehabt, ihn anzuschreien und seine Hand von mir zu schlagen. Aber ich getraute mich nicht. Ich war wie gelähmt. Ich konnte nichts sagen, liess mich einfach wortlos von ihm mitziehen.
Er schleppte mich zu dem einzigen Gang, der nicht nach draussen, sondern zu den unreinen Klos führte. Dort drückte er mich an die Wand, die Hände platzierte er neben meinem Kopf.
Mein Atem flog über meine Lippen, ich betete zu allen Göttern der Welt, dass sie bitte irgend jemanden aus dem Klo kommen liessen, der mir half. Aber da war niemand. Wir waren alleine. Ich war alleine. Mit einem Mann, den ich nicht kannte und der mir viel zu nahe war. „Was...was willst du?"
Piepste ich, während Nick mich eingehend musterte.
Er wirkte nicht bösartig, aber kalt. Als wäre das Menschliche, die Gefühle die sonst in jedem lebten, bei ihm ausgeschaltet.
„Du kennst mich noch, oder, Malia?"
Meinte er gelassen und ich schluckte.
„Nicht wahr?"
Fragte er und ich nickte heftig.
„J...ja."
Er wirkte zufrieden und legte den Kopf schief. Seine Nase war meiner ziemlich nahe. Doch anders als bei Damon führte diese intensive Nähe zu Panik.
„Sehr gut. Und ich kenne dich auch, Malia. Du bist Damons kleine Bitch, nicht wahr? Treibst ihm die Kunden ein. Man kanns ihnen auch nicht verdenken."
Sein Blick schweifte an mir hinunter, ohne jegliche Scham. Mir wurde schlecht.
„Das...ist nicht wahr. Sowas mache ich nicht."
Krächzte ich und verzog die Lippen. Verdammte Scheisse.
„Ich sage dir jetzt mal was, Malia. Ich mag keine Konkurrenz. Du hast zwar einen süssen Arsch, und wenn wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt hätten wäre ich wirklich interessiert....aber wenn es nicht anders geht, versohle ich ihn dir."
Meine Unterlippe zitterte.
Seine beiden Hände lagen nun auf meinem Schultern, nicht mehr nebendran.
Mir wurde schlecht. Seine Berührungen schmerzten schon fast.
„Lass mich los. Lass mich los oder ich schreie."
Dass ich kurz vor dem weinen stand, schien er aus meiner Stimme heraus zu hören. Denn er wirkte nicht im Geringsten beeindruckt.
Stattdessen schlich sich ein feines Grinsen auf sein Gesicht. Er sah aus wie ein Tiger, der seine Beute gleich genüsslich aufspiessen würde.
Aber ich wollte nicht seine Beute sein. Ich wollte mit dem ganzen Scheiss sowieso nichts zu tun haben! Und jetzt? Jetzt dachte irgend ein gefährlicher Drogendealer ich würde für seine Konkurrenz arbeiten. Dafür würde ich Damon umbringen.
„Wir sehen uns wieder Malia. Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte es."
Ich spürte seinen Atem an meinem Gesicht und schloss die Augen. Ich wäre am liebsten tot umgefallen.
„Na los. Hau ab."
Meinte er dann und öffnete mein Gefängnis, indem er seine Arme zurück zog und auch einen Schritt zurück machte.
Als ich noch immer da an die Wand gepresst stand, nicht fähig, mich zu bewegen, schnippte er genervt mit den Fingern.
„Na los, verschwinde. Hast du nicht gehört?"
Ich zuckte zusammen. Und da mein Kopf nicht funktionierte, übernahm mein Instinkt. Mein Instinkt, weg von Nick. Weg von diesem Verrückten.
Ich rannte los und hastete die Treppe hinauf. So schnell ich konnte. Tränen verschleierten mir die Sicht, als ich in die Richtung unseres Lofts rannte. Ich glaube, zwei Fussgänger fragten mich, ob bei mir alles okay war. Aber ich antwortete nicht und rannte weiter. Der Kloss in meinem Hals war zu gross.
Noch nie in meinem Leben hatte ich so eine grosse Angst verspürt. Er hatte mir gedroht. Das wusste ich. Und er schien eine Person zu sein, die ihre Drohungen nur all zu gerne wahr machte.
Meine Beine hielten genau so lange durch, bis ich die Türe des Lofts hinter mir zu zog. Dann gaben sie nach und ich sank zu Boden. Die Tränen rannen mir über die Wangen und ich zitterte am ganzen Körper. Verdammt, das wollte ich nicht, aber ich konnte es nicht kontrollieren.
„Malia, scheisse was ist passiert?"
Hörte ich Kervin erschrocken rufen. Ich konnte nicht antworten, weil ich damit beschäftigt war, mir die Tränen aus den Augen zu wischen, um wieder etwas sehen zu können. Ich hörte Schritte. Man es war mir so peinlich, vor den anderen zu heulen. Sie dachten doch sowieso schon, dass ich irgend ein dahergelaufener Schwächling war.
Im nächsten Moment spürte ich Damon neben mir.
„Malia, was ist passiert? Rede mit mir."
Meinte er mit ruhiger Stimme, während er mein Kinn anhob. Ich schluchzte verhalten und presste die Lippen zusammen.
Dann schüttelte ich den Kopf. Ich wollte jetzt nichts sagen.
Aber jetzt war auch Mia bei mir.
„Mein Gott, du zitterst ja am ganzen Körper! Hast du Schmerzen?"
Sie sah so besorgt aus, dass ich ihr einfach antworten musste.
„N...nick. Er hat mich in der Bahnstation abgefangen. Er hat mir gedroht."
Schluchzte ich und kauerte mich zusammen. Die Furcht sass mir immer noch in den Gliedern.
Ich spürte, wie sich Damon neben mir verspannte.
„Hat er dich angefasst?"
Seine Stimme war dunkel. Wütend. Fast schon rasend. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich nickte.
„Fuck."
Machte Kervin. Im nächsten Moment landete Damons Faust in der Wand. Es krachte und ich zuckte zusammen. Zu hinterfragen wieso Damon so ungehalten war, das kam mir gar nicht in den Sinn.
„Ich bringe ihn um."
Hörte ich Damon knurren, während Mia mich langsam auf die Beine zog.
„Okay, komm. Du zitterst ja am ganzen Körper."
Ich kam mir vor wie eine Schwerverletzte. Zumindest behandelte sie mich so. Dabei hatte er mir kein Haar gekrümmt. Aber er hatte mich angefasst und jetzt ekelte ich mich vor mir selbst. Dass ich nicht mutiger gewesen war. Dass ich mich nicht gewehrt hatte sondern wie der Jammerlappen, der ich war nur heulend weg gerannt war.
„Wohin bringst du sie?"
Mia giftete ihren Bruder regelrecht an.
„Zur Dusche!"
Daraufhin wurde es still hinter mir und ich wurde ins Bad geschleppt.
„Ich...das geht schon. Danke."
Murmelte ich, als Mia an der Türe stehen blieb.
„Sicher?"
Sie sah mich besorgt an und nagte auf ihrer Unterlippe. Die langen, zierlichen Finger klopften unentwegt an die Badezimmertüre.
„Ja."
Murmelte ich.
„Ich hole dir neue Kleider okay? Und leg sie dir hin."
Ich versuchte ein Lächeln.
„Danke dir."
Dann zog sie sanft die Türe zu.
Als ich mich unter den heissen Wasserstrahl stellte, brannte die Hitze auf meiner Haut
Es tat fast schon weh. Aber ich genoss es. Ich stellte mir vor, wie das Wasser zusammen mit dem Duschgel die Berührungen von Nick weg schwemmten. Dass sie die Angst mit sich rissen und sie in die Abflussrohre sickerte, wo ich sie nie wieder sehen würde. Ich hoffte, dass der Drang, mir die Haut vom Leib zu ziehen dadurch aufhörte. Als ich dann aus der dampfenden Dusche stieg, ging es mir tatsächlich etwas besser. Körperlich nicht wirklich, aber psychisch. Ich hatte aufgehört zu weinen und wieder einen etwas klareren Kopf gefasst. Was passiert war zischte immer wieder vor meinem inneren Auge vorbei, aber ich war jetzt in der Lage, Ruhe zu bewahren. Ich schlüpfte in die Trainerhose und meinen dicken Pulli, den mir Mia in weiser Voraussicht gebracht hatte und liess das nasse Haar achtlos auf den Stoff fallen. Die Kälte spürte ich nicht, als der Stoff das Wasser aufnahm und an meinem Rücken klebte.
Als ich dann aus dem Bad hinaus trat, begleitet von einigen Dampfwolken, die aus dem Bad hinausstoben, als würden sie nach Freiheit lechzen, sassen die anderen bereits auf den Sofas. Nur Damon nicht, der tigerte unruhig und mit ziemlich aggressiven Schritten im Raum umher.
Er war in eine Diskussion mit Andrew vertieft.
„Nein, es ist eindeutig..."
Er verstummte, als sein Blick auf mich fiel und blieb stehen.
Ich schluckte, die Blicke der anderen nach meinem mehr als peinlichen Zusammenbruch waren echt unangenehm.
Mia klopfte neben sich aufs Sofa und lächelte aufmunternd. Eigentlich wollte ich mich in meinem Bett verkriechen und die Decke über meinen Kopf ziehen. Das hatte ich als Kind immer gemacht, wenn meine Mom sich einen Horror Streifen angesehen hatte und dann eingeschlafen war. Ich hatte ihn immer zu Ende geguckt und war dann hoch in mein Zimmer gerannt. Ich hatte immer gedacht, dass mich kein Monster jemals erreichen würde, wenn nur all meine Gliedmassen unter der Decke in Sicherheit waren. 
Aber jetzt sah es nicht so aus, als würde ich einem Gespräch entkommen. Also senkte ich den Kopf und trottete zu Mia hin, wo ich mich langsam auf das Sofa sinken liess.
„Hey, wie geht es dir?"
Meinte Andrew mitfühlend und hob einen Mundwinkel.
Ich zuckte die schultern.
„Gut."
Log ich.
„Meine Reaktion vorhin war wohl etwas übertrieben. Ich habe mich schon wieder eingekriegt. Tut mir leid, falls ich euch erschreckt habe oder so."
Malika, die sich dazu überreden gelassen hatte, ihre Bathöhle zu verlassen, verengte die Augen.
„Ich weiss wie ein Schock aussieht, Malia. Ich arbeite im Krankenhaus. Und du hattest definitiv einen."
Mein frisch aufgesetztes Lächeln erstarb mir auf den Lippen.
„Es muss dir nicht peinlich sein, dass du Angst hattest."
Platzte es aus Mia raus. Toll. Den Wunden Punkt hatte sie super getroffen.
„Wäre ich an deiner Stelle gewesen, hätte ich auch angst gehabt! Aber sowas von."
Ich hob eine Braue und spielte mit dem Rand meines Pullis.
Das bezweifelte ich. Mia konnte sich bestimmt besser verteidigen als ich. Zudem schlug sie sich mit Nick ja bereits deutlich länger herum. Sie hatte Erfahrung damit und war bestimmt von ihrem Bruder geschult worden. Ich allerdings hatte nicht in diese Scheisse hinein gezogen werden wollen. Aber jetzt war ich mitten drin.
„Was hat Nick genau gesagt?"
Fragte Damon, der jetzt am Sofa gegenüber Halt gemacht hatte und dessen brennender Blick an mir haftete. Ich erklärte es ihnen wortgetreu. Denn Nicks Worte hatten sich in meinem Kopf eingebrannt. So bedrohlich hatte noch nie in meinem Leben jemand mit mir geredet.
„So ein Mistkerl."
Mia presste die Lippen zusammen und schlug mit der Faust auf das Sofa.
„Malia, es tut mir so leid. Ich weiss du wolltest nicht in das Ganze herein gezogen werden. Ich wusste nicht, dass das passieren würde."
Ich schwieg nur. Ein kleiner Teil in mir war schon wütend auf Mia. Auf alle Anwesenden. Dass sie zugelassen hatten, dass ich jetzt an diesem Punkt war. Sie hätten todsicher irgendwas unternehmen können, um das zu verhindern. Hatten sie aber nicht.
„Ich will mit dem Ganzen immernoch nichts zu tun haben. Das mir das passieren würde, hätte ich nie geglaubt. Ich suche mir eine Wohnung und dann bin ich weg. Ich will Nick nicht nochmals begegnen...solange er denkt, ich arbeite für euch."
Damon schüttelte entschlossen den Kopf.
„Du kannst nicht ausziehen."
Fassungslos starrte ich ihn an.
„Was redest du da? Und wie ich das kann. Ich bin weg sobald ich irgendwas gefunden habe. Das mache ich nicht mit!"
Ich bemerkte erst jetzt, wie laut und schrill meine Stimme sich anhörte. Die Hitze schoss mir ins Gesicht und ich liess schnell einige nasse Haarsträhnen davor fallen. In der Hoffnung, dass niemand mein puderrotes Gesicht sah
Damon wirkte wenig beeindruckt.
„Wenn du ausziehst, können wir dich aber nicht mehr beschützen."
Ich verzog die Lippen.
„Das ist mir ehrlich gesagt scheiss egal. Ich bräuchte euren Schutz auch gar nicht, wenn Nick mich nicht für eine eurer Dealerinnen halten würde!"
Zischte ich wütend und Damon mahlte mit dem Kiefer. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass ich ihm widersprach. Tja, Pech für ihn. Jetzt setzte ich erst mal mich selbst an erster Stelle. Ich musste nämlich dafür sorgen, dass ich am Schluss nicht plötzlich tot in einer Gasse lag oder was weiss ich. Das hier war Atlanta und ich hatte die Stadt bisher definitiv unterschätzt.
„Es nützt nichts, jetzt zu streiten", griff Kervin diplomatisch ein.
Er sah zu mir und wirkte deutlich verständnisvoller als der schwarzhaarige Typ, der jetzt wieder rastlos im Zimmer herum streunte. Damon wirkte, als würde er gleich in die Wand hauen. Erneut.
„Aber Malia, Damon hat recht. Du kannst nicht gehen, das wäre noch viel gefährlicher, als hier zu bleiben."
Ich schüttelte entgeistert den Kopf. Das war doch nicht ihr ernst.
„Das ist mir echt egal."
Damon stand plötzlich wieder am Sofa. Er wirkte ernst.
„Aber mir nicht. Ich bin für dich verantwortlich."
Gerne hätte ich ihm die Stehlampe an den Kopf gehauen.
„Das finde ich aber nicht."
Blaffte ich. Er blieb standhaft.
„Doch. Du wirst wegen mir von Nick belagert. Ich muss auf dich aufpassen."
Ich fuhr mir durch die Haare.
„Aber wieso ich? Ich habe Nick doch keinen Grund dafür gegeben, mich als Bedrohung zu sehen."
Na toll, jetzt klang ich schon wieder verzweifelt. Sie mussten mich unterdessen echt für ein Weichei halten.
„Nick ist nicht dumm. Er hat dich in meiner Nähe gesehen und versucht jetzt wohl, über dich an mich ran zu kommen."
Andrew nickte zustimmend und Mia sah nur immer wieder misstrauisch von ihrem Bruder zu mir. Stimmte ja, sie wusste nichts von unseren nächtlichen Treffen. Und wenn es nach mir ging, würde sie davon auch nichts erfahren.
„Weiss er denn nicht, dass du mich nicht mal magst?"
Warf ich Damon an den Kopf und wartete auf eine angemessene Reaktion. Vielleicht, dass er einen erschrockenen Schritt zurück machte oder zusammen zuckte. Aber das tat er nicht. Er zuckte bloss die Schultern. Und machte sich nicht einmal die Mühe, mir zu widersprechen.
„Nick hält dich nunmal für meine Schwachstelle."
„Das bin ich aber nicht."
Fauchte ich frustriert.
„Irgendwie schon."
Ich seufzte und grub die Nägel in das weiche Samt des Sofas. Alles was ich gewollt hatte, war eine normale Studentin zu sein. Und jetzt?
Damon kam etwas näher und setzte sich auf das sofa mir gegenüber. Dann lehnte er sich etwas vor.
„Hey. Ich will nicht, dass dir etwas zustösst."
Ich hob den Kopf abrupt und bekam so tiptop mit, wie das ganze Loft Damon verstört ansah. Sie hatten wohl genauso wenig mit so einem Satz gerechnet wie ich.
„Okay? Er wird dir nicht mehr zu nahe kommen. Das werde ich nicht zulassen."
Ich sagte nichts. Die anderen schwiegen ebenfalls.
Und obwohl sich alles in mir sträubte, glaubte ich ihm.

Ich hätte die Wohnung bekommen. Nur fünf Tage nach der Besichtigung bekam ich bereits den Anruf.
Ich wies die Wohnung zurück und zerriss den Vertrag, der mir zugeschickt worden war. Ich war mir auch weitere fünf Tage danach noch nicht sicher. Aber ich hatte mich entschieden, auf Damon und die anderen zu hören und zwangsweise darauf zu vertrauen, dass sie das wieder hinbiegen würden. Dass ich mit dem ganzen Scheiss ab jetzt nichts mehr zu tun haben musste.
Mir blieb ja auch nichts anderes übrig.
Und gleichzeitig war meine bedrohliche Lage auch eine gute Ausrede, um weiterhin mit den anderen im Loft leben zu dürfen. Denn auch wenn ich es nicht gerne zugab, ich lebte gerne dort. Hauptsächlich wegen Mia, mir der ich das Gefühl hatte, immer mehr zusammen zu wachsen. Wir gingen gemeinsam zur Schule, teilten unsere Mittagessen und verbrachten auch nach der Schule den ganzen Abend zusammen. Meistens lernten wir, schrieben gemeinsame Zusammenfassungen oder plauderten über ganz belangloses Zeug wie Jungs. Sie und colin waren unterdessen einige Male ausgegangen. Er hatte sich ziemlich ins Zeug gelegt und sie sogar einmal in den Zoo eingeladen. Was ich ziemlich süss fand. Sie hatte mir auch gestanden, dass sie sich geküsst hatten. Einige Male. Ich musste aber versprechen, das für mich zu behalten. Fiel mir nicht schwer. Mit Malika hatte ich ohnehin fast nichts zu tun, da sie ihre Bathöhle sowieso fast nie verliess und ansonsten immer auf dem Weg zur Arbeit war. Mit Nico lief es auch nicht besonders gut, aber immerhin erdolchte er mich nicht mehr mit Blicken, wenn er an mir vorbei lief, sondern ignorierte mich jetzt bloss noch. Das war doch ein Schritt in die Richtige Richtung. Andrew lernte oft mit Mia und mir zusammen, er war locker drauf, das fand ich cool. Und er verhielt sich gar nicht so wie Kervin, der jeden zweiten Tag irgend ein neues, sehr hübsches Mädchen anschleppte, dass dann am Morgen in seinem Hemd am Tisch sass und mein Jogurt ass. Andrew machte das nie. Auch sonst niemand von den Jungs. CJ, Betim und Jenny hatten sich länger nicht blicken lassen, womit ich absolut kein Problem hatte. Und Damon...naja, ich ging ihm aus dem Weg. Seine Worte, dass er für mich verabtwortlich sei, dass ich seine Schwachstelle war, die hatten mich ziemlich verwirrt. Denn wieso sollte er sowas sagen,  nur um im nächsten Satz zu betonen wie egal ich ihm doch war. Ich wusste es nicht. Aber jedes Mal, wenn wir uns begegneten, schien die Luft zum Zerreissen gespannt und alles in meinem Körper prickelte. Ich denke, ich verliebte mich langsam in ihn. Ich war noch nie verliebt gewesen, also so richtig. Ich wusste also nicht, wie es sich anfühlte.
Wenn ich Damons Stimme hörte, wenn er von der Arbeit zurück kam, wurde ich nervös. Wenn sich unsere Hände beim Decken des Tisches kurz streiften, dann schmerzte mein Unterleib und wenn ich ihn manchmal dabei beobachtete, wie er nur mit einem Handtuch um die Hüfte bekleidet vom Bad zu seinem Zimmer lief, dann hatte ich das Gefühl innerlich zu brennen.
Es waren eigentlich alles ziemlich negative Gefühle. Schmerz, brennen, schaudern und Nervosität. Sollte Liebe nicht eher warm, langsam, gemütlich, sicher und voller Schmetterlinge sein? Ich wusste es nicht. Vielleicht war das was ich für Damon empfand ja doch keine Liebe.
Was ich aber mit Sicherheit liebte, war mein Studium. Mit BWL hatte ich die Richtige Entscheidung getroffen. Es war pragmatisch, neutral und sachlich. So wie ich es gerne hatte. Keine Bücher zur Interpretation oder so, wie andere es in Englisch aufgetischt bekamen. Im Auswendig lernen und verknüpfen von Fakten war ich viel besser.
Da wir uns bereits langsam dem Ende des Semesters näherten, begannen wir uns immer mehr für die Prüfungen im Juni vorzubereiten. Jetzt war Anfang Mai, es wurde endlich wärmer und ich konnte meine Winterjacke Zuhause lassen, wenn ich an die Uni ging. Heute hatte eine von Mandys Anhängerinnen sogar meine Jeansjacke komplimentiert. Mein Selbstbewusstsein war also durch die Decke gegangen. Mandy war allerdings nicht dabei gewesen, um ihre Anhängerinnen zu führen. Sie hatte sich schon seit einigen Tagen krank gemeldet. Wahrscheinlich eine Grippe, Colin hatte auch erst kürzlich eine erwischt. Ich achtete mich folglich, ihren beiden identisch gestylten Freundinnen nicht zu nahe zu kommen, damit ich mich sicher nicht ansteckte. Wenn die Lernphase bald begann, musste ich voll da sein. Konzentriert und Leistungsfähig.
Da Mia und ich gemeinsam unsere Zusammenfassungen schrieben, waren wir um einiges schneller, da wir die Lektüre beispielsweise aufteilen konnten. Das war ein schlauer Move.
Gerade jetzt sass ich auf einem der flauschigen Sitzkissen im Wohnzimmer, mit dem Laptop auf den Knien und meiner Zusammenfassung in einem geöffneten Tab. Ich wollte sie mir mal durchlesen und dann rausfinden, was die beste Technik zum Lernen war. Ich war gerade mal bei der Hälfte angekommen, als ich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
Ich runzelte die Stirn und blickte rechts unten am Laptop auf die Uhr. Es war erst 16 Uhr. Mia war noch mit Colin draussen und Andrew hockte in seinem Zimmer, aber ansonsten waren eigentlich alle noch bei der Arbeit, soweit ich wusste.
Ich hob neugierig den Kopf, als die Wohnungstüre aufgeschoben wurde.
Und erstarrte.
„Ach du scheisse."
Entfuhr es mir und der Laptop fiel mir fast auf den Boden.
Damon trat mit gesenktem Kopf und völlig verspannten Schultern in die Wohnung. Blut tropfte von seiner Lippe und sein hoher Wangenknochen auf der rechten Seite war rotblau angeschwollen.
Er sagte nichts, aber ich spürte die Wut, die ihn umgab. Schnell legte ich den Laptop auf den Boden und raste zu ihm. Dies fiel mir nicht schwer, da mein Körper sowieso sogleich von ihm angezogen wurde wie ein Magnet, wenn er in der Nähe war.
Ich streckte die Hände nach seinem Gesicht aus, um ihm die dunkeln Strähnen aus der Stirn zu schieben, damit ich den tatsächlichen Schaden einschätzen konnte.
Doch Damon blockte ab und drückte meine Hände bestimmt wieder nach unten.
„Lass es. Das ist nichts."
Ich riss entgeistert die Augen auf.
„Spinnst du! Du saust hier den ganzen Boden voll un...."
Ich wusste nicht wss ich sagen sollte, aber ich machte mir gerade echt grosse Sorgen. Es schmerzte irgendwie, zu wissen dass Damon verletzt war. Ich wollte sofort alles tun, damit es ihm wieder besser ging. Als wäre das mein Lebensziel. Merkwürdig.
Damon hob den Kopf etwas an und da war wieder sein schiefes Grinsen. Die Wut, die er vorher ausgestrahlt hatte, war wie weg gewischt. Aber ich liess lich nicht täuschen. Damon war gut darin, seine Gefühle zu verbergen.
„Machst du dir sorgen um den Boden?"
Mir war nicht nach Scherzen zumute und an meinem ernsten Blick erkannte er das wohl auch.
Kurz flackerte sein Blick verwirrt, dann verschwand das Grinsen langsam von seinen Lippen.
„Oder um mich?"
Meinte er rau und ich schluckte, während ich mit dem Daumen das Blut von seinem Kinn wischte, bevor es wieder auf den Boden tropfen konnte.
Ich hatte kein Problem damit, Blut zu sehen. In der High School hatten wir schliesslich genug oft Frösche und Fische skizziert.
„Klar mache ich mir sorgen um dich. Das ist eine echt dumme Frage."
Murmelte ich und zog ihn hinter mir her.
„Finde ich nicht."
Erstaunlicherweise liess Damon es zu, dass ich ihn zur Couch führte.
„Setz dich, ich hole den Verbandskasten. Das muss ich desinfizieren."
Er schnaubte.
„Malia, das ist echt nicht nötig."
„Doch! Also setz dich gefälligst hin und halt die Klappe!"
Keifte ich ihn an und hielt mir dann sofort eine Hand vor den Mund. Wow, dass ich so ausrasten würde hatte ich selbst nicht gedacht. Damon anscheinend auch nicht.
Denn er hatte beide Brauen angehoben. Dann zuckte aber ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht und er liess sich langsam auf das weiche Sofa sinken.
„Alles klar. Ich mag es, wenn du so herrisch bist."
Ich ignorierte die Hitze, die mir ins Gesicht schoss und wuselte eilig zum Wandschrank, wo ich den schweren Arzneikoffer raus holte, den Malika immer dort verstaute. Naja, wenn man mit Typen zusammen lebte, die Drogen und Waffen dort aufbewahrten, wo andere Leute ihre Wäsche aufhingen, musste man wohl auf sowas vorbereitet sein.

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