17-Nachtgolfen

Die kalte Nachtluft traf mich wie eine Wand. Ich schauderte und straffte dann die Schultern. Der Wind trocknete meine Tränen und ich zwang mich, den Tränenfluss zu stoppen.
Jetzt stand ich also da, in der kalten Herbstluft, um Elf Uhr abends. Ohne Ersatzkleidung und keinem Plan, wohin ich gehen sollte.
Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Als mir klar wurde, dass ich das nicht hinbekam, musste ich mich neu orientieren.
Langsam begann ich die Strasse entlang zu laufen.
„Reiss dich zusammen, Malia. Du kannst logisch denken. Also tu es."
Ich atmete tief ein, während ich mich aus dem Lichtpegel einer Lampe am Strassenrand entfernte, auf dem Weg zur nächsten. Es war ruhig und ich hörte nur den Wind, der an meinen Haaren zerrte.
Ich musste als erstes irgendwo unterkommen. Ich kannte nur niemanden ausserhalb der Crew. Ach doch, Phillip. Aber ihn kannte ich nicht wirklich. Und ausserdem wäre es doch komisch, ihn anzurufen und im selben Atemzug noch zu fragen, ob ich bei ihm schlafen konnte. Nein, definitiv nicht.
Ich zögerte. Aber er war nett. Vielleicht würde er mir helfen? Wenn ich ihm einen verständlichen Grund lieferte? Ich zog mein Handy hervor. Fünf verpasste Anrufe. Zwei von Andrew, drei von Kervin. Ich schluckte. Beim Gedanken an das, was gerade passiert war, bildete sich ein Kloss in meinem Hals. Nein, daran durfte ich jetzt nicht denken.
Ich suchte Phillips Nummer raus, die er mir ja gestern im Krankenhaus gegeben hatte. Gestern, als alles noch in Ordnung gewesen war. Ich kniff die Augen zusammen. Ich musste echt anfangen, an meiner mentalen Stärke zu arbeiten.
Ich tippte auf anrufen und wartete. Es tutete. Mehrmals. Aber Phillip nahm nicht ab.
„Mist", fluchte ich. Irgendwie war ich aber auch erleichtert, denn ich hätte gar nicht genau gewusst, was ich ihm hätte sagen sollen.
Dann rieselte es mir wie Schuppen von den Augen.
„Mandy!"
Ich tippte hastig ihren Namen ein.
Sie nahm bereits beim zweiten Mal klingeln ab.
„Hallo, Malia. Was gibts?"
Ich kam ohne Umschweife zur Sache.
„Hei, bist du noch im Krankenhaus?"
Fragte ich.
„Nein, heute morgen wurde ich entlassen. Ich bin jetzt zuhause, wieso?"
Ich atmete erleichtert ein.
„Ich habe eine echt dringende Bitte an dich. Ich muss für eine Weile irgendwo unter kommen. Kann ich zu dir? Es wäre nur für ein paar Wochen! Bis ich etwas eigenes gefunden hätte."
Sie klang überrascht.
„Aber...wieso denn das? Ich dachte du lebst bei Mia und ihrem Bruder? Ist was passiert?"
Ich versuchte, nicht gequält zu wirken.
„Erzähl ich dir dann später. Aber kann ich zu dir kommen?"
„Ja naja, es ist etwas ungünstig. Du weisst schon, die ganzen Anwälte die momentan ein und aus gehen..."
Ich hätte schreien können. Komm schon Mandy!
„Ich habe dir dein Leben gerettet, Mandy. Schon vergessen? Du schuldest mir was. Bitte", schob ich flehend hinterher.
Sie seufzte, stimmte dann aber zu.
„Okay, du kennst ja die Adresse. Nimm dir einen Uber! Ich sag Christin, sie soll dir ein Gästebett bereit machen."
„Danke, danke dir! Ich erkläre dir alles wenn ich bei dir bin."
„Okay, bis gleich."
Als sie aufhing, wäre ich vor Erleichterung fast in mich zusammen gesunken. Als ich beschlossen hatte, per Sofort auszuziehen und Damon seinen Wunsch erfüllte, hatte ich nicht bedacht, dass ich dann vielleicht hätte auf der Strasse schlafen müssen. Aber Gott sei Dank hatte ich bei Mandy noch einen Gefallen offen. Hoffentlich würde sie mich nicht auch raus schmeissen.
Mein Handy klingelte.
Jetzt war es Mia. Ich lehnte ab, schrieb ihr aber zurück, dass ich auf dem Weg zu Mandy war. Sie verkündete, mich dort zu besuchen, sobald sich die Umstände zuhause etwas beruhigt hatten. Also lief anscheinend immer noch alles drunter und drüber. Konnte mir egal sein. War es aber nicht.
Ich bestellte mir einen Uber, mit dem ich die ganze Fahrt über kein Wort redete. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach.
Ich verstand Damon nicht. Es hatte alles so echt gewirkt, die Nacht zuvor. Es hatte gewirkt als würde er genauso empfinden wie ich. Er hatte glücklich gewirkt und der Impuls für etwas Exklusives war ja auch von ihm gekommen.
Ich rieb mir über die Augen. Aber als ich ihm meine Gefühle gestanden hatte, hatte er nicht dasselbe getan. Ja, er hatte mir gesagt das er mich will, aber das hatte er von Anfang an klar gemacht. Er hatte aber nie bestätigt, dass er auch so für mich fühlte, wie ich für ihn. Ich presste die Lippen zusammen. Ein kleiner Teil in mir wollte daran glauben, dass das alles ein blöder Streich war. Aber es ergab Sinn, je mehr ich darüber nachdachte. Und das Schlimmste war, Damon war nicht einmal unehrlich zu mir gewesen. Er hatte mir keine Gefühle vorgespielt oder über eine Zukunft geredet. Er hatte mir sogar ins Gesicht gesagt, dass ich ihm zu sehr vertrauen würde, dass ich jemand anderen verdienen würde. Das alles waren leuchtend rote, grosse Flaggen, die jeder Blinde doch hätte erkennen müssen. Aber ich hatte nunmal erfolgreich die Augen verschlossen gehabt. Und jetzt zahlte mein zersprungenes Herz den Preis. Es fühlte sich an wie ein Scherbenhaufen, der in immer kleinere und schmerzhafter spitzige Teile zertrümmert wurde, wann immer ich an Damon dachte.
Ich blinzelte die feuchten Tränen weg und räusperte mich, als mir der Uber einen besorgten Blick zuwarf. Ich war froh, dass er trotzdem nichts sagte.
Mandy tat das allerdings sehr wohl.
Ihre ersten Worte, als ich aus dem Uber stieg und im Eingangsbereich ihres Hauses eintrat, waren: „Du siehst beschissen aus. Was ist passiert?"
Ich erzählte ihr alles, was gab es denn schliesslich jetzt noch geheim zu halten. Während ich das tat und sich ihre Augen abwechselnd weiteten und sie sie dann zusammen kniff, führte sie mich durch den riesigen Empfangsbereich, vorbei an einem schick aussehenden Wohnzimmer mit einem riesigen Tisch in der Mitte, eine grosse, breite Treppe hinauf und vorbei an vielen Gemälden bis hin zu einem grossen und geräumig aussehenden Zimmer, dessen Tür weit offen stand.
Als sie mich hinein schob, schüttelte sie dabei den Kopf.
„Er hat ohne Witz gesagt, du sollst dein langweiliges Leben weit weg von ihm leben? Und er hat dich einfach raus geworfen?"
Ich verzog kläglich die Lippen und schniefte bitter.
„Ja...und ich dachte alles wäre perfekt, weisst du."
Erstaunlich mitfühlend drückte die dunkelhaarige Schönheit meine Schulter.
„Ich weiss. Dieses Arschloch! Ihm werden wir zeigen wie toll dein Leben ist."
Sie schnaubte und verschränkte trotzig die Arme. Ich hingegen setzte mich auf das grosse, wirklich grosse und frisch bezogene Bett, dass in der Mitte vom Zimmer stand, umringt von einer Kommode und einem alt aussehenden, fast schon antiken Kleiderschrank. Dann zog ich die Beine an die Brust und legte erschöpft den Kopf auf die Knie.
„Ich bin einfach traurig. Und verletzt. Er wusste wie...besonders das für mich war. Ich hätte ihm niemals zugetraut, mich danach so zu behandeln. Das alles passt einfach nicht..."
Mandy unterbrach mich, indem sie weise ihren Finger vor mir hin und her wedelte.
„Oh doch, und wie das passt. So machen es die Männer, sie lassen dich fühlen als ob du ihnen vertrauen könntest,  sie erschleichen nach und nach alles, was sie von dir wollen. Und wenn sie es haben, dann lassen sie dich fallen. Aus allen Wolken, auf die ihr zuvor geklettert seid."
Ich schluckte. Das war mies.
„Aber wieso?"
Hauchte ich und spürte, wie sich wieder Tränen in meine Augen kämpften.
„Weiss ich nicht. Vielleicht ist es ein Gefühl von Macht, oder Kontrolle. Keine Ahnung was sie sich denken, vielleicht denken sie auch einfach gar nichts."
Sie hob mein Kinn an und sah mich fest entschlossen an.
„Aber dir seinetwegen die Augen aus dem Kopf zu heulen, das bringt nichts. So gewinnt er. Trockne jetzt erstmals deine Tränen, schlaf hier so lange du willst, bis du etwas gefunden hast, und danach fängt dein Leben erst an."

Ich tat wie sie gesagt hatte. Ich schlief in dem weichen, nach frischem Weichspüler riechendem Bett mit dem puffigen Kissen, bis mich die Sonnenstrahlen am nächsten Tag aufweckten.
Kurz dachte ich, dass ich noch in meinem alten Zimmer schlief und gleich irgendwer durch das Loft brüllte, dass es jetzt Frühstück gab. Aber so war es nicht. Ich begann zu weinen, verkroch mich nochmals im Bett und blieb auch dort.
Irgendwann am Nachmittag, zwang mich Mandy dann, mich frisch zu machen. Ich hatte ein eigenes Badezimmer, dass ich letzte Nacht gar nicht entdeckt hatte, dabei war die Tür gleich links an der Wand. Danach musste ich mit ihr etwas Essen.
Es war sehr ungewohnt.
Im Loft knallte man sich das dampfende Essen vor die Nase. Hier servierte eine Servicekraft fein säuberlich einen Teller mit schön angerichtetem Spiegelei, Müslischale und Brot mit Marmelade.
Die freundlich drein schauende Frau hiess Christine, wie Mandy sie vorstellte. Sie trug eine eher klassische Hausmädchenuniform. Schwarz, mit weissem Kragen und einer ebenso sauber strahlenden weissen Haube auf dem Kopf. Sie würde sich um all meine Wünsche kümmern, hatte Mandy verkündet. Es war mir aber schon unangenehm genug, dass ich meinen Teller nicht selbst in die Küche zurück trug. Ich hatte bis zu diesem Tag nicht mal gewusst, dass es noch sowas wie Bedienstete in Atlanta gab.
Nach dem Essen wollte mich Mandy zum Raus Gehen bewegen, aber so weit war ich noch nicht.
Stattdessen überredete ich sie, Eis essend einen traurigen Film nach dem anderen zu gucken, bei denen sogar sie selbst eine Träne verdrückte. Dabei sassen wir in meinem abgedunkelten Gästezimmer. Für welches ich mich nebenbei an die tausend Mal bedankt hatte.
Mandy hatte nur abgewunken und gesagt, ich könne so lange bleiben wie ich wolle, Platz hätte es ja genug.
So vergingen zwei, drei Tage, in denen ich mich in meinem Leid sonnte und Damon nachweinte. Dem Damon, dem ich mein Herz geschenkt hatte und eigentlich der Überzeugung gewesen war, dass er gut darauf aufpasste.
Tja, so irrte man sich.
Irgendwann hatte ich keine Tränen zum Heulen mehr. Es tat immernoch weh und ich war auch immernoch traurig, aber ich war imstande, die Gedanken mal für einige Stunden beiseite zu schieben. Das verdankte ich hauptsächlich meiner Wut, Damon gegenüber. Er hatte mich hart verletzt und kam damit ungestraft davon. Ich wollte wegen ihm keine Tränen mehr vergiessen.
Mandy fand diese Einstellung natürlich toll.
Auf meine Idee hin, mein Zeug möglichst bald aus der Wohnunt zu holen, lehnte sie ab.
„Das reisst nur wieder Wunden auf, wenn du ihn siehst", hatte sie geantwortet. Ich sollte meine Kleidung lassen wo sie war und stattdessen ihre benutzen. Die Möbel würde sie irgendwann in eine ihrer Garagen einstellen lassen. Genaueres sagte sie nicht. Es war mir aber auch recht, selbst wenn ich wusste, dass ich meine Möbel nicht ewig dort lassen konnte. Aber weg werfen würden sie meine Sachen nicht, da war ich mir sicher. Ausserdem hatte ich meine Miete für den September bereits gezahlt, hatte also legal gesehen noch einen Monat Schonfrist.
Es war mir sowieso alles recht, solange ich nicht dorthin zurück musste. Ich wollte Damon nicht sehen, egal wie sehr ich es vermisste, in diese tiefgrünen Augen zu blicken. Und ich vermisste auch die anderen. Nicht alle, wenn ich ehrlich war, aber die Meisten. Andrew und Kervin hatten mir geschrieben, genauso wie Colin und natürlich Mia. Aber keiner hatte sich zu meinem Rausschmiss geäussert. Nur versichert, dass wir in Kontakt bleiben würden, dass wir immernoch Freunde waren. Und Mia hatte mir ab und zu Worte des Komforts geschrieben. Sie hatte versucht mich zu überzeugen, das schon alles wieder gut kommen würde, aber ich wisste so gut wie sie, dass es das nicht tat. Der Traum, den ich gedacht hatte zu leben zu beginnen, war geplatzt.
Schliesslich konnte ich mich auch überwinden, meine Mutter anzurufen. Es war das Erste Mal seit langer Zeit. Sie freute sich, von mir zu hören. Wir hatten eine eher distanzierte Beziehung, seit ich ausgezogen war, aber das war schon okay. Es war halt schwer für sie, ihr kleines Mädchen loszulassen, nachdem es jahrelang nur uns zwei gegeben hatte.
Und als ich ihr die Ohren wegen meinem gebrochenen Herzen vollheulte, war sie schon wieder ziemlich die Alte. Sie zeterte über das männliche Volk, drohte Damon allerlei Unheil an und versprach mir dann, dass noch viel bessere Männer kommen würden. Und dass der Schmerz verschwinden würde. Das Übliche eben. Und sie freute sich sehr, als ich ihr meine Noten mitteilte. Sie war stolz, das konnte ich hören. Es tat gut, ihre Stimme zu hören. Ich würde sie bald mal wieder besuchen. Das hatte ich ihr versprochen, bevor wir uns erneut fünf Minuten lang verabschiedet hatten.
Danach vergingen erneut einige Tage, bis ich eine volle Woche bei Mandy hauste. Unterdessen war ich mit Christin, dem Hausmädchen, ziemlich dicke. Da ich es nicht ganz in Ordnung fand, eine andere Person so herum zu kommandieren, half ich ihr lieber, wann immer Mandy nicht im Haus war. Ich half ihr beim Sauber machen und dem Kochen. So konnte ich auch meinen kleinen Beitrag dazu leisten, als Dankeschön dass ich hier umsonst wohnen und essen durfte. Ich begann, in meinem Zimmer wieder die Selbstverteidigungsübungen durchzuführen, die mich Damon gelehrt hatte. Und ich sah mit weitere Übungen an, um noch mehr dazu zu lernen. Ob es wirklich was brachte, wusste ich nicht genau, aber ich fühlte mich trotzdem etwas besser. Und es halt mir dabei, mich abzulenken. So vergingen die Tage, in denen ich nichts wirklich produktives anpackte.
Heute hatte endlich Mia angerufen und nachgefragt, ob sie mich bei Mandy besuchen kommen konnte. Meine Gastgeberin willigte ein, bestand aber darauf, dass ich am Abend mit ihr eine Runde Nacht-Golf spielen ging. Als Ablenkung. Ich willigte ein.
Als Mia ankam bestand sie auf Privatsphäre, obwohl Mandy liebend gerne bei allem mitgehört hatte. Widerwillig gestand sie uns dann aber zu, uns in das Gästezimmer zu verziehen.
Mia hatte die ganze Zeit ziemlich ernst gewirkt, aber als ich die Türe hinter uns schloss, fiel sie mir direkt um den Hals.
Ich schnappte nach Luft und schlang aber auch sofort die Arme um meine beste Freundin.
„Ich habe dich total vermisst", schniefte Mia und ich schluckte. Wehe ich fing wieder an zu heulen. Das verbot ich mir selbst.
„Ich dich auch", seufzte sie.
Mia liess mich erst los, nachdem sie mir fast alle Rippen gequetscht hatte.
Sie sah wieder fabelhaft aus. Heute war sie fast ganz in Weiss gekleidet. Eine lockere schwarze Jeans mit zerrissenen Knien, passende weisse Boots und ein weisser Strickpulli. Die schwarzen Haare trug sie hoch.
Sie schmiss sich bedenkenlos auf das Bett.
„Es ist so ätzend, seit du weg bist."
Fing sie sogleich an. Ich verzog die Lippen.
„Ja."
„Lebst du hier gut? Total nett von Mandy, dich hier leben zu lassen."
Ich nickte. Mia wusste ja nichts von ihrer Überdosis. Das hatte Damon mich gebeten, für mich zu behalten. Und obwohl ich eine unglaubliche Wut auf ihn hatte, hielt ich mein Wort.
„Ja, ihre Eltern sind auf Geschäftsreise. Sie hat mehr Platz als sie nutzen kann, also störe ich hier nicht gross."
Mia blickte mich aus ihren grossen, grünen Augen an. Sie erinnerten mich an ihren Bruder. Also sah ich weg. Es war eine Weile still. Es war merkwürdig, meine beste Freundin so lange nicht gesehen zu haben. Ich konnte die Entfernung zwischen uns spüren.
„Es tut mir so leid", platzte es dann gleichzeitig aus uns beiden heraus.
Verwirrt sah ich sie an. Sie wirkte ähnlich überrascht.
„Wieso tut es dir denn leid?"
Ich schluckte.
„Ich habe dir verschwiegen, dass zwischen Damon und mir was gelaufen ist. Dabei habe ich dir ein schlechtes Gewissen eingeredet, weil du mich bezüglich der Drogen angelogen hast. Ich bin kein Stück besser gewesen."
Sie strich sich nachdenklich eine Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte.
„Ja, ich hatte mir ehrlich gesagt schon gedacht, dass zwischen euch etwas läuft."
Ich blinzelte ungläubig.
„Was? Und wie denn?"
Sie zuckte die Schultern. Mit der freien Hand, die jetzt nicht damit beschäftigt war, an ihrem Pulli unsichtbare Fusseln auszureissen, klopfte sie aufs Bett. Ich setzte mich.
„Naja, ihr habt euch ständig angezickt, aber wenn man eure Blicke dabei beobachtet hat, hat man das ziemlich schnell erkennen können. Ihr hattet so eine Anziehung, als würdet ihr euch entweder gleich umbringen oder Sex haben."
Sie schnippte einen gefundenen Fussel von ihrem Finger, nachdem sie ihn gründlich betrachtete.
„Ausserdem hatte er bei dir diesen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Den hat er sonst nur bei mir. Das hat mir dann alles bestätigt."
Ich starrte auf den Boden. Ja...so mochte es wohl gewesen sein. Aber jetzt nicht mehr.
„Wieso hast du mich dann nie darauf angesprochen? Wenn du es vermutet hast."
Sie lächelte leicht.
„Naja, ich dachte mir, dass du dann schon mit mir drüber reden würdest, wenn du es für richtig hältst."
Ich fühlte mich noch mieser, weil sie so verständnisvoll reagierte, während ich ihr damals überdramatisch fast die Freundschaft gekündigt hätte.
Das war aber sowieso alles vorbei.
„Das ist vorbei."
Sprach ich es laut aus und meine Stimme hörte sich ziemlich verbittert an.
Sie legte mir eine Hand auf den Arm und seufzte.
„Ich weiss. Aber ich verstehe es nicht. Was ist passiert, dass er dich rausgeworfen hat? Habt ihr euch gestritten?"
Ich schloss die Augen. Damon hatte mit ihnen also auch nicht darüber geredet. Erstaunte mich nicht.
„Nein. Überhaupt nicht. Wir hatten am Abend zuvor ein Date. In einem Diner. Mit Abendessen und Wein und allem."
Ich linste zu Mia. Ihre Reaktion fiel wie zu erwarten äusserst überrascht aus.
„Was? Damon? In einem Diner?"
Ich nickte.
„Ja. Es war schön. Ich dachte wirklich er würde es ernst meinen."
Mia kniff die Augen zusammen und wartete darauf, dass ich weiter erzählte.
„Dann, zuhause, war das mit dem eingeschlagenen Fenster, wie du ja mitbekommen hast. Er hat vorgeschlagen, dass ich bei ihm schlafen könnte, weil ich echt Schiss hatte. Und naja dann habe ich ihm gesagt, dass ich Gefühle für ihn habe und wir..."
Ich brach ab.
„Nein."
Mias Kinnlade klappte herunter. „Sag mir nicht dass ihr Sex hattet!"
Ich nickte.
„Doch. Ich war mir total sicher, dass er es ernst meinen würde, weisst du."
Mia runzelte die Stirn.
„Aber warte, war das nicht dein..."
„Ja."
Sie schüttelte fassungslos den Kopf.
„Das glaube ich jetzt nicht. Damon würde sowas doch nicht tun. Er weiss, wie besonders das für dich war. Wieso sollte er dich direkt danach fallen lassen..."
Ich lachte wütend.
„Zuerst hat er es noch aussehen lassen, als wären wir ein Paar. Als würde er das auch wollen. Und ja, am nächsten Tag sah alles anders aus."
Mia mahlte mit den Kiefer. So sah sie ihrem Bruder ziemlich ähnlich.
„Was für ein Arschloch. Ich muss ihm echt die Leviten lesen. Dass er dir das antut...das hätte ich nicht von ihm erwartet. Echt nicht."
Sie wirkte nach wie vor ehrlich überrascht. Dabei musste sie ihren Bruder ja besser kennen als es sonst wer tat.
„Ja. Das hatte ich eben auch nicht gedacht. Aber bestimmt ist er jetzt glücklich. Alles ist wieder so wie er es am Anfang wollte."
Sie schüttelte den Kopf und liess sich nach hinten aufs Bett fallen. Dann starrte sie an die Decke.
„Nein, du weisst ja nicht, wie es momentan drunter und drüber geht bei uns.
Als du abgehauen bist, waren alle komplett ausser sich. Total aufgewühlt, weisst du. Jenny war ausser sich, dass er mit dir was angefangen hatte. Das gefiel ihr gar nicht."
Ich musste kurz grinsen.
„Das kann ich mir vorstellen."
Mia lachte.
„Oh ja! Und du hättest Kervin sehen sollen, er hat Damon fast eine Faust verpasst und ihn angeschrien, dass du seinetwegen weintest und wie er das verantworten könnte. Echt süss."
Ich musste lächeln. Ja, Kervin war zwar was Frauen anging selbst nicht besser, aber er war mir ein echt guter Freund.
„Ja, keine Ahnung. Malika hat sich in ihr Zimmer verzogen und Andrew wollte dich zurück holen. Er war wirklich schon mit einem Fuss im Auto! Aber Damon hat ihn aufgehalten. Irgendwie."
Ich seufzte.
„Und weil er Damon ist, hat er auf ihn gehört."
„Ja."
Sie senkte betreten den Blick.
„Dafür wollte ich mich auch entschuldigen."
Ich runzelte die Stirn.
„Wofür denn bitteschön? Du hast ja nichts getan."
Sie blickte mich aus traurigen Hundeaugen an.
„Das ist es ja. Ich war komplett aus der Fassung gebracht. Und ich habe nichts getan um dir zu helfen. Es war echt nicht okay, was er abgezogen hat. Aber es kam so plötzlich und..."
„Schon okay", unterbrach ich sie und suchte ihren Blick. Dabei drückte ich ihre Hand.
„Es ist schon okay. Dann sind wir wohl quit, würde ich sagen."
Sie lächelte langsam.
„Okay. Das klingt gut."
Ich seufzte.
„Ich will eigentlich nicht nochmals darauf zurückkommen, aber demfall hat sich Damon keinem von euch eklärt? Er hat es einfach getan, ohne sich dafür zu rechtfertigen?"
Mia wirkte mitfühlend.
„Es lässt dich nicht los...verständlich. Ich hätte gedacht, wenn mein Bruder wieder mit jemandem zusammen kommen würde, dann wärst du das. Aber ja, er hat es echt versaut. Und erklärt hat er es nicht."
Ich nickte.
„Okay."
Ich wandte mich ab, um einen Schluck der leckeren Limonade zu trinken, die mir Christin Literweise hoch brachte.
„Aber nicht dass du mich falsch verstehst, Malia. Ich kann mir zwar nicht erklären, wieso Damon diese Scheisse bei dir abgezogen hat, aber es geht ihm nicht gut damit."
Ich wurde hellhörig. Eigentlich sollte mich laut Mandys Rat nichts mehr interessieren, was mit Damon etwas zu tun hatte. Sonst würde er für immer in meinem Kopf herumspuken. Aber ich konnte nicht anders, als nachzuhaken.
„Wie meinst du das?"
Sie seufzte.
„Naja, es ist nicht so als ob er glücklich damit zu sein scheint. Ich verstehe es auch nicht. Er hat total miese Laune, er ist noch abweisender als sonst immer und nicht mal Jenny kann ihn aufmuntern. Dabei versucht sie echt alles."
Eifersucht stieg mir wie Galle die Kehle hinauf.
„Sie versucht alles?"
Mia schlug sich gegen den Kopf.
„Sorry, ich bin manchmal so unsensibel. Sowas wolltest du jetzt sicher am wenigstens hören. Ich plappere bevor mein Kopf mit denken nachkommt."
Sie sah mich zerknirscht an.
„Aber wenn es dich irgendwie tröstet, er würdigt sie keines Blickes. Er ist auch sonst einfach irgendwie...rastlos."
Mit desem Satz beendeten wir unser Gespräch über Damon. Ich verstand nicht, wieso keiner aus der Crew Damons Entscheidung bezweifelte oder hinterfragte, obwohl er keinem einen vernünftigen Grund geliefert hatte. Aber so wie ich es mir aus Damons Erzählungen im Diner zusammen reimen konnte, galt ihre Loyalität ihm gegenüber blind, nach allem was sie wahrscheinlich schon erlebt hatten. Und ich war eben doch nur eine Frau, die sie seit einem halben Jahr kannten. Nicht zu vergleichen.
Mia blieb noch etwas, plante mit mir das nächste Semester und verlor ein zwei Sätze über Colin. Ich wusste dass sie mir nicht unter die Nase reiben wollte, wie gut es ihr mit ihm ging, während ich in Liebeskummer versank. Aber ich freute mich ehrlich für sie.
Dann ass sie noch mit Mandy und mir zusammen zu Abend, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Nicht ohne mir zu versichern, bald wieder vorbei zu schauen.
Als sie weg war, erfüllte mich sofort wieder der Kummer. Ich hatte in meinem Leben noch kein gebrochenes Herz erlitten. Das war das erste Mal. Und hoffentlich würde es keine weiteren geben, denn dieses Gefühl war echt scheisse. Und ich wusste, dass ich das nicht verdient hatte. Darum wurde mir auch klar, wieso so viele Menschen einfach aufhörten, ihr Herz zu verschenken oder sich jemand neuem zu öffnen. Weil sie diesen Schmerz, dieses nagende Gefühl dass zu jeder Sekunde des Tages da war, nicht mehr erleben wollten. Das nannte sich Selbstschutz. Vielleicht würde ich das auch ausprobieren.

„Du musst mehr ausholen, Malia! Schlag den Ball mit Schwung ab!"
Schimpfte mich Mandy aus.
Guter Witz, ich sah den Ball ja nicht mal wirklich, so dunkel war es. Ich hatte bis zum heutigen kalten Samstagabend im September nicht einmal gewusst, dass es Nachtgolfen gab. Ich fand es eine ziemlich bescheuerte Idee, um ehrlich zu sein. Ich konnte ja schon bei Tag nicht Golfen, wie sollte ich es denn bei Nacht schaffen?
„Ich versuchs ja! Ich habe nur keine Ahnung wie ich diesen beschissenen Schläger halten soll!"
Verteidigte ich mich. Mandy seufzte. Sie schien mich für einen Hoffnungslosen Fall zu halten. Was ich auch war. Eindeutig.
Wir standen auf einem kleinen Hügel, es war so dunkel, dass nur die weit entfernten Schlaglichter einen schwachen Schimmer auf Mandys Silhouette und Gesicht warf. Sie sah gut aus. Erholt. Wir hatten gemeinsam den ganzen Alkohol im Haus weg geschüttet, genauso wie das Gras, dass sie noch besessen hatte. Und soweit ich es mitbekommen hatte, ging sie zu den ihr auferlegten Treffen und hatte sich auch sonst gut unter Kontrolle. Ich war sehr froh darüber.
Das schwere Eisen in meiner Hand glänzte metallisch, aber den Ball, der irgendwo daneben lag, konnte ich beim besten Willen nicht von dem weichen Gras unterscheiden, auf dem ich seit gut einer halben Stunde hilflos herumtrampelte.
In der Ferne konnte ich die Hochhäuser der Stadt sehen, wir waren für das Nachtgolfen extra mit dem Auto in einem Aussenbezirk gefahren. Weil es hier ruhiger war, hatte Mandy erklärt. Und es war tatsächlich ruhig. Seit dem ich in Atlanta lebte, hatte ich ganz vergessen, wie friedlich sowas war.
„Jetzt schlag endlich! Mein Gott wie kann man nur so ungeschickt sein", beschwerte sich Mandy entnervt und ich zog eine Grimasse. Die sie nicht bemerkte, weil es verdammt nochmals mitten in der Nacht und Stockdunkel war!
Aber sie hatte schon recht. Sie hatte das Loch in drei Schlägen gemeistert. Ich war schon bei Nummer 10 angelangt und befand mich immer noch in weiter Ferne von meinem Ziel. Ich hasste diesen Sport.
„Ich will nicht mehr, das macht echt keinen Spass", maulte ich und Mandy packte seufzend ihren Golfschläger in den schweren Ledersack, der auf der Tragfläche eines kleinen weissen Zweisitzers lag, welche die Erlaublis hatten, auf dem Golfplatz herum zu fahren.
„Na gut, ich gebs auf."
„Malia?"
Hörte ich eine Stimme hinter mir. Ich blinzelte erstaunt und drehte mich um. Obwohl ich seine Stimme schnell erkannte, dauerte es eine Weile, bis er nahe genug kam, damit ich auch sein Gesicht erkennen konnte.
„Phillip?"
Entgeistert starrte ich ihn an.
„Was machst du denn hier?"
Ja, welcher Mensch, der noch bei Sinnen war, spielte freiwillig Golf. Und dann auch noch im Dunkeln.
Sein sympathisches Gesicht tauchte vor mir auf, hinter ihm traten zwei Männer aus den Schatten. Wahrscheinlich Golfkollegen oder sowas.
„Na er spielt Nachtgolf, wie es eben alle Leute mit Geschmack tun", merkte Mandy äusserst zufrieden an.
„Genau," Phillip lachte und umarmte mich kurz zur Begrüssung.
„Ich wusste gar nicht, dass du auch Golf spielst", meint er dann.
„Tut sie nicht", mischte sich Mandy ein, die plötzlich neben mir stand. Sie sprach zwar mit Phillip, beäugte aber währenddessen seinen Kumpel. Nur Mandy konnte so schamlos sein und trotzdem damit durchkommen.
„Sie lernt es gerade, ist aber total schlecht darin."
„Ah, ja?"
Ich nickte frustriert.
„Ich krieg den Dreh einfach nicht raus", gestand ich und Phillip grinste. Dabei zeigte er seine feinen Grübchen. Süss. Irgendwie.
„Mach dir keine sorgen, Golf lernt man auch nicht einfach so von einem Tag auf den anderen. Mein Vater hat Jahre gebraucht, um es mir beizubringen. Ich dachte auch immer ich sei ein hoffnungsloser Fall!"
Mir gefiel seine Art, jede Situation irgendwie aufzulockern.
„Hm, wenn du das sagst."
„Ich wollte mich übrigens entschuldigen, dass ich nicht zurückgerufen habe", meinte er dann und kratzte sich verlegen am Nacken. Dabei liefen seine Wangen etwas rot an. Ja, das konnte ich erkennen. Wieso konnte der scheiss Golfball nicht auch rot sein.
„Ehm, was?"
Fragte ich überfordert.
„Na du hast mich doch angerufen, oder? Ich hatte die Nummer nicht eingespeichert, deswegen habe ich nicht abgenommen. Es kam mir viel zu spät in den Sinn, dass du es vielleicht sein könntest."
Achso, ja. In der Nacht als mich Damon raus geschmissen hatte, wollte ich zuerst ihn um Hilfe bitten, bevor ich dann den Gefallen von Mandy eingefordert hatte.
Es war mir irgendwie unangenehm. Was, wenn er dachte, ich hätte ihn mit einer bestimmten Absicht abgerufen?
Jetzt wurde auch ich rot. Hoffentlich sah er das nicht.
„Oh, ach ja, stimmt. Ach keine Ursache."
Betretenes Schweigen. Na toll, in sowas war ich echt beschissen. Bei Damon und mir hatte immer er den ersten Schritt gewagt. Hatte mich provoziert oder absichtlich meine Nähe gesucht. Er hatte mir immer irgend eine Gelegenheit geliefert, mit ihm zu reden oder zu interagieren. Phillip hingegen wirkte irgendwie scheu und verlegen. So wie ich eben. Und keiner von uns wusste, was er sagen sollte.
„Pah, und was das für eine Ursache ist! Sie wollte dich nämlich fragen, ob sie dich wieder sehen kann. Und du hast sie echt hängen lassen."
Mandy verschränkte vorwurfsvoll die Arme. Ich hätte mir mit meinem Golfschläger am liebsten ein Loch gebuddelt und wäre darin verschwunden.
Mein tödlicher Blick, den ich Mandy schenkte, ging in der Dunkelheit allerdings verloren.
Phillips Blick hingegen hellte sich auf.
„Ach...echt? Wow, dann hätte ich wohl abnehmen sollen, ich Idiot", scherzte er und ich wurde noch röter. Das sah er jetzt bestimmt.
„Oh ja, aber du kannst es ja immernoch wiedergutmachen", merkte Mandy mit gespitzten Lippen an.

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