|・「※ III ※」・|
[ Point of view: Yū Nishinoya ]
„Was war das?“, fragte ich erschreckt und schoss kerzengerade in die Höhe, wobei natürlich all die Wärme verschwand. Ich zog mir meinen Pulli sofort wieder an, so bitterkalt war es plötzlich.
„Ich weiß es nicht. Lass uns nachsehen.“
„Wie, nachsehen? Ich gehe da doch nicht raus! Ich habe dir doch von der Ausgangssperre erzählt!“
„Nein, das meine ich nicht. Es wird doch eine Eilmeldung geben müssen. Gerade jetzt ist doch Sendezeit der späten Nachrichten. Lass uns nachsehen.“
Ich nickte und stand vom Bett auf, um Asahi dann mit ins Wohnzimmer zu ziehen. Mein Herz pochte und meine Finger schwitzten vor Angst.
Im Wohnzimmer saß auch meine Mutter, die den Fernseher bereits eingeschaltet hatte.
Es herrschte bloß Stille. Wir alle waren gespannt und ängstlich zugleich, als dann tatsächlich die Zeichen für "Eilmeldung" fett in Rot in einer Ecke standen.
„Liebe Zuschauer, wir erhalten gerade eine Eilmeldung. Scheinbar wurden in der Nähe des zuletzt bekannten Aufenhaltsortes von Akito Korisuke Bomben gezündet.“
Bomben also.
Es war also soweit.
Es herrschte ein verdammter...Ich konnte es nur als Krieg betiteln. Das war kein normaler Aufstand mehr.
Es war vermutlich egoistisch, so zu denken, aber warum hier? Warum nicht woanders? Wieso musste Korisuke gerade heute in diesem Bezirk unterwegs sein?
„Wir haben einen Helikopter losgeschickt, der die jüngsten Ereignisse aufzeichnen wird und wir werden sie live übertragen.“
Das Bild wechselte und nun sah man einen Mann, wie er sich gefühlt halb aus dem Helikopter lehnte und vor Aufregung in sein Mikrofon schrie.
„Scheinbar sind es Bürger, die die Bomben gezündet haben! Mach 'ne Nahaufnahme davon!“
Die Kamera schwenkte und zoomte auf eine Truppe aus sowohl Männern als auch Frauen, die alle bewaffnet waren und hinter einem Mauerstück Deckung suchten, welches von dem bombadierten Gebäude sein musste.
„Ich will sie befragen.“, rief der Mann ins Mikrofon und schaute hektisch zwischen Bürgern und Kamera hin und her.
„Bist du verrückt?“, ertönte aufgebracht hinter der Kamera.
Plözlich regte sich etwas im Hintergrund. Ein zweiter Mann lief ins Bild.
„Entschuldigen Sie, raus aus dem Bild, wir sind live, verdammt!“, rief der Sprecher wieder, doch der Mann ignorierte dies, trat näher ins Bild und blieb stehen, ließ aber sein Gesicht ungesehen. Er sah anders aus als der Sprecher, trug eine andere Uniform, die mir doch so seltsam bekannt vorkam. Dann begann er, zu sprechen, sodass ganz Japan gebannt auf den Bildschirm starrte.
„Diese Botschaft richtet sich an ganz Japan. Wir befinden uns vor dem derzeitigen Aufenthaltsort von Akita Korisuke. Heute haben wir uns entschieden, dem ewigen Leid in Japan ein Ende zu setzen und Korisuke zu stürmen. Wir alle waren bloß Arbeiter Korisukes, die sich nun gegen ihn auflehnen wollen. Über die letzten Wochen haben wir diesen Anschlag geplant. Wir wussten, dass er heute in diesem Gebäude sein wird, weil wir ihn persönlich mit einer falschen Fährte hergelockt haben. Da wir, wie erwähnt, Arbeiter von Korisuke waren, war es uns ein leichtes, an die Waffen dafür zu kommen. Heute Nacht soll das Alles hier ein Ende finden. Wir kämpfen für unsere Freiheit, weil es unser Fehler war, dass es soweit kam. Solange Korisuke denkt, dass wir nicht fühlen, werden wir gar nichts ändern können. Wir werden ihnen zeigen, dass wir mehr sind, als wie er uns behandelt. Dafür kämpfen wir. Deshalb rufe ich dazu auf, sich uns anzuschließen oder sich in Sicherheit zu bringen.“
Wenn man die linke Seite des Bildes betrachtete, erkannte man, dass die Trupps weiter ins Gebäude vordrangen. Diese Nachricht diente also nicht hundertprozentig zur Erklärung für alle, sondern als Ablenkungsmanöver, sodass der Trupp weiter in das Gebäude eindringen konnte, aus welchem evakuierte Arbeiter bereits flüchteten, während Korisuke sich mit seinen Leibwächtern vermutlich die selbe Nachricht ansah und einen Fluchtweg suchte. Diese evakuierten Arbeiter schlossen sich aber dem Trupp sofort ohne Frage an, also mussten sie Bescheid wissen und sich aus der Gefahrzone, die Zone, wo das Gebäude bombadiert worden war, fern gehalten haben. Nevös spielte ich mit meinen Fingern. Ich wusste längst, dass mein Vater nicht zuhause war, weil er unter ihnen war. Und ich hatte fürchterliche Angst um ihn.
„Wir wissen, dass wir uns, falls Korisuke zusieht, nun verraten haben. Allerdings kennen Ihre Arbeiter sich genauso gut mit den Fluchtplänen aus, wie Sie selbst und einer unserer Trupps wartet bereits auf Sie.“
Das Nachrichtenprogramm schaltete nun auf eine zweite Cam, die einen Trupp zeigte, der eine Tür aufstieß.
In dem Raum befanden sich tatsächlich Korisuke, der sich gerade selbst auf seinem Fernseher von hinten sah und er drehte sich ruckartig um, sodass er nun genau in die Kamera blickte.
Die Stimme des Mannes, der die Rede gehalten hatte, wurde nun im Hintergrund eingeblendet.
„Wir werden nicht auf sein Niveau sinken und schießen, sondern ihn lediglich wegsperren.“
Vorbildlich, dachte ich, und betrachtete weiter voll Angst und Spannung die Ereignisse. Ich legte ängstlich meine kleine Hand in die von Asahi, der sie ermutigend drückte und mir in dir Augen sah. Als würde er sagen, es wird alles gut.
Doch es war ein Fehler. Im nächsten Moment stürmten dunkelblau gekleidete Wachen von hinten an den Trupp und schossen sofort drauf los. Nur der Kameramann blieb, auf Korisukes Nachfrage, unversehrt.
Geschockt schlug ich mir die Hände vor den Mund. Dunkelblaue Klamotten. Das war eine der Nachtpatroullien, die sich um die Einhaltung der Ausgangssperren kümmerten. Sie mussten diese Einheit vergessen haben auszuschalten.
Korisukes Angst verwandelte sich nun in ein Grinsen und er lief auf die Kamera zu.
„Wenn ihr es so wollt... Dann kämpfen wir eben.“
Er nahm jemandem die Waffe aus der Hand.
„Aber dann mit meinen Mitteln. Hiermit lege ich jedem Bürger Japans, egal, wer es ist...“
Er lud die Waffe.
„...Die Todesstrafe auf.“
Dann drückte er demonstrativ ab. Die Kamera fiel mit dem Kameramann zu Boden und Korisuke schoss darauf, sodass das Bild verschwand und man nun wieder die erste Cam sah.
Der Redner hielt sein Funkgerät in der Hand. Er musste alles mitgehört haben.
„Fliegt runter.“, befohl er dem Piloten, der auf seiner Seite zu sein schien, da er auf Diesen hörte.
„Wir haben es auf die freundliche Art versucht. Wir haben Niemanden umgebracht und haben friedlich für unsere Grundrechte gekämpft. Wir sind mit der Bombe nur einen kleinen Schritt weitergegangen, und dennoch gibt es keine Verletzte. Wir wollten ihn verschonen. Und doch war es falsch.“
Der Helikopter flug nun schon fast unmittelbar über dem Boden.
Der vorhin noch so friedlich, hoffnungsvoll erscheinende Redner, welcher nun verbittert klang, zeigte nun endlich sein Gesicht.
Wir alle schnappten ungläubig nach Luft.
„Also gibt es keine andere Möglichkeit, als mit Gewalt zu antworten.“
Mit diesen Worten sprang er in die Tiefe und schoss von unten in die Kamera, sodass es ein Störsignal gab und der Bildschirm nun schwarz war.
Meine Mutter schaltete geschockt den Fernseher aus.
Ich musste das alles erst mal verarbeiten, wie jeder andere im Raum auch.
Ich hatte mit Allem gerechnet, aber nicht mit so etwas. Warum? Wie konnte es nur so weit kommen?
Wieso hatte mein Vater nun zu Gewalt aufgerufen?
Ja, der Redner war tatsächlich mein Vater. Und er hatte zu Gewalt aufgerufen, obwohl er wissen müsste, dass die Antwort auf Feuer mit Feuer nur ein größeres Feuer erzeugen würde. Und so war es auch.
[ Point of view: Asahi Azumane ]
So fing mitten in der Nacht der Krieg an. Es flogen erneut Bomben und wir schreckten immer wieder zusammen, wenn es erneut knallte oder man Mauerstücke in der Nähe bröckeln hörte.
„Was wollen wir jetzt machen?“, fragte Noya, welcher sichtlich geschockt starr stand. Aber mir ging es auch so. Ich hatte das Gefühl, dass meine Knie aus Pudding waren, der von meiner Schockstarre in Beton verwandelt wurden.
„Ich weiß es nicht...“, flüsterte seine Mutter. Sie tat mir so unfassbar Leid. Ihr Mann hatte ganz Japan zu Gewalt aufgerufen und war da draußen, er könnte genauso gut schon tot sein. Ihr Sohn war verängstigt und sie musste Verantwortung für ihn und mich tragen, wo sie selbst nicht einmal wusste, wie sie sich selbst schützen sollte.
„Wenn wir hier bleiben, sterben wir. Es muss nur eine Bombe hochgehen und das Gebäude stürzt ein. Wir müssen uns verstecken. Keiner von uns hier hat Waffen oder kann sich wehren, also können wir da nicht raus. Wir brauchen einen Unterschlupf. Wie wäre es mit dem Keller?“,schlug ich also vor, um nicht ganz nutzlos zu sein.
„Wenn das Haus einstürzt, kommen wir nicht mehr raus und wir verhungern dadrin.“, erwiderte Noya's Mutter.
„Dann müssen wir uns eben was anderes suchen. Hierbleiben ist keine Option. Wir müssen hier verdammt noch mal weg und je länger wir hier reden, desto schneller könnten wir sterben.“, sagte Noya, der noch immer bei mir Schutz suchte.
„Dann müssen wir draußen Schutz suchen. Eine andere Möglichkeit bleibt uns nicht.“
So hart diese Worte auch waren, es stimmte. Wo sollten wir auch hin? Draußen konnten wir wenigstens flüchten und mit dem Strom schwimmen, hier drinnen würden wir zusammen mit dem Gebäude untergehen.
„Dann los.“, sagte Noyas Mutter und zog ihre Schuhe an.
Wir taten es ihr gleich.
Mit einem Blick auf Noya bemerkte ich, wie schwer auch ihm das Ganze fallen musste. Wir würden nun das Gebäude verlassen, was vor zwei Stunden noch sein sicherer Zufluchtsort war und jetzt wie ein Minenfeld aus Gefahren erschien. Er würde vermutlich nichts von all dem hier je wiedersehen. Wer weiß, wie lange dieser Krieg andauern würde. Wie lange wir ein Teil davon sein würden.
Unsere einzige Möglichkeit war es, das Land zu verlassen. Da ganz Japan nun Bescheid wusste, konnte es nicht lange dauern, bis auch in den hintersten Präfekturen Aufstände herrschten gegen Korisuke und seine Verbündeten.
So verließen wir also das Gebäude, ich und Noyas Mutter im Schlafanzug. Aber draußen waren ebenfalls andere Familien, die mit ihren Kindern ängstlich nach Möglichkeiten suchten, sich zu verstecken. Niemand wagte, etwas zu sagen. Es war beängstigend. Dunkel, still, erdrückend. Jede Sekunde konnte etwas passieren. Jede Sekunde konnte jemand von uns sterben.
„Wir haben keine Wahl. Wir müssen uns hinter einem Gebäude verstecken und warten. Mehr können wir nicht tun.“
Also drückten wir uns hinter eine Hauswand und hofften, dass wir das überleben würden. Dass wir bald hier weg kamen und es einfach bitte schnell ein Ende nahm.
Wieder griff Noya nach meine Hand, die ich sofort ergriff. Wer weiß, wie oft ich noch die Gelegenheit dazu haben würde.
Doch es dauerte nicht lang, bis dieser einigermaßen schöne Moment zerstört wurde. Innerhalb eines Herzschlags knallte es unfassbar laut. Nur wenige Sekunden später bröckelte es ganz in der Nähe. Reflexartig zog ich Noya vom Gebäude fort, das unmittelbar danach einstürzte.
Ich zog ihn immer weiter, einfach weg von hier. Es war unsicher hier. Wir mussten weiter laufen, ein neues Versteck finden. Doch plötzlich wehrte er sich. Er riss sich los und lief zurück. Doch ich bemerkte zu spät, warum es so war. An der Stelle, wo wir uns hingehockt hatten, lag nun ein großer Teil einer Hauswand, entzweit und mit einer großen Staubwolke drumherum. Und unter den Überbleibseln machte sich eine Blutlarche breit.
„Nein...“, flüsterte Noya und rannte darauf zu. Ich hielt ihn zurück.
„Lass mich los!“
„Noya, das willst du nicht vom Nahen sehen, wir müssen weiter!“
Er versuchte weiterhin, sich von mir loszuschütteln. Aber ich ließ ihn nicht.
Ich hatte natürlich Verständnis dafür. Es war immerhin seine Mutter. Aber er sollte ihr immer lächelndes Gesicht in Errinnerung behalten, nicht ihren toten Körper, der nun bloß eine leblosse, rote Masse aus zerquetschten Knochen und Gedärmen war. Ich wollte ihm lediglich dieses Trauma ersparen. Nach langem Ankämpfen hörte er aber auf und sank einfach wie ein Klotz zu Boden. Ich setzte mich zu ihm und hielt ihn einfach in den Armen fest, um ihm zu zeigen, dass er noch immer nicht allein war. Auch, wenn für ihn gerade eine Welt zusammen gebrochen sein musste.
Es war meine Schuld. Ich hätte sie beide mitziehen müssen.
Ich wollte ihm all die Zeit geben, die er brauchte, um diesen Verlust zu verarbeiten. Aber das wäre zu lange. Wir waren hier ungeschützt und könnten jederzeit sterben. Ich strich ihm noch einmal über den Kopf und half ihm dann auf.
„Ich bin noch hier, okay? Aber wenn wir uns nicht in Sicherheit bringen, dann überleben wir das nicht.“
Er nickte und folgte mir. Und wieder einmal zog ich meinen Hut vor ihm und seiner inneren Stärke. Das war sein großes Talent. Alles einstecken, aber nie unter dem Gewicht des Pakets, das er trug, zusammenbrechen. Da war ich das Gegenteil. Aber ich wollte das nicht zeigen. Ich war nicht derjenige, der beide seiner Eltern innerhalb eines Tages verloren hatte. Ich musste Nishinoya nun unterstützen, wo immer ich konnte und durfte nicht selbst einstürzen. Denn das war schließlich erst der Anfang.
[ Point of view: Yuu Nishinoya ]
Ich wusste nicht, wie lange ich das alles noch aushalten würde. Der Verlust beider meiner Eltern traf mich tiefer, als Asahis Abwesenheit es getan hatte. Ich fühlte diese Leere in meinem ganzen Körper, der sogut wie gelähmt war, ständig dieser Druck im ganzen Körper, wenn in mir Tränen aufstiegen. Ich wollte alle meine Gefühle verstecken und alles dafür tun, um jetzt klar denken zu können. Wie sollte ich das ohne Verstand überleben? All diese lauten Geräusche. Die Bomben, Schreie, die fallenden Mauern. Mal hörte ich alles so intensiv, dass ich glaubte, dass mir die Ohren abfallen würden, mal konnte ich es komplett ignorieren. Alles, was ich tun konnte, war rennen. Ich konnte nicht denken, mein Kopf war leer, ich war wie taub. Asahi zog mich, wie ein kleines Mädchen ihren Puppenwagen durch die Gegend schob, hinter sich her, warnte mich vor fallenden Mauerstücken. Er war der einzige Grund, weshalb ich überhaupt noch am Leben war. Zum Einen, weil ich gerade gar nicht den Kopf hatte, um mich hier in Sicherheit zu bringen. Zum Anderen, weil er alles war, das ich noch hatte. Ich hatte kein Zuhause mehr, keine Eltern, meine anderen Freunde... Ich konnte nur hoffen, dass ich auf meiner Flucht nicht auch ihre Leichen finden würde. Er war aber da, rettete mir das Leben und gab mir einen Grund, nicht einfach freiwillig in den Tod zu laufen. Es gab genug Möglichkeiten. Ich konnte in eines der Feuer laufen, die hier und da loderten, ich hätte mich neben irgendein Gebäude stellen können und warten, bis eine Bombe es zum Einsturz bringt und mich erschlagen lassen, oder ich wäre einem der Trupps von Korisuke direkt in die Hände gelaufen und hätte mich erschießen lassen. Aber da war Asahi. Wenn ich ihn verlassen würde, wäre ich vielleicht kein hilfloser, nutzloser Klotz am Bein mehr und er müsste nur noch auf sich selbst aufpassen. Aber wer konnte mir versichern, dass er es schaffen würde? Wenn ihm etwas passiert, dann gäbe es offiziell keinen Grund mehr für mich, am Leben zu sein.
Wir bogen in eine dünne Seitengasse ein. Mittlerweile konnte ich wieder etwas denken und meine Sinne kehrten auch langsam wieder zurück. Ich roch nun all den Schweiß, das Blut und das Feuer, hörte jeden Schrei, jeden Schuss und jeden Aufprall von Steinen in der Nähe. Ich schmeckte den körnigen Staub und Dreck, sah, dass die Straße noch unversehrt und sicher erschien und fühlte all die Angst, den Schmerz und die Wut ganz deutlich. Aber auch merkte ich, dass ich physisch am Ende war. Meine Beine zitterten, ich kriegte kaum noch Luft wegen dem ganzen Staub und Feuer und mir war so was von warm vom Laufen.
„Asahi... Ich... Kann nicht mehr. Bitte. “, keuchte ich und trocknete meinen Schweiß, der meine Stirn und meinen Nacken hinablief. Angstschweiß. Und auch Schweiß aufgrund der Anstrengung.
„Noya, wir können hier keine Pause machen.“
„Ich kippe gleich um. Kein Witz. Bitte. Nur fünf Minuten.“, bettelte ich. Natürlich war das eine dumme Bitte. Auf einer engen, verlassenen Straße mit ellenlangen Häuserreihen ohne Zwischenräume konnte man sich nicht verstecken, außer sich flach an die Wand zu drücken. Aber dann konnte man sich auch gleich mit einem Pappschild um den Hals in die Mitte der Straße stellen, auf dem "Bitte erschießt mich" steht. Aber was nützt es uns, wenn ich irgendwann auf dem Boden zusammenbreche?
Plötzlich knallte es direkt neben uns. Ich hätte zehntausend Yen darauf verwettet, dass mein Ohr definitiv hin war. Ich hörte mit rechts nichts mehr. Ich hörte gerade noch so, dass Asahi etwas von wegen „Lauf... Mülltonne...Ecke...“ sagte. Ich lief also mit der letzten Kraft, die ich hatte, zu dieser Mülltonne und drängte mich in die Ecke zwischen dieser und der Hauswand, da diese sich nicht in der Zone befand, in der die Mauerstücke des Hauses mich treffen konnten. Doch natürlich bemerkte ich, dass Asahi nicht da war. Denn in dieser Ecke war nur Platz für eine Person. Sobald man nichts mehr rumpeln hörte, rannte ich zurück zu dem Trümmerhafen aus Geröll. Wenn Asahi unter diesem Geröll liegen würde, weil er mir ein Versteck besorgt hatte, in dem mir definitiv nichts passieren konnte... Dann würde ich mir das nie und nimmer verzeihen.
Langsam wurde ich panisch. Ich fand zwar nirgends eine Leichte, die Asahi gehörte, aber das hieß nicht, dass er lebte. Ich wollte gerade einen verzweifelten Schrei loslassen, als mir auffiel, dass diese Leichen keinen unschuldigen Menschen angehörten, die dummerweise in ihren Häusern geblieben waren. Mir fiel auch auf, dass das hier keine Wohnhäuser waren. Ich befand mich mitten im damaligen Regierungsviertel, das leer stand, seit das Kabinett aufgelöst wurde. Und diese Leichen gehörten zu Angehörigen von Korisuke.
Jemand hustete stark, eine tiefe Stimme.
Asahi, dachte ich und folgte den Klängen. Ich stieg über so viele Leichen, dass ich beinahe auf die Steine gebrochen hätte. Ich hatte so oft Leichen in Filmen gesehen und es hatte mich buchstäblich einen Scheißdreck interessiert. Aber das hier...Obwohl diese Menschen teilweise nicht einmal unschuldig waren, wurde mir schlecht bei dem Anblick.
„Stell dir vor, dass das nur schlafende Menschen sind.“
Das hatte Asahi mir geraten, als wir die ersten Leichen gesehen haben. Und ich versuchte es so so sehr. Aber wie sollte ich bei blutverschmierten, zerquetschten Menschen denken, dass sie friedlich schliefen und von glitzernden Einhörnern träumten? Es war mir nicht möglich.
Endlich erreichte ich die hustende Person. Doch es war nicht Asahi. Asahi trug gewiss weder eine Uniform, noch war er schwarzhaarig. Vor mir saß Akita Korisuke persönlich.
Erschrocken machte ich einen Satz nach hinten. Ich war nicht bewaffnet. Meine Psyche und mein Körper waren ausgelaucht und beides war für so etwas nicht bereit. Ich könnte zwar einfach weglaufen, aber Korisuke war bewaffnet. Ich wollte definitiv keine Kugeln im Rücken oder Hinterkopf, bevor ich Asahi nicht gefunden hatte.
Er hatte mich auch schon gesehen, also war es eh zu spät.
Regungslos stand ich da und starrte ihn an. Er starrte zurück, musterte mich genauestens von oben nach unten.
Dann hob er seine Pistole und zielte auf meine Brust.
[ Point of view: Asahi Azumane ]
Ich war in die gegenüberliegende Richtung von Noya gerannt. Dort hatte ich ein Versteck gesehen, wo ich hinkonnte. Ich wollte Noya ja mitnehmen, aber es war zu weit, das hätte sein kleiner Körper nicht geschafft. Also hatte ich ihn zum näherliegenden Versteck geschickt, dort hätte ich so oder so nicht hineingepasst. Aber jetzt hatte ich ein Problem. Ich war allein, genau wie Noya. Ich musste das schnell ändern. Ich rannte also auf direktem Weg zu den Trümmern. Obwohl ich mich die ganze Zeit für Noya so tough verhalten hatte, war ich natürlich mindestens genau so verängstigt wie Nishinoya. Aber wie hoch stünden unsere Chancen zu überleben, wenn ich das zeigen würde? Ich hatte mir geschworen, ihn zu beschützen. Das würde ich niemals aufgeben. Ihn würde ich niemals aufgeben.
Zwischen den Trümmern lagen Leichen von uniformierten Männern. Alles Angehörige von Korisuke, wie man an ihrer Uniform fest machen konnte. Deshalb also die Bomben auf dieses Gebäude... Was, wenn noch Lebende hier waren? Sofort bückte ich mich zur nächsten Leiche und befreite sie von dem Geröll. Diese Anblicke, die sich mir boten, waren zwar noch immer unfassbar unangenehm und erzeugten eine Gänsehaut bei mir, aber Sicherheit ging vor. Ich nahm der Person die Waffe ab und checkte, dass sie auch bloß nicht geladen war, denn wenn ich sie mir in die Hosentasche steckte und ein Schuss sich löste, wäre ich wortwörtlich am Arsch. Dann ging ich weiter, die Waffe natürlich griffbereit und ließ meine Augen ein wenig in die Ferne wandern. Ich erschrak bei dem Anblick. Dort stand Nishinoya. Die Hände über dem Kopf. Verängstigt. Auf die Knie sinkend. Vor ihm ein Mann, der seine Waffe auf ihn richtete. Ich erkannte das Gesicht des Mannes. Sofort rannte ich los, zog dabei die Waffe aus der Hosentasche. Kurz vorher bremste ich, versteckte mich hinter einem Trümmer. Ich lud die Waffe und ging auf Nummer sicher, dass meine Finger schön weit weg vom Abzug waren. Ich würde jetzt jemanden umbringen. Aber ich musste. Für Noya. Ich zielte hinter dem Brocken genau auf den Kopf des Mannes. Nicht vor dem Rückstoß erschrecken, dachte ich. Dann knallte es plötzlich. Ich erschreckte aufgrund der Störung meiner Konzentration so sehr, dass ich selbst abdrückte. Sofort fiel mir gleichzeitig ein Stein von Herzen, aber auch wurde ein neuer dort hingelegt, wo mein Herz sein sollte.
Einerseits hatte ich es geschafft. Ich hatte es geschafft und abgedrückt und habe Noyas Leben gerettet. Aber andererseits habe ich jemandem das Leben genommen. Jemandem, der zwar ein schrecklicher Mensch war, der vielen Menschen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Aber andererseits... Korisuke hatte auch Familie. Menschen, die ihn liebten. Ich hatte nicht nur jemandem sein Leben genommen, ich hatte zig Angehörigkeiten einen Menschen für immer entrissen.
Vergiss das, dachte ich. Er hat schlimmeres viel häufiger getan. Ich steckte die Waffe ein und verließ nun meine Deckung. Ich suchte sofort mit meinen Augen nach dem kleinen, dunkelhaarigen Jungen mit den blonden Strähnen, die ihm ins Gesicht hingen und manchmal wie eine Antenne geradeaus nach vorne abstanden, als ich ihn erblickte.
Er lag auf dem Boden, zusammengerollt wie ein Katzenbaby. Zuerst dachte ich, dass er physisch wirklich so sehr am Ende wäre, aber das war es nicht. Ich bemerkte all das Blut um ihn herum, welches wie Rotwein aus einem kaputten Fass aus der Brust sickerte, erst später. Augenblicklich schlug ich mir die Hände vor den Mund, mit dem ich jetzt am liebsten die ganze Welt zusammen gebrüllt hätte. Ich rannte zu ihm, ließ mich ohne Rücksicht auf Verluste auf die Knie fallen.
Ich konnte nicht reden. Ich wollte es nicht wahr haben, war wie starr. Ich konnte nicht denken. Ich spürte meinen Körper nicht, merkte nicht, dass da Striemen aus Wasser über meine Wangen rannen. Er lebte noch. Er zwinkerte und weinte selbst. Ich musste etwas sagen. Aber jedes Wort hätte sich in einen schmerzerfüllten Schrei verwandelt und ich wollte diese Gefühle nicht vor ihm rauslassen. Er war derjenige, der schreien sollte. Es war meine Schuld. Hätte ich nicht drei Stunden dafür gebraucht, verflucht nochmal abzudrücken, hätte Korisuke nicht mehr schießen können. Wäre ich drei Sekunden schneller gewesen, dann wäre Noya niemals getroffen worden. Dann läge er jetzt nicht wie ein Häufchen Elend neben mir und verblutete langsam. Ich griff seine Hand und drückte sie ganz fest.
So kalte Hände hatte ich noch nie berührt. Ich hatte noch nie größere Angst gehabt als jetzt.
„Ist das das Ende?“, fragte er krächzend, drehte seinen Kopf in meine Richtung und ließ dabei zwei dicke Tränen sein Kinn runtertropfen.
Natürlich wollte ich es abstreiten, ihm sagen, dass er es schaffen würde. Ihn durchrütteln und es ihm ins Gesicht schreien, dass er heute nicht sein Leben verlieren würde.
Aber als er dann Blut aushustete, verließ mich meine gesamte Hoffnung. Ich wollte ihm nicht versprechen, dass er in einer Woche wieder lachend durchs Leben hüpfen konnte und alles genauso sein konnte, wie es immer war, wenn er all das nie wieder erleben durfte. Was brachte es einem, mit einer fetten Lüge und Hoffnung auf Leben in den Tod zu gehen? Unzählige Gedanken schossen durch meinen Kopf. Er würde nie wieder Spaß, Wärme, Liebe und Freundschaft erleben, würde nie wieder seine Interessen in Frieden verfolgen können. Er würde nie wieder leben. Bilder aus der Vergangenheiz schossen durch meinen Kopf. Die Zeit in Tokio. Die Zeit bei mir zuhause. Als wir gemeinsam das "Kino" gebaut hatten. Ich erinnerte mich an den tosenden Sturm, der an diesem Tag draußen herrschte, als er sich während der Filme bei mir angekuschelt hatte. Als er Schutz und Trost bei mir gesucht hatte, wie er heute meine Hand hielt und mir Hoffnung gab, das alles zu überleben. Ich hatte ihn verloren und das für immer. Ich merkte, dass ich mich immer weiter hinein steigerte, wenn ich so dachte. Also lächelte ich, was natürlich mit sehr vielen Tränen meinerseits unterstrichen wurde. Ich konnte ihm weder das Leben versprechen, noch sagen, dass er sterben wird. Also sagte ich gar nichts und strich ihm vorsichig über den Kopf.
Es war einfach nur still, neben den regelmäßigen Schluchzern, die unsere Körper regelmäßig durchzuckten und beben ließen, bis Noya noch einmal etwas sagte.
„Das, was du gestern Abend zu mir gesagt hast. Ich... Kam nie dazu, dir darauf zu antworten.“
Dann zog er vorsichtig mein Kinn zu sich und küsste mich, was ich erwiderte.
„Ich liebe dich nämlich auch. Und das wird sich niemals ändern.“
Vorsichtig rollte er sich wieder auf dem Boden zusammen.
„Es wird nicht mehr lange dauern, bis das alles hier vorbei ist. Deshalb möchte ich, dass du dich an unser letztes Versprechen erinnerst. Wir haben uns damals geschworen, dass wir uns niemals wirkich verlassen werden. Und das werden wir auch nicht. Es ist nur mein Körper, der verschwindet, und meine Worte, die du nicht mehr hören kannst. Aber ich werde nie wirklich weg sein.“
Ich erinnerte mich natürlich daran. An unser letztes Versprechen von vor einem Jahr.
„Leb wohl, Asahi.“
Und das war es. Kein Husten mehr, kein röchelnder Atem, keine zuckenden Schultern mehr, keine aufeinanderschlagenden Lieder mehr, keine rollenden Tränen mehr. Jedes Leben aus ihm war ausgehaucht. Er war tot. Diese drei Worte lösten einen regelrechten Sturm in mir aus. Mir war alles in diesem Moment egal. Ich grub meine Finger tief in seinen Hoodie ein, der nicht mehr nach ihm, sondern nach Rauch, Schweiß und Blut roch. Den, den ich ihm damals geschenkt hatte. Es tat nur noch mehr weh, auch das noch zu realisieren. Nach dem ich zunächst nur leise weinte, verwandelten sich die leisen Schluchzer irgendwann in verzweifelte Schreie. Ich konnte kein Gefühl mehr für mich behalten. Ihr Krieg war nun vielleicht gewonnen - aber ich hatte verloren. Als ich irgendwann aufsah, ging die Sonne bereits langsam auf. Einer der Strahlen fiel genau in Noyas Augen. Ein letztes Mal schimmerten diese gold, in dem gleichen Ton, wie wenn er sich über etwas gefreut hatte. Als würde er mir ein letztes Lächeln schenken wollen.
Dann hatte ich eine Art Kurzschluss. Es war einfach alles zu viel. Einzelne Bilder aus der Vergangenheit schossen wieder in meinen Kopf und meine gesamte Gefühlswelt explodierte. Nichts hatte mehr einen Sinn. Alles erschien wertlos. Da schoss mir etwas durch den Kopf.
Unser letztes Versprechen.
Wir würden uns niemals verlassen.
Nun war aber genau das geschehen. Er war fort, für immer.
Fortgeweht wie eine unschuldige Kirschblüte im Wind.
Um mich an dieses Versprechen halten zu können, dass wir uns niemals wirklich verlassen würden, gab es nur eine Sache, die ich tun konnte.
Es hat sowieso nichts mehr einen Sinn, dachte ich und zog emotionslos die Pistole aus meiner Hosentasche.
D
ann hielt ich sie mir an den Kopf und drückte, ohne nachzudenken, ab. Doch es passierte nichts. Ich hatte die letzte Kugel an Korisuke verwendet.
Wütend warf ich die Waffe hinter mich. Ich hatte alles verloren und verschissen, wirklich alles. Aber mir wurde noch immer der Tod vorenthalten, Noya musste stattdessen sterben. Es war mehr als nur ungerecht. Meine Wut kochte nun wie lodernes Feuer und ich stand auf. Scheiß auf das alles, hieß es immer wieder in meinem Kopf. Ich ging zu Korisukes Leiche und riss dieser achtlos die Pistole aus der Hand.
Dann setzte ich mich wieder neben Nishinoyas toten Körper und griff nach seiner Hand.
„Ich habe dir versprochen, dass wir uns niemals verlassen werden. Deshalb werde ich das letzte Versprechen, das wir uns je gegeben haben, nicht brechen.“, sprach ich es laut aus. Ich hatte nichts mehr zu verlieren, also dachte ich nicht mehr darüber nach.
Und dann drückte ich ab.
Nur diesmal funktionierte es. Und so fand auch mein kurzes Leben ein Ende, wie das Leben wieder Anderer in dieser Nacht ebenfalls.
{\_/}
(/;w;)/ the end.
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