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[ Point of view: Asahi Azumane ]

Nur noch fünf Tage.
Fünf Tage, 120 Stunden, 7200 Minuten. Ich konnte noch viel größere Zahlen daraus machen, aber am Gesamtergebnis würde es nichts ändern. Ob ich nun sechzig Sekunden oder eine Minute hatte, es kam auf das Gleiche heraus. Ich konnte es einfach nicht mehr ändern und mein Kopf zwang mich dazu, darüber nachzudenken. Deshalb konnte ich nicht schlafen. Es war nicht wirklich tragisch, schließlich waren es Ferien. Aber ich musste trotzdem früh aufstehen. Noya hatte Zugtickets für eine Reise nach Tokio für uns beide und ich wollte diese Reise nicht verpassen. Ich wollte keine Minute verpassen, die ich noch mit Noya verbringen konnte. Ich würde dafür sogar mitten in der Nacht aufstehen.
Für Nishinoya würde ich alles tun. Aber ich konnte nicht einmal mehr in seiner Nähe sein. Denn in einer Woche wäre mein Zimmer nur noch ein Leeres von zwölf Zimmern in dieser Wohnung. Nichts mehr in diesem Raum würde an das erinnern, was mal hier war. Ich würde mich an Erinnerungen festklammern, als wären sie die Kante einer Klippe, von der ich fast stürzte.
Und all das war die Schuld meiner Eltern.

Anstatt mich das tun zu lassen, was ich wollte, entschieden sie für mich, als wäre ich noch ein Dreijähriger ohne Mitspracherecht. Und selbst ein Dreijähriger durfte sich zumindest mal das Mittagessen aussuchen. Aber meine Eltern schrieben mich, ohne meines Wissens oder meines Einverständnisses, in einer Uni in Australien ein. Und dann hieß es plötzlich, viel Spaß bei der Aufnahmeprüfung. Warum? Damit ich den gleichen Beruf erlernen konnte wie mein Vater - Arzt. Als wäre es nicht möglich, diese Ausbildung auch hier in der Nähe zu machen. Nein, dafür musste man mich aus dem Land schicken.
Aber, um meine Eltern zu zitieren, dort hätte ich ja viel mehr Möglichkeiten und dort gäbe es ja auch viel mehr Menschen, die versorgt werden mussten. Vielleicht war etwas daran wahr, aber ich wollte das alles nicht. Weder wollte ich weg von Noya, noch wollte ich ein Arzt werden. Ich wusste zwar nicht, was ich wollte, aber definitiv kein Leben als Arzt ohne meinen besten Freund, für den ich mehr als nur Freundschaft empfand.

Als ich Nishinoya von meinem erzwungenen Umzug erzählte, plante er sofort jeden seiner freien Tage so, dass er ihn mit mir verbringen würde. So kam es dazu, dass wir morgen einen Tag in Tokio waren.
Er spielte immer den fürsorglichen Freund, der seine Zeit für mich opfern würde, bis ich weg war und wir uns nurnoch selten bis gar nicht mehr sehen würden. Aber ich wusste, dass er es nicht nach Außen hin zeigte, dass auch ihn all das belastete.
Freunde kommen und gehen eben, hatte er einmal gesagt, mit Tränen in den Augen, die aber trockneten, als hätte er sich einen Föhn ins Gesicht gehalten. Natürlich hatte er Recht. Aber ich würde ihn nicht einfach verlassen. Jede Ferien würde ich mein Geld dafür ausgeben, um mit dem Flugzeug zurück nach Miyagi zu fliegen, nur um Noya zu sehen. Ich würde alles dafür tun. Ohne Ausnahme.
Mit diesem Gedanken schlief ich irgendwann allerdings ein.

Normalerweise hätte ich meinen Wecker gerne gegen die Wand geworfen, aber nicht an diesem Morgen. Ich freute mich auf diesen Tag. Nicht unbedingt auf Tokio, aber auf die Zeit mit Noya.
So schnell es ging packte ich meine sieben Sachen zusammen, machte mich ausgehbereit und verließ das Haus. Ich wanderte in der angenehmen Morgensonne über die Straßen und hörte dem Zwitschern der Vögel zu. Ob ich sie in Australien auch morgens ihre Lieder singen hören würde? Unmöglich war es nicht, schließlich waren die Vögel dort ja nicht ausgestorben. Aber der Verkehr in der Großstadt, in die ich ziehen würde, allein am frühen Morgen schon, machte jedes kleine Geräusch überhörbar. Ohne diese Vögel war es hier trostlos, still und unbelebt. Das könnte kein lauter Verkehr ersetzen.
» Nun hör schon auf. Du wirst dich auch an das Leben dort gewöhnen. Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm. «, dachte ich, während ich die Einfahrt des Hauses erreichte, in dem Nishinoya wohnte. Ich wollte nicht klingeln, vielleicht schliefen seine Eltern noch. Gerade, als ich ihm eine Nachricht schreiben wollte, öffnete sich bereits die Haustür vor mir.
Ein fröhliches „Morgen!“ sagte der kleine Junge vor mir, während er sich mit seinen Händen die Haare nach hinten strich und sie mit Gel so festigte, dass sie nicht wieder flach in einem Scheitel über seiner Kopfhaut lagen. Nur die blonden Stränen fielen ihm ins Gesicht.
„Dir auch einen guten Morgen.“, erwiderte ich schnell, bevor er sich fragte, weshalb ich ihn so lange dabei beobachtete, wie er seine Haare frisierte, schließlich sah man ihn sonst mit keiner anderen Frisur.

Doch als ich ihn so lange beobachtete, fielen mir auch die Makel in seinem sonst so wunderschönen Gesicht auf. Wieso hatte er so tiefe Augenringe?
„Sag mal, wann bist du denn gestern schlafen gegangen? Du hast ja Augenringe, als hättest du kein Auge zubekommen.“
„Ach, das war ein Selbst-Experiment. Ich wollte wissen, wie lange ich aufbleiben kann, bis ich nicht ein Auge mehr aufhalten kann.“
„Aber doch nicht an einem Tag, an dem du früh raus musst! Du brauchst doch deine Energie heute. Es ist außerdem nicht gesund, so spät schlafen zu gehen!“
„Ja ja. Wollen wir nicht langsam los? Wir verpassen sonst den Zug!“

So holte sich auch Noya seinen Rucksack und wir brachen zum nicht allzu weit entfernten Bahnhof auf.
Da unser Zug erst in zehn Minuten ankommen und sowieso nochmals zehn Minuten Verspätung haben würde, hatte ich noch genügend Zeit, für mich und Noya noch heißen Kakao und warme Crossaints bei einem Bäcker auszugeben.
Er hatte höflicherweise abgelehnt und wollte selbst zahlen.
„Spar dir deine Kräfte lieber und nimm' es ruhig an. Es ist doch nur eine Kleinigkeit, um dich bei Kräften zu halten. Nicht, dass du umkippst! Guten Appetit.“
Mit diesen Worten drückte ich ihm sein Frühstück in die Hand und wir nahmen die Stufen zum Gleis.

Nachdem wir die Stille einen Augenblick auf einer Bank am Gleis genossen und beide aufaßen, reichte mir Noya schließlich mein Ticket, welches ich gut weg steckte. Still warteten wir die letzten Minuten ab, bis der Zug endlich kam.
Ich würde selbst solche Momente vermissen, in denen man sich normalerweise langweilt. Aber wenn ich Noya dabei hatte, fühlte ich mich einfach gut. Von innen war ich erfüllt, mir wurde ganz warm ums Herz. Was wollte man mehr als eine Person, die dich dazu bringen könnte, dich so gut zu fühlen, als wäre alles in Ordnung?
Denn das war es nicht, nicht im geringsten. Ich war traurig und wütend zugleich und so verdammt nervös in Noyas Nähe. Ich wollte ihn berühren, ihm sagen, dass ich ihn niemals verlieren wollte und ihn dann umarmen, küssen und nie wieder loslassen. Aber weder durfte ich ihm zu nahe kommen, noch durfte ich solche komischen Dinge sagen. Wenn er nicht das Selbe empfand wie ich, dann hätte ich ihn auch als meinen besten Freund verloren und das wollte ich nicht. Doch auch, wenn ich mir ständig nur wegen ihm Gedanken machte, gab er mir gleichzeitig das Gefühl, dass alles gut werden würde. Als würde er mir zeigen, dass eine Kerze, dessen Flamme im Wind weht und droht, auszugehen, immernoch brennt.

„Asahi, der Zug ist da, komm jetzt, sonst kriegen wir keinen Sitzplatz mehr!“
Ich schüttelte mich von all diesen Gedanken los und lächelte. Dann folgte ich Noya in den Zug, in der Hoffnung, ihn aufgrund seiner Größe nicht in dieser Masse aus Menschen zu verlieren.

[ Point of view: Yū Nishinoya ]

Ein Signal ertönte und die Türen vor mir schoben sich auf. Ich freute mich über diesen Ton, wie ein kleines Kind sich über das Klingeln vom Eiswagen auf der Straße freute. Wir waren endlich da. Das stundenlange Herumsitzen in dem überfüllten Zug hatte sich gelohnt. Voller Elan sprang ich aus dem Zug, wobei ich beinahe in einen vorbei eilenden Mann krachte.
„Pass auf, Noya!“, warnte Asahi, aber es klang nicht drohend oder genervt, eher warm und angenehm. Wieso war ich immer so stark gefesselt von seiner Stimme? Es gab keinerlei Grund dazu. Er hatte mich schließlich gerade ermahnt, besser aufzupassen, weil ich unachtsam war und ich freute mich darüber.
Vertieft in Gedanken erschreckte ich, als Asahi noch etwas sagte.
„Bleib dicht bei mir, sonst verlieren wir uns in diesem Gedrängel.“

So quetschten wir uns Seite an Seite durch die Wände aus Menschen, die auf uns zu kamen. Bei den Treppen wurde es problematisch, die Menschen drängelten sich vorbei und nahmen keine Rücksicht auf andere. Plötzlich übersah ich eine Stufe und fiel, aber ich wurde in letzter Sekunde vor einem schmerzhaften Fall und blauen Flecken bewahrt, als Asahi mein Handgelenk griff und mich so festhielt.
„Alles klar?“, fragte er besorgt und ließ mein Handgelenk los, nachdem er mir wieder auf die Beine half und wir weiter gehen konnten.
„Ja, alles bestens. Danke für die Rettung!“

Endlich erreichten wir die Glastür, die den Bahnhof von einem großen Hof trennte.
„Und jetzt atmen wir tokiotische Luft ein! Komm schon, Asahi!“, rief ich und sprang mit meinen Armen voran in Richtung Tür, um sie auf zu drücken, allerdings war mir nicht bewusst, dass es vollautomatische Türen waren und so öffneten sie sich, bevor ich sie berührte. Ich wäre kopfüber auf den Boden gestürzt, hätte Asahi mich nicht wieder gerettet.
„Nicht so wild, sonst können wir gleich noch ins Krankenhaus fahren!“, sagte er, aber erkundigte sich direkt danach nach meinem Wohlbefinden.
„Mir geht's gut, aber was für Drogen hast du denn bitte genommen, dass du mich ständig wie ein Superheld retten kannst?“
„Ich und Drogen... Ich passe doch nur auf dich auf.“
„Du musst nicht auf mich aufpassen, ich bin doch kein Kind mehr!“
„Tut mir Leid! So meinte ich das doch gar nicht.“

Bevor wir also mit der kleinen Tour in Tokio begonnen, aßen wir noch etwas zum Mittagessen, schließlich brauchten wir unsere Kräfte.
Aber dann ging es schießlich los. Den Nachmittag verbrachten wir in einem ziemlich touristischen Viertel, wo bei mir ziemlich viel meines Taschengeldes draufging. Nicht unbedingt für Souvenirs, eher waren es die Artikel, die man sonst nur online bestellen konnte, die mich in ihren Bann zogen. Hätte man uns von Außen betrachtet, hätte man nur gesehen, wie ich Asahi von Laden zu Laden schob und mit einem leichteren Geldbeutel und schwereren Rucksack in den Nächsten wanderte. Irgendwann musste Asahi sogar etwas für mich tragen.
„Noya, wie viel Geld hast du denn bitte mitgenommen? Lass uns lieber woanders hingehen, sonst gibst du dein Taschengeld weiterhin für Spielzeug aus.“
„Spielzeug!? Das ist doch kein Spielzeug!“

Trotzdem hörte ich auf das, was er sagte und wir verließen die Innenstadt. Die nächsten Stunden verbrachten wir damit, Sehenswürdigkeiten Tokios zu besichtigen, bis es schließlich dunkler wurde.
„Gleich müssen wir wieder weg. Fast schon schade.“, erwiderte Asahi, als wir uns auf eine Parkbank setzten und die abendliche Dämmerung betrachteten.

„Ach, du wirst bald doch den Rest deines Lebens in einer Großstadt verbringen, hast du etwa schon Heimweh?“, fragte ich, fast schon etwas schnippisch, was mir auch sofort Leid tat.
„Nein, so meinte ich das nicht. Es hat mir Spaß gemacht, den Tag mit dir zu verbringen.“
Lächelnd drehte ich meinen Kopf zur Seite. Wieso wurde mir plötzlich so warm ums Herz?
„Mir auch.“, antwortete ich grinsend und schaute weiterhin nach vorne, um die Umgebung zu erkunden.
„Lass uns Abendessen gehen. Ich lade dich ein.“
„Nein, das ist nicht nötig, Asahi!“
„Ach, das macht doch nichts. In einer Woche kann ich das nicht mehr, also warum nicht wenigstens heute?“, fragte er, mit einem traurigen Unterton.

„Asahi...“
„Es ist doch so.“
„Ja, aber du denkst so negativ darüber. Wenn ich in Australien leben dürfte, würde ich mich darüber freuen! Zuhause ist doch garnichts los.“
„Das ist es nicht. Ich will dieses Leben doch gar nicht. So definiere ich nicht das Wort "Zuhause". Ich will, so kindisch es auch klingt, bei meinen Freunden bleiben und etwas studieren, das nichts mit Medizin zu tun hat. Das alles interessiert mich nicht und ist mir zu schwer.“
„Es ist nichts kindisch daran, die nicht verlassen zu wollen, die man liebt. Aber wir sind doch nicht aus der Welt verschwunden! Und wenn dir das Medizinstudium nicht gefällt, dann kannst du es immer noch abbrechen. Außerdem komme ich dich doch besuchen! Jedes Wochenende!“
„Ich weiß das zu schätzen, Noya, aber bleib' realistisch. Jedes Wochenende wäre zu viel Geld und außerdem wäre es zu weit weg, sodass sich das zeitlich gar nicht lohnt. Du hast es selbst gesagt, Freunde kommen und gehen.“

Es verletzte mich ein wenig, dass er glaubte, unsere Freundschaft könne wegen eines Umzuges zerbrechen. Hatten wir so eine schwache Bindung, die wegen so etwas unterbrechen würde? Ich hatte immer daran geglaubt, dass wir etwas Besonderes waren. So etwas wie beste Freunde, aber anders. Tanaka war mein bester Freund, aber Asahi? Für ihn fühlte ich anders. Anders als für Tanaka, aber zu viel, um ihn als normalen Freund anzusehen. Ich wusste nicht, was er für mich war.

„Nun sei nicht so pessimistisch! Lass uns jetzt essen gehen. “, erwiderte ich darauf und stand auf.
Ich wollte dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden, bevor ich anfing, vor ihm zu flennen.
Ich wollte nicht, dass er mich für einen Schwächling hielt. Alles, bloß das nicht. Ich wollte stark wirken, damit er es auch war. Wenn ich zerbrach, während ich ihm eine Predigt darüber hielt, nicht so pessimistisch zu sein, käme das nicht besonders glaubwürdig rüber.

„Noya?“
„Ja?“
„Ich... Schon okay, nicht so wichtig.“
Eigentlich wollte ich nachhaken, aber ich fühlte mich unwohl bei der Sache, also ließ ich es sein. Trotzdem machte es mich nervös, dass er mir in letzter Sekunde etwas verschwieg.
Ich zuckte die Schultern und verließ dann den Park, mit einem übermüdeten Asahi im Schlepptau.

[ Point of view: Asahi Azumane ]

„Ich glaub', ich bin tot.“, sagte Noya und gähnte laut, während wir aus dem Zug stiegen.
„Wieso das?“
„Müde. Hunger. Durst. Keine Lust mehr, zu laufen oder zu sitzen. Ich will einfach nurnoch im Bett liegen und schlafen.“
Ich überlegte kurz. Ich wusste, wie Noya sich fühlte und wir hatten noch ein wenig Fußweg vor uns. Vielleicht...
„Du, willst du für die Nacht mit zu mir kommen? Bis zu dir ist es weiter als bis zu mir.“
„E-echt? Wäre das okay für dich? Ich will nicht stören...“
„Tust du nicht. Meine Eltern sind sowieso nicht zuhause. Und mich stört es auch nicht im Geringsten.“

So nahm ich Noya seinen Rucksack ab und trug unser Gepäck bis zu mir nach Hause. Dort angekommen stellte ich alles in einer Ecke ab und legte mich flach auf den Boden. Ich wäre fast eingenickt, wäre nicht ein Kissen in meinem Gesicht gelandet.
„Hey, nicht einschlafen! Also... Wo soll ich schlafen? Ich hab auch keine Sachen zum Schlafen mit...“
Verdammt. Ich hatte ihn schon ganz vergessen. Ich war so ein schlechter Mensch. Hätte er mich nicht geweckt, hätte ich ihn ausversehen in Unterwäsche auf dem Fußboden schlafen lassen.
„Tut mir Leid! Ich schaue mal, was ich tun kann. Einen Moment.“
So verließ ich das Wohnzimmer und suchte in meinem Zimmer nach Dingen, die ich Noya geben könnte. Schließlich einigte ich mich auf einen mir zu klein gewordenen Hoodie, den ich ihm dann in die Hand drückte.
„Zieh den ruhig an. Wenn das okay ist, schlafen wir hier im Wohnzimmer. Hier ist genug Platz für zwei.“

Dankend nahm Nishinoya den Hoodie entgegen und zog ihn sich an. Es war so schwer, nicht lauthals aufzuschreien. Wieso sah er so verdammt niedlich darin aus? Es zerriss mir beinahe das Herz.
„Wie cool! Der ist voll warm!“, rief er begeistert und sprang begeistert umher.
„Er steht dir besser als mir und ist mir sowieso zu klein. Wenn du willst, kannst du ihn haben.“, sagte ich, während ich mich an dem niedlichsten Bild der Welt ergötzte. Ich hoffte nur, dass man es mir nicht ansah.
„E-echt? Danke, Asahi!“, rief er erfreut und grinste. Ich lächelte zurück und wurde dabei ganz rot.
„Wenn du duschen möchtest, nur zu. Es ist eh keiner zuhause, also stört es keinen. “

Also verließ Noya das Wohnzimmer, um zu duschen. Er war ja nicht zum ersten Mal hier. Erst, als die Tür zum Bad sich schloss, atmete ich erleichtert auf.
» Was ist nur los mit mir? Wenn ich weitehin so durchdrehe, merkt er noch etwas... «, dachte ich und legte erschöpft den Kopf auf meinem Schoß ab. Warum war es so schwer, Gefühle abzuschalten oder sie zumindest zu verstecken und im Zaun zu halten? Gefühle brachten einem letztendlich schließlich nur Ärger. Gebrochene Herzen, Schmerz, all diese Dinge.
Ich schüttelte den Kopf einmal, um diese absurden Gedanken abzuschalten und stand dann auf, um mir auch etwas anderes anzuziehen. Als das erledigt war, bereitete ich die Sofas vor, sodass man darauf schlafen konnte. Zuletzt holte ich noch Wolldecken aus meinem Zimmer.

„Da bin ich wieder.“, sagte Nishinoya, als er das Wohnzimmer wieder betrat. Seine Haare hingen ihm in nassen Stränen ins Gesicht und ließen ihn noch kleiner wirken, als er sowieso schon war. Ich musste mir wieder im Geheimen gestehen, wie niedlich er aussah. Erst mit meinem Hoodie, jetzt auch noch seine Haare... Ich wollte ihn einfach nur noch tot knuddeln. Bevor ich also etwas komisches tat, ging ich auch duschen, um mich abzuregen. Ich hatte mich wohl nicht nur ein klitzekleines Bisschen verliebt, ich hatte mich, so kindisch es auch klang, volle Kanone verknallt. In meinen besten Freund. Einen Jungen. Ich wusste das schon ein wenig länger. Aber ich dachte immer, das vergeht wieder, wie die erste Liebe als Teenager nun mal so war, auch, wenn ich vielleicht doch zu alt war, um mich als Teenager zu bezeichnen. Eine Phase eben, die in zwei Wochen wieder vorbei ist. Aber es hörte einfach nicht mehr auf. Es blieb, wie es war und wurde von Tag zu Tag schlimmer.
Letztendlich wollte ich es ihm heute sogar sagen, als wir auf der Bank im Park in Tokio saßen. Es wäre der perfekte Moment gewesen, als meine Gedanken einschritten und mir klar machten, dass es, sollte Noya meine Liebe erwidern, nicht länger dauern würde als eine Woche, bis es zerbrechen würde. Denn wie ich es mir auch zurecht rückte, ich würde bald weit weg leben und Fernbeziehungen klappten nie. Bevor ich Noya nur damit verletzte, dass ich irgendwann gar keine Zeit mehr für uns hatte, ließ ich es in letzter Sekunde sein.

Kurze Zeit später stand ich wieder angezogen und geduscht im Wohnzimmer. Noya saß im Sessel und tippte ein wenig auf seinem Handy herum.
„Was machst du da?“, fragte ich und setzte mich auf das Sofa, auf dem ich heute Nacht schlafen würde.
„Ich poste ein paar Bilder von Tokio auf Graminsta.“
„Ah, okay. Ist es okay, wenn ich das Licht schonmal aus mache?“
„Klar.“
So wurde es dunkel im ganzen Raum und alles, das ich sah, war das Licht von Noyas Handydisplay. Das Licht schien in sein Gesicht, wodurch es sich in seinen dunklen Augen spiegelte. Die hellen Punkte tanzten nun wie Sterne in seinen Augen, als würde sich ein ganzer Nachthimmel darin spiegeln. Mir wurde bewusst, dass ich mir dieses Bild noch für weitere Stunden ansehen konnte. Allein das Lächeln, zu welchem sich seine Lippen verzogen, war es wert.

„Ich geh' jetzt schlafen. Mach nicht mehr so lange, ja?“, sagte ich und schloss meine Augen, bereit, ins Land der Träume auszuwandern.
„Gute Nacht, Asahi! “, sagte Noya und wenig später hörte ich auch, wie er sein Handy auf dem Tisch ablegte.
Irgendwann schlief ich dann auch ein, als ich einfach nurnoch den friedlichen Atemzügen meines besten Freundes lauschte. Jedoch wurde ich einmal in der Nacht wach, weil mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Ich sah mich in dem Raum um, in welchem noch immer ein kleines Nachtlicht brannte und erkannte die Umrisse von Noyas sich hebenden und senkenden Oberkörper. Beruhigt wollte ich wieder die Augen schließen, als mir auffiel, dass seine Wolldecke zu Boden gefallen war und er nun ohne Decke lag. Obwohl es mir schwer fiel, stand ich auf und deckte ihn wieder zu. Mit einem Lächeln legte ich mich wieder hin.
Als wäre mein Körper irgendwie mit dem verbunden, was Noya spürte. Schließlich war mir kurz kalt gewesen, als Noya keine Decke mehr hatte. Es war komisch, aber ein schöner Gedanke - solange er meine Gefühle nicht irgendwie spürte, wie ich seine Körpertemperatur gerade.

[ Point of view: Yū Nishinoya ]

Als ich aufwachte, war Asahi noch nicht wach. Er lag seelenruhig auf dem Sofa gegenüber und atmete in gleichmäßigen Zügen. Er wirkte so friedlich, wie die Ruhe in Person. Es beruhigte mich, wenn er so aussah, mir wurde total warm ums Herz. Ich fragte mich, ob ich beim Schlafen auch so gut aussah, wie Asahi es tat. Plötzlich meldete sich mein Magen mit einem tiefen Grollen, sodass ich gar nicht anders konnte, also ihn aufzuwecken. Die Morgensonne sickerte schließlich in das gesamte Zimmer und tauchte alles in einen angenehm warmen Ton, als ich vorsichtig die Gadinen aufschob. Da das Asahi nicht weckte, rüttelte ich ihm irgendwann an der Schulter.

„Guten Morgen!“, sagte ich fröhlich und setzte mich grinsend auf den Boden vor ihn.
„Wie spät ist es?“, fragte er und rieb sich gähnend die Augen.
„Etwa elf Uhr.“, antwortete ich. Er schien immer noch sehr müde, obwohl wir, meiner Meinung nach, relativ lang geschlafen hatten.
„Hast du Hunger?“, fragte der Langhaarige dann, während er aufstand.
„Nein, ich verhungere sogar!“, antwortete ich und nahm dankend seine Hand, die er mir hin hielt, sodass ich aufstehen konnte.
„Na dann, ich besorge uns etwas zu Essen.“, meinte er lächelnd und wir tapsten, schlaftrunken wie wir waren, in die Küche.

„Worauf hast du denn Lust?“, fragte Asahi, der eine Schublade öffnete, um zu demonstrieren, was gerade im Haus war. Ich sah da Brot, Aufbackbrötchen und Cornflakes. Natürlich fiel die Wahl auf letzteres, da ich zuhause nie Cornflakes hatte. Außerdem war das meine Lieblingssorte. So teilte ich ihm das auch mit.
„Also gut. Könntest du vielleicht die Milch aus der Vorratskammer holen? Ich hole in der Zeit Geschirr.“
Ich nickte und machte mich auf den Weg. Ich mochte die Vorratskammer bei den Azumanes, weil es nicht einfach ein weißes, kleines Zimmer mit Konservendosen für die nächste Zombie-Apokalypse war, sondern sie wie ein kleines Büro eingerichtet war, da Asahis Vater ein Büro brauchte, aber im Haus kein Platz mehr dafür war. Gedankenverloren holte ich dann eine der frischen Milchtüten aus dem Kühlschrank, während ich die Wand gegenüber des Schreibtisches genauer betrachtete. Eigentlich war das hier ein sehr privates Zimmer. An der Wand hingen viele private Dinge, die niemanden sonst angingen. Ich wusste noch, dass ich die ersten Male, als ich hier war, dieses Zimmer nicht betreten durfte. Ich verband erstaunlich viele Erinnerungen mit dieser Vorratskammer, aber in wenigen Tagen wären drei Viertel der Möbel weg, denn Asahis Zimmer wäre ja jetzt frei für das Büro.

„Noya, ist alles in Ordnung?“, hörte ich Asahi aus der Küche rufen.
„Ja ja, alles bestens. “, erwiderte ich und dann kehrte ich auch wieder zurück zu ihm.
„Hier ist die Milch.“, sagte ich und stellte sie auf den Tisch.
„Danke dir.“, lächelte Asahi und kippte dann die Milch auf die Schokokekse mit Haferflocken.

Während des Frühstücks herrschte zunächst eine unangenehme Stille. Vielleicht war es, weil wir aßen, aber ich war trotztdem leicht betrübt darüber, dass das hier eines meiner letzten Male wäre, mit Asahi zusammen zu essen.
„Was wollen wir heute machen? Wann musst du zuhause sein?“, fragte er schließlich und brach die Stille.
„Keine Ahnung. Vielleicht gehen wir raus? Ich denke, meine Eltern werden mich sowieso nicht vermissen, sie wissen ja, wo ich bin, also ist es egal, wann ich wieder komme.“
„Dann lass uns doch ins Kino gehen, bei dem Wetter gibt es nicht viel, das man machen kann.“
Verwirrt sah ich nach draußen. Tatsächlich hatte sich der strahlende Sonnenschein von heute Morgen in Regen verwandelt.
„Aber ich habe mein gesamtes Taschengeld gestern ausgegeben und ich will nicht, dass du für mich zahlst. Wir können doch auch hier einen Film gucken. Ich weiß was, lass uns ein eigenes Kino bauen!“, rief ich, begeistert von meiner eigenen Idee und sprang auf.

Nachdem wir also das dreckige Geschirr abgewaschen, den Tisch abgewischt und alles zurück an seinen Platz gestellt hatten, setzten wir meinen Plan in die Tat um. Wir gingen in Asahis Zimmer und ich bereitete das Meiste allein vor, Asahi stand ein wenig verloren neben mir und wiederholte immer wieder, dass wir das auch noch aufräumen müssen, bevor ich weg war. Nach ein paar Minuten war ich schließlich fertig mit meinem Meisterwerk.
„Fertig!“, rief ich und betrachtete zufrieden mein Meisterwerk. Ich hatte aus Asahis Hochbett ein eigenes Kino für uns beide gebaut. Von oben hingen zwei Decken herab, sodass das Bett darunter komplett verdeckt war. Wenn man nun die Decken wie eine Gardine auseinander schob, erblickte man ein Paradies aus Kissen, Decken und Kabeln, da ich seinen Laptop dort angeschlossen hatte. Auf dem Boden vor dem Bett stand ein Hocker, auf dem der Laptop stand, damit er auf den ganzen Decken nicht überhitzte und uns alles abfackelte.
„Was ist das jetzt genau, Noya?“
„Das ist ein Mini-Kino!“
„Da passen wir doch niemals beide rein...“, merkte der Ältere an und blickte immer noch eher herablassend auf meine Neuschöpfung.
„Doch, das passt! Komm mit, ich zeig's dir!“

So schubste ich ihn ein wenig in Richtung des Bettes. Seufzend schob er die Decken auseinander und setzte sich in die hinterste Ecke der Matratze. In der Zeit schaltete ich das Licht aus und setzte mich neben ihn, nachdem ich die "Gardinen" zugezogen hatte. Nun saßen wir zwar komplett im Dunkeln, aber bald schon war eine DVD eingelegt und das Licht des Laptops erleuchtete die Höhle.

Wir schauten bis zum Abend gemeinsam Filme. Irgendwann waren wir aber so müde vom Nichtstun, dass ich Asahi und mich aus dem Bett zwang, damit wir nicht das Bewusstsein verloren.
„Ich will nicht aufstehen...“, jammerte der Größere und rieb sich die Augen, in welchen man sofort erkannte, wie lange sie auf ein quadratisches Gerät gestarrt hatten.
„Doch, wir stehen jetzt auf und gehen raus. Wir könnten uns doch draußen etwas zu essen holen, wie wäre es damit?“
Seufzend erhob sich der Ältere, was mich zum Schmunzeln brachte. Hunger musste eben gestillt werden.

Also unternahmen wir tatsächlich noch einen kleinen Abendspaziergang in den Imbiss. Asahi gab uns etwas zu Essen aus und gemeinsam setzten wir uns auf eine Mauer und verzehrten das Gekaufte.
Ich hätte gedacht, die Stille würde bleiben. Allerdings täuschte ich mich, als Asahi das verbotene Thema ansprach.
„Am Freitag werde ich nicht mehr da sein. Die Zeit vergeht viel zu schnell. Vor einem Jahr habe ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, dass mein Weg mich vielleicht nach Australien führen könnte.“
„Und wieder in einem Jahr wirst du daran denken, was du deshalb erreicht hast und dann wirst du mir danken, dass ich es dir nicht ausgeredet habe.“, antwortete ich und warf meinen Müll weg. Ich wollte solche deprimierenden Gespräche auslassen. Ich wollte das genießen, was uns in knapp drei Tagen genommen werden würde.

[ Point of view: Asahi Azumane ]

Diese drei Tage vergingen leider viel zu schnell. Trotzt der Anwesenheit meiner Eltern blieb Noya noch bis Freitag und beglitt mich bis zum Zug, der mich zum Flughafen in der nächsten Stadt fahren würde. Aber nicht nur er war gekommen. Das ganze Team war in aller Frühe aufgestanden, sie standen pünktlich um sieben vor meiner Haustür und halfen dabei, alle Koffer, Kartons und anderen Krams, von dem Noya wollte, dass ich ihn mitnehme, in den Laster, der mein Gepäck über ein Schiff nach Australien bringen würde, zu schleppen, den meine Eltern gebucht hatten. Und dann konnte man beobachten, wie wir zu vierzehnt, da meine Eltern mich nur eben an der Tür verabschiedet hatten, zum Bahnhof latschten. Als der Zug dann um acht in den Bahnhof einfuhr, war es, als passierte alles in Zeitlupe. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Wenn ich in diesen Zug einsteige, beginnt die Fahrt in ein neues Leben. In ein Leben ohne Eltern und Freunde, ein Leben ohne alles, was ich je gekannt hatte, ein Leben, ganz auf mich allein gestellt. Und ich hatte auf einmal fürchterliche Angst davor, aber ich konnte es nicht ändern. Ich musste diesen Weg gehen, so wie jeder vor und nach mir es auch musste. Trotzdem weinte ich Rotz und Wasser. Sogar mehr als bei der Abschlussfeier. Gott sei Dank war ich nicht der Einzige, der weinte. Suga krallte sich Daichis Schulter, Hinata stritt sich mit Kageyama darüber, ob er was im Auge hatte oder weinte, Yamaguchi versteckte sich hinter Tsukishima, was mich auch darauf schließen ließ und Yachis lauten Schluchzer waren sowieso unüberhörbar. Doch am allerschlimmsten war es, als Noya dann auch anfing und mir um den Hals fiel.
„Bis jetzt wollte ich es nie wahr haben und ich habe es immer verdrängt... Aber wenn ich jetzt daran denke, dass es nun so unfassbar viele Kilometer sind, die uns trennen.... Dann... “
Ich drückte ihn ganz fest an mich.
„Sei nicht traurig. Ich bin nicht aus der Welt und wir werden uns ja wieder sehen.“
Nur leider konnte ich mich selbst dabei nicht ernstnehmen.

Schweren Herzens trennte ich mich dann von Noya und den Anderen und stieg dann in den Zug ein. Es war sogar noch ein Fensterplatz direkt an der Tür frei, sodass ich den Anderen noch zuwinkte, bis ich sie aus dem Fenster nicht mehr sah. Außer Nishinoya, denn als der Zug losfuhr, lief er noch so lange neben dem Zug her, bis der Asphalt endete und nur noch Gras und Bäume an die Schienen angrenzte. Und so begann die Fahrt in ein neues Leben. In das Leben, das ich nie gewollt hatte.

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(Das ist kein Oneshot, es geht weiter. Klingt nur leider so, als wäre es da vorbei. xd)

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