Phase 9: Showtime
"Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit", schließe ich mein Referat. Es verlief wie im Flug. Ich beantworte noch so gut es ging die Fragen des Dozenten und meiner Kommilitonen, bevor ich schließlich meine Sachen packe und aus dem Raum verschwinde. Eine unglaubliche Erleichterung macht sich in mir breit und ich fühle noch den Überbleibsel meines dicken Kloses im Hals. Ich will nur noch raus und weg. Ich ignoriere alles um mich herum. Stimmen und Gesprächsfetzen schwimmen an mir vorbei. Es ist, als wäre ich unter einer Glocke. Kaum etwas dringt durch zu mir. Ich beginne schneller zu gehen. Ich weiß nicht genau warum. Ich fühle mich so gut. Grinse. Lache fast. Fühle. Fühle alles auf einmal. Ich habe meine Laptoptasche so fest umklammert, dass Spuren an meiner Hand sind und meine Knöchel weiß sind. Doch es war mir egal.
Denn ich fühle mich, als würde mir die Welt gehören. Ich bin Ethan Fawkes. Die Welt gehört mir. Mir allein. Das einzige, das ich nur brauche, ist eine eigene Bühne. Das einzige, was ich wirklich brauche ist alles. Und nichts. Ich liebe das Leben. Das Leben liebt mich. Komisch oder? Ich habe mein Leben bisher eher gehasst. War schon immer... jemand wie...
Ich brauche eine Minute. Eine letzte Minute. Ich brauche einen Moment Klarheit. Einen Moment Euphorie. Einen Moment Freiheit.
Ich stecke mir wie automatisch eine Zigarette an. Irgendwie ist es eher eine Gewohnheit als eine Sucht. Mir ist eigentlich nicht mal nach einer Zigarette. Dennoch. Ist mir alles egal. Denn es ist vorbei, ich bin frei. Wenn auch für einen kurzen Augenblick. Wenn auch nur für eine allerletzte Minute. Ich möchte etwas schaffen. Etwas zeigen. Etwas Showtime.
Ich möchte springen und sehen, ob ich fliegen kann. Ich lege meine Tasche kurz auf dem Boden. Ich klettere einen Laternenmast hoch, indem ich viel Schwung aus dem Anlauf nehme und springe, mich an der Stange festhalte. "Wuhu!" Es starrten viele, aber das war mir egal. "Ich lebe!", rufe ich, schlinge meine Beine fest um den Laternenmast. Ich wedel mit meinen Armen und rutsche hinunter. Alle Menschen, die mich sehen, sehen mich entgeistert an. Ich lache nur. Ich lache und laufe los. Ich laufe einfach nur, achte nicht darauf, wohin ich laufe. Laufe so lange, bis mein Atem mir sagt ich soll aufhören. Ich grinse immer noch dämlich. Da fiel mir meine Tasche ein. Ich hatte sie vergessen. Mindestens genauso schnell laufe ich zurück und suche meine Tasche. Ich habe Glück. Sie ist noch da. Dann gehe ich mit meiner Tasche nach Hause. Auf einmal fühlt sich das schwer an. Meine Arme wie Beton, meine Tasche wie Blei, meine Augenlider so, als wären zwei schwere Sandsäcke dort angebracht. Aber kein Wunder, ich habe so gut wie gar nicht geschlafen die letzten Tage. Ich nehme den Bus, denn irgendwie erscheint mir das etwas sicherer. Ich sitze nicht, weil ich nicht einschlafen will. Der Bus ist weder besonders voll noch leer. Es riecht muffelig und stickig. Ich achte nicht wie immer auf die Landschaft, die an mir vorüber zieht. Ich achte nur noch auf meine Hand. Ich drücke den Knopf, als meine Haltestelle kommt. Ich steige aus.
Ich gehe nach Haus.
Ich schließe auf.
Ich schmeiße mich aufs Bett.
Habe ich die Tür zu gemacht?
Naja egal.
Bald irgendwann ist meine letzte Sekunde.
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