Allison
Das regelmäßige Piepen wirkt so eintönig, dass man meinen kann,dass es hypnotisierend wirkt. Man kann meinen, dass man dann auch schlafen kann und es einen nicht wecken kann. Doch das stimmt nicht. Ich wache dadurch auf. Ich blinzele und meine Augenlider fühlen sich schwer an. Es ist, als hätte ich zu lange geschlafen, dass ich noch müder werde. Es ist so, als ob meine letzte Minute meines Lebens aufgehalten wurde. Bin ich gesprungen? Es war so surreal und doch so seltsam real gewesen. Ich merke, wie mein Kopf wehtut, aber ich bin gleichzeitig ziemlich benebelt. An meinem linken Arm ist eine Kanüle. Mein Kopf fühlt sich verbunden an. Doch nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Oberkörper. Habe ich mir die Rippen gebrochen? Tausend Fragen. Ich weiß nicht wo ich bin. In einem Krankenhaus offenbar. Doch welches? Was ist das für ein Tag? Wie lange bin ich hier? Es dauert alles eine Weile, bis ich ein und wieder ausatme. Ich seufze und merke, wie trocken meine Kehle ist.
Doch ich bewege mich nicht, mache niemanden auf mich aufmerksam. Ich habe ein Einzelzimmer. Ich bin am leben. Ich spüre es. Ich fühlte mich schon lang nicht so schmerzhaft lebendig wie jetzt. Oder war alles eine Illusion? Etwas in mir sagte mir, dass irgendetwas nicht gestimmt hatte. Jos Tod, mein Referat, Lisas Tod, mein Selbstmordversuch... irgendetwas stimmt nicht. Irgendwie passt es nicht zusammen. Diese Erinnerungen verblassen wie ein Traum. Doch prägt sich jeder Moment so sehr in meine Seele wie ein Brandzeichen.
Plötzlich kommt eine Schwester ins Zimmer. Noch recht jung, dunkelbraune Haare, hübsches Gesicht und grüne Arbeitsklamotten mit weißen Crocs. "Hallo", wollte ich sagen, doch stattdessen kommt nur ein Röcheln heraus. Meine Kehle war noch nie so trocken. Sie stößt einen überraschten Laut aus und beeilt sich, mit einem Plastikbecher mir ein Glas Wasser aus dem Waschbecken zu besorgen. Ich trinke gierig, als sie mich damit tränkt. Besser. Viel besser. Sie holt die Ärztin und ich werde direkt untersucht. Ich füge mich brav und antworte auch auf ihre Fragen.
"Wissen Sie, wie Sie heißen?"
"Ethan Fawkes."
"Wieviel ist 10 plus 21?"
"Einund...dreißig."
"Welches Jahr haben wir?"
"2015?"
"..."
Die Ärztin notiert alles und fragt mich noch mehr unzusammenhängende Fragen und beantwortet mir später, wenn auch nur kurz, einiger meiner Fragen. Ich lag wohl zweo Monate im Koma. Viele Details darüber, wie das geschehen ist wurde mir nicht gesagt. Wohl, um mich nicht gleich zu überfordern. Meine Ärztin ist Mitte 40, oder sieht zumindest so aus. Blonde Haare, die ihr bis zum Kinn gehen und eine normale Statur, möglicherweise eine Art von Statur, wenn man bereits Kinder hat. Ohne, dass es beleidigend klingen sollte. Sie ist nicht dick. Ganz und gar nicht. Doch ich kann mir gut Kinder bei ihr vorstellen. Ich bin noch verwirrt. Verwirrt über das Datum.
Sie sagte, es wäre der 4. November 2014. Warum kommt es mir ein Jahr später vor? Es ist, als würde ich von einem langen langen Traum aufwachen, in dem meine Liebsten außer Panda sterben. In dem ich eine schwere Depression erleide - haha, morbid und düster war ich eigentlich schon immer! - meine schlimmste Zeit durchleide.
Meine Ärztin verriet mir nur so viel: ich war in einem Autounfall verwickelt, bei dem ich wohl ziemlich high hinten auf dem Rücksitz saß. Ich überlebte und bekam sogar noch einige mehr Dinge mit, doch der Schock und das Trauma hat mir zugesetzt. Mein Zustand wurde so instabil, dass ich irgendwann im Koma lag. Und nun war ich wieder da. Mit keinem Schimmer, was ich eigentlich gerade war. Wer in meinem Leben noch vorhanden war.
Was von meinem Leben noch vorhanden war. Ich seufze. Der Tag verläuft ruhig. Ich bekomme nicht viel mit. Esse meine erste richtige Mahlzeit nach zwei Monaten. Naja... es war Kartoffelpampe und irgendetwas anderes dazu. Keine Ahnung.
Ich habe einen Fernseher im Raum. Irgendwann bekomme ich die Fernbedienung und ich gucke ein paar Sitcoms. Irgendwann kommt die Schwester von vorher wieder. Es ist 20 Uhr. Sie lächelt mich an und setzt sich zu mir. "In Ordnung, wenn ich dir kurz Gesellschaft leiste?", fragt sie. Ich nicke. Es macht mir nichts aus, dass sie so vertraut mit mir umgeht. Sie ist wahrscheinlich in meinem Alter, vielleicht ein paar Jahre jünger als ich.
"Ich bin Allison", stellt sie sich vor, "mit doppelten L." Ich zucke kurz. Ich lächele. "Meine Schwester heißt auch Alison. Aber mit einem L. Und außerdem nenne ich sie eigentlich nicht mehr so... lange nicht... weißt du, wie es Panda geht?" Allison runzelt die Stirn. "Panda?" - "Meine Schwester. Alison", helfe ich nach. Sie zuckt zusammen und sieht mich mit großen Augen an. Dann seufzt sie und blickt unsicher auf den Boden. "Allison?", frage ich misstrauisch nach. Es wirkt mir, als versucht sie mir zu verschweigen, was ich einfach wissen muss. Sie sieht mich unsicher an. "Ethan...", sagt sie langsam. Ich starre sie an. "Sag's mir", hauche ich. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Sie zögert immer noch, doch diesmal sieht sie mich direkt an. "Ethan. Ich weiß, das ist schwer für dich, aber... deine Schwester, ihre Freundin und... deine Freundin. Sie alle drei... sie alle drei waren mit dir in dem Auto."
Ich starre sie an. Es ist der pure Horror. "Heißt das, sie sind alle..." Sie nickt. "Sie sind tot... Ethan."
Ich antworte nicht. Ich bin fassungslos. Ich weiß nicht was real ist und was nicht. Ich weiß nur, dass ich mir das Jahr eingebildet habe. Dass ich geträumt habe. Dass ich... ich bin mir nicht sicher, was genau passiert. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das, was ich gerade fühle wirklich wahr ist...
Ich bleibe noch lange da in der Position. Registriere nur noch nebenbei, wie Allison den Fernseher wieder ausmacht und alles irgendwie an mir vorbeirauscht. Ich schlafe wenig. Zu sehr sitzt der Schock.
Am nächsten Tag wird mir der Verband für meine verletzten Rippen gewechselt, es geht nochmal zum röntgen, aber das alles fliegt an mir vorbei.
Bis es mir plötzlich alles einfiel.
Meine letzte Minute.
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