Kapitel 6
"Thea?"
Fragend schaute ich auf.
"Es ist ja schön, dass du dich um das Fleisch kümmern möchtest, aber es wäre noch besser, wenn du es wenden würdest, bevor es anbrennt.", erklärte Jiyong mit einem leichten Lächeln.
Sofort schoss mein Blick auf den Grill, wo das Fleisch tatsächlich schon etwas angebrannt roch. Fluchend nahm ich die Zange und wand es. Als ich erkannte, dass der Schaden noch nicht zu hoch war seufzte ich erleichtert auf.
Jiyong dagegen trank nur schmunzelnd aus seinem Glas.
Es war abends und ich hatte mich mit Jiyong getroffen. Wie vereinbart.
Als ich in mit der Mütze meines Hoddies und einem Mundschutz im Gesicht zu dem Tisch gelaufen war, hatte er schon gegrinst und lächelnd gemeint, dass er sich nicht mal so verkleidet hatte.
Sein erheiterter Blick schwand jedoch sofort, als ich mich von meinem Schutz löste und mit roten Augen und blassem Gesicht einen Kurzen geext hatte.
Seit dem war schon eine Stunde vergangen und wir waren bei unserem dritten Teller Fleisch und der fünften Flasche Alkohol.
Jiyong versuchte mich mit aller Macht abzulenken, doch es gelang ihm nicht andauernd, was man eben gut gesehen hatte.
"Ich habe von vielen Freunden gehört, dass der Laden gut sein soll, aber ich bin schon etwas überrascht, dass er wirklich so gut ist." Er schenkte uns beiden ein, trotz unserem Alters und zwang mich, mit ihm anzustoßen. Mittlerweile hatte sich mein Hals an das stechende Gefühl gewöhnt.
"Vor zwei Jahren hatten wir hier ein Treffen. Das war als die zweite Stelle eröffnet wurde. Da haben wir nur so knapp hereingepasst. Schon cool, dass sie es erweitern konnten.", antwortete ich und legte ihm etwas vom fertigen Fleisch hin.
Ich konnte mich noch an den Abend erinnern. Wie viel wir getrunken und gelacht hatten und wie ich von Luca auf dem Rücken heimgetragen geworden war.
"Wieso eigentlich der Name "Blue"?", riss mich Jiyong aus meinen Gedanken.
Ich hatte mir gerade selbst etwas Fleisch in den Mund geschoben und schaute ihn kauend an.
"Wir haben "Blue Hawaii" geschaut, als er beschlossen hat, es endlich durchzuziehen. Und weil es mit Hawaii etwas zu viel gewesen wäre, blieb es bei "Blue"."
Langsam nickte Jiyong und aß etwas von seinem Reis.
"Wie lange kennt ihr euch dann schon?"
Hätte ich nicht schon soviel Alkohol im Blut, würde ich nicht antworten, aber ich war eben angetrunken und somit gesprächig und durch das heutige Event, war ich auch nicht so vorsichtigt, wie sonst immer, wenn es um Luca ging.
"Auf der Uni. Ich bin direkt am ersten Tag ins Männerklo gerannt und hab fast einen halben Herzinfakt bekommen. Mein Glück war, dass Luca der einzige war, der mich gesehen und mich da wieder herausbekommen hat, ohne das es auffiel. Anscheinden fand er es dann so lustig, dass er mich nicht mehr in Ruhe ließ und wir langsam Freunde wurden. Nach einem Semester wusste jeder am Campus, dass wir immer zu zweit unterwegs waren. Ich kann mich sogar noch daran erinnern, wie sehr das besprochen wurde, da Luca Jura studiert hat und der Star der Uni war. Die besten Noten, reiche Eltern, sportlich, freundlich und hübsch. Und dann kam ich: mittelmäßig gut, unsportlich wie nochmal was und kaum Freunde."
Okay. Der Alkohol machte mich sehr gesprächig.
"Was hast du studiert?", fragte Jiyong, während er sich mittlerweile um das Fleisch kümmerte.
Mir war das Recht, da die Erinnerungen doch schön waren.
"Lehramt.", antworte ich knapp.
"Du bist Lehrerin?" Seine Verwunderung war mehr als deutlich.
"Nein. Ich habe nur das Studium abgeschlossen, aber nie die Praxisjahre gemacht. Luca war fast zwei Jahre früher als ich fertig und hat nie bei seinen Eltern angefangen zu arbeiten. Stattdessen hat er das "Blue" eröffnet und mich von anfang an mit eingebunden. Wir waren damals nur zu zweit. Er in der Küche und ich hinter der Bar. Es war also nicht verwunderlich, dass kaum, als ich fertig war, er mir anbot seine rechte Hand und somit Teilnehmer an dem allem zu werden."
"Wow, nicht schlecht.", murmelte er anerkannt und legte mir Fleisch auf den Teller. Ich machte mir etwas unbeholfen einen Wrap.
Die nächsten Stunden vergingen ohne, dass wir erneut über das Thema sprachen. Stattdessen erzählte Jiyong viel über sich und seiner Karriere, was mir nichts ausmachte. Wir tranken weiter und weiter und irgendwann waren wir beide betrunken.
"Es ist echt ätzend.", murmelte ich und spielte mit dem Rand meines Glasses.
"Was?"
"Wir sehen uns zum dritten Mal und reden so, als wären wir jahrelang Freunde."
Zu meiner Überraschung kicherte Jiyong.
"Du hattest es heute dringend nötig zu trinken. Es war mehr als deutlich, dass es dir schlecht ging."
"Es geht mir immer noch schlecht.", flüsterte ich und biss mir in die Wange, da ich das altbekannte Brickeln in der Nase spürte.
Trotz meiner Aussage drängte mich Jiyong nicht. Nein, er wartete und ließ mir genug Raum, um nachzudenken.
"Luca hat mich damals zuerst geküsst. Als wir uns genau 7 Monate kannten und es eine Party zum Start des neuen Semesters gab. Er hatte mich eingeladen, da eigentlich nur die Jura und Wirtschaftzweige anwesend war. Es gab immer irgendwelche Zweige die unter sich waren und es auch so bevorzogen. Die meisten akzeptierten, dass ich da war, weil sie wussten, dass Luca ohne mich nicht kommen würde. Wir waren die ganze Zeit alleine im Garten und da war dieser widerliche Rotwein, den niemand trinken wollten, aber wir wollten ihn haben." Ungewollt musste ich lächeln, als ich daran zurückdachte. "Die zwei Flaschen waren leer und er küsste mich. Das war das erste mal und ab dem ging es eigentlich nur noch bergab. Wir hielten es immer geheim und hatte mehrmals nebenbei irgendwelche Beziehungen. Hat uns natürlich nicht dazu gebracht aufzuhören. Wir waren wie zwei Magneten, die niemad auseinaderziehen konnte."
"Aber momentan sieht es nicht so gut aus oder?"
"Ich wollte damals mehr. Etwas Sicherheit. Keine Freundschaftplus. Vorallem weil wir uns selbst weh taten. Das war vor zwei Jahren, eine Woche nach der Eröffnung des zweiten Laden. Am selben Tag hatte er mir auch gesagt, dass er Kisum gefragt hatte, seine Freundin zu sein. Sie war ein Jahr in Korea gewesen und wir haben uns durch eine Bekannte kennen gelernt und er sie widerum durch mich. Ab da wand er sich von mir und wie das nunmal bei Magneten ist, wurde ich weggestoßen. Weißt du wie schockiert ich gewesen war, als er keine zwei Monate später vor meiner Tür stand und mich einfach geküsst hatte? Wir können nicht ohne den anderen. Wir sind wie Süchtige, die ihre Droge zum leben brauchen. Aber sie heiraten bald und ich kann das nicht mehr...Ich komme damit nicht mehr klar...Das schlechte Gewissen und der Schmerz...Deswegen habe ich ihm heute gesagt, dass wir aufhören und dass nie wieder machen werden."
Ich hatte mich auf meinen Arm gelegt und versteckte somit mein Gesicht, damit Jiyong meine Tränen nicht sehen konnte. Leise schluchzte ich. Mein Herz tat so weh. Es zog sich schmerzhaft zusammen und nahm mir die Luft zum Atmen.
Plötztlich spürte ich Jiyongs Hand auf meinem Kopf und wie er mein Haar streichelte.
"Du bist so stark, Thea. So stark.", flüsterte er mir zu. "Dass du das heute gesagt hast ist mehr, als andere Menschen machen könnten."
Es fühlte sich gut an, wie er mir aufmunternte Sachen zuflüsterte und die Berührung war sanft und warm. Es halft mir, mich zu beruhigen.
Ich habe keine Ahnung wie lange wir so saßen, doch als ich mich beruhigt hatte, bezahlten wir und gingen.
Kurz bevor ich ins Taxt stieg gab ich Jiyong meine Nummer, welche er überrascht annahm.
Ich war glücklich, dass ich mich heute mit ihm getroffen hatte.
Sehr sogar.
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