... über Sternenregen, Lobeshymnen und Selbstkritik

Als ich mich heute bei Wattpad eingeloggt habe, geriet ich mitten in einen Sternenschauer. Den hat eine Leserin über der Geschichte "Zwei fingerbreit Salz" niedergehen lassen und das Ganze dann noch mit einer wahren Lobeshymne abgerundet.

Ich muss gestehen, so etwas bringen mich im Fall dieser Geschichte immer in eine etwas seltsame Situation: Einerseits freue ich mich natürlich genau wie jeder andere Schreiberling auch. Andererseits bekomme ich davon sowas wie ein schlechtes Gewissen.

Es ist nämlich so: Ich mag „Zwei fingerbreit Salz" nicht besonders.
Oder etwas präziser: Ich mag die bei Wattpad hochgeladene Version von „Zwei fingerbreit Salz" nicht besonders.

Ich sehe einige Probleme bei der Geschichte, allem voran mein ziemlich persönlichkeitsloser Antagonist Simon, andererseits das absolut unausbalancierte Storytelling mit der ewig langen Exposition und dem total abrupten Schluss.
Tatsächlich ärgern mich die Probleme dieser Geschichte so sehr, dass ich derzeit daran arbeite, aus der "Kurz"geschichte von rund 9000 Wörtern einen richtigen Roman zu machen, wie einige von euch bereits wissen.
(Derzeit arbeite ich an Kapitel 7,  habe etwas mehr als 17.500 Wörter zu verzeichnen und bin Storytechnisch noch nicht mal in der Hälfte angekommen, obwohl ich schon fast alle Szenen aus der "Urversion", die ich behalten möchte, recycelt habe, falls das jemanden interessiert.)

Die neue Version ist - meiner bescheidenen Meinung nach - in jedem Fall besser als die Urversion. (Ich weiss zum Beispiel nicht, wie ich eigentlich ohne die Charaktere Branna und Meara ausgekommen bin. Die beiden sind purer Zucker.)
Ich habe einfach das Gefühl, bei dieser "Erstversion" mein Potential nicht ausgeschöpft, nicht alles gegeben zu haben. Da wäre mehr gegangen, viel mehr.
Um ehrlich zu sein, empfinde ich die Urversion von "zwei fingerbreit Salz" mittlerweile als ziemlich "hingerotzt", obwohl sie objektiv betrachtet vermutlich immer noch um Längen besser abschneidet, als der Durchschnitt der hingerotzten Wattpadstories.

Ich habe Probleme damit, Lob zu dieser Geschichte anzunehmen, weil ich einfach nicht mehr hinter ihr stehen kann.

Ich kann das Lob, welches ich gelegentlich kriege, dadurch auch kaum "unkommentiert" annehmen. Es fühlt sich nicht richtig an, mich für etwas feiern zu lassen, bei dem mir absolut bewusst ist, dass ich es weit besser hätte machen können, dass ich es besser hätte machen müssen. Denn letztlich ist es doch mein Ziel, eine möglichst gute Geschichte zu erzählen.
Irgendwie habe ich immer das seltsame Bedürfnis, den begeisterten Leser darauf hinzuweisen, dass ich ihm hier ein unzulängliches Werk vorgesetzt habe. Ich weiss nicht, woher das kommt.
Mit anderen Geschichten, wie "Portrait der Sünde" zum Beispiel, habe ich das nicht. Mit der Geschichte bin ich nach wie vor ziemlich zufrieden, obwohl sie einen guten Ticken älter ist als "Zwei fingerbreit Salz", und ich kann einen lobenden Kommentar da auch mit einem ehrlich geschmeichelten "Dankeschön" entgegennehmen.

Andererseits zögere ich mittlerweile mehr und mehr, den "Lobeshymnen" meine Selbstkritik gegenüber zu stellen...

Erstens hat es so ein "Fishing for compliments"-Gschmäckle.
"Ehrlich gesagt, finde ich die Geschichte nicht wirklich gelungen" unter einem lobenden Kommentar ist zugegeben subtiler als das weiter verbreitete "Ja, ich weiss die Story ist scheisse, aber schaut trotzdem mal rein" in der Kurzbeschreibung, aber dennoch... ich weiss auch nicht... ich befürchte irgendwie immer, dass die Leute dann glauben, ich würde nur noch mehr Komplimente hören wollen. (Überhaupt mache ich mir vermutlich viel zu viele Gedanken darüber, was andere wohl von mir denken bzw. gehe immer von der schlimmst-möglichen Ansicht aus - Genau aus diesem Grund habe ich z.B. die Geschichte "Der Apfelbaum in der Dämmerung" nicht hier hochgeladen...)

Zweitens - und das ist eigentlich der wichtigere Punkt - ist "Mir hat die Geschichte gefallen" doch eine absolut valide Meinung. Sicher, es ist nicht meine als Autorin, aber dennoch absolut berechtigt. Warum sollte es das nicht sein?
Zugegeben, wenn Leser etwas Hingerotztes feiern, habe ich das Bedürfnis, sie zu schütteln und "Wie zum Geier kannst du das gut finden?" zu rufen.

Meistens mache ich es dann aber nicht.
Abgesehen davon, dass Freundlichkeit definitiv anders aussieht, impliziert es doch irgendwo auch, der Leser sei dämlich oder sowas. Dabei hat er meistens einfach nur einen anderen Standpunkt und einen anderen Erfahrungslevel.
Denn wenn ich ganz ehrlich bin: Mit 13, 14 oder 15 hab ich auch Charaktere gefeiert, die ich heute wahrscheinlich als "flach" in die Tonne kloppen würde. Oder mir gar nicht erst Gedanken darüber gemacht.
Ich war damals nicht dümmer, sondern einfach weniger erfahren als heute.
(Und wenn ich noch etwas ehrlicher bin: Als ich "Zwei fingerbreit Salz" geschrieben habe, war ich bereits weit jenseits der 20 und habe mir trotz aller Erfahrung keine (bzw. nicht genug) Gedanken darüber gemacht, warum Simon eigentlich böse ist.)
Letztlich ist es doch auch völlig okay, etwas zu mögen, auch wenn es nicht perfekt ist. 
Heck, ich steh ja selber total auf Trash. Wisst ihr wie viele Groschenromane hier rumliegen?
Es sind mindestens 20. Und die Dinger sind bei weitem keine grosse Literatur.  (Ich hab sogar mal einen verrissen, der war ne richtige Klischeesammlung...) Trotzdem machen mir die (meistens) sehr viel Spass.
Ich möchte nur ungern jemandem das Gefühl geben, seine Meinung hätte keine Daseinsberechtigung, bloss, weil ich (aus welchen Gründen auch immer) eine andere vertrete.


Last but not least fühle ich mich immer genötigt zu sagen, dass ich an einer zweiten, besseren Version arbeite, was dann dazu führt dass Leute "sich darauf freuen, die überarbeitete Geschichte" zu lesen.
Das an sich wäre ja nicht schlimm - im Gegenteil! -, der Punkt ist bloss: 99,99743% dieser User werden die überarbeitete Geschichte nicht lesen.
Und zwar weil sie nicht bei Wattpad zu finden ist und auch nie darauf zu finden sein wird - jedenfalls, wenn ich es verhindern kann.
Die Aussage "Ich hab eigentlich nicht vor, sie hier hochzuladen, weil ich sie an einen Verlag schicken will" ist mir irgendwie auch wieder etwas peinlich...
Ich weiss nicht mal genau, wieso.
Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dem User "Hoffnungen" auf eine tolle Geschichte gemacht  und diese dann einen Atemzugspäter wieder zerstört zu haben...


Anyways das war wirr...
Wie sieht's bei euch aus? Kommt euch die Selbstkritik auch derart in den Weg?




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