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"Ich habe ein Mädchen geküsst."
Ich meide Lunas Blick.
"Ich war in ein Mädchen verliebt.
Bin. War. Keine Ahnung. "
"Clara, es tut mir Leid!" Das ist Tonis Stimme, ganz leise.
"Ich wurde von einem Mädchen verletzt. Versetzt. Weiß nicht. "
Der erste Part wäre erledigt. Ich traue mich nicht, hinzuschauen, die Reaktionen der anderen zu sehen. Jetzt kommt der schwerste Teil.
"Ich habe jemanden geschlagen.
Also, so richtig.
So, dass er nicht mehr aufgestanden ist."
Ich hole noch einmal tief Luft, als könnte das irgendetwas helfen.
"Vielleicht", sage ich dann.
"Vielleicht habe ich jemanden umgebracht."
Ich merke selbst, wie meine Stimme immer leiser wird. Vorsichtig sehe ich mich um. Im Raum herrscht betretene Stille. Toni nimmt meine Hand, drückt sie fest, als wollte sie mir etwas geben, woran ich mich festhalten kann, wenn ich kurz davor bin, abzustürzen.
Und dann sagt Hannah, Hannah, die nie etwas sagt, die sich aus allem raushält, "Ich weiß."
Ich zucke zusammen, fahre herum. Sie sieht mich nicht an. "Wir haben es gewusst, alle. Von Anfang an."
Alle. Toni. Nia. Nia wusste es, schon immer. Nia wusste von der Sache mit Luna. Toni wusste, dass ich diese schrecklichen Phasen durchmachte, weil ich Angst hatte. Luna wusste sehr wohl, warum ich weinte. Jedes Mal. Sie alle wussten es.
Alles gelogen.
Alles eine verdammte Lüge.
Gestern noch dachte ich, es wäre ein Fehler gewesen, mich so zu verstecken, niemanden an mich heranzulassen. Ich dachte, es wäre ein Fehler gewesen,nicht zu vertrauen. Aber jetzt weiß ich es besser. Jetzt weiß ich, was ein Fehler war. Dieser Gedanke, er war es. Und die gesamte Woche. Alles Heulen. Alles Lachen.
Eine Lüge.
Wie ein Albtraum, in dem man mich in eine rosafarbene Blase gesetzt hatte, und ich war naiv. Naiv genug, zu glauben, sie wäre alles. Wie ein kleines Kind haben sie mich herumgereicht, haben mich kaputtgemacht, alle, als wollten sie mir beweisen, dass sie es konnten.
Ja, und wie sie es konnten. Und wie sie es konnte. Luna. Lügen. Nia.
Sie war der Mensch, in den ich verliebt war. Wenn es das überhaupt noch gibt. Vielleicht ist die Liebe genau so eine Lüge wie alles anderes.
Ich habe sie alle kennengelernt, echt kennengelernt. Wie verdammt scheiße sie alle sind. Und ich hab es noch nicht mal bemerkt.
Ich will schreien.
Ich will heulen.
Ich will jemanden schlagen.
Ich will weglaufen.
Ja, ich bin wie ein Kind. Ein naives, kleines Kind.
Ich bin noch immer gefangen in meiner rosa Blase, ich denke noch immer, ich könnte einfach davonlaufen.
Ich wünsche, ich könnte es.
Mein Blick fällt auf Tonis Hand, die noch immer meine umklammert, wie um mich festzuhalten. Jetzt ist es nötig, mich festzuhalten. "Lass los", sage ich, ganz ruhig. "Lass mich los."
Es tut mir Leid, hat sie gesagt.
Jetzt weiß ich, was.
Das Problem mit dem Vertrauen und mit dem Lieben, das ist, dass man es nicht beenden kann. Nicht, wenn es echt war.
Und es hat sich so verdammt echt angefühlt.
"Clara, es tut mir Leid", sagt Toni. "Ich hätte mit dir reden sollen, ich hätte dir alles erzählen sollen, was sie über dich sagen, was hier los ist. Keiner hat dir etwas gesagt, oder? Sie haben nur über dich geredet, als du den Kopf in den Wolken hattest. Nicht alle, natürlich, aber es waren nicht viele, die nichts an der ... Geschichte auszusetzen hatten."
"Nein", sage ich. "Ich hab Mist gebaut. Am Donnerstag. Weil sich keiner"
Erinnert hat, will ich sagen, doch ich werde von Toni unterbrochen.
"Clara", sagt sie nochmal. "Alkohol verzerrt nur die Sicht, es nimmt sie dir nicht."
Ich schaue zu Luna. Nein, ich hasse sie nicht. Ich kann sie nicht hassen. Sie ist wunderschön, ihre Haare hat sie heute zu einem lockeren Zopf geflochten, der auf ihrer Schulter liegt. Gedankenverloren spielt sie mit dem Zopfende.
Dann bin ich es, die die angespannte Ruhe durchbricht.
Die Flasche dreht sich einmal, zweimal, dreimal. Sie wird wieder langsamer. Ich passe nicht wirklich auf. Meli muss auf dem Gang den Ententanz tanzen, Hannah erzählt von ihren Albträumen, dreht die Flasche, ich schaue nicht zu, sehe nicht, auf wen sie zeigt, höre nicht, was die anderen reden. Bis mich Hannah anstupst. "Weißt du eine Pflicht für Luna?", fragt sie, ich schüttele nur den Kopf, zucke mit den Schultern.
"Ach egal", sagt Hannah. "Dann... küss eine Person deiner Wahl."
Luna schaut mich an, dann Nia, wieder mich. Es scheint mir, als stünde sie an einer Wegkreuzung. Links, rechts, links, wie an der Straße schaut sie, wolang sie gehen soll. Dabei treffen die Wege hinter einer Kurve wieder zusammen. Und dort ist ein Abgrund. "Ich kann nichts richtig machen", höre ich sie murmeln.
Luna steht auf. Schaut nochmal uns beide an. Ich schüttele den Kopf, kaum merklich. Ich will, dass sie mich wählt, dass sie mich wieder küsst. Weil es sich so richtig angefühlt hat. Aber es war nicht richtig. Ich hasse es, so zu tun, als ob.
Und Luna hört auf mich. Ich schließe die Augen, als ihre Lippen auf Nias treffen. Nia scheint zufrieden. Sie beide scheinen zufrieden. Ich öffne die Augen wieder, dabei will ich es nicht sehen, will nicht sehen, wie sie sich leidenschaftlich küssen.
Ich will nicht sehen, dass alles eine Lüge ist.
"Und was machst du jetzt?", fragt Toni.
Immerhin eine, die eine Ahnung hat.
Davon, dass ich verliebt war.
"Ich schätze mal", antworte ich. "Ich gehe wieder mit dem Kopf in die Wolken."
Toni schaut in mich an, fragend, als fürchtete sie, ich sei zerbrechlich.
"Nimmst du mich mit?"
Ich bin heute mega motiviert, zwei Kapitel an einem Tag habe ich noch nie geschafft. Ich hoffe, es gefällt euch.
Eure Johanna❤
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