--2--
"Wir führen hier ein Experiment durch", ruft Jona, schon weniger genervt als normal. Das ruft sie immer, aber normalerweise wird sie einfach ignoriert. Wieso interessieren sich die Leute plötzlich für Jonas komisches Experiment? " Jemand muss Protokoll führen", ruft Jona, diesmal erinnert sie mich irgendwie an Effie Trinket aus "the hunger games". Affektiertes Lachen, als könnte sie sich dadurch interessant machen. Aber nein, heute interessierten sich die anderen wirklich für sie. Für sie und für mich. Weil ich was gesagt habe. Ich sage nie was. Wieder klopfe ich mit dem Stift auf den Block. Ich schreibe mit. Mach ich sowieso. Ich zwinge mich, gelangweilt zu gucken. Oder noch besser, abwesend. Als wäre ich mit den Gedanken in einer anderen Welt gegangen, so wie meistens. Aber ich kann nicht verhindern, dass mein Puls schneller geht. Sie kann doch nichts wissen, oder? Aber sie will etwas wissen. Geheimnisse. Und ich habe ein verdammt großes Geheimnis.
"Soll das heißen, wir sollen hier unsere Geheimnisse ausplaudern?", fragt Meli. Jona scheint verwirrt. Mit so einer Frage hat sie nicht gerechnet. Eigentlich hat sie mit gar keiner Frage gerechnet.
"Erzähl uns erst mal dein Geheimnis", sagt Meli herausfordernd. Meli erzählt nie etwas über sich, aber sie will immer alles von den anderen wissen. Jona sagt nichts. Aber jetzt, einmal, ruht alle Aufmerksamkeit auf ihr. Hat sie sich das nicht immer gewünscht?
Nicht so, wahrscheinlich. In ihrer Vorstellung ist wahrscheinlich alles durchgeplant, alles läuft, wie sie es will und nicht anders. Aber so sieht es nicht aus.
Da hebt Luna die Hand. Zögerlich, erst, streicht sie sich eine Strähne ihrer langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht, dann meldet sie sich, wie im Unterricht. Bleib ruhig, sage ich mir, das hat nichts mit dir zu tun. Aber das hat es sehrwohl, ich weiß es einfach. Ich will etwas tun, ihr den Mund zuhalten, verhindern, dass sie ihr Geheimnis preisgeben kann. Aber Klappe halten gilt nicht. Und in dem Moment beschließe ich, mich an Jonas Regeln zu halten.
"Ich bin lesbisch." Es sind drei Worte, die Luna sagt. Scheiße. Sie erinnert sich. Kann es sein, dass sie sich erinnert?!?
---
Ich muss betrunken spielen, ja, fällt eh keinem auf, dass ich nichts trinke, sind alle viel zu voll. Trotzdem, sicher ist sicher. Aber was ist denn schon sicher. Ich muss weg, so schnell wie irgendwie möglich. Jetzt sofort! Dieser Typ, er liegt noch in der Ecke, halb geöffnete Augen. Verdammt, mir wird schlecht, ich hab doch nichts getrunken, oder? Luna. Ihr Name. Ich kann ihn nicht aus meinem Kopf bekommen. Da, auf dem Sofa, an der Wand. Sie öffnet die Augen. "Was ist passiert?", nuschelt sie. "Nichts!" Ich klinge aggressiv. Ich bin aggressiv. "Und jetzt verpiss dich!"
--
Sie erinnert sich. Sie erinnert sich an diesen Tag, zumindest bruchstückhaft. An diesen Tag, den es nie hätte geben dürfen. Sie erinnert sich an mich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top