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Ich öffne die Augen, blinzele ein paar Mal in das graue Morgenlicht. Die Sonne geht bereits auf, aber es ist ein verhangener Tag, typisch für den November. Ein paar Minuten brauche ich, dann kann ich klar sehen und setze mich in meinem Bett auf. Erst, als ich mir den Kopf anschlage, hochsehe und das Stockbett über mir erkenne, fällt mir wieder ein, wo ich bin. Schullandheim.
Auf dem Boden, der MP3-Player, lässt die Erinnerungen hochkommen. Alles, was gestern passiert ist. Doch jetzt kommt es mir vor, als wäre ich ein Zuschauer, von außen auf die Ereignisse blickend und hätte rein gar nichts mit alldem zu tun. Ich erinnere mich an eine Busfahrt, an dumpfe Beleidigungen, an zwei Mädchen, die tanzen. Alles abgestumpft. Alles egal. Aber mit einem guten Ergebnis. Luna, neben mir. Sie schläft noch, auf dem Boden, nur in eine Decke gewickelt. Toni liegt in ihrem Bett, sie scheint es ihr also überlassen zu lassen. In Gedanken erstelle ich eine Liste, 'Dinge, die an Luna süß/toll sind' und schreibe 'Hilfsbereitschaft' drauf. Sie sieht hübsch aus, schlafend, ihre Haare liegen wie ein Teppich um ihren Kopf ausgebreitet. Die Lider geschlossen, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht. Wahrscheinlich träumt sie gerade etwas schönes. Vielleicht träumt sie von den guten Dingen, die gester passiert sind. Ich bin die einzige im Zimmer, die schon wach ist. Klar, schließlich bin ich gestern auch als erste ins Bett gegangen. Es ist lustig, andere Leute beim Schlafen zu beobachten. Ich stehe auf, laufe ein Stück im Zimmer hin und her. Ich trage noch das Party-Outfit von gestern, meine Frisur ist völlig zerstört. Die Sachen der anderen liegen im Raum verstreut. Vorsichtig hebe ich Luna hoch. Sie ist erstaunlich leicht, ihr Schlafshirt ist hochgerutscht und ich sehe ihre schmale Taille noch deutlicher als sonst. Sie ist kalt. So sanft wie möglich lege ich sie in meinem Bett ab, decke sie zu.
Dann ziehe ich mir endlich normale Sachen an. Den MP3-Player lasse ich auf dem Boden liegen. Ich krame ein Buch von irgendwo aus meinem Rucksack und beginne, zu lesen, kann mich nicht lange konzentrieren. Blättere Seite um Seite um und vergesse, was ich eben gelesen habe, nehme es kaum wahr. Irgendwann, vielleicht auch schon nach fünf Minuten, lege ich das Buch wieder weg und beobachte weiter Luna beim Schlafen. Sie dreht sich, murmelt etwas vor sich hin, streckt den einen Arm zur Seite aus. Ich greife nach ihrer Hand. Sie ist kühl, weiche Haut. Ich fühle mich ein bisschen, als wäre ich ein Krankenhausbesucher und sie die Patientin. Und so ist es auch. Wer weiß, was nach der Klassenfahrt kommt? Vielleicht haben wir ja wirklich nicht mehr viel Zeit.
Draußen ist es inzwischen hell geworden. Die anderen vier sind immer noch nicht aufgewacht. Die Lehrer klopfen schon an die Tür, wir sollen zum Frühstück kommen.
"Hey, aufwachen", flüstere ich. Keiner reagiert.
"Aufstehen!", rufe ich, etwas lauter.
Toni blinzelt und wird langsam wach. "Wasn?", murmelt sie? "Frühstück!", brülle ich, in der Hoffnung, die anderen so wecken zu können. Keiner regt sich.
Kurzentschlossen ziehe ich Luna meine Decke weg. Sie öffnet nicht mal die Augen, holt sich nur ihre Decke zurück und grunzt genervt. Ich schüttele sie, verpasse ihr eine leichte Ohrfeige, ziehe sie an den Beinen aus dem Bett.
"Hey, lass das", murmelt sie verschlafen. Dann öffnet sie die Augen, schließt sie gleich wieder. "Ach du bist es", sagt sie. "Ich steh gleich auf."
Irgendwie finde ich das süß. Ich finde sie süß. Und für diesen einen Tag darf ich das doch wohl noch denken, ohne, dass es jemanden stört, oder?
Die anderen reiben sich den Schlaf aus den Augen und beginnen in Schneckentempo, sich umzuziehen, während ich sie nur beobachte. Luna ist fertig, hockt sich neben mich aufs Bett und lehnt sich an mir an, ich sehe, am liebsten würde sie gleich wieder einschlafen.
"Heute ist ein ganz normaler Tag, oder?", flüstere ich. Sie schaut mich nur verwirrt an. "Ich meine", setze ich zur Erklärung an, "heute können wir machen, was 'normale' Leute im Schullandheim machen. Wir werden komische Gruppenspiele spielen und und ein Tischtennisturnier und was man sonst noch so macht. So wie wir es immer gemacht haben, die letzten Jahre. Nur als Freunde." Bei dem Wort 'Freunde' male ich mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. Ich bezweifle, dass das wirklich der richtige Ausdruck ist. Luna grinst. "Oder eben nicht 'Freunde'", sagt sie. Sie ahmt meinen Tonfall nach und malt übertrieben demonstrativ Anführungszeichen in die Luft. Ich beuge mich zur Seite, gebe ihr einen Kuss auf die Wange. Es gefällt mir, wie sie augenblicklich rot wird.
"Dann eben zumindest als Nicht-Lesben", schlage ich vor.
"Okay."
So, da bin ich mal wieder mit einem neuen Kapitel, diesmal etwas fröhlicher. Ich wollte verhindern, dass die Stimmung in der gesamten Geschichte düster oder deprimierend wird. Ich hoffe, es gefällt euch. Wie immer würde ich mich über ein Feedback freuen.
Eure Johanna❤
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