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Würde man mich bitten, mich selbst kurz zu beschreiben, ich würde mich auf keinen Fall als durchschnittliche 14-jährige bezeichnen. Ebenso wenig wie Luna, Sarah oder Jona, obwohl die ja noch nicht mal 14 ist. Aber dennoch: Eine halbe Stunde vor der Party mutieren wir zu vollkommen durchschnittlichen Teenagern.
Natürlich brauchen wir länger als eine halbe Stunde. Wer schafft es denn in einer halben Stunde, sich so für eine Party fertigzumachen? Sarah hüpft wahrscheinlich noch immer panisch umher und Jona versucht, sie zu beruhigen. Der wirklich spannende Teil der Party beginnt erst um halb acht, laut Jona. Falls sie recht hat, haben wir noch genau 16 Minuten. Ich bin längst fertig und laufe den Gang zwischen den Zimmern auf und ab. In unserem Zimmer war es mir zu laut und trubelig.
Meine Schritte hallen von den Wänden wider. So langsam wird mir kalt in dem dünnen Outfit. Ich laufe weiter an den Türen vorbei, drehe um, gehe zurück. Am Ende des Ganges ist ein Fenster, eines, das vom Boden bis zur Decke geht. Ich setze mich davor, schlinge meine Arme um meine Beine, der Rock ist so eng, dass es nicht herunterrutscht. Meine eiskalten Fingerspitzen liegen auf meinen nackten Unterarmen. Draußen ist längst die Sonne untergegangen und es ist so dunkel geworden, dass man auch von hier oben keine hundert Meter weit sehen kann. Ich starre ins Leere. Das ist es, was ich an Klassenfahrten so hasse: Man hat nie seine Ruhe. Ich brauche Zeit für mich, Zeit, einfach meinen Gedanken nachzuhängen, so unnötig und nutzlos sie auch sind.
Es ist Mittwoch. Vor drei Tagen hat die ganze Sache angefangen. Ich weiß es noch genau, ein ganz normaler Montag, ich saß in der Schule und habe mein ganz normal langweiliges Leben dokumentiert. Nur dass es, so kommt es mir jedenfalls vor, seit Montag nicht mehr so normal ist. Nichts ist mehr normal. Am wenigsten ich. Wieso lasse ich mich eigentlich auf diese ganze Sache mit Luna ein? Gäbe es sie nicht, dann würde ich doch immer noch ein ganz normales hetero-Mädchen sein. Oder ich würde es zumindest glauben. Ich merke, wie ich in die Gedankenspirale gerate. Wäre ich wirklich nicht hetero, würde ich Luna wirklich mögen, würde ich dann überhaupt so etwas denken? Und wenn ich Luna nicht kennen würde, wäre ich dann hetero?
Alles hätte anders kommen können. Wenn ich nur am Donnerstag nicht auf diese bescheuerte Party gegangen wäre. Ich war da, ohne Grund und Ziel und jetzt - das habe ich wohl davon.
Luna ist eine Freundin, nur eine gute Freundin, sage ich mir. Aber wird man nach einem Kuss in drei Tagen 'Nur gute Freunde'? Geht das überhaupt?
Ja, sie ist hübsch. Ja, ich bin gern bei ihr, lieber als bei Jona oder Sarah. Und ja, ich habe sie geküsst. Aber lich hätte diese Sache jederzeit beenden können, nicht mehr mit ihr reden, was weiß ich. Ich hätte irgendwas tun können.
Aber jetzt gehe ich mit ihr zur Party. Ich freue mich, mit ihr zur Party zu gehen. Und dagegen kann ich nichts tun.
Es ist scheiße, nicht 'normal' zu sein. Ich will ja mit Luna zur Party gehen. Aber da ist noch immer dieser Teil in mir, der sich dagegen sträubt. Ich frage mich, ob es jemals aufhören wird. Oder ob ich mich damit abfinden muss.

Jemand setzt sich neben mich. Luna, denke ich, kann aber den Blick nicht von dem nichts, das ich anstarre, abwenden. "Hi", sagt eine Stimme. Und es ist nicht Lunas Stimme. Widerwillig drehe ich den Kopf. "Äh... hi ", antworte ich. "Hi, Antonia".
"Toni", sagt sie. "Nenn mich Toni." Ich nicke.
"Die anderen wollten mich nicht mehr in ihrem Zimmer haben", erzählt sie. "Nia, Christina, Meli"
"Weil du...", beginne ich. 'Pan bist', will ich eigentlich noch sagen, aber sie unterbricht mich durch ihr Nicken. "Sie haben nicht direkt gesagt, dass ich weg soll, aber es war eindeutig, dass sie mich nicht bei sich haben wollten", erklärt sie.
"Du kannst zu uns kommen", sage ich schnell, ohne nachzudenken. Ich gehe davon aus, dass die anderen kein Problem damit haben. Ich hoffe es. Ich lege einen Arm um Tonis Schulter. Sie ist warm, wärmer als ich. "Du gehst also zur Party?", führt sie das Gespräch weiter und ich bin mir nicht sicher, ob das Smalltalk sein soll, oder ob sie auf etwas hinaus will. Die Frage wird mir beantwortet, es platzt aus Toni heraus, sie spricht so schnell, dass ich es kaum verstehe.
"Gehst du mit mir hin?"
In ihrer Stimme liegt ein klein bisschen Hoffnung und es tut mir weh, als ich den Kopf schüttele. Ich setze gerade zur Erklärung an, ein sinnloser Monolog, eine lange Rechtfertigung, als hinter uns die Tür aufgeht. "Clara!", ruft Sarah. Ich stehe auf, meine Lippen formen noch das Wort 'sorry', dann laufe ich zu den anderen. Luna nimmt meine Hand. Und Toni bleibt am Fenster sitzen.


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