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Nicht hinter schauen, sage ich mir. Was Nia macht, kann dir doch egal sein. Kann mir doch egal sein.
Ist es aber nicht. Denn Fakt ist, dass Nia hinter meinem Rücken gerade garantiert mein ganzes Geheimnis ausplaudert. Warum habe ich ihr eigentlich überhaupt etwas gesagt?
Hab ich ihr vertraut?
Mochte ich sie etwa?
Vor der ganzen Sache mit den Geheimnissen hielt ich es für selbstverständlich, dass wir uns nicht leiden konnten. Wir alle, die ganze Klasse. Ich war nicht beleidigt, weil mich keiner mochte, schließlich gab es kein beliebt und unbeliebt. Der Schulalltag bestand daraus, allein zu sein. Oder mit Leuten, die man nicht mochte, über andere herzuziehen, die man genau so wenig mochte. Dieses Prinzip habe ich nie hinterfragt, kein einziges Mal. Aber jetzt wird mir klar, dass es irgendwie was gutes hatte. Wir waren keine Freunde. Aber wir waren auch nie so verfeindet, wie wir es uns vormachten. Wir waren eben die 9b. Und im Jahr davor die 8b und so weiter. Wir waren einfach eine Klasse, und wenn ich uns mit anderen Klassen vergleiche, mit Mobbingopfern und Mobbern, mit Coolen und Außenseitern, dann bin ich eigentlich echt zufrieden mit dem, wie es war. Dieser angebliche Hass war wie ein Vorhang, etwas, das unseren Zusammenhalt versteckte. Und Luna schien die einzige zu sein, der das klar war. Luna war die einzige, die uns schon immer mochte. Wären wir je so weit gekommen, wenn es sie nicht gäbe?
Ich habe das Gefühl, insgeheim mochte ich sie auch alle. Ich habe ihnen allen vertraut, zumindest ein Stück weit. Keine Schwächen zeigen, das war unser Motto, wenn ich es von heute aus betrachte. Hart bleiben. Ja, ich habe sie gemocht, meine ganze Klasse.
Aber in Nia habe ich mich anscheinend getäuscht.
Vielleicht war es klug, niemanden an mich heranzulassen, vielleicht verfolgten wir alle dieselbe Strategie, um uns von niemandem verletzen zu lassen. Und diese Klassenfahrt scheint dazu da zu sein, das alles aufzubrechen und zu sehen, was wirklich in den Leuten steckt.
Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich dann überhaupt mitgefahren? Wohl kaum. Aber ich muss sagen, ich bereue es nicht.
Nia also. Die eben dabei ist, allen mein Geheimnis zu verraten. Zumindest gehe ich davon aus. Es würde zu ihr passen. Hör nicht hin, sage ich mir. Geh zu den anderen, zu Luna, Jona und Sarah. Unterhalt dich mit ihnen. Aber Nia. Vielleicht ist sie ja gar nicht mehr am Ende der Gruppe, vielleicht geht sie direkt hinter mir. Ich sollte mich umdrehen, mich vergewissern, sicher stellen, dass sie nicht das tut, was ich befürchte. Aber sie tut es, da bin ich mir sicher. Und ich will es nicht hören.
Aber ich glaube, ich muss.
Ich schaue mich schnell um, lasse mich dann zurückfallen, bis ich hinter Nia bin. Sie scheint mich gar nicht zu bemerken. Wild gestikulierend redet sie auf Antonia ein. Antonia ist groß und schlank und das einzige, das mir je besonders an ihr aufgefallen ist, ist der Kurzhaarschnitt. Alle aus der Klasse haben lange Haare, außer Antonia. Sie sieht aus wie diese Klischee-Lesbe, dabei bin ich mir sicher, dass sie hetero ist. Und genau die richtige Ansprechpartnerin für Nia.
"Sie hat es zugegeben", höre ich Nia sagen. Sicher meint sie mich. Dass das ein Geheimnis ist und vielleicht nicht in so einer Lautstärke verkündet werden sollte, scheint ihr ziemlich egal zu sein. "Dass sie lesbisch ist. Ich mein, es ist ja keine Überraschung, aber gut find ich das nicht wirklich. Luna ok, Luna zählt nicht. Aber wir brauchen nicht noch jemanden in der Klasse, der sich für was besonderes hält." Augenblicklich weicht Antonia ein Stück zur Seite. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber ihrem Tonfall nach zu urteilen schaut sie Nia gerade ganz schön abschätzig an. "Hast du was dagegen?", faucht sie. "Und nur zu deiner Info: Ich bin pan."
Oha.
Das hätte ich nicht erwartet.
Antonia bleibt plötzlich stehen.
Das Manöver funktioniert, Nia geht ohne sie weiter. Ich bin jetzt so nah bei Antonia, dass sich unsere Hände beinahe berühren. "Äh... hi", stotterte ich. "Hi", sagt sie und kann den Schock, dass ich offensichtlich alles mitgehört habe, nicht verstecken.
Dann, um der unangenehmen Situation zu entkommen, laufe ich schnell nach vorne zu Luna. Antonia bleibt, wo sie war, garantiert verwirrt.
Ich bin kurz davor, Luna von Nia zu erzählen, so kurz davor, doch genau in diesem Moment bleibt Frau Winkler, unsere Mathelehrerin stehen und bittet um Ruhe. Na ja, bitten kann man es nicht wirklich nennen. Nachdem sie etwa drei Minuten gebrüllt hat, wird die Klasse tatsächlich leise.
"Ihr teilt euch jetzt in Zweierteams auf", befiehlt sie und kommt nicht weiter, denn alle sind bereits mit der Teameinteilung beschäftigt.
Luna hakt sich bei mir unter. Ich zucke zusammen, dann starre ich auf unsere Arme und mein Puls geht augenblicklich schneller. Dieses Gefühl ist neu für mich, aber es ist verdammt schön.
Wir bekommen Landkarten ausgeteilt. Die Aufgabe: eine Hütte im Wald finden. Jedes Pärchen bekommt seinen Startpunkt.
Luna und ich werden ein Stück ins Gebüsch geführt, dann geht es los. Enge Trampelpfade durch den Wald, Laub unter unseren Stiefeln, tief hängende Äste. Der Geruch von Wald steigt in meine Nase, immer intensiver je weiter wir uns vom Weg entfernen.
Als es zu eng wird, greift Luna nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her. Sie kennt sich aus. Ich schließe für einen Moment die Augen und das einzige, was ich wahrnehme, ist der Duft der Blätter und die Wärme von Lunas Hand.
Dann sind wir an der Hütte angenommen. Wir sind die ersten. Lächelnd lasse ich mich auf eine Bank neben der Hütte fallen, Luna setzt sich neben mich. Kommt mir das nur so vor, oder rutscht sie wirklich ungewöhnlich nah zu mir hin?
Für einen Moment schweigen wir noch. Dann fragt Luna "Du gehst doch zur Party, oder?" Party. Das Wort allein lässt eine Erinnerung hochkommen
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"Wo gehst du hin?", fragt Mum aus dem Wohnzimmer. "Jugendzentrum", antworte ich knapp. "Da ist ne Party. Ich bin bis Mitternacht zurück." Ohne die Antwort meiner Mutter abzuwarten verlasse ich das Haus und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fahren. Ich hole mein Fahrrad aus der Garage und mache mich auf den Weg. Im Jugendzentrum gibt es alle paar Monate eine Party für die uncoolen Leute. Und unsere Klasse ist uncool. Es gibt immer noch Leute, die denken, dass Jugendzentrum sei unter ihrem Niveau, aber nie würde einer von den Oberstufenschülern uns auf eine richtige Party einladen. Ich habe die Hoffnung längst aufgegeben. Das Jugendzentrum ist heruntergekommen und alt und auf Regeln wird hier schon lange nicht mehr geachtet. Das heißt, es wird Alkohol im Spiel sein. Nicht, dass mich das sonderlich interessieren würde, aber ich habe nichts besseres zu tun. Also gehe ich hin.
Ich weiß ja noch nicht, worauf ich mich da einlasse...
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Ich zucke mit den Schultern. Im Schullandheim gibt es immer eine Party und dort bleibe ich nie lange. Die Musik ist schlecht und laut und auch sonst ist nichts los. Eine andere Klasse ist immer noch da, eine Klasse mit Jungs, die tanzen jedes Jahr.
"Und..." Luna scheint verunsichert. "Würdest du mit mir hingehen?"
Das Lächeln auf meinem Gesicht wird breiter, dass es fast wehtut.
"Okay."
Wow, das waren fast 1200 Wörter! Insgesamt bin ich überrascht, dass ich diese Geschichte so weit geschrieben habe. Die meisten Geschichten breche ich nach ein paar Kapiteln ab. Danke an euch wenige Leser, dass ihr das hier lest. Ich freue mich immer über Feedback und produktive Kritik oder Ideen :)
Eure Johanna ❤
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