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Eine Hand auf meiner Schulter lässt den Moment zerplatzen wie eine Seifenblase, die von Anfang an so dünn war, dass man wusste, sie würde nicht lange halten, und die doch so schön war, dass man es nicht wahrhaben wollte. Diese Hand zersticht meine Seifenblase, mit langen, pink lackierten Nägeln, die sich jetzt in meinen Unterarm bohren.
Nia.
Die nach meinem Arm greift und ihn von Lunas wegzieht, mit härterem Griff, als es von außen scheint. Ganz ruhig, seltsam lächelnd. Sie ist anders als sonst.
"Ich soll euch ausrichten, dass wir uns in zehn Minuten am Haupteingang treffen", sagt sie, an die anderen gewandt. "Und was ist mit Clara?", fragt Jona, hörbar verwirrt. "Ach, nichts besonderes", antwortet Nia. Trotzdem kann ich mich nicht beruhigen. Im Kopf gehe ich schnell alle noch so bescheuerten, beängstigenden Möglichkeiten durch.
Will sie mir was gestehen? Dass sie... verliebt ist? Ach Quatsch sage ich mir, um den lächerlichen Gedanken los zu werden. Doch dann kommt ein neuer Gedanke, noch schlimmer, viel schlimmer.
Nia weiß Bescheid.
Nia weiß Dinge von mir, Dinge, die sie nicht wissen darf.
Sie weiß von der Party.
Oder von Luna.
Sie zieht mich aus dem Speisesaal, den Flur entlang und in die Nische unter der Haupttreppe, die rauf zu den Schlafräumen führt. Ich öffne den Mund, weiß aber nicht, was ich sagen soll. Ich will sie anschreien, was ihr einfällt, dass sie mich in Ruhe lassen soll, was denn überhaupt los ist, aber ich kann es nicht. Ich kann mich nicht wehren. Da ist so ein seltsames Gefühl in mir, eine Art von Neugier. Ich will nicht wissen, was Nia mir zu sagen hat. Aber ich muss.
Nia lässt mich los. Ich könnte jetzt weglaufen oder so, aber ich tue es nicht. Erst muss ich wissen, was los ist.
"Luna und du also?", fragt sie. Kein vollständiger Satz, aber ich weiß, was sie meint.
Luna und ich.
Luna und ich?
Mir war schon klar, dass das kommen würde, ja, ich hatte sogar schon begonnen, Antworten und Rechtfertigungen auszuformulieren. Trotzdem ist das einzige, das ich herausbringe, ein "Was?"
Es sollte geschockt klingen, überrascht, aber ich bin keine gute Schauspielerin.
"Bist du jetzt auch lesbisch?", will Nia wissen und ihre Stimme klingt überraschend ruhig. Bin ich das? Und wenn, war ich es nicht schon immer? Für Nia scheint die Welt so schwarz-weiß zu sein. Muss ich mich denn entscheiden, ob ich Jungs oder Mädchen mag? Mag ich denn Jungs oder Mädchen? Oder beides?
Nur eines ist mir klar, in dem Moment mehr als in allen vergangenen: Ich mag Luna.
"Und... was, wenn?", frage ich. Das hört sich falsch an aus meinem Mund und richtig zugleich. Ich war doch noch nie verliebt. Nie in einen Jungen. Aber Luna?
Bleib ruhig, sage ich mir, bleib ruhig, es ist doch keine große Sache! Doch das ist es sehrwohl. Zumindest sieht Nia es so. Ihre Augen, die sich weiten, sie öffnet den Mund, und ich habe schon Angst, was sie jetzt sagen wird, doch sie schließt ihn wieder.
"Echt jetzt?", fragt sie, nachdem sie den Mund wieder aufgekriegt hat, und ich bin mir nicht sicher, ob es nur überrascht oder schockiert rüberkommen sollte. Ich bin die, die cool bleiben müsste und nur mit den Schultern zucken oder einfach gehen.
"Das ist... echt voll komisch", stottert Nia und da reicht es mir.
"Denkst du, für mich ist das nicht komisch?", schreie ich sie an. "Was juckt es dich eigentlich? Ist doch mein Problem. Kann dir doch egal sein. Und was Luna angeht,..."
Ja, was denn? Wieso sage ich das? Der Wutanfall ist so schnell verschwunden, wie er gekommen ist und da stehe ich wieder da, ahnungslos, hoffnungslos, allein. Und Nia starrt mich an. Ich starre nicht zurück. Ich bleibe nicht cool. Ich gehe. Ganz langsam, so, dass sie mir hinterherrufen könnte und sagen, das war nicht so gemeint.
Aber sie tut es nicht. Nia tut so was nicht.
Doch sagt sie etwas, so leise, dass es sicher nicht für mich bestimmt war. Aber ich höre es.
"Ekelhaft."
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