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Wir essen in einem engen Raum zu Abend. Die Wände sind schmutzig weiß, die Tische eher Campingtische. Eine unfreundlich dreinschauende Küchenhilfe klatscht  Reispampe auf die nicht ordentlich abgespülten Teller und zum Trinken gibt es diesen Jugendherbergen-typischen überzuckerten Tee, der aus seltsamen Kügelchen besteht und angeblich nach Zitrone schmeckt. Kalt. Ich nehme noch ein Schüsselchen Vanillepudding auf mein Tablett, eine Gabel, ein Löffel und gehe zum hintersten Tisch in der Ecke.

Allein. Natürlich allein.
Stochere im Essen herum, probiere eine Gabel. Es schmeckt genau so ekelhaft, wie es aussieht. Der Tee ist auch nicht besser als in den letzten Jahren. Ich starre auf meinen Teller. Das Zeug sieht gelblich aus, da ist Paprika, da Sesam und das - ist das Ingwer?
Ein Geräusch neben mir lässt mich hochfahren. Das Geräusch eines Stuhls, der zurückgezogen wird. Drei mal. Drei Tabletts, die abgestellt werden, mit drei Tellern Reis und drei Schlüsseln Pudding und drei Bechern Tee. Drei Leute, die sich setzen. Und mit mir sind es jetzt vier, die lächeln. Luna. Neben mir. So nah, dass ich fast ihre Hand berühren kann. Und Jona und Sarah.
"Isst das irgendwer?", frage ich und deute auf meinen Reis. Die anderen schütteln den Kopf.
Also sitzen wir da, zu viert, löffeln unseren Pudding, der halbwegs genießbar ist und sind fast so was wie - Freunde.
Einfache, stille Freunde.
Bis Sarah zu reden beginnt. Sarah ist immer die, die redet. Egal wie viel davor geschwiegen wurde. Ein schelmisches Lächeln im Gesicht, wendet sie sich zu Luna. "Hattest du eigentlich schon mal ne Freundin?" "Was?", sagt Luna, aber besonders verwunderlich ist das ja nicht. Mich hat Sarah auch schon öfter gefragt, ob ich einen Freund habe. Und jetzt, wo sie weiß, dass Luna auf Mädchen steht, war das natürlich das erste, woran sie gedacht hat. Immerhin hat sie nichts gegen Homosexualität und behandelt das vollkommen normal. Trotzdem nervt es ein bisschen. Aber nur ein bisschen, denn wenn ich ehrlich bin, interessiert mich das auch. Hat Luna eine Freundin. Ich versuche, sie mir vorzustellen. Wie sie wohl aussehen würde? In meinem Kopf ist das Bild eines Mädchens, etwa so groß wie sie, mit lockigen Haaren, das sich vorbeugt und Luna küsst. 
Und dann wird mir klar: Das Mädchen in meinem Kopf, das bin ich. Auf der Party.
Luna sieht mich an, einen fragenden Ausdruck im Gesicht. Kaum merkbar (zumindest hoffe ich das) schüttele ich den Kopf. Nein, ich bin nicht deine Freundin, Luna. Obwohl, vielleicht wär ich das gern.
"Nein", sagt Luna, ganz ruhig und gelassen. Denkt sie an dasselbe wie ich? Denkt sie an den Kuss? Ich wollte, dass sie es vergisst. Aber jetzt, hier, kommt mir erstmals der Gedanke, dass wir es weitermachen könnten. Wieder machen könnten.
Vorsichtig, zögerlich lege ich meine Hand auf dem Tisch auf ihre. Die anderen scheinen es nicht zu bemerken. Sie reden weiter, über alles mögliche. Über Schule und Noten und Lehrer, über ihr Leben und über die Klassenfahrt. Ganz normal. Wie wir noch nie miteinander geredet haben. 
Luna und ich sitzen da, die Hände verschränkt und lächeln leise und unbemerkt vor uns hin.
Ich weiß, dass das nicht ewig so weitergehen kann. Irgendwann werden wir reden müssen, was das ist zwischen uns. Wir müssen uns im Klaren sein darüber. Aber für den Moment brauchen wir all das nicht. Wir brauchen nur uns.

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