22. One Shot

Schnell gehe ich über den alten Holzsteg, der nicht weit unseres Strandhauses etwas abgelegen liegt. Das Holz ist dunkel, an manchen Stellen bereits abgebrochen und man sieht deutlich die Spuren, die das Meer und die Wellen in den letzten Jahren hinterlassen haben. Gestern bin ich hier wieder hergekommen. Es sind Ferien und ich habe mich seit langer Zeit darauf gefreut endlich wieder her sein zu können.

Ich hätte mit meinen Freunden auch nach Spanien fahren können, aber ich habe mich dagegen entschieden und ich bereue es keine Sekunde. Meine Mum und auch meine Schwester hat es nicht verstanden, aber das haben sie letztes Jahr schon nicht. Es ist mir absolut egal. Ich muss nur immer um halb zwölf wieder zuhause sein und morgens zum Frühstück bleiben. Sie haben beide schon vermutet, dass hier nicht etwas sondern jemand ist, weswegen ich unbedingt her wollte. Das haben sie bereits letztes Jahr, als sie mich so gut wie nie zu Gesicht bekommen haben und sie haben damit nicht ganz unrecht.

Ich werde es ihnen doch auch dieses Jahr vermutlich nicht sagen. Er will es nicht und das respektiere ich. Ich kann es wirklich nachvollziehen und daher wahre ich sein Geheimnis.

Ich setze mich ans Ende des Stegs und die Wellen und das kühle Wasser des Nordatlantiks umspült meine Füße. Wir sind zwar in Südengland, aber dennoch ist das Wasser kaum wärmer als zehn Grad.

Ich sitze nun dort, und ich warte. Ich warte bestimmt eine Stunde, aber es macht mir nichts aus, denn ich weiß, ich bin zu früh. Eigentlich treffen wir uns immer kurz morgens und dann wieder abends. Jetzt ist gerade erst fünf Uhr. Ich hätte natürlich auch noch im Ferienhaus bleiben und meine Sache auspacken können, aber das kann ich auch noch morgen Mittag machen.

"Louis?" frage ich irgendwann leise in der Hoffnung, dass er mich ja hören könnte, doch es passiert nichts.

"Lou?" frage ich erneut, aber auch jetzt verändert sich das Wasser nicht.

Ich seufze und lege mich hin, lasse meine Füße im Wasser und blicke in den Himmel.

"Ich dachte du kommst erst heute Abend?" fragt plötzlich jemand und ich setze mich erschrocken auf. Ich sehe ihn einen Augenblick an und rutsche dann näher an das Ende des Stegs.

"Nein, also ja eigentlich schon, aber wir sind früher angekommen." stottere ich und nehme ihn dann endlich in den Arm. Er hat sich neben mich auf das kalte Holz gesetzt. Seine Arme schlingen sich um meinen Nacken und meine liegen um seine Taille.

"Ich hab dich vermisst." nuschelt er gegen meine Halsbeuge und ich ziehe ihn auf meinen Schoß. Dass ich jetzt praktisch komplett nass bin, ist mir egal. Es war mir vorher klar, weswegen ich ein Handtuch mitgenommen habe, denn noch ist es etwas zu kalt, einfach zu warten, bis meine Sachen getrocknet sind.

"Ich dich auch Lou. Aber ich bin die nächsten sechs Wochen hier." grinse ich und er löst sich von mir. Er blickt mich etwas perplex, lächelt dann aber glücklich. "Sechs Wochen?" fragt er und ich nicke, lasse ihn wieder los und er gleitet zurück ins Wasser. Er kann nicht allzu lang außerhalb des Wassers sein, doch daran haben wir uns gewöhnt.

„Kommst du her?" fragt er mich und sieht mich mit großen Augen an, aber ich muss leider den Kopf schütteln. „Ich muss gleich wieder los. Meine Mum und meine Schwester wollen heute Abend unbedingt Essen gehen. Ich schaffe es vorher nicht mehr, mich noch umzuziehen oder so." erkläre ich und er nickt, doch ich sehe die Enttäuschung in seinem Gesicht geschrieben.

„Es tut mir leid, Lou." entschuldige ich mich, aber er winkt ab. „Schon okay. Aber du bist dann morgen früh wieder hier, ja?"

„Versprochen." erwidere ich und er grinst wieder, was mich auch lächeln lässt.

„Erzähl mir was!" fordert er dann und zieht sich wieder etwas hoch, sodass seine Arme nun auf dem Steg liegen, er aber noch etwa bis zur Hälfte im Wasser ist.

„Uff... was soll ich dir erzählen." ich überlege einen Moment, beginne ihm dann aber von meinem letzten Schuljahr zu berichten und erzähle ihm, dass ich jetzt nur noch ein Jahr Schule habe, bis ich meinen Abschluss mache.

Louis ist wie immer fasziniert von den Dingen, die ich berichte. Es sind eigentlich alles ziemlich alltägliche Sachen, aber er interessiert sich einfach für die „Landwelt" wie er sie immer nennt und ich weiß, dass ich der Einzige bin, mit dem er darüber so sprechen kann. Also ja, er kann mit seine Freunden und seiner Familie auch darüber reden, aber sie leben nicht auf dem Land. Sie leben im Wasser, so wie er, also geht dort ziemlich schnell der Gesprächsstoff darüber aus.

Louis war es nie verboten mit jemandem wie mir zu sprechen, aber er hat sich es vorher nie getraut, da es, da wo er her kommt, so gut wie niemand tut.

Ich meine ich hatte auch etwas Bedenken, als ich ihn kennengelernt habe, aber jetzt bin ich nur noch froh darüber. Ich hasse es zwar, dass ich ihn nur in den Ferien sehen kann, aber sobald ich einen Job habe, werde ich hier an die Küste ziehen, dass war mir letztes Jahr bereits mehr als klar.

Wir hatten auch überlegt, ob er nicht zu mir kann oder ich zu ihm, aber keiner von uns beiden will sein Leben aufgeben und es ist okay so. Besser so als gar nicht.

Zugegeben, ich hatte wirklich darüber nachgedacht, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich würde meine Familie nur noch selten sehen können, meine Freunde vermutlich gar nicht mehr und ich würde einfach mein Leben hier an Land vermissen. Ich bin sicher, bei Louis ist es wundervoll, aber ich gehöre da sicherlich nicht hin. Ebenso wenig gehört er an Land, weswegen wir uns eben hier sehen. Immer auf diesem alten Steg am Strand zwischen diesen Beiden vollkommen verschiedenen Welten.

Irgendwann sehe ich auf die Uhr und seufze. „Ich muss los, Lou." sage ich traurig und er nickt, sagt aber dann schnell. „Warte noch kurz!"

Ehe ich reagieren kann, ist er schon wieder unter der Wasseroberfläche verschwunden. Ich warte, wie er mich gebeten hat und nach einigen Augenblicken taucht er wieder auf.

„Hier." sagt er und legt mir schüchtern etwas in die Hände. Als ich sehe, dass es eine perlmutterne Muschel ist, schmunzle ich. „Danke Lou." sage ich ehrlich und glücklich. Es ist wie eine Art Tradition. Wenn ich ihm etwas neues von der Landwelt erzähle, dann bringt er mir eine Muschel, keine sieht aus wie die andere und doch sind alle wunderschön.

Dann sitzt er, wie vorhin bereits, wieder neben mir auf dem Steg, ehe ich mich in einer Engen Umarmung wiederfinde.

„Bis morgen." sage ich leise und er erwidert es leise. „Ich liebe dich, nuschelt er leise und sofort wird mir warm ums Herz. „Ich dich auch, Lou." antworte ich glücklich, muss mich aber von ihm lösen.

Ich lächle ihm noch kurz zu, stehe dann auf und gehe. Ich lasse es mir aber nicht nehmen, mich noch einmal umzudrehen, um zu sehen, wie er dort sitzt, er er zurück in den Atlantik springt.

wieder ein wunsch meiner lieben gruppe :)

fortsetzung ?

ja

nein

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