Wonderwall

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Mit brodelnder Wut im Bauch fuhr ich über den Motorway auf dem weiten Weg zu mir nach Hause.

Nachdem ich den Tag mit meinen zwei Kindern verbringen durfte, hatte mir meine noch Ehefrau mal eben gesteckt, dass sie, nachdem die Scheidung durch ist, auch das alleinige Sorgerecht für Evie und Henry beantragen wollen würde.

Obwohl ich wusste das unsere Scheidung unmittelbar bevorstand und wir auch nicht gut auseinander gegangen waren, hatte ich niemals erwartet das sie diese Register ziehen würde. Immerhin hatte ich, weil ich ihr nicht auf den Schlips treten wollte, schon nichts gegen ihren Umzug in die alte Heimat gesagt. Auch wenn ich so jedes zweite Wochenende über hundert Kilometer fahren und die Hotelkosten blechen musste. Immerhin hatte sie kein eigenes Auto mit dem sie die Kinder zu mir fahren könnte.

Die Regentropfen fielen so schnell auf die Scheibe wie mein Herz raste, als ich versuchte, mich durch das konzentrieren auf die Musik im Radio, irgendwie zu beruhigen. Ich hatte eben noch schnell Zayn anrufen müssen, um mich zumindest irgendwie in der Lage zu sehen zu fahren. Obwohl dies gut getan hatte reichte dies nicht aus, um die Gedanken und Sorgen, welche mir bei dieser Nachricht durch den Kopf schossen, zu sortieren und rational darüber nachzudenken. Dafür war es auch einfach schon zu spät.

Ich war gerade zwanzig Minuten gefahren als ich, trotz des strömenden Regens, eine Gestalt am Straßenrand erkennen konnte. Der Mann streckte seinen Daumen aus, hatte die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen und schien lediglich mit einem Rucksack bekleidet zu sein. Hier in England war dies nicht besonders üblich und wahrscheinlich wäre ich an anderen Tagen auch einfach vorbeigefahren - doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mir Gesellschaft gut tun könnte. Und Sorge davor, dass er mir etwas antun könnte, hatte ich nicht, denn seine Gestalt wirkte nicht so, als könnte er mich überwältigen.

So kam es auch, dass ich um 22:23 Uhr auf den Busstreifen fuhr und bereits zwei Sekunden später die Beifahrertür aufgerissen wurde. Im nächsten Moment traf ich auf blaue Augen die mich erleichtert anblickten und sofort erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.

"Danke fürs Anhalten. Ich dachte wirklich ich würde womöglich erfrieren und morgen früh total durchgefroren aufgegabelt werden." Mit viel Mühe hatte er sich aus seiner klitschnassen Regenjacke geschält und noch bevor er sie im Fußraum verschwinden lassen konnte, zeigte ich auf die Rückbank.

"Schmeiß einfach hinter, die Sitze halten das schon aus."

Das ließ sich der Mann nicht zwei Mal sagen und auch sein Rucksack landete hinten, bevor ich den Blinker setzte und direkt, nachdem er sich angeschnallt hatte, losfuhr. Gerade berichteten sie im Radio davon, dass der Regen sich zwar in dieser Nacht nicht legen würde, aber zumindest am morgigen Tag mit Sonne zu rechnen war. Da ich jedoch waschechter Engländer war, glaubte ich dieser Vorhersage kein Wort und seufzte nur einmal, bevor neben mir wieder das Wort ergriffen wurde.

"Ich bin übrigens Louis."

"Harry", gab ich zurück, beließ meinen Blick jedoch auf der Straße, wo der Regen sich so langsam in den Spurrillen sammelte. "Wo musst du eigentlich hin?"

"Nach Doncaster." Nun wandte ich mich doch mit geschocktem Blick zu ihm und er lachte verlegen, bevor er direkt abwinkte. "Aber du kannst mich einfach da rauslassen wo es dir am Besten passt. Also.. ich hätte nichts gegen eine Unterkunft die ich mir leisten kann oder jemanden der direkt weiter in die Richtung fährt aber.. ja."

Ich überlegte kurz und schaltete dafür einen Moment ab. Immerhin war ich die Strecke mittlerweile so häufig gefahren, dass ich glaubte einschätzen zu können, wo ein guter Ort für ihn wäre. Nur war es mittlerweile wirklich spät und ich wüsste nicht Recht, wie er irgendwo sicher ankommen sollte, wenn ich ihn einfach bei der, mir bestmöglichen Stelle, rausschmeißen würde.

"Ich muss nach Holmes Chapel, das ist also auch noch ein ganzes Stück."

"Auf der M1 fährt man am besten nach Doncaster. Die müsste zu dieser Uhrzeit wahrscheinlich auch frei sein." Wieder entfuhr ihm ein leicht beschämtes Lachen und ich nickte, bevor ich ihm mein Handy in die Hand drückte und einen verwirrten Blick bekam.

"Vielleicht kannst du einmal schauen, wo ich von der 6 am besten auf die 1 kommen würde. Manchmal befindet sich da ja ein Hostel oder ein Hotel, in welchem du die Nacht bleiben könntest." Ich merkte das er mich unterbrechen wollte, doch redete sofort weiter. "Ich habe noch Bargeld dabei, mach dir über den Preis keine Sorgen. Das kriegen wir schon hin."

"Aber-"

"Nichts aber", sagte ich sofort, "Mein Code ist 4679. Ich nehme mal an du fährst per Anhalter, weil du kein Akku mehr hast? Das Ladekabel ist im Handschuhfach, da müssten auch noch ein paar Schokobrötchen drin sein, wenn du Lust drauf hast. Und Wasser."

"Es ist fast so als hättest du erwartet, jemanden per Anhalter mitzunehmen." Louis lachte und ich hörte ihn kurz darauf im Handschuhfach wühlen, bevor er das Kabel in den Zigarettenanzünder steckte und dann für einen Moment Stille herrschte. "Du kannst mich in Catthorpe rauslassen. Das sind noch ungefähr zwei Stunden Fahrt und von dort könnte mich jemand direkt auf die 1 mitnehmen und du kannst auf der 6 weiterfahren."

"Klingt gut. Hast du da auch eine Übernachtungsmöglichkeit?"

"Ja, ich würde den Navi einfach darauf einstellen?"

"Okay."

Louis befestigte mein Handy in der Halterung, dann blieb es für einige Sekunden still zwischen uns. Der Regen prasselte noch immer gegen die Scheibe und irgendwie hatte ich, aufgrund dieser seltsamen Begegnung und die Ablenkung, meine Wut komplett vergessen. Dies war auch der Grund, wieso ich fast direkt wieder in ein Gespräch starten wollte, welches jedoch schon von Louis übernommen wurde.

"Danke. Für alles.. wirklich. Du hast mir hier echt den Arsch gerettet."

"Kein Problem." Du mir wahrscheinlich irgendwie auch. "Darf ich fragen wie du Nachts um diese Uhrzeit auf die Idee kommst, per Anhalter von London nach Doncaster zu fahren?"

"Ehm.. ja, ich denke schon. Eigentlich ist es auch gar keine so lange Geschichte und bedient total das Klischee. Ich war für zwei Wochen aufgrund meines Jobs unterwegs und kam einen Tag früher nach Hause. Damit wollte ich meinen Freund eigentlich überraschen, aber naja.. stattdessen hat er mich überrascht. Mit einem anderen Mann in unserem Bett."

"Oh, das tut mir Leid."

"Muss es nicht. Irgendwie hatte ich es geahnt, aber nun einen direkten Beweis bekommen. Ich glaube er hat nichtmal mitgekriegt das ich Zuhause war. Ich habe nur die Geräusche gehört, habe meine Tasche und die nächste Jacke geschnappt und bin los. Ich habe gar nicht richtig darüber nachgedacht."

"Wer lebt denn in Doncaster, dass du unbedingt da hin möchtest und nicht erstmal ein Hotel in London gesucht hast?" Ich musste zugeben, dass dies womöglich meine erste Wahl gewesen wäre. Unter anderem Umständen hatte ich es bisher nämlich auch so gemacht, dass ich nach den Besuchen in London ein Hotel nahm, um dann am nächsten Tag in der Früh zurückzufahren. Dieses Mal wollte ich aber nicht eine Minute länger in dieser Stadt verbringen, so dämlich wie es auch war bei diesen Bedingungen den Heimweg anzutreten.

"Meine Familie. Also ich komme ursprünglich von dort. Und du? Was bringt dich dazu, Nachts um diese Uhrzeit, von London nach Holmes Chapel zu fahren? Wie du schon sagtest, das ist auch ein ganz schönes Stück. Natürlich musst du mir das nicht erzählen, aber wir sitzen ja noch ein wenig gemeinsam hier und... ja."

"Alles gut. Es ist tatsächlich eine etwas längere Geschichte."

"Wir haben ja Zeit."

Ich konnte ihn bei dieser Aussage Lächeln hören und nickte seufzend, bevor ich mich ein wenig zurücklehnte und begann zu erzählen. Davon, dass meine Frau und ich uns auseinandergelebt hatten und dann eine einvernehmliche Trennung stattgefunden hatte. Es war noch nicht direkt klar gewesen, dass wir die Scheidung auch durchziehen wollten und für einige Zeit ist sie sogar noch in Holmes Chapel wohnen geblieben. Bis sich das Blatt plötzlich gewendet hatte und sie auf kompletten Kriegsfuß mit mir ging.

Innerhalb einer Nacht hatte sie die Kinder und Sachen zusammengepackt und war nach London gezogen, ohne mir auch nur eine Nachricht zu hinterlassen. Um nicht den kompletten Bezug zu verlieren und ins Fettnäpfchen zu treten, hatte ich nichts gegen diesen Umzug unternommen und auch sonst keine rechtlichen Schritte eingeleitet.

"Seitdem fahre ich mindestens jedes zweite Wochenende rüber, bleibe dort um meine Kinder zu sehen und übernachte in einem Hotel. Mittlerweile müsste ich echt Rabatte kriegen. Sie spricht kaum noch ein Wort mit mir, aber unter diesen Umständen schien sie bisher nichts dagegen zu haben, dass ich die Kinder weiterhin sehe. Bis es plötzlich hieß ich wäre ein schlechter Umgang für die Kinder und es wäre nicht förderlich für sie, mich weiterhin zu sehen."

Mit diesen Worten beendete ich meine Rede und hatte gar nicht richtig gemerkt, wie schnell die Zeit eigentlich vergangen war. Louis hatte währenddessen lediglich genickt oder zustimmende Geräusche von sich gegeben, um mir das Gefühl zu geben, dass er dem Thema noch folgen konnte. Dementsprechend war die kurze Pause bis er antwortete zwar seltsam, aber gut zu verkraften, während ich kurzzeitig überlegte aufgrund des, immer stärkerer werdenden, Regens links ranzufahren.

"Wusste sie, dass du auch auf Männer stehst?"

Die Frage warf mich dann doch etwas aus der Bahn und wir wechselten einen Blick.

"Warum fragst du das?"

"Naja, während du erzählt hast, meintest du, dass sie so seltsam wurde, kurz nachdem du deinen Exfreund kennengelernt hast. Könnte es sein, dass sie deswegen denkt, dass du kein guter Umgang für die Kinder wärst? Weil sie homophob ist?"

"Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht.." Ich merkte wie meine Augenbrauen sich zusammenzogen und seufzte einmal. "Ich hatte ihr damals davon erzählt, als wir uns angefangen hatten zu treffen. Da wir relativ schnell zusammen gekommen sind und auch über fünfzehn Jahre verheiratet waren, kam das Thema nicht noch einmal auf."

"Aber insgeheim könnte das der Grund sein?" Ich nickte langsam und zuckte dann mit den Schultern. "Jetzt macht es aber Sinn, dass du nicht komisch reagiert hast, als ich von meinem Freund erzählt habe. Viele Männer hätten mich wahrscheinlich in dem Moment rausgeschmissen, aus Angst, ich könnte sie irgendwie bespringen oder so." Louis lachte unangenehm berührt und obwohl ich merkte, dass er dies nicht raushängen lassen wollte, konnte ich anhand seiner Stimmlage herausfinden wie traurig ihn das machte.

"Das tut mir Leid. Damals war es auch sehr schlimm... Jetzt hatte ich das Gefühl, die Gesellschaft hat sich mittlerweile erholt, aber man kann den Menschen ja leider nicht in den Kopf gucken."

Louis lachte etwas und dieses Mal klang es leichter und ehrlich, weswegen mein schlechtes Gewissen ein wenig besser wurde.

"Ist manchmal vielleicht auch besser." Zustimmend lachte ich nun ebenfalls auf und nickte. "Möchtest du mir mehr über deine Kinder erzählen?"

Die nächste Stunde gab ich Louis einen Überblick über meine beiden Engel und war von seinem Interesse ziemlich überrascht, während es hilfreich war, die Zeit ein wenig zu überbrücken.

Kurzzeitig hatten wir aufgrund des Wetters auch beschlossen, dass Louis und ich die Nacht gemeinsam in dem Hotel verbringen würden. Es hatte sich so richtig eingeregnet und nach einem kurzen Blick auf den Wetterbericht, hatte Louis mir versichert, dass es die nächsten Stunden nicht besser werden würde. Mehr oder weniger machte er mir auch klar, dass er es nicht für gut befinden würde, wenn ich bei dem Regen alleine weiterfahre und womöglich in einem Graben landete und niemand davon mitbekommt.

Um 00:38 Uhr fuhren wir dann auf den Parkplatz des Hotels, Louis schnappte seinen Rucksack und ich meinen Handgepäckskoffer aus dem Kofferraum, bevor wir uns beide auf den Weg nach drinnen machten.

Mit einem gespannten Regenschirm über uns beiden waren wir im Schnellschritt nach kurzer Zeit vor dem Eingang angekommen, wo wir diesen zusammenklappten und etwas ausschüttelten. Kurz bekam ich es mit der Angst zu tun, dass womöglich niemand mehr an der Rezeption sitzen würde, doch das Licht im Eingangsbereich brennte noch hell und leitete Louis und mir den Weg.

"Hallo", sagte mein Nebenmann, nicht einmal eine Sekunde nachdem wir die Tür geöffnet hatten. Die lieb aussehende junge Frau an der Rezeption sah für einen Moment besorgt aus, hatte wahrscheinlich nicht so spät noch mit Menschen gerechnet und warf dann einen Blick auf meinen Handgepäckskoffer, ehe sie auf den Tisch unter sich blickte. "Wir haben keine Reservierung und sind aufgrund des Unwetters eher kurzfristig hier angehalten. Haben sie womöglich noch ein Zimmer für uns frei?"

Selbst mir wurde bei dem Ton, den Louis angeschlagen hatte, ganz warm und ich konnte beobachten, wie dies dafür sorgte, dass die braunhaarige ebenfalls ein Lächeln aufsetzen konnte und ihre Körperhaltung wesentlich entspannter wurde.

"Hallo, ich schaue eben nach. Bitte geben Sie mir einen Moment", bat sie, woraufhin Louis und ich nickten und einen Blick wechselten.

"Bist du okay?" Ich deutete damit auf sein Zittern hin und der Mann mit den blauen Augen nickte.

"Der Umschwung aus dem warmen Auto nach draußen hat mich nur kalt erwischt. Im wahrsten Sinne des Wortes.. ich bin eine wahre Frostbeule." Er lachte leise und noch bevor ich mehr darauf eingehen konnte, wurden wir von der Rezeptionistin unterbrochen.

"Es tut mir Leid, wir haben leider kein freies Zimmer mehr..."

Sie sah wirklich bedrückt aus, doch um ehrlich zu sein hatte ich mit so etwas schon gerechnet. Wir waren wirklich kurzfristig da und gerade am Wochenende war es wahrscheinlich nötig, vorzeitig zu buchen. Es wäre aber auch zu schön gewesen, wenn es geklappt hätte.

"Das ist okay, vielen Dank fürs nachschauen", sagte ich schnell und lächelte sie dankbar an, damit sie merkte, dass jetzt kein doofer Spruch kommen würde. Sofort widmete ich mich mit bedeckter Stimme an Louis, welcher ziemlich bedröppelt reinschaute und dessen Kopf vom Grübeln bereits rauchen musste. "Sonst können wir es uns vielleicht auch im Auto bequem machen. Oder wir fahren noch ein paar andere Hotels ab."

"Du bist total fertig Harry. Bei dem Wetter zu fahren ist anstrengend und was du erleben musstest trägt nicht dazu bei, dass es deiner Konzentration besser geht. Sonst würde ich einfach fa-"

"Es gäbe doch eine Möglichkeit", unterbrach uns die Brünette erneut und wir schauten wieder zu ihr. "Ein Zimmer ist gerade frei, jedoch reist der Gast in der Früh bereits um 7 Uhr an. Sie müssten also spätestens um 6 Uhr raus sein, damit ich mich noch darum kümmern kann, das Zimmer sauber und bezugsbereit zu machen."

"Das würden Sie wirklich machen?", fragte Louis erstaunt und überglücklich, woraufhin doch tatsächlich ein gerührter Rotschimmer auf ihren Wangen erschien.

"Ja, denn Sie haben Recht. Das Wetter ist zu gefährlich um noch zu fahren und ich bin ja sowieso da."

"Dankeschön!", rief er fast schon überschwänglich und während ich grinsend die Augen verdrehte kicherte die Brünette etwas. "Vielen Dank, danke."

"Hier ist der Schlüssel. Sie müssten nur noch einmal das Formular ausfüllen und am besten jetzt schon bezahlen, umso schneller geht es in der Früh."

Während ich den Zettel mit meinen Daten ausfüllte und Louis nach seinem vollen Namen fragte, bekam ich einen leicht verwirrten Blick zugeworfen, welchen ich ignorierte. Danach nahm Louis den Schlüssel entgegen, wir bedankten uns erneut bei der jungen Frau und machten uns dann auf den Weg, das Zimmer zu suchen.

"28.. Zimmer 28.. 22, 24, 26... ahh da ist es." Louis stolzierte auf die Tür zu und öffnete sie geschickt, ehe er diese noch kurz für mich aufhielt und dann direkt lachte. "Es musste ja ein Doppelbett sein."

"Ich werde dir jetzt aber nicht anbieten auf dem Boden zu schlafen", grinste ich, stellte den Koffer in der Ecke ab und seufzte dann. "Möchtest du dich zuerst fertig machen?"

"Habe nur meine Kulturtasche dabei, die hatte nämlich nicht mehr in meinen Koffer gepasst... welcher noch immer gepackt in meinem Flur steht..."

"Ich hätte noch ein T-Shirt dabei. Wenn es dich nicht stört, dass ich es schon getragen habe." Mit schnellen Handgriffen hatte ich meinen Koffer geöffnet und hielt ihm ein graues Shirt hin. "Nur am Freitag bei der Hinfahrt, ich versprechs."

"Alles gut, danke Harry." Sein Lächeln war ehrlich als er das Tshirt entgegennahm und dann mit seinem Kulturbeutel im Bad verschwand.

In dieser Zeit knipste ich die beiden Nachttischlampen an und ließ den Fernseher im Hintergrund ein wenig laufen, als ich mich bereits umzog und dann durch mein Handy scrollte. Zayn war noch wach, also ließ ich ihn wissen das er nicht auf mich warten müsste, da ich heute Nacht noch in einem Hotel bleiben würde. Während ich überlegte, wann ich morgen zuhause ankommen würde, wurde mir noch eine Sache bewusst; Ich würde Louis am Morgen bis nach Doncaster fahren.

Auch wenn ich mir denken konnte, dass er dies auf keinen Fall annehmen würde, wollte ich ihn nicht mit irgendeinem Bus oder einem anderen Fremden den Rest dieser, doch recht langen, Strecke fahren lassen. Auch wenn ich Sozial betrachtet nicht der aktivste war, hatte ich das Gefühl Louis und ich würden uns wirklich gut verstehen und ich wollte gerne noch ein wenig mehr Zeit mit ihm verbringen. Wenn ich seine Gesten richtig deutete, war es auf seiner Seite genauso und dafür könnte ich diesen kleinen Umweg auf jeden Fall in Kauf nehmen.

"Du darfst." Seine Stimme holte mich aus meinen Gedanken und ich sperrte mein Handy, ehe ich dieses beiseite legte und zu ihm aufsah. Mein Shirt war ihm etwas zu groß und er hatte ansonsten nur eine schwarze Briefshorts an, welche wahrscheinlich bequemer war als seine Jeans. Noch ehe ich mein Grinsen unterdrücken konnte, hatte er mich mit dem Pullover in seiner Hand abgeworfen und dieser landete in meinem Gesicht. "Lach nicht."

"Tue ich nicht."

"Du grinst aber."

"Irgendwie ist mir bisher einfach nicht aufgefallen, dass du doch um einiges kleiner bist als ich." Sorgfältig legte ich seinen Pullover zusammen und platzierte diesen dann auf dem Sessel, welcher neben dem Bett war, ehe ich aufstand und zu ihm lief. "Jetzt schmollst du", gab ich zurück, legte meine Hand an seine Wange und fuhr mit meinem Daumen über seine vorgeschobene Unterlippe. Seine Augen wanderten von meinem Finger nach oben, damit er meinen Blick erwidern konnte und dann löste ich mich bereits wieder. "Such dir eine Seite aus."

"Ich schlafe immer auf der linken Seite."

"Wie ich bereits sagte - Such dir eine Seite aus."

Er gab ein zufriedenes Geräusch von sich, woraufhin ich das Badezimmer betrat und mich nun ebenfalls frisch machte. Als ich nach wenigen Minuten wieder in das Zimmer ging konnte ich Louis auf dem Bett beobachten, wie er mit wütendem und genervten Blick auf sein Handy schaute und immer mal wieder etwas tippte, bevor er dann doch den Kopf schüttelte und leise seufzte.

"Hat er sich gemeldet?", fragte ich, weniger vorsichtig als ich es beabsichtigt hatte und trotzdem kam es bei Louis nicht falsch an.

"Ja." Seine Stimme bekam einen sarkastischen Unterton als er die Nachricht vorlas. "Hey Baby, tut mir leid das ich mich so spät erst melde. Wurde noch zu einem Einsatz gerufen und bin gerade erst nach Hause gekommen. Ich hoffe du liegst schon im Bett und schläfst gut - ich freue mich morgen auf dich", brummte er und erneut konnte ich ein Augenrollen nicht unterdrücken.

"Was möchtest du antworten?"

"Ich weiß es nicht... Am liebsten nichts. Theoretisch könnte ich ja wirklich schon schlafen. Aber jetzt habe ich es schon gesehen. War eben kurz davor, ein richtig schön kindisches 'Fick dich' abzuschicken, aber irgendwie konnte ich mich doch noch davon abhalten."

"Möchtest du mit ihm noch über die Sache sprechen?"

"Für mich gibt es da nicht viel zu besprechen. Er weiß, dass Fremdgehen für mich das Aus bedeutet und da es in der letzten Zeit sowieso oft schwierig war, ist die Beziehung für mich vorbei. Nur bin ich kein Mensch, der das über WhatsApp regelt und das mit der Wohnung müssen wir auch noch klären." Ich konnte seine Stimme zittern hören und verdrängte das Bedürfnis ihn mitleidig anzusehen und aufzuseufzen, dann schnappte ich mir sein Handy und begann eine Antwort zu tippen. "Was machst du da?"

"Vielleicht bin ich gerade ein wenig neutraler als du. Ich schicke es nicht ab, versprochen. Du segnest sie ab. Gib mir bitte einen Moment", bat ich ihn sanft und trotz seines verwirrten, unsicheren Blicks nickte er und beobachtete mich während ich Wörter aneinander reihte, die hoffentlich nichts verraten würden.

>> Hey, ich hoffe du hattest noch einen ruhigen Abend. Ja, ich liege schon im Bett und wollte dir noch mitteilen, dass bei mir leider etwas dazwischengekommen ist und ich morgen noch nicht nach Hause komme. Hast du morgen die Möglichkeit zu telefonieren?<<

"So nett hätte ich es wohl wirklich nicht formulieren können..", murmelte Louis, kurz nachdem ich ihm das Handy wieder zurückgegeben hatte und lächelte mich dann an. "Danke Harry."

"Nicht dafür. Wir sollten so langsam schlafen, morgen steht ein langer Weg an."

"Von hier aus hast du es doch nicht mehr ganz so weit." Louis verdrehte spielerisch die Augen, ließ sich dann jedoch auch ins Kissen fallen und sah zu mir auf.

"Doch. Immerhin fahre ich dich noch nach Doncaster und von da aus zu mir nach Hause." Für einen Moment herrschte Stille und mein Mundwinkel zuckte, als Louis mich ansah wie ein Auto.

"Was machst du?"

"Ich fahre dich nach Hause und dann zu mir. Auch erlaube ich keine Wiederrede - ich mache das gerne und habe morgen sowieso nichts zu tun. Bitte lass mich dich nach Hause fahren." Ich wollte nicht ausplaudern das ich die Zeit mit ihm sehr genoss und mich sogar schon darauf freute, morgen noch länger mit ihm im Auto zu sitzen und mehr über ihn zu erfahren. Auch die einmalige Chance seine Heimatstadt zu sehen bestand und natürlich wusste ich, dass es absolut lächerlich war und ich das kleine Kribbeln in meiner Bauchgegend ignorieren sollte, welches bei all diesen Gedanken aufkam, doch es fühlte sich auch schön an. Wer weiß wo ich in dieser Nacht, nach diesem Tag, ohne ihn gelandet wäre.

"Okay." Täuschte ich mich oder wirkte er erleichtert? "Danke Harry."

Ich zeigte ihm ein Lächeln, legte mich ebenfalls hin und fast zeitgleich löschten wir die Nachttischlampen, ehe wir uns eine Gute Nacht wünschten und voneinander abgewandt in den Schlaf drifteten.

*****

"Mhm", grunzte Louis, gerade mal zwei Sekunden nachdem mein Wecker geklingelt hatte und ließ mich dadurch fast direkt wieder grinsen. Ich drehte mich zu ihm, konnte es dann durch seine gerunzelte Nase nicht mehr verhindern und wuschelte ihm einmal durch die Haare. "Hey.."

"Los, wir müssen raus. Das war der Deal", sagte ich schnell und zeigte ihm damit das ich keine Wiederrede zulassen würde. "Wir halten sowieso für einen Kaffee irgendwo an und du kannst im Auto weiterschlafen."

"Nein, kann ich nicht. Immerhin muss ich dich vollquatschend damit du nicht wieder einschläfst."

"Wieder?"

Louis grinste nun ebenfalls, dann öffneten sich seine Augen und mein Blick fiel direkt in dieses tiefe Blau. Er streckte mir die Zunge raus, ließ mich dadurch laut auflachen und den Kopf in den Nacken werfen bevor ich aufstand und als erstes ins Badezimmer ging. Schnell hatte ich mich frisch gemacht, meine Handtücher bereits auf den Boden geworfen und danach im Zimmer entdecken können, dass Louis das Bettzeug abgezogen und ebenfalls schon auf einem Haufen gesammelt hatte.

"Ich lüfte noch kurz während du im Bad bist und dann gehen wir runter. Sie wartet bestimmt schon auf uns."

Louis nickte auf meine Aussage hin, verschwand im Badezimmer und ich packte unsere Taschen zusammen. Sobald er fertig war konnte ich ihn einmal herzlich gähnen sehen, lächelte und wuschelte ihm erneut durch die Haare bevor wir mit leisen Schritten durch das kleine Hotel liefen und unten an der Rezeption auf die nette junge Dame von der Nacht trafen.

"Guten Morgen", sagte sie leise und hatte ein liebes Lächeln auf den Lippen. In ihren Augen erkannte man die lange Nacht und trotzdem wirkte sie noch immer wie einer der nettesten Menschen, denen ich in meinem Leben je begegnet war. "Ich habe Ihnen Kaffee gemacht, hier ist Kaffeesahne und Zucker falls Sie das brauchen."

"Dankeschön." Mein Herz wurde ganz warm und auch Louis' Stimme tauchte neben mir auf, bedankte sich herzlichst bei ihr und kramte in seiner Tasche um ihr ein paar Scheine hinzulegen.

"Sie brauchen nicht-"

"Doch", unterbrach Louis sie, "doch. Das ist für Sie. Ich habe selbst mal in diesem Job gearbeitet.."

"Danke." Sie schob uns die Visitenkarte des Hotels hin und lächelte. "Bitte kommen Sie wieder. Und haben Sie eine sichere und schnelle Heimreise."

"Machen wir und danke. Ihnen einen schönen Feierabend", antwortete ich, nahm die Karte entgegen und legte meine freie Hand dann auf Louis' Schulter.

Nachdem wir uns verabschiedetet hatten dirigierte ich ihn nach draußen und stellte fest das es noch immer regnete. Auch war es noch dunkel, trotzdem konnte man so langsam den Tag erkennen, welcher sich aus seinen Federn traute und den Himmel erhellen wollte. So rannten Louis und ich mehr oder weniger zu meinem Wagen, verstauten unsere Klamotten und ließen uns dann wieder auf die Sitze fallen, die wir vor nicht allzu vielen Stunden verlassen hatten.

"Willkommen zurück", murmelte Louis, jedoch klang seine Stimme keineswegs genervt und auch den müden Ton hatte er hinter sich gelassen.

Fast schon etwas theatralisch gab er seine Adresse auf meinem Handy ein, suchte dann nach einem Mixtape was er im Hintergrund laufen lassen konnte und für ein paar Minuten schwiegen wir uns einfach nur an. Wir beide hingen unseren Gedanken nach, nahmen ab und an einen Schluck von unserem Kaffee und sahen dabei zu, wie sich die Sonne neben uns immer weiter nach oben kämpfte.

Gerade als wir aufgrund einer Baustelle abgefahren waren um den ruhigeren Weg und die schönere Aussicht einer Landstraße zu genießen, atmete Louis plötzlich laut auf.

"Stop", sagte er etwas leiser, dann lauter und setzte sich in seinem Sitz auf. "Stop! Halt an Harry, bitte!"

Verwundert trat ich auf die Bremse, fuhr links ran und auf das nasse Gras. Kaum stand das Auto, hatte mein Nebenmann die Tür aufgerissen und war aus dem Wagen gesprungen. Ich konnte gerade noch reagieren, folgte ihm ebenfalls und schloss mein Auto ab, während ich ihm hinterher rannte und nun auch endlich das Ziel seiner absoluten Freude erkennen konnte; ein Regenbogen.

Doch es war nicht nur ein Regenbogen, sondern das Ende eines Regenbogens. Mit Farben die heller und schöner waren als alles, was ich in meinem Leben je erleben durfte. Mir blieb der Atem weg als sich mein Schritt verlangsamte, Louis ebenfalls stehenblieb und wir beide für einen Moment gemeinsam das Wunder der Natur beobachteten. Dann drehte er sich zu mir um und das Strahlen in seinen Augen ließ mein Herz für einen Moment höher schlagen.

"Ich weiß das es absolut doof klingt..", unterbrach er dann plötzlich die Stille und schaffte es durch seinen sanften Ton, dass ich meinen Blick von dem Regenbogen abwandte und zu ihm sah, "aber ich kenne keinen Menschen auf dieser Welt mit dem ich diesen Moment lieber geteilt hätte, als jetzt mit dir."

Tatsächlich hinterließ er mich mit dieser Aussage etwas sprachlos, doch auf der anderen Seite hatte ich mich mittlerweile an seine absolut offene Art gewöhnt und wusste, dass in diesem Satz kein Funken Unwahrheit lag. Anstatt ihm zu antworten griff ich nach ihm, drückte seine Hand einen Moment, schob ihn dann in den Anfang des Regenbogens und holte mein Handy raus, nach welchem ich eben noch schnell gegriffen hatte.

"Lächeln bitte - dieses Weltwunder glaubt uns sonst keiner."

Und das strahlendste Lächeln was ich jemals in meinem Leben gesehen hatte tauchte vor mir auf und bescherte mir das schönste Bild der Welt.


Der Rest der Autofahrt verlief ereignislos. Louis hatte zwischendurch unsere Nummern bei dem jeweils anderen eingespeichert, die Antwort von seinem Freund, oder Exfreund, bekommen, dass er heute auf jeden Fall Zeit für ein Telefonat hatte und sang, wenn er mir nicht gerade etwas erzählte, bei den Songs des Mixtapes mit.

Ich war schon echt etwas traurig, als mein Handy irgendwann das Ziel in sechshundert Metern ansagte und ich ein beklemmendes Gefühl in mir spürte. Das Unwissen, wann man sich wiedersehen würde, plagte mich schon jetzt und ich versuche dies vergeblich runterzuschlucken. Auch Louis war neben mir sehr still geworden und als ich vor seinem Elternhaus parkte, dauert es noch einen Moment bis er sich abschnallte und dann zu mir sah.

"Da-"

"Ich bringe dich noch zur Tür", unterbrach ich ihn schnell, woraufhin ein scheues Lächeln auf seinen Lippen Platz nahm.

"Okay."

Schlussendlich hatte Louis wahrscheinlich gewusst, dass seine Mutter mich nicht einfach wieder fahren lassen würde. Sie zwang mich liebevoll dazu mit ihnen zu frühstücken, ließ es sich nicht nehmen mir Spritgeld in die Hand zu drücken und des Öfteren zu erwähnen, dass sie Louis' Partner sowieso nie für den besten Fang gehalten hatte aber ihr Sohn schon immer zu Stur gewesen war, um bei so etwas auf sie zu hören.

Es dauerte insgesamt drei Stunden bis ich das Haus der Tomlinson-Deakins wieder verließ und mit Louis im Schlepptau zu meinem Auto lief. Noch während ich mir überlegte, wie ich ihn am besten verabschiedete, nahm er mir diese Entscheidung bereits ab und legte seine Arme um mich.

Mein Gesicht legte sich perfekt in seine Halsbeuge und ich schloss für einen Moment meine Augen, da drückte er mich noch einmal fest und anstelle das er jetzt los ließ, hing er noch ein wenig länger an mir.

"Melde dich wenn du Zuhause bist. Und allgemein.. also zwischendurch. Wir telefonieren." Ich nickte, fuhr über seinen Rücken und spürte ihn tief durchatmen. "Fahr vorsichtig, pass auf die nassen Straßen auf und andere, doofe Menschen."

"Mache ich." Ein Schmunzeln lag auf meinen Lippen.

"Und Dankeschön. Für alles."

Ich löste mich von ihm, legte meine Hand an seine Wange und fuhr mit meinem Daumen über die weiche Haut.

"Ich danke dir für die Gesellschaft. Lass dich von dem Idioten nicht kleinmachen, du bist zu gut für ihn."

"Ja. Ich glaube mein Kopf ist auch ein wenig freier als noch letzte Nacht.. Dank dir."

Er legte seine Hand für einen Moment auf meine, welche noch immer auf seiner warmen Wange lag, dann lösten wir uns und ich stieg in mein Auto.

Sofort wechselte er die Straßenseite, sodass er mir zuwinken konnte bis mein Wagen um die Kurve gebogen war, ich ihn nicht einmal mehr im Rückspiegel erkennen konnte und eine seltsame Leere meinen Körper füllte, die ich nach so kurzer Zeit nicht geglaubt hätte jemals zu fühlen.

[...]

Geben wir den beiden in einem Part 2 die Möglichkeit sich noch näher zu kommen?🤭♥️

Danke an jede:n von euch, der/die das gelesen hat

Lots of love xx

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