Angels Like You

Trigger warning: mental health issues, depression, angedeutete Suizidalität 
(Mit Happy End! ❤️)! Eine liebe Leserin hat sich diesen One Shot mal gewünscht.. leider kann ich sie nicht ausfindig machen. Falls du hier hin gefunden hast - herzlichen willkommen! Es tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat. Außerdem kommt er nicht von mir, sondern ist von der lieben Caarina_, lasst ihr gerne ein bisschen Liebe da xx 

Louis' POV


Mit einem Blumenstrauß in der Hand lief Harry von seinem Auto auf der anderen Straßenseite rüber zu der Eingangstür unserer Wohnung. Ich lehnte mich etwas mehr gegen das Fenster aus dem ich ihn beobachtet hatte und seufzte leise, als ich das große Lächeln auf seinen Lippen erkennen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass ich es mit meiner Stimmung nicht gleich in den ersten Sekunden verschwinden lassen würde.

"Baby? Komm her, ich weiß du hast mich schon aus dem Fenster beobachtet, du musst dich um deine Blumen kümmern", hörte ich seine Stimme aus dem Flur nach mir rufen.

Mühselig hievte ich meinen Körper hoch und stand von der Fensterbank auf, die ich in den letzten Stunden nicht einmal verlassen hatte. Meine Knie und mein Rücken knackten, als ich mich einmal streckte und schließlich die Tür öffnete. Harry war nicht mehr im Flur, dafür konnte ich das Licht aus der Küche strahlen sehen, weswegen ich mich mit schwerfälligen Schritten zu dieser begab.

Ein falsches Lächeln aufzusetzen wäre zwecklos, er würde es sowieso sofort erkennen, deswegen versuchte ich es auch gar nicht erst. Nicht das ich heute dafür überhaupt die Kraft gehabt hätte. Harry war gerade dabei, die Blumen, die er mir vor einer Woche mitgebracht hatte zu entsorgen, als er mich bemerkte. Ein liebevolles Lächeln huschte über sein Gesicht, als er ein paar Schritte auf mich zu kam und mich sogleich in eine feste Umarmung zog. Seine Hand fuhr behutsam über meinen Rücken und normalerweise, an guten Tagen, schaffte diese Geste es ein wohliges Gefühl in mir auszulösen. Aber nicht heute, heute war kein guter Tag und so sehr ich es auch versuchte ich konnte nichts gegen das aufkommende blöde Gefühl in mir tun.

Er löste sich ein Stück von mir um mir einen Kuss zu geben, den ich nur halbherzig erwiderte.

"Ich hab dir Blumen mitgebracht Love, sie sind zwar nicht ansatzweise so schön blau wie deine Augen, aber sie haben deinen Namen so gerufen."

Love. Ich konnte mich gar nicht mehr dran erinnern, wann er mich zuletzt bei meinem richtigen Namen genannt hat. Es waren immer Spitznamen, auch wenn wir uns stritten, wobei das meistens auch kein streiten war, denn fast immer ging es nur von mir aus, während Harry versuchte die Situationen zu beruhigen oder einfach still blieb. Niemals nannte er mich Louis. Auch Lou war ihm irgendwann nicht liebevoll genug, weil er nicht der einzige war der mich so nannte. Ich spürte wie das schrecklich negative Gefühl sich immer weiter in mir ausbreitete, dort wo zuvor den ganzen Tag nur Leere war.

"So wie du das immer tust."

Meine Stimme klang kalt. Kalt und abweisend, so als ob ich diese Geste nicht wertschätzte. Doch das wollte ich tun, so gerne. Ein Teil von mir freute sich jedes Mal über die Blumen, denn ich liebte es wenn die Wohnung nach ihnen duftete und Harry es nach all den Monaten noch immer schaffte einen noch schöneren Strauß mitzubringen. Er war zu gut für mich, er gab mir so viel. Und je mehr er mir gab, desto mehr wusste ich, dass ich viel weniger verdiente.

Er ignorierte den Ton in meiner Stimme, nickte stattdessen noch immer leicht lächelnd. Als er sich von mir löste, griff er nach dem Strauß auf dem Küchentisch und legte ihn vorsichtig in meine rechte Hand, bevor er sich umdrehte und den Schrank öffnete in dem die Vasen gelagert waren. Ich beobachtete ihn dabei, wie er die Vase mit Wasser füllte und dann auf der Küchentheke abstellte, bevor er sich zu mir drehte und auf die Blumen zeigte. Ich folgte seiner stummen Anweisung und steckte den Strauß, noch immer eingepackt in die Vase. Ich schaffte es mich dazu aufzuraffen, die Blumen ein wenig anders zu positionieren, damit man jede Blüte besser sehen konnte und spürte dann Harrys Hand auf meinem Unterarm, was mich dazu brachte meinen Kopf zu ihm zu drehen.

"Machst du noch das Tütchen rein, damit-"

"Ich weiß wofür das scheiß Tütchen ist, ich bin nicht dumm", unterbrach ich ihn scharf und schaffte es damit sein Lächeln verschwinden zu lassen. Ich meinte sogar gesehen zu haben, wie er leicht zusammenzuckte, bevor er leise 'Natürlich love' murmelte und sich wieder dem alten Strauß zuwandte, um diesen in den Müll zu stopfen. Ich versuchte tief durchzuatmen und schloß für einen Moment meine Augen, bevor ich leise seufzte und das Tütchen von dem Strauß abriss. "Tut mir leid", flüsterte ich leise, doch Harry schüttelte nur seinen Kopf, ehe er sich zu mir drehte und kurz meine Hand drückte.

"Alles gut Love", erklärte er ruhig und tatsächlich war da wieder ein Lächeln auf seinen Lippen, jedoch erreichte es nicht seine Augen, was das beschissene Gefühl in mir wieder zum brodeln brachte. Ich wusste schon, dass nichts gutes meinen Mund verlassen würde, bevor ich überhaupt bewusst wahrnahm, dass ich ihm antwortete.

"Nichts ist gut, hör auf das zu sagen. Es nervt, alles nervt."

Wäre mein Körper in der Lage irgendwas anderes zu empfinden, hätte ich jetzt vermutlich frustriert geklungen. Stattdessen war meine Stimme noch kälter und noch abwesender als zuvor schon.

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ ich die Küche und knallte die Schlafzimmertür hinter mir zu. Ich blieb einen Moment lang stehen, bevor ich an der Tür entlang auf den Boden rutschte. Mein Blick fiel auf die Bilderwand, die Harry und ich vor knapp einem halben Jahr direkt in unserer ersten Nacht hier in der Wohnung angefangen hatten zu gestalten. Seitdem ist sie schon ein Stückchen größer geworden und ohne, dass ich was dagegen tun konnte, glitt mein Blick über all die Fotos. Er blieb an einem besonderen hängen, zu dem mir die passende Erinnerung sofort in den Kopf schoss. Harry und ich gaben meiner Mum einen Kuss auf die Wange, während sie den Brautstrauß in ihrer Hand festumklammert hielt und breit grinste.

An diesem Tag hatte sie mir mit Tränen in den Augen gesagt, dass ich endlich glücklich aussehe. Für sie war das das Zeichen dafür, dass Harry der Richtige für mich sei. Sie war nicht die einzige Person gewesen, die in dieser Zeit angemerkt hatte, wie gut und zufrieden ich aussah, denn es war kein Geheimnis wie schwer es für mich war mich gut zu fühlen. Das war nur knappe drei Monate her und nun würde mir sowas bestimmt niemand mehr sagen.

Wenn ich jetzt etwas fühlte, war es negativ. Alles machte mich wütend und Harry war immer derjenige der es abbekam, gleichzeitig war er auch derjenige der es auslöste. Ich wusste, dass er nicht der Richtige für mich war. Er war zu gut für mich, zu viel, während ich ihm viel zu wenig gab. Ich wusste, dass ich ihn verlassen musste, bevor ich ihn noch tiefer mit mir in das Loch ziehe, aus welchem ich seit Jahren immer nur ein kleines Stück hinauskriechen konnte, bevor ich kurz darauf mit voller Wucht wieder auf dem Boden landete. Und wenn es soweit ist, werde ich mir wünschen, dass er mich niemals hätte kennenlernen müssen.

Ich war mir nicht sicher wie lange ich dort saß und einfach nur die Wand vor mir anstarrte. Aus völliger Emotionslosigkeit wurde zunehmend Wut. Wut auf mich selbst, dass ich erneut den ganzen Tag und den Abend ruiniert hatte. Dass ich Harry ruinierte. Solche Tage gab es in letzter Zeit immer öfter. Anfangs konnte ich mich zurückhalten, hab mich nur zurückgezogen, aber irgendwann schaffte ich das nicht mehr und fing einfach an alles an ihm auszulassen. Und dieses 'alles' war so viel, weil jede Kleinigkeit das Fass in mir, was konstant brodelte, zum überlaufen brachte. Es war wie, als würde ich förmlich nach etwas suchen, was zum Streit führt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich das nur tat, damit er mich endlich verlassen würde. Doch das tat er nicht und selbst, dass er immer wieder versuchte mich zu beruhigen und alles ruhig zu klären, machte mich wütend. So unfassbar wütend.

Meine Faust landete auf dem Boden und ein lautes "Fuck" verließ meine Lippen. Keine Minute später hörte ich es leise an der Tür hinter mir klopfen, gefolgt von einem fragenden 'Love?'. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte erneut alles runterzuschlucken, was sich in mir aufstaute und langsam aber sicher an die Oberfläche kroch. Seine Anwesenheit brachte zu viel in mir hervor. Das war die letzten 12 Monate unserer Beziehung eigentlich immer gut gewesen, nur durch ihn wusste ich wie es sich anfühlt wirklich glücklich zu sein, das Leben zu genießen und vor allem zu Lieben, einfach zu Dinge zu fühlen, die nicht negativ sind.

Aber gerade jetzt war es das Schlimmste, denn wäre er nicht, würde einfach nur die Leere in mir herrschen, nicht der Hass auf mich selbst. Ich hasste ihn dafür, dass ich mich wegen ihm hasste, dabei liebte ich ihn mehr als ich jemals in Worte fassen könnte. Es machte keinen Sinn, nichts machte einen Sinn und das machte mich nur noch wütender.

Ich spürte wie die Tür in meinem Rücken sich bewegte und rutschte ein Stück von dieser weg, um mich stattdessen an die Wand neben mir zu lehnen. Ich drückte meine Augen zu und kämpfte dagegen an meine Gefühle an ihm auszulassen. Seine warmen Hände legten sich auf meine Knie und ich spürte seine Beine, die meine berührten.

Wir blieben eine ganze Weile einfach stumm auf dem Boden sitzen. Das einzige was zu hören war, war unser Atem und das Geräusch was Harrys Daumen erzeugte, wenn er sanft über mein Knie strich.

Irgendwann hatte er sich aufgerappelt und mich wortlos auf die Beine gezogen, bevor er mich wenig später im Bett umarmte und fest an sich drückte. So fest, dass ich für einen Moment nichts mehr wahrnahm, außer seine Wärme und sein Geruch der mich umhüllte, wie eine Schutzblase. Wie sehr ich mir wünschte, dass diese Blase immer da wäre und es nie zuließ, dass ich alles zerstörte. Doch es funktionierte nur für den Moment und war schneller wieder weg, wie ich überhaupt hätte einschlafen können. Harrys Griff um mich wurde auch während er schlief nicht lockerer, so als ob er sich mit all seiner Kraft an mich klammeren würde. Dabei sollte er mich lieber loslassen.

Als ich am nächsten Tag wach wurde, war Harry nicht neben mir im Bett. Seine Seite war kalt. Kalt und leer. So kalt und leer wie sich auch mein Körper fühlte, besonders wenn er mich nicht festhielt und mir so wenigstens die Chance gab mich kurz beschützt zu fühlen. Ich sollte mich fragen, wo er war, stattdessen hoffte ich nur ich würde mich zusammenreißen können, wenn er wieder kam.

Ich hatte es gerade mal geschafft mich vom Bett auf die Fensterbank zu schleppen, als Harry einige Zeit später plötzlich wieder im Zimmer stand. Es war offensichtlich wo er gewesen ist, denn er trug noch immer Sportklamotten und ich konnte bis hierhin riechen, dass er geschwitzt hatte.

Ich wusste, dass er gerne früh morgens zum Sport fuhr, wenn es noch nicht so voll war. Eigentlich ist er immer abends nach der Arbeit gegangen, aber das hatte er dann auf morgens verschoben, um mehr Zeit mit mir am Abend zu haben. Ich merkte, dass es mich wütend machte, dass er gefahren war und nicht hier war als ich wach geworden bin, so wie jeden Morgen. Dabei war es mir heute morgen noch scheinbar egal gewesen. Der fehlende Sinn hinter meinen Gefühlen und Emotionen machte mich wieder nur noch wütender, weswegen ich laut seufzte und Harry vermutlich ziemlich böse anfunkelte.

"Wieso warst du einfach weg?", wollte ich wissen und beobachtete ihn dabei, wie er seine Tasche abstellte und ein paar Schritte auf mich zu kam.

"Tut mir leid Boo, ich wollte dich nicht wecken und dann-"

"Dann bist du einfach abgehauen? Weil es ja so verdammt wichtig war, das musst du ja unbedingt tun", unterbrach ich ihn schnippisch, während seine Stirn sich fragend runzelte.

"Was ist los?", fragte er sanft und ließ seine Schultern ein Stück hängen.

"Nichts ist los Harry, gar nichts! Außer das du mich verdammt noch mal aufregst. Alles was du tust regt mich einfach auf! Und du checkst es nicht, wie denn auch du denkst ja auch nicht drüber nach. Du denkst nur an dich selber!"

Er tat alles, außer an sich selber zu denken und das wusste ich. Er tat alles für mich, so viel. Zu viel. Meine Stimme wurde unkontrollierbar laut und er zuckte zusammen, kam aber erneut ein paar Schritte näher.

Seine Augen füllten sich mit Tränen und ich konnte ihm ansehen, dass er versuchte seine aufkommenden Gefühle runterzuschlucken. So wie immer, denn er hielt sich für mich zurück, wollte der starke sein. Es machte mich wütend, dass er das überhaupt sein musste. Ich hasste es. All das hier und vor allem mich, weil ich Schuld daran war. "Geh einfach weg", fügte ich noch hinzu, in der Hoffnung er würde den Raum verlassen, denn ich konnte schon spüren, dass sich noch viel mehr in mir zusammenbraute. Er schüttelte aber nur den Kopf und nahm meine Hand in seine. Natürlich würde er nicht gehen, verdammt, er war zu gut für mich. "Harry, ich hab gesagt du sollst abhauen! Geh, oder ich tue es, ich will dich nicht sehen!" Er ignorierte die Tatsache, dass ich noch lauter wurde und atmete tief durch, bevor er erneut den Kopf schüttelte und ein leises 'Nein' hauchte.

Die Tränen brachen aus seinen Augen heraus und liefen ihm über die Wangen. Sie zerstörten sein wunderschönes Gesicht. Sein wunderschönes, fast schon engelsgleiches Gesicht, was glücklich sein sollte. Auf welchem seine tiefen Grübchen gerade hervorstechen sollten, während seine Augen vor Freude strahlten. Stattdessen sahen mich die schönsten Augen der Welt so traurig an, dass mein Herz schmerzen würde, wenn mein Körper dieses Gefühl zulassen würde. Ich zerstörte ihn.

"Ich werde nicht gehen.. niemals", erklärte er unter Tränen und schüttelte erneut seinen Kopf. Ich entriss ihm meine Hand und sprang von der Fensterbank auf.

"Dann geh ich. Ich will nicht hier sein, dich nicht ansehen und deine Hand halten! Ich will nicht mehr hier sein verdammt!"

Ich war mir selbst nicht sicher, wie ich diese Worte gemeint hatte, doch ich sah in seinem Gesicht, dass er die Aussage auf schlimmste Art und Weise aufgefasst hatte. Seine Augen wurden groß und innerhalb einer Sekunde hatte er meine Hände wieder umgriffen und drückte sie mit all seiner Kraft, als ob er mich so bei sich und vor allem am Leben behalten wollte. Auf seltsame Art und Weise gab es mir ein stückweit das Gefühl von Befreiung, sobald ich die Worte losgeworden war. Ganz nach dem Motto: geteiltes Leid ist halbes Leid. Doch es war nicht richtig ihm diese Last der Sorge um mich aufzuzwingen. Seine Hände zitterten und immer mehr seiner Tränen tropften auf den Boden zwischen uns.

"S-sag das doch nicht d-du... i-ich.. n-nein bitte! Meinst du.. m-meinst du das wirklich so?" Ich antwortete ihm nicht, wusste nicht wie oder was.

Als er realisierte, dass ich dem nicht widersprach, gaben seine Beine nach und er ließ sich auf seine Knie fallen.

"E-es tut mir so leid", schluchzte er, immer und immer wieder. Sein ganzer Körper bebte, während in meinem plötzlich alle Gefühle wie weggeblasen waren. Der tobende Sturm in meinem Inneren war ruhig, als ich mich vor ihn kniete und seinen Kopf in meine Hände nahm. Er war überrascht von meiner Geste, das wusste ich, denn seine Augen trafen meine und ich konnte trotz der ganzen Trauer so viel Liebe darin erkennen. Ich schluckte schwer und schüttelte dann meinen Kopf.

"Es ist nicht deine Schuld, dass ich alles kaputt mache.. es ist nicht deine Schuld, dass ich nicht das sein kann, was du verdienst", erklärte ich ruhig, so ruhig, dass es mich selbst erschreckte, wie plötzlich all die Wut einfach verschwunden war.

"D-du bist alles was ich will-", er unterbrach sich selbst mit einem Schluchzer und versuchte tief durchzuatmen, bevor er weiter sprach. "Alles was ich will und alles was ich brauche.. d-du bist mehr als genug mein Herz", erklärte er schluchzend, bevor seine Tränen wieder stärker wurden.

Wir blieben einen Moment lang so sitzen und ich strich ihm die Tränen, die langsam weniger wurden von der Wange, als mich plötzlich ein Gefühl überkam, was lange schon nicht mehr da gewesen war. Ich wollte seine Liebe spüren, ein letztes Mal, bevor ich ihn verlassen würde, damit er diese Last loswurde. Ohne weiter drüber nachzudenken presste ich meine Lippen auf seine. Er brauchte einen Moment um zu reagieren, erwiderte den Kuss dann aber genauso leidenschaftlich. Ich schmeckte seine salzigen Tränen, während ich ihn hochzog und ihn wenig später langsam in die weiche Matratze drückte. Ich zog ihm sein Shirt über den Kopf und tat dabei so, als wäre es in Ordnung, dass ich mit ihm schlafe und ihn dann verlasse. Ein bisschen mehr Schmerz wird ihn jetzt auch nicht mehr umbringen.

Sein nackter Körper lag noch immer auf meinem, lange nachdem wir beide fertig waren. Ich war mir unsicher ob er schlief, denn seine sanften Berührungen auf meinem Arm hatten mittlerweile aufgehört, aber ich war kein bisschen müde. Er hatte, anders als ich aber auch viel geweint und sich anschließend ziemlich viel Mühe gegeben, damit dieser Abschied so schön und besonders sein würde, wie er nur konnte. Dass es nur in meinem Kopf ein Abschied war, war mir in dem Moment egal. Ich war mir so sicher, dass ich ihn verlassen musste, wie ich schon lange nicht mehr sicher bei irgendetwas gewesen bin.

"Engel wie du können nicht in die Hölle fliegen mit mir..", murmelte ich leise und hörte daraufhin ein ebenso leises Schniefen von Harry.

Ich blieb sicherheitshalber noch eine Weile liegen, bis ich mir sicher war, dass er tief und fest schlief, bevor ich ihn vorsichtig von mir schob. Dass er sich nicht ansatzweise so fest an mich geklammert hatte, wie er das sonst so gut wie immer im Schlaf tat, war für mich irgendwie wie die Bestätigung, dass es für ihn auch ein Abschied war. Ich deckte ihn zu und betrachtete seine völlig entspannten Gesichtszüge einen Moment lang. Er war wirklich ein Engel.

So leise wie möglich packte ich ein paar Sachen zusammen, bevor ich meiner Mutter eine Nachricht schrieb, in der ich sie darum bat, mich abzuholen. Ohne weitere Erklärungen machte sie sich auf den Weg und ich beschloss draußen zu warten, damit Harry nicht wach werden würde und mich irgendwie abhalten könnte zu gehen.

Noch während ich meine Tasche in den Kofferraum lud, hörte ich ein herzzerreißendes 'Lou!'. Tatsächlich merkte ich sogar einen kleinen Stich in meinem Herzen, als ich mich schnell auf den Beifahrersitz setzte und meine Mutter anordnete loszufahren. Sie sah einen Moment lang zu Harry, der vor der Tür stand, nur in eine Decke gehüllt und mit tränenüberströmten Gesicht, bevor sie endlich los fuhr. Ich schaffte es den Blick abzuwenden und stattdessen auf meine leicht zitterten Hände zu blicken.

Ich bin genau so, wie jeder es vorhergesagt hatte. Harry wusste es bis heute nicht, aber ich hatte mitbekommen, wie alle in seinem Umfeld ihre Zweifel geäußert hatten, ob eine Beziehung mit mir wirklich eine Zukunft hatte. Nicht nur einmal habe ich gehört, wie er seiner Mutter erklärt hatte, dass es mir mit ihm gut ging und dass es auch ihm gut ging mit mir.

Immer wieder haben alle um uns herum versucht mir irgendwie einzureden, dass ich 'professionelle Hilfe' brauche. Schon bevor Harry in mein Leben trat haben die Leute versucht mich in diese Richtung zu lenken, bis sie es irgendwann aufgaben. Ich war ja nicht schlimm gefährdet, einfach nur nicht oft glücklich und gut drauf, dass war das was ich immer wieder erklärte, doch sie wollten es nicht verstehen. Alles was ich brauchte um mich besser zu fühlen, war Harry. Er hatte mich so weit aus meinem Loch geholt, wie ich es zuvor noch nie rausgeschafft hatte.

Und das hatte eine ganze Weile geklappt, obwohl niemand wirklich daran glaubte. Ich wusste genau, dass alle sich nur fragten, wann wieder eine schlechte Phase kommen würde, in der ich mit niemandem sprach und mich auch nicht blicken ließ. In der ich quasi gar nicht existierte. Oder eben nur existierte. Ich wollte es allen beweisen. Ihnen zeigen, dass ich keine Hilfe brauchte, dass Harry reichte. Und das tat er auch, er war sogar viel mehr als nur ausreichend. Ich war nur einfach ein hoffnungsloser Fall und mir war jetzt endlich klar, dass er das nicht verdiente und jeder mit seinen Zweifeln recht gehabt hatte.

"Lou.. Harry sah furchtbar aus, du siehst furchtbar aus.. was ist passiert?", riss mich meine Mutter plötzlich aus meinen Gedanken.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir mittlerweile an meinem Elternhaus angekommen waren und schaffte es nicht sie anzusehen, als ich ihre Hand spürte, die meine sanft drückte. Ich schloss meine Augen und ließ zu, dass sie ihre Arme um mich legte und mich fest an sich zog.

*****

Mit zittrigen Händen stand ich vor der Wohnungstür und starrte auf die Fußmatte, auf der ganz viele blaue und grüne Herzchen abgebildet waren. Ich musste daran denken, wie Harry unbedingt diese Matte haben wollte, weil das Grün und Blau perfekt zu unseren Augenfarben passte und merkte wie sich meine Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen. Mein Herz pochte wild in meiner Brust, aber ich freute mich über dieses Gefühl.

Ich hatte in den letzten Wochen gelernt, dass es gut war Dinge zu fühlen und ich nur den Umgang mit diesen Gefühlen lernen müsste. Ich schaffte es nach einigen Minuten schließlich den Schlüssel ins Loch zu stecken und die Tür zu öffnen. Der vertraute Geruch von Harry stieg mir in die Nase, war so präsent, weil er fast zwei Monate lang alleine hier gelebt hatte. Dieser Gedanke versetzte meinem Herzen einen Stich, doch ich ließ auch dieses Gefühl zu, versuchte nicht es runterzuschlucken.

Vorsichtig betrat ich den Flur, der noch immer genauso aussah, wie an dem Tag als ich die Wohnung verlassen hatte. Sogar meine Jacken hingen noch genau so da, als ob ich nur kurz einkaufen gewesen bin.

Ein Blick in die Küche ließ mein Herz noch ein Stückchen schneller schlagen, denn auf dem Tisch standen frische Blumen. Ich lief auf den Tisch zu und berührte die Blumen leicht mit meinen Fingern, bevor ich an diesen schnupperte. Der Strauß war mal wieder schöner als der letzte, den er mitgebracht hatte und mein Blick wanderte zu dem Strauß in meiner Hand, der nicht mal ansatzweise so hübsch war.

Bevor ich weiter drüber nachdenken konnte, spürte ich, dass Harry den Raum ebenfalls betreten hatte und das lediglich, weil mein Herz kurz aussetzte und sich das bekannte wohlige Gefühl in meinem Bauch ausbreitete. Ich drehte mich um und blickte in ein strahlendes, Grübchen zeigendes Gesicht. Ohne, dass ich es kontrollieren konnte, oder musste, bildete sich auch auf meinem Gesicht ein Lächeln.

"Oh, die sind schön", sagte er und deutete auf den Strauß in meiner Hand.

"Nicht so schön, wie diese", gab ich zurück und zeigte auf die Blumen auf dem Tisch.

"Mhmm, aber die sind auch nicht so schön, wie etwas anderes hier im Raum", lachte er und ich merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Auch wenn er mir häufiger Komplimente machte, konnte ich noch immer nicht damit umgehen. "Darf ich?", fragte er und deutete erneut auf meine Hand, die den Strauß, vielleicht ein wenig zu sehr umklammerte. Ich nickte zustimmend und beobachtete ihn dabei, wie er schließlich die Vase neben die andere auf dem Tisch platzierte und beide Blumensträuße zufrieden musterte.

"Harry?", fragte ich nach einigen Sekunden und er zuckte kurz zusammen, bevor er sich zu mir drehte und mich fragend ansah. "Umarmung?" Seine Augen funkelten noch ein bisschen mehr, als er freudig nickte und seine Arme innerhalb von Sekunden um mich geschlungen hatte.

Ich genoss seine Nähe und versuchte ihn ebenso fest an mich zu drücken, um ihm irgendwie zu zeigen, wie viel ich gerade fühlte. Dass ich überhaupt gerade etwas anderes als Wut fühlte. Auch wenn er und ich nichts sagten, hatte ich das Gefühl, dass er mich verstand. Dass er spürte, was gerade in mir vorging und dass da gerade so viel Liebe durch meinen Körper strömte, wie schon lange nicht mehr. Überwältigt von all den Gefühlen, merkte ich erst gar nicht, dass ich angefangen hatte zu weinen, bis ein leiser Schluchzer meinen Mund verließ.

Harry löste sich ein wenig von mir und strich mit seinem Daumen ein paar Tränen von meiner Wange, ehe ich es ihm gleichtat, denn auch er vergoss ein paar Trämen. Er drückte seine Lippen für einen kurzen Moment auf meine Stirn, bevor er mich so liebevoll anlächelte, dass mein Herz gefühlt zersprang und dann mit seinem Kopf in Richtung Wohnzimmer nickte. Er verschränkte seine Hand mit meiner und wir setzten uns zusammen auf das Sofa, so nah, dass unsere Beine sich berührten.

Ich erzählte ihm von meinem Klinikaufenthalt und er hörte mir aufmerksam zu, obwohl er mich dort sogar drei Mal besucht hatte und dementsprechend einiges bereits wusste. Aber dieses Treffen hier war das erste ohne irgendeine Art von Beobachtung. Nur wir beide alleine, in unserer Wohnung, die so viele schöne Erinnerungen hatte. Niemand der ein Zeitrahmen vorgibt, oder ein Gespräch mit uns beiden zusammen führt, einfach nur wir, Händchen haltend auf dem Sofa, das uns so viele Nerven gekostet hat, weil es einfach nicht durch das Treppenhaus gepasst hat.

Ich war ihm dankbar, dass er sich darauf eingelassen hatte, mich bei meiner Therapie zu unterstützen, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch immer der Meinung gewesen bin, er war zu gut für mich und ich würde es wieder zerstören. Zusammen mit dem Therapeuten und Psychologen hat auch Harry gelernt, wie der Umgang mit mir in schwierigen Phasen einfacher sein könnte. Und ich hatte gelernt, dass es schwierige Phasen geben kann, auch wenn man gerade eigentlich glücklich war, aber das es okay war, solange man diese richtig erkannte und dann richtig handelte.

Es lag definitiv noch ein langer Weg vor mir und er würde vermutlich niemals beendet sein, aber mir war nun klar, dass Harry nicht dafür zu ständig ist, mich in irgendeiner Form zu heilen. Er ist mein Anker, an dem ich mich festhalten kann, während ich mich Stück für Stück selber aus dem Loch ziehe, so weit, dass ich nicht einfach wieder reinfallen kann, auch wenn das Loch immer da sein wird, immer offen, nur weniger beängstigend, je weiter ich mich von diesem entferne.

Nachdem wir beide zwei Tassen Tee getrunken und uns stundenlang über alles mögliche unterhalten hatten, waren wir irgendwann in eine bequemere Position gewechselt. Ich saß an ihn gelehnt im Schneidersitz, während er seine Beine auf dem Couchtisch abgelegt und seinen Arm um mich gelegt hatte. Ich spürte seinen Blick auf mir, als es einige Minuten lang still war und schluckte, bevor ich mich ebenfalls zu ihm drehte, um ihn bei meinen nächsten Worten in die Augen sehen zu können.

"Ich liebe dich.. mein Engel."

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