❆ 24. Türchen: Mince Pies ❆

Die liebe Mistletoe87 hat für euch das 24. Türchen geschrieben ♥️ vielen Dank das du dabei bist und uns den Heiligabend versüßt 🥰 Viel Spaß beim lesen und ganz viel Kraft für den heutigen Tag ♥️✨



6319 Words


„Harry?"
Ein schwarzhaariger junger Mann steckte den Kopf durch den Türspalt und ließ den Blick prüfend durch das Behandlungszimmer schweifen.
„Hm?"
„Ich hab dir Frau Miller mit dem Durchfall-Chihuahua in die Drei gesetzt. Temperatur hab ich schon gemessen, steht in der Kartei. Gleich kommt noch der Verbandswechsel. Hab ihn dir schon angelegt. Bin schnell vorn an der Anmeldung. Machst du mir die Rechnung für Herr Jones fertig?"
„Ja, bin gerade dabei. Danke Zayn!"

Harry seufzte und drehte sich wieder zum Computerbildschirm.
Fünf Minuten ... Einfach fünf Minuten zum Durchatmen und um in sein Brötchen zu beißen. Hätte Zayn ihm nicht immer wieder diesen kleinen gefüllten Schokokugeln zugesteckt, hätte er seit heute Morgen noch gar nichts gegessen.
Nicht mal auf die Toilette hatte er es bisher geschafft, aber er hatte auch kaum was getrunken. Das hatte er einfach vergessen. Er wusste nicht Mal, wo er seine Wasserflasche abgestellt hatte. Vermutlich war sie noch im Aufenthaltsraum.

Solche Tage gab es oft. War nicht ungewöhnlich. Allerdings war er sonst nicht alleine. Normalerweise hatte er Zeit für eine Pause. Das war an Weihnachten anders.
Harry sah aus dem Fenster. Auf dem Parkplatz vor der Klinik war nicht mehr viel los.
Draußen war es bereits stockdunkel, aber durch die starke Spiegelung konnte er bis auf die Regentropfen an der Scheibe und den bunten Lichterketten vom Nachbarhaus nicht viel erkennen. Typisches britisches Sauwetter. Wäre aber auch ein Wunder, wenn es hier mal schneien würde.

Er hatte freiwillig die Weihnachtsdienste in der Tierklinik übernommen. Das hätte er nicht tun müssen.
Dr. Harry Styles, Fachtierarzt für innere Medizin, war einer der beiden Inhaber und Chefarzt, er hätte darauf bestehen können, dass die Assistenzärzte sich die Feiertage teilten, aber wozu? Um daheim nutzlos die Zeit totzuschlagen? Niemand wartete auf ihn. Seine Familie würde er erst zu Silvester besuchen. Den Kurzurlaub hatte er dringend nötig. Liam, sein Kumpel und Chefchirurg der Klinik, hatte ihm schon im Sommer gesagt, dass er kürzertreten sollte. Mal an sich denken. Was der eigentlich damit sagen wollte: Geh raus in Klubs und Pubs, such dir jemand zum Dampfablassen. Zum Daten oder Vögeln, komplett egal!
War einfacher gesagt als getan.

Schnell vervollständigte er die Akte seines letzten Patienten und klickte die verschiedenen Leistungen in die Rechnung zusammen, um sie Zayn, seinem Helfer, freizugeben. In nicht Mal zwei Stunden begann der offizielle Notdienst, dann würde er den nach Hause schicken. Erfahrungsgemäß war dann auch nicht mehr so viel los. Die Menschen saßen um diese Uhrzeit daheim beim Weihnachtsessen und hatten Spaß. „Oder sie stritten sich", überlegte Harry. Was auch immer sie machten, zum Tierarzt kamen sie in der Zeit nicht.

Das taten sie noch schnell zu den normalen Öffnungszeiten am 24.12. Wenn er sich das digitale Wartezimmer so ansah, waren das so gut wie alles Dinge, mit denen die Besitzer schon vor Tagen hätten kommen können. Aber die waren oft zu faul oder hatten keine Zeit und dann musste das halt noch schnell vor den Feiertagen passieren, sonst musste man den teuren Notdienstzuschlag bezahlen.

Harry rollte mit den Augen. Diskussionen über zu hohe Rechnungen hatte er heute auch schon zu Genüge geführt. Ob diese Menschen an der Supermarktkasse auch schimpften? Ob sie da auch so oft den Geldbeutel vergaßen? Oder den Verkäufer fragten, ob er Lebensmittel nicht kostenfrei abgeben konnte, wenn der die Produkte doch so liebte?
Vermutlich wussten sie nicht, wie aufwendig und teuer so ein Studium war, Ihnen war nicht klar, wie hoch Personalkosten und die laufenden Kosten in einer Klinik waren. Hier arbeiteten siebzehn Tierärzte und zweiunddreißig veterinärmedizinisch-technische Angestellte und das vierundzwanzig-sieben auf höchstem Niveau. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Für lau war das unmöglich, wenn er sein Personal fair bezahlen wollte. Und auch er selbst musste von etwas leben. Essen und Miete bezahlten sich nicht von alleine.

Vielen Menschen war wohl einfach nicht bewusst, wie teuer so ein Tier im Krankheitsfall werden konnte. Wie auch. Sie informierten sich nicht immer vorher und wer nicht selbst privat versichert war, der sah auch nie die hohen Arztrechnungen. Aber es waren zum Glück wenige, die ihm und seinen Angestellten böse Sachen an den Kopf warfen. Trotzdem war es oft hart. Er versuchte so was immer von seinen Mitarbeitern fernzuhalten und sich zwischen sie und die empörten Kunden zu stellen. Mit der Zeit und in diesem Beruf musste man sich ein dickes Fell zulegen. Anders ging das nicht. Man machte sich sonst kaputt.

Aber es gab auch die tollen Kunden. Die alles aufwogen. Die, die sich bedankten und glücklich waren. Die, die ihnen zur Adventszeit manchmal selbst gemachte Plätzchen mitbrachten. Harry backte eigentlich gerne, aber er hatte einfach keine Zeit dafür.
Personalmangel, Urlaub und Fehltage auf Grund von Krankheit machte auch seinem Team zu schaffen, aber wenn er ehrlich war, er war froh, sich in die Arbeit flüchten zu können. Er wollte abends nicht daheim sitzen und sich eingestehen, wie allein er war. Vor allem nicht zur Weihnachtszeit. Mitte dreißig, beruflich erfolgreich aber Dauer-Single. Tja, man konnte wohl nicht alles haben.

Die richtige Person war für ihn einfach noch nicht dabei gewesen und so langsam zweifelte er daran, ob er sie jemals finden würde. Vielleicht hätte er sich mehr Mühe geben sollen bei der Suche, aber bei anderen klappte das doch auch ohne großen Aufwand. Er geriet immer an die Falschen. Deshalb hatte er es irgendwann gelassen.
Das war nicht schlimm. Er wollte nicht auf Biegen und Brechen heiraten, ein Haus und Kinder haben – wobei Letzteres in seinem Fall eh schwieriger war, denn er fühlte sich zu Männern hingezogen – aber abends heimzukommen und dann jemand an der Seite haben, das wäre schon toll. Jemand, in dessen Arme er sich nach einem beschissenen Tag flüchten konnte.
Vielleicht war er zu anspruchsvoll?

Er seufzte erneut, als er die Patientenkartei schloss und den Computer sperrte. Nach einem kurzen, prüfenden Blick in den Spiegel beim Händewaschen machte er sich auf zu Frau Miller. Das war wieder so ein typischer Fall von nicht erzogenem, kläffenden und um sich beißenden Chihuahua mit überbesorgtem Frauchen. Wobei überbesorgt nicht unbedingt auf die Gesundheit des Hundes bezogen war. Eher besorgt um den teuren, weißen Flokati-Teppich in der Wohnung, auf den der Hund gemacht hatte.
Das war wohl das eigentliche Drama für die Besitzerin - nicht, dass der Hund schon seit knapp einer Woche immer wieder Durchfall und Erbrechen zeigte.

Er war heilfroh, dass Zayn das um sich schnappende Tier so gut im Griff hatte. Auf eine Bissverletzung konnten sie alle gut verzichten. Solche Helfer waren Gold wert. Zayn war Gold wert. Zayn der mit der Kundin umging. Da fehlte Harry nach einem solchen Tag einfach der Nerv. Vermutlich hätte er sie ohne Zayns mahnenden Blick zusammengestaucht.
Nach viel geknurrte und Quietschen beim Blutabnehmen ging Harry mit der Besitzerin alle Optionen durch. Ein Kot-Schnelltest brachte schließlich die Diagnose. Er schickte den Hund mit Verdacht auf Darmparasiten mit entsprechender Medikamentation nach Hause.

Er war gerade mit dem letzten offiziellen Termin, einem Verbandswechsel bei einer vor zwei Tagen operierten Hündin, fertig, als Zayn erneut den Kopf durch den Türspalt steckte.
„Dr. Styles? Gerade ist ein Notfall rein gekommen."
Harry nickte nur knapp und entschuldigte sich bei dem Besitzer. Den Folgetermin konnte der auch gleich mit Zayn ausmachen, dafür brauchte es ihn nicht.

„Was für ein Notfall?", wollte er wissen, als er dem Schwarzhaarigen ins Labor folgte.
Hier konnten sie sich kurz ungestört austauschen. Es roch nach Plätzchen und Früchtetee. Harry rieb sich müde durchs Gesicht, als Zayn ihm eine Teetasse reichte.
„Ich weiß, keine Getränke und Essen im Labor, schau nicht so. Es ist aber niemand außer uns hier und ich weiß, dass du heute kaum was getrunken hast. Von Essen reden wir erst gar nicht. Hab dir den Tee schon vor Stunden gemacht, aber immer vergessen ihn dir zu bringen. Sorry, jetzt ist er kalt."
„Danke ..."
Der Tierarzt nahm einen kleinen Probeschluck, bevor er die Tasse in fast einem Zug leerte.
Er hatte wirklich großen Durst.

„Also?"
„Achtmonatiger Labradoodle. Hat vom Weihnachtsessen geklaut."
„Oh ... Weißt du was? Schokolade? Xylitol? Irgendwelche Spiese?"
Harry hoffte, dass es kein Fleisch- oder Käsespies oder Zahnstocher war. Den Mist sah man nicht im Röntgen und er hatte wenig Lust, den chirurgischen Back-up am Heiligen Abend rein zu holen. Das würde ewig dauern.
„Ne, irgendwas mit Rosinen."
„Auch nicht gut", murmelte Harry. „
Ich geh mal schauen. Hatte eigentlich auf baldigen Feierabend gehofft ..."
„Du weißt doch wie es ist ..."
„Ja."
Natürlich wusste er, wie das so war. Immer wenn man dachte, man hätte Schluss, kam noch ein Notfall. Meist irgendwas Undankbares.
„Warum grinst du so doof?"
„Tu ich doch gar nicht ...", stritt Zayn lachend ab.
Natürlich grinste der.
„Malik?"
„Dr. Styles?"
„Du sagst mir jetzt sofort warum du grinst!"
„Weil ... oh, hörst du das? Klingt nach piepsendem Infusiomat auf der Station. Bis gleich!", flötete sein Helfer und verschwand mit einer grazilen Pirouette.
„Zayn!"
Der hatte sich jetzt nicht wirklich einfach verkrümelt?

Harry stellte die leere Tasse auf die Ablage und atmete noch mal tief durch. Wenn er Glück hatte, dann war das der letzte Patient für heute. Mal sehen, wie aufwendig das werden würde.
Er straffte die Schultern, setzte ein bemühtes Lächeln auf und öffnete die Türe zum Behandlungszimmer.
„Guten Abend, mein Name ist Dr. Styles ... Oh!", grüßte er überrascht in den Raum.
Mit der lebhaften Fellkugel hatte er nicht gerechnet.
Sofort wurde er von einem gar nicht so kleinen schwarz-weißen Pudelmix mit sehr lockigem Fell angesprungen und schwanzwedelnd begrüßt.
„Clifford! Komm her! Sorry ..."

Sein Herz schlug ein wenig schneller, als er den Welpen erkannte. Deshalb hatte Zayn so gelacht. Dieser ...
Unwillkürlich musste Harry lächeln. Diesmal war es echt.
„Dr. Styles? Äh, es, also äh, es tut mir leid. Ich hab nicht so schnell mit jemandem gerechnet, sonst hätte ich Cliff festgehalten", murmelte der Besitzer entschuldigend, als er ihm peinlich berührt die Hand reichte.
„Ist in Ordnung, Herr ..."
Verflucht, er kannte dessen Nachname nicht.
„Tomlinson."
„... Herr Tomlinson. Wir kennen uns ja schon, stimmt's Clifford?"
Harry wuschelte dem aufgeregten Hund über den Kopf, bevor er sich an den Computer setzte, um sich dahinter zu verstecken.

Eigentlich Quatsch. Aber er hatte Sorge, rot zu werden. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er heute Abend auf den hübschen Mann aus der Nachbarschaft treffen würde.
Sie kannten sich vom Park. Waren sich dort häufiger über den Weg gelaufen, seit Louis seit ein paar Monaten den knuffigen Welpen hatte. Der Nachname war ihm neu. Gab keinen Grund, den auszutauschen.


Und was sollte Harry sagen? Dieser Mann hatte es ihm angetan. Optisch eine Zehn von zehn. Wenn nicht sogar eine Elf. Kleiner als er, schlank mit tollen Hüften und Po. Aber das Beste war dessen wunderbares Lächeln und die faszinierenden blauen Augen. Blaue Augen zu braunen, leicht grau-melierten, wuscheligen Haaren. Das war voll seines. Was Attraktiveres konnte sich Harry nicht vorstellen.
Müsste er seinen Typ Mann beschreiben, rein vom Aussehen wäre der das. So sollte er nicht denken, aber Cliffords Besitzer gefiel ihm eben.
Louis war unkompliziert, hatte immer einen frechen Spruch auf den Lippen und war einfach sympathisch. Auch wenn es immer nur kurze Gespräche waren, Harry retteten sie damit manchmal den Tag.

Der Tierarzt öffnete die digitale Patientenakte. Zayn hatte schon alles Relevante von Gewicht über Impfstatus, letzte Entwurmung bis hin zur Temperatur eingetragen.
„Was genau ist denn passiert? Mein Kollege meinte, Clifford hat was gefressen?"
„Ähm ... Ja. Ich bekomm morgen Besuch von meiner Familie und wollte ... backen ..."
Der hübsche Mann sagte das so unsicher, als wäre es etwas Komisches, dass ein Mann backte.
„Ich hab nur einen Moment nicht aufgepasst, da hat Cliff ein paar Pies geklaut. Ich weiß nicht, wie viele er gefressen hat ...", gab Louis kleinlaut zu.
Harry stand auf und hob den jungen Hund auf den Tisch. Routiniert tastete er über den Hundekörper, öffnete dessen Maul, um sich die Schleimhäute anzusehen, und fasste kurz über dessen Bauch. Auch beim Abhören konnte er erst mal nichts Verdächtiges feststellen. Das war gut.


„Was waren das für Pies? Und wann hat er die gefressen?"
„Mince Pies. Da sind Rosinen und so Trockenobstmus drin. Ich hab gegoogelt und da stand, Rosinen sind gefährlich. Und ähm ... vor circa fünfzehn bis zwanzig Minuten? Fock! Ist das schlimm?"
Harry sah kurz auf. Cliffords Besitzer wirkte völlig aufgelöst.
„Kommt drauf an, wie viel er erwischt hat. Grundsätzlich sind Trauben giftig für Hunde, aber sie müssen schon einige fressen, bevor es ein Problem macht. Clifford ist ja auch kein kleiner Hund. Stimmts?"
Er kraulte den Rüden hinterm Ohr.
„Rosinen sind halt die konzentrierte Form von Weintrauben. Da reichen sehr viel geringere Mengen um eine toxische Dosis zu erreichen. Aber ich will nicht riskieren, dass er nachher kaputte Nieren hat. Ich spritz ihm was, dass sollte Erbrechen auslösen. Wenn es erst so kurz her ist, bekommen wir das Zeug hoffentlich komplett und ohne Folgeschäden raus. Bin gleich wieder da."

Harry setzte den jungen Hund zurück auf den Boden, bevor er kurz das Zimmer verließ, um die entsprechenden Medikamente aus der Apotheke zu holen.
„Naaa?"
Zayn drückte ihm schon das entsprechende Fläschchen in die Hand. Der hatte wohl bereits auf ihn gewartet.
„Nichts naaa."
„Mhm ... seh ich. Deine Laune ist besser."
„Ja. Ist ja auch ein süßer Patient."
„Oder Besitzer ..."
„Malik!"
„Styles!"
Harry schüttelte ertappt den Kopf, während er das Medikament luftfrei in eine kleine Spritze aufzog.
Warum hatte er seinen Freunden von seiner Schwärmerei erzählt? Ach ja, genau. Zayn und Liam hatten ihn abgefüllt und Niall hatte ihn ausgequetscht.

„Ha! Ich wusste du freust dich, ihn zu sehen. Hast du's gelesen? Louis William Tomlinson. Er ist in deinem Alter. Bisschen älter als du!"
„Du bist ein Stalker!"
Louis William Tomlinson. Klang schön. Das passte zu dem hübschen Mann mit dem tollen Lächeln, fand Harry.
„Was denn? Ich musste die Kartei anlegen. Er war noch nie hier!", verteidigte sich Zayn.
„Außerdem hast du dich die letzten Wochen nicht getraut zu fragen wie er genau heißt und wie alt er ist."
„Wäre auch ein wenig komisch gekommen, oder? So gut kennen wir uns nicht. Ich hab ihn nur ein paar Mal im Park getroffen!"
„Pff ... Ihr redet doch regelmäßig miteinander!"
„Wenn ich ihm zufällig beim Joggen über den Weg laufe!"
„Was rein zufällig mehrmals die Woche ist! Harry, ich hab gewusst wer das ist, bevor er mir den Namen gesagt hat, nur durch deine Beschreibung! Du hättest ihn einfach Mal auf einen Glühwein einladen können!"
„Das wäre noch viel seltsamer gewesen!"
„Warum?"
„Weil ich ... ich kann doch sowas nicht einfach fragen, was wenn..."
„Er trägt keinen Ring!", fiel ihm Zayn ins Wort.
„Ja und?"
„Und ein Armband mit Pinguienen, die alle einen Regenbogenschal anhaben!."
„Das heißt gar nichts ..."
„Boa Harry! Wenn du meinst ... Den Kopf abgerissen hätte er dir sicher nicht."
Zayn zuckte unschuldig mit den Achseln, während er sich ein paar Inkontinzenzunterlagen schnappte.
„Schickst du ihn raus oder soll ich die auslegen?"
„Hm, lieber ist mir draußen, aber es regnet und ist dunkel."
„Verstanden. Ich kümmere mich."

Als Harry den Raum wieder betrat, hatte Zayn den Boden bereits abgedeckt. Keiner von ihnen hatte Lust auf Putzen.
„Ich spritze Clifford jetzt was. Davon wird ihm schlecht", erklärte der Tierarzt, während er mit seinem Helfer die Utensilien für den Venenkatheter herrichtete.
„Danach würde ich ihn gerne noch an die Infusion nehmen und die Nierenwerte kontrollieren. Wollen Sie dabeibleiben, oder ihn später wieder abholen?"
Es fühlte sich komisch an, seine Parkbekanntschaft zu siezen, aber Louis hatte damit begonnen.
„Äh ... I-ich würde hierbleiben, wenn ich darf? Ist ja meine Schuld ..."
Harry nickte. Ein Punkt für Louis Tomlinson. Er war kein Fan davon, wenn sich Besitzer emotionslos verkrümelten. Das traf hier nicht zu. Den hübschen Mann plagte ganz offensichtlich ein ziemlich schlechtes Gewissen, den Hund in der Küche alleine gelassen zu haben.

Er gab Zayn ein Zeichen, den jungen Hund kurz festzuhalten, damit er ihm die Pfote rasieren und den Venenzugang schieben konnte. Den konnte er auch zur Blutentnahme nutzen. Später würde der Welpe darüber seine Infusion erhalten. Die Vene traf er auf den ersten Versuch. Er war geübt und Clifford hatte einen guten Kreislauf, war also zu erwarten. Trotzdem machte ihn Louis prüfender Blick etwas nervös. Das war lange nicht vorgekommen.
Im Anschluss zog er die Plastikabdeckung mit den Lippen von der Kanüle und griff sich eine Hautfalte über der Schulter, bevor er das Medikament darunter injizierte.
„Wirkt besser unter der Haut", kommentierte er Louis fragenden Blick.
Sofort wuschelte er dem Hund durch das lockige Fell, um ihn zu loben. Der war wirklich superbrav. Harry tat es jetzt schon leid, dass es dem Tier gleich elend gehen würde.

„Soll ich dabeibleiben?", wollte Zayn wissen; aber Harry schüttelte den Kopf.
„Nein, ich kann das machen. Muss sowieso noch alles eintragen."
Am liebsten würde er Zayn mit dem Kugelschreiber abwerfen, weil der vielsagend mit den Augenbrauen wackelte, bevor der mit den Blutproben ins Labor verschwand.
Dieser Kerl war unmöglich. Er musste wirklich noch alles in die Kartei eintragen ...
Gut, das hätte er auch in einem anderen Raum tun können, aber irgendwas in ihm sträubte sich dagegen, den aufgeregten Louis alleine hier allein zu lassen.
Der machte sich immer noch massiv Vorwürfe.

„Hab ne Wette gegen meine Schwester verloren, weshalb ich Mince Pies machen musste."
Oh, deshalb roch der so weihnachtlich.
„Ich backe eigentlich nie ... Bin da nicht so gut drin", gab Cliffords Besitzer leise zu.
Er saß breitbeinig auf dem Stuhl in der Zimmerecke und wackelte unruhig mit dem linken Bein. Harry beobachtete ihn verstohlen aus dem Augenwinkel. Louis trug eine schwarze Jogginghose mit schwarzem Hoodie.
Da waren noch Mehlreste am Saum und auch ein wenig im Haar. Das war eindeutig zu süß.

„Es war so viel Trubel daheim, weil ein Teil der Familie heute schon kurz da war. Ich hab nicht gedacht, dass er da dran gehen könnte. So eine verfluchte Scheiße!"
Louis raufte sich sichtlich gestresst die Haare.
„Damit muss man leider immer rechnen ... Das ist ein Labbi-Mix. Aber d-Sie sind ja sofort hergekommen", versuchte Harry ihn aufzumuntern.
„Ja ...Ich hoffe. Dass Rosinen so schlimm für die Nieren sein können wusste ich nicht. Und ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich Ihnen den Weihnachtsabend versaue ..."
Dieses Siezen klang auch aus Louis Mund hölzern.
„Quatsch. Ich bin die nächsten Tage sowieso hier."
„Oh?"
Louis sah fragend auf, während er seinem hechelnden Rüden über den Kopf kraulte. Lange würde das nicht mehr dauern, der fing schon an zu schlecken.

„Ich übernehme die Feiertagsdienste. Einer muss ja."
„Das bedeutet, du bist gar nicht daheim bei der Familie?"
Harrys Herz machte einen freudigen Hüpfer. Da war es, das du.
„Hm, nein. Aber es macht mir nichts aus."
„Das klang nicht so überzeugend, wenn ich das sagen darf."
Louis blaue Augen musterten ihn intensiv.
„Na ja ... Weihnachten ist toll, aber alleine sein ist nicht so prickelnd. Da bin ich lieber hier und arbeite."
„Als Ablenkung?"
„Ja ..."
„Verstehe."
Louis nickte mitfühlend.
„Also kein Grinch?"
Damit brachte er Harry zum Lachen.
„Grinch? Seh ich so aus?"
„Nein. Mit der weißen Hose und dem roten Kasack sieht es eher nach Weihnachtsmann aus. Fehlt nur noch die Mütze ..."
„Äh ..."
Harry sah an sich herab.
Das war sein normales Kliniksoutfit. Weihnachtsassoziationen hatte er damit noch nicht gehabt, aber Louis hatte recht.
„Ne Mütze hab ich nicht ... Da muss ich dich enttäuschen."
Oh jetzt hatte er nicht jugendfreie Bilder im Kopf.

Auch Cliffords Besitzer lachte nun, als sich ihre Blicke trafen. Er mochte, wie sich die Wangenhaut seines Gegenübers leicht dunkler färbte. Und diese niedlichen kleinen Fältchen, die sich immer um Louis strahlende Augen bildeten, wenn er herzlich lachte! Die lösten Mal wieder ein ungekanntes Kribbeln in seinem Körper aus. Wenn es so was wie einen Weihnachtswunsch gab, dann wünschte sich Harry gerade, dass ihm das Christkind bitte so einen Mann unter den Baum legte.

******

„Ich war mit Löckchen nochmal schnell draußen. Hab ihn wieder auf die Station gebracht. Sitzt ganz vorne. Infusion läuft."
Zayn klopfte ihm kräftig auf die Schulter, was ihn zusammenzucken ließ.
„Löckchen?"
„Ja, der Pudelmix von deinem Hottie. Der ist wieder fit. Nierenwerte sahen gut aus, hast du ja aber sicher schon gesehen."
Harry merkte, wie er rot anlief, beschloss aber, nicht auf den Kommentar seines Helfers einzugehen.
„Hab ich. Danke Zayn. Der hat übrigens nicht nur Pies geklaut. Hat auch ne halbe Tüte Rosinen geschluckt."
„Oh shit."
„Ja! Aber ganz Labbi-Like zum Glück am Stück. Die Packung war noch mit dem Gummi verschlossen, als sie wieder rauskam."
„Hm... Ready to bake."
„Urgh, du bist widerlich."
„Danke."
„Das war kein Kompliment!"
„Hm ... Das kommt auf jeden Fall in unsere Top Ten der gefressenen Kuriositäten."
Harry grinste dreckig. Da standen noch ganz andere Dinge drauf. Sie könnten mal ein Buch mit den Highlights veröffentlichen.

„Wenn du mich nicht mehr brauchst, hau ich jetzt ab. Telefon ist aus, Türen sind zu. Station hab ich fertig gemacht, da sind nur die vier von gestern und Löckchen. Falls du den heute noch heimschicken willst, Hottie Tomlinson weiß Bescheid. Kannst ihn anrufen oder auf WhatsApp schreiben, hat er gesagt."
Zayn zwinkerte verschwörerisch.
„Du hast ihm gesagt, dass ich mich heute noch melde? Hast du mal auf die Uhr geschaut?" „Ja? Er hat gefragt? Und deine Nummer wollte ich nicht einfach rausgeben ... Vielleicht hätte ich es machen sollen?"
„Zayn!"
„Ach komm schon! Meld dich bei ihm! Aber nehm nicht dein Arbeitshandy!"
„Zayn Malik!!"
„Harold Styles! Schreib ihm einfach! Ihr flirtet doch eh die ganze Zeit!"
„Wir ...Was?"
Der Schwarzhaarige rollte mit den Augen, schlüpfte in seine Jacke und umarmte ihn.
„Frohe Weihnachten, Harry. Wenn was ist ruf an. Niall beginnt morgen um neun."

Und dann war Harry alleine.
Im Radio liefen die üblichen Weihnachtsklassiker. Zayn hatte es bestimmt mit Absicht angelassen. Zusammen mit den ganzen Lichterketten und den flackernden, künstlichen Kerzen auf dem Adventskranz im Aufenthaltsraum.
Das war liebt gemeint, aber es ließ ihn sich wieder einsam fühlen. Der Tag hatte ihn ganz schön geschlaucht, weshalb er sich mit seinem Brötchen auf die überdachte Terrasse gesetzt hatte.
Frische Luft tat gut. Zumindest kurz. Nur im Kasack war es doch recht frisch. Vorhin war ihm zu heiß gewesen, weshalb er das langärmelige weiße T-Shirt unter dem dunkelroten Oberteil ausgezogen hatte.

Er hatte doch nicht mit Louis geflirtet und der auch nicht mit ihm, oder?
Ja, der hatte ihn beim Arbeiten beobachtet, aber taten die Besitzer das nicht immer?
Und der Kommentar mit dem Weihnachtsmann-Outfit?
Nur weil ihm da automatisch schmutzige Fantasien in den Sinn gekommen waren, hieß nicht, dass Louis auch an so was gedacht hatte. Dass bedeutete nur, dass er mal dringend wieder Druck ablassen sollte. Alleine.

Die Regentropfen klatschten mit einem monotonen Rauschen auf den Asphalt und die Wiesen um ihn herum. Heute wirkte alles besonders ausgestorben auf den Straßen. Nicht ein Auto war zu sehen, aber dafür konnte Harry die Leute in ihren Wohnungen beobachten. Die meisten nutzen ihre Rollläden nicht und Vorhänge waren heutzutage auch überbewertet. Normalerweise achtete er da nicht drauf, aber gerade fiel ihm das auf.
Um kurz nach einundzwanzig Uhr waren die meisten mit dem Essen fertig, aber viele saßen noch am Tisch zusammen. In der Erdgeschosswohnung gegenüber hängten Kinder ihre Socken für morgen auf. In einer anderen Wohnung trank und amüsierte sich die Familie, bei anderen schien es Nachtisch zu geben. Das schmeckte vermutlich besser als Harrys trockenes Brötchen, aber er hatte nichts mehr anderes zu Hause gehabt. Lustlos knabberte er daran herum, bevor er es zurück in die Tüte steckte.
Vielleicht hatten sie noch irgendwo Chips herumliegen, überlegte er resigniert, als er wieder nach drinnen ging und die Türe hinter sich zuzog.

Drinnen sah er sich um. Zu seinem Bedauern hatte Zayn bereits alles aufgeräumt. Schade, so hätte er noch ein wenig Zeit totschlagen können. Er wollte noch nicht hoch und Feierabend machen, drückte sich, vor dem Alleinsein, weshalb er noch mal die stationären Patienten kontrollierte. Medikamente und Futter hatten alle bereits bekommen, er musste mit den Hunden nur eine kurze Gassi-Runde drehen, aber das war recht schnell erledigt. Weder er noch die Vierbeiner hatten Lust auf strömenden Regen.

„So ... und was tu ich jetzt mit dir?"
Harry kraulte den gelockten Welpen hinter dem Ohr. Er hatte ihm gerade eine kleine Portion Futter hingestellt. Wenn er das nicht erbrach, könnte er ihn eigentlich heimschicken. Der schwarze Labradoodle mit der entzückenden weißen Brust machte nicht mehr den Eindruck, als ginge es ihm schlecht. Der inhalierte das Futter nahezu und wedelte auffordernd mit dem Schwanz, als er fertig war.

„Du bist süß, weißt du das?"
Er hatte sich einfach zu ihm in die Box auf die Hundedecke gesetzt und streichelte durch dessen weiches Fell. Mit Tieren war das so einfach. Die merkten, wenn man keinen guten Tag hatte oder Nähe und Wärme brauchte.
Clifford war groß genug, dass man ihn umarmen und knuddeln konnte. Harry lachte, als ihm der Hund über den Schoß kletterte und versuchte, sein Gesicht abzuschlecken
„Hey ... Süß heißt nicht, dass ich deine Zunge im Gesicht haben möchte!"
Lachend wehrte er das übergroße Hundekind ab.
„Na komm, ich entkabel dich mal und dann ruf ich dein Herrchen an."
Der Gedanke, gleich Louis Stimme zu hören, ließ ihn unterbewusst Lächeln.

Er beugte sich über den aufgedrehten Hund und entfernte die Infusion und den Venenkatheter. Das war einfach. Nicht so einfach war es, da einhändig einen Verband drauf zu bekommen, weil Clifford sich unter ihm Wand wie ein Aal. Der wollte der viel lieber spielen als stillhalten.
„Du hast ne Menge Energie", stellte Harry außer Atem fest.
Ob Louis auch so war? Stopp. Wieso fragte er sich so was? Das ging ihn rein gar nichts an.

Ganz kurz hatte er überlegt, ob er wirklich eine WhatsApp schicken sollte, aber das taten sie in der Klinik nie. Er würde nicht damit anfangen. Anrufen war besser. Da konnte er wenigstens noch mal dessen Stimme hören, falls der heute nicht mehr vorbeikommen wollte. Dass er das Telefonat über sein Privathandy machte, ohne die Nummer zu unterdrücken, musste ja niemand wissen.
Es klingelte mehrmals, aber letztlich sprang aber nur die Mailbox an. Für einen kurzen Moment der Enttäuschung vergaß er, wieso er überhaupt angerufen hatte, dann kam der Piepton.
„Äh hallo H-herr Tomlinson. Sie können Clifford abholen, also ... wenn Sie möchten. Einfach klingeln. Sonst können Sie auch morgen ab neun Uhr vorbeikommen. Ach so ... Ähm hier ist Harry, ä-äh, Dr. Styles von der Tierklinik."

„Fuck!"
Harry klopfte sich das Handy an die Stirn. Wie blöd konnte er sein. Das klang, als hätte er noch nie im Leben einen Anrufbeantworter dran gehabt. Das war das unprofessionellste Telefonat, das er jemals geführt hatte. Er hatte nicht mal gesagt, bis wann Louis heute den Hund noch holen konnte. Es war fast halb elf. Vermutlich war der sowieso nicht mehr wach.
Er sollte ganz offensichtlich auch besser ins Bett, oder auf die Schlafcouch. Was Sinnvolles bekam er heute eh nicht mehr zustande.
Himmel wie peinlich. Am liebsten würde er im Boden versinken.

In Gedanken schlurfte er in die Küche, um sich einen Tee aufzubrühen. Während der Ziehzeit konnte er die Lichter in den Behandlungsräumen löschen. Gerade steckte er sich ein Plätzchen in den Mund, als es tatsächlich klingelte.
Sofort machte Harrys Herz einen Hüpfer. Adrenalin durchflutete seinen Körper. Das war entweder jemand, der einen Notfallpatient dabeihatte, oder es war Cliffords Herrchen. Harry hoffte auf Letzteres, auch wenn fünf Minuten seit dem misslungenen Anruf sehr sportlich waren.


Gespannt öffnete er die Türe und hätte am liebsten freudig gequietscht.
„Äh, hi?"
Da stand er. Nass vom Regen, die Kapuze ins Gesicht gezogen.
Louis kratze sich verlegen mit einer Hand im Nacken, als er sich aus dem Nassen ins Wartezimmer schob.
„Hi. Schön, dass es geklappt hat."
Harry musste sich zusammenreißen, nicht zu sehr zu Grinsen, als er Cliffords Herrchen musterte. Louis trug jetzt eine Jeans und einen anderen Hoodie. Wirkte irgendwie herausgeputzt. In Jeans hatte er ihn noch nie gesehen.
War der gerade noch unterwegs gewesen? Musste er fast. Zumindest hatte er einen großen Familienpizza-Karton im Arm.
Das roch fantastisch und Harry betete inständig, dass sein Magen jetzt keine Geräusche von sich gab. Er hatte noch immer nichts Richtiges gegessen. Vielleicht sollte er sich auch eine Pizza bestellen?

„Ich hol Clifford. Bin gleich wieder da! Du ... Sie können sich noch kurz hinsetzen?", haspelte er vor sich her, bevor er sich ein Herz fasste.
„Louis? Können wir das mit dem siezen lassen? Ich komme mir dabei komisch vor. Es sei denn, du willst ..."
„Nein! Nein. Du ist gut! Ich dachte nur ... Na ja, ich wusste bis vorhin nicht, dass du hier arbeitest und der Chef bist. Was hätte ich da sagen sollen. Man, das hättest du auch mal erzählen können, Dr. Styles."
Diesmal wurde er definitiv rot und nicht nur ein bisschen. Wenn Louis ihn so nannte, machte das zu viel mit ihm.

„Hat sich halt nie ergeben ...", murmelte er.
„Bin gleich wieder da!"
Er war froh, sich kurz in der Station verstecken zu können, bis sein Gesicht nicht mehr backsteinrot war. Schnell wickelte er dem Labradoodle den grünen Verband ab.
Der war nur drauf, dass das kleine Loch vom Venenkatheter nicht nachblutete und kein Hämatom verursachte.
Clifford schien seinen Besitzer schon zu riechen, denn er zog Harry energiegeladen durch den Gang, sodass der ihn vor dem Wartezimmer losmachte. Sie hätten sich sonst beide auf dem PVC-Boden langgelegt.

Es war schon irgendwie goldig, wie sehr sich Hund und Herrchen über das Wiedersehen freuten. Louis knuddelte den aufgeregten Rüden durch. Der wusste gar nicht, ob er seinen Besitzer anspringen, ablecken oder sich auf dem Boden wälzen sollte. Dabei jaulte er überschwänglich.
„Sorry ... Ich würde ja sagen, dass er das sonst nicht tut, aber das wäre gelogen", gab Louis zu, während er vor Clifford kniete und dem über den Bauch kratzte.
Die Kapuze seines Hoodies war ihm vom Kopf gerutscht. Vielleicht hatte der die aber schon beim Warten runtergezogen, da hatte Harry nicht drauf geachtet. Am liebsten wollte er ihm durch die zerzausten Haare streichen.
„Ja, hab schon gemerkt, dass der gerne schmust", antwortete er abwesend.
„Hat er wohl von mir, hab ihn verzogen."
Louis strahlte ihn an.
Fuck. Hatte der gerade gesagt, dass er gerne kuschelte?
Harry würde sich ja sehr gerne anbieten, aber er war leider kein Hund.

„Harry ...?"
„Hm?"
„Alles okay?"
„Äh, ja? Sorry, ich war abgelenkt."
„Hab ich gemerkt."
Louis war aufgestanden und grinste ihn noch immer so süß an.
„Ich möchte mich nochmal bedanken für heute. Dass wir so schnell drangekommen sind und dass du dich so gekümmert hast."
„Das ist mein Job."
Richtig tolle Antwort, Styles.
„Ich weiß. Aber es gibt nicht mehr viele Kliniken und Praxen, die Notdienste machen. Ich hätte nicht gewusst wohin, wenn ich nicht hätte laufen können. Mein Auto ist doch noch immer kaputt."
Stimmt. Das hatte Louis ihm letztens beim Gassi gehen erzählt.
„Du hast mich beruhigt und mir das schlechte Gewissen etwas genommen. Ich weiß, dass du nicht hättest nicht mit im Zimmer bleiben müssen, aber ... jedenfalls ... also ich ... hast du vielleicht Lust, mit mir Pizza zu essen? Ich hatte heute Abend noch nichts und ich dachte ..., also weil du gesagt hast, du bist eh alleine ..."
Louis wurde immer leiser.

„Äh. W-was?"
Hatte er sich gerade verhört? Louis hatte Pizza für sie beide geholt? Noch bevor er ihn angerufen hatte?
„Sorry, war keine gute Idee. Du bist ja noch im Dienst und hast vermutlich gar keine Lust nach so einem Tag ..."
„Nein, ja. Jein!"
So schnell hatte Harry noch nie gesprochen, weshalb er eher unverständliches Kauderwelsch von sich gab.
Sie mussten lachen, was die Spannung ein wenig aus der Situation nahm.
„Ich hab noch Rufbereitschaft, ich darf also keinen Alkohol trinken, aber was ich sonst mache, ist egal. Und ich finde, es ist eine tolle Idee! Ehrlich gesagt, genau das, was ich nach so einem Tag brauche ..."
Sein Magen fand das auch. Der knurrte wie auf Kommando peinlich laut.
„Ooops."
„Hi!"
Louis nickte nicht wirklich gerade seinem Bauch zu?
„Lass mich raten, du hattest noch immer nichts zu essen?"
„Woher ...?"
„Zayn."
„Dieses alte Tratschweib. Der ist echt unmöglich!"
Louis zuckte mit den Schultern und grinste.
„Immerhin hat er mit verraten, was du gerne magst."

„Ich freu mich wirklich, aber bist du dir sicher, dass du deinen Weihnachtsabend hier verbringen willst?"
„Ersten sind wir beide hungrig und zu zweit macht Essen mehr Spaß, zweitens hab ich so wenig Lust wie du, Weihnachten alleine zu verbringen und drittens ist es eigentlich schon fast mitten in der Nacht. Also ja, sofern du mich nicht loswerden willst, würde ich sehr gerne bleiben und dir Gesellschaft leisten, Dr. Styles."
Louis grinste schon wieder so niedlich – oder war das eher frech? Egal, Harrys Herz machte aufgeregte Sprünge.
Hatte Zayn recht? Flirtete der mit ihm? Was, wenn er nur Freundlichkeit überinterpretierte? Rausfinden würde er das jetzt eh nicht und so oder so, wäre Louis eine willkommene Abwechslung.

Sie machten es sich im weihnachtlich geschmückten Aufenthaltsraum am Tisch bequem und mampften die nur noch lauwarme Pizza. Aber das machte nichts. Harry hätte sie auch tiefgefroren gegessen, wenn Louis sie mitgebracht hätte. Dazu gab es Kinderpunsch aus dem Tetrapack. Den hatte Harry noch im Schrank gefunden. Das Zeug war fürchterlich süß, aber sie störten sich nicht daran. Heute war Weihnachten. Da durfte man ungesundes Zeug in sich reinstopfen. Mit Louis machte das gleich doppelt Spaß und außerdem konnte er sich bestens mit ihm unterhalten. Das hatte er vorher schon gewusst, aber dass sie das auch über mehrere Stunden einfach nur Quatschen konnten, hatte er so nicht erwartet.

Irgendwann hatten sie sich Brettspiele aus dem Schrank geholt, aber wirklich vollständig war keines mehr. Also spielten sie Mensch-ärgere-dich-nicht mit verschiedenen Farben und vergaßen dabei regelmäßig, welche Figur wem gehörte. Das konnte an der späten oder mittlerweile eher frühen Stunde liegen, oder daran, dass sie so sehr in ihre Gespräche vertieft waren. In Harrys Fall lag es definitiv an der Situation unter dem Tisch.

Clifford hatte sich dort zusammengerollt. Eigentlich durften Hunde nicht in den Pausenraum, aber das musste ja niemand erfahren. Es wäre komisch gewesen, den Hund seines Gastes wieder in die Gitterbox in der Station zu verbannen. Außerdem wärmte dessen Fell so schön seine kalten Füße. Eigentlich wollte sich Harry schon vor geraumer Zeit seine Strickjacke holen, denn er fror in dem dünnen Kasack wirklich, aber dann war da plötzlich noch ein anderer Fuß unter dem Tisch, der seinen berührte. Und egal, ob das absichtlich war oder ein Versehen, es fühlte sich schön an. Viel zu schön, um das Gefühl aufzugeben. Also bewegte er sich nicht mehr und hoffte, dass Louis nicht bemerkte, mit wem der da auf Tuchfühlung ging.

„Warum sagt du nicht, dass dir kalt ist?", bemerkte Louis plötzlich, als Harry ein leichtes Schaudern nicht unterdrücken konnte.
Ganz klasse. So viel zu, den Moment festhalten.
Bevor er reagieren konnte, rutschte sein Gegenüber zurück und sah sich suchend im Raum um.
Aufgeschreckt durch die plötzliche Bewegung sprang auch Clifford auf und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz.
„Weil ..."
Harry hatte nicht wirklich eine Antwort auf die Frage. Die Wahrheit konnte er schlecht sagen. „Du hast bestimmt eine Decke oder einen Pulli da, oder? Kann ich dir was holen?"
„Äh, ja, ne Jacke. Hängt an der Türe ..."
Harry hatte noch nicht fertig gesprochen, da stand Louis schon auf, streckte sich kurz und deutete auf die regenbogenfarbene Strickjacke.
„Die?"
Er drückte sie Harry in die Hand.
„Danke."

Mit Jacke war es definitiv besser. Sehr viel wärmer. Er kuschelte sich tiefer in die leicht kratzige Wolle.
„Hab mich schon gewundert, dass dir nicht kalt ist in dem dünnen Oberteil."
„Normalerweise nicht. Aber scheinbar schläft mein Körper schon ..:"
Sie ließen sich wieder auf ihre Stühle fallen und beobachteten schweigend, wie Clifford interessiert schnuppernd durch den Raum wanderte.
„Du hättest einfach was sagen können, ich hätte dir die Jacke auch früher bringen können. Ich mag sie. Steht dir."

„Danke."
Harry versuchte, verlegen sein Grinsen zu unterdrücken. Das klappte genau vier Sekunden. Dann war da wieder der Fuß, der seinen berührte. Eigentlich ein ganzes Bein. Warm und angenehm. Wieder hielt Harry es für ein Versehen, aber das Bein blieb und der Blick der blauen, funkelnden Augen, der ihn stumm nach Erlaubnis fragte, scheuchte Schmetterlinge in seinem Bauch auf. Seitdem hatte sein Herz nicht mehr aufgehört wie verrückt gegen seinen Brustkorb zu Bumpern und er konnte gar nicht anders als zu Lächeln.

„Harry?"
Louis rieb sich etwas unbeholfen über das Handgelenk. War der nervös?
„Ich hab ehrlich nicht damit gerechnet, dass der Tag heute so ausgeht, aber ich würde Lügen, wenn ich sage, ich bereue es. Also für Cliff tut es mir leid, das war dumm und ich lasse ihn ganz sicher nicht mehr unbeobachtet in der Küche... Aber, also ich meine, dass wir uns hier die Nacht um die Ohren geschlagen haben und bis jetzt gequatscht haben... Es war ein schöner Weihnachtsabend. Danke."
„Ich fands auch toll. Es war schön, nicht allein zu sein und Pizza, Punsch und Plätzchen sind ein adäquates Weihnachtsessen. Ich hatte lange nicht so viel Spaß."
Und Herzklopfen. Aber das sagte er besser mal nicht.
„Das siehst du vielleicht anders, wenn du nach nur einer Stunden Schlaf wieder arbeiten musst ... Fock, es ist schon kurz vor fünf, Harry!", stellte Louis schockiert fest.
„Glaub mir, dass wars Wert. Ich würde es jederzeit wieder tun!"
Jetzt waren seine Wangen wieder rot, aber Louis grinste einfach viel zu süß, da konnte er nicht anders.
„Wenn das so ist ... Würdest du - falls ich das alles hier nicht komplett missinterpretiere – mit mir was Essen gehen?"

Harry starrte ihn perplex an. Er war sich nicht sicher, ob sein müdes Hirn ihm gerade einen Streich spielte. War das ein Traum? Sein Magen kribbelte fürchterlich.
„Essen gehen?", wiederholte er schüchtern.
„Also, meinst du ..."
„Ich meine als Date. Ich würde dich gerne auf ein Weihnachts-Date einladen, Dr. Styles."
„Sehr gerne, Louis. Ich glaube, dass ist die beste Weihnachtsüberraschung, die ich jemals bekommen habe. Du darfst in Zukunft öfter Mince Pies machen!"


Jetzt durfte er rot werden und dämlich Grinsen.

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