❆ 22. Türchen: Last Christmas ❆
kaputtmachpingu hat für euch das 22. Türchen geschrieben ♥️ vielen Dank das du so kurzfristig noch eingesprungen und somit Teil des diesjährigen Kalender bist 🥰
Viel Spaß beim lesen und lots of love xx
3287 Words
Weihnachten. Früher mein liebstes Fest im ganzen Jahr, heute eine Erinnerung an den schlimmsten Abend meines Lebens.
Seit einem Jahr bin ich nicht mehr Zuhause gewesen, ich weiß, dass Mum mir das übel nimmt und nur deswegen habe ich ihre Einladung nicht ausgeschlagen, obwohl ich weiß, dass er auch kommen wird. Der Grund, warum ich im Januar überstürzt nach LA gezogen bin, möglichst weit weg von hier. Von meiner Familie, die mich mitfühlend angesehen hat, von meinem schmerzenden Herz. Von ihm.
Ich steige aus dem Mietwagen, mit dem ich vom Flughafen bis in unser kleines Dorf gefahren bin. Auch wenn mich alles hier an ihn erinnert, kann ich nichts dagegen tun, dass sich das hier immer noch nach Zuhause anfühlt. Nichts hat sich hier verändert, was im krassen Gegensatz zum schnelllebigen LA steht. Sogar der Bäcker, bei dem ich früher gejobbt habe, sieht noch genauso aus, die gleiche Dekoration, wie damals als ich Kind war.
Meine Mum, die einen untrüglichen siebten Sinn hat, wenn es eins ihrer Kinder angeht, muss an der Art, wie ich auf den Hofplatz gefahren bin, erkannt haben, dass ich es bin, denn die Tür- mit dem Kranz, den sie jedes Jahr anders gestaltet- fliegt auf und Mum kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
„Mein Baby ist Zuhause!", ruft sie und schließt ihre Arme um mich, ehe ich auch nur die Gelegenheit habe, meine Autotür zu schließen. Vertrauter Mum- Geruch umfängt mich, heute unterstützt von einem Duft nach Rotkohl.
„Mum", sage ich und drücke sie. Die kleine Frau hat mir gefehlt, ihre Wärme, ihre Liebe.
„Lass dich ansehen", sagt sie und mustert mich, die Hände an meinen Wangen. „Dünn bist du geworden. Und an deine Haare werde ich mich wohl nie gewöhnen. Ich mochte deine langen Haare", zärtlich zupft sie an einer der kurzen Strähnen.
„Mum, ich bin nicht dünn geworden, außerdem siehst du mich doch regelmäßig, wenn wir telefonieren", tadle ich.
„Aber das ist nicht dasselbe. Komm, ich mache dir erstmal einen schönen Kakao, damit du was auf die Rippen bekommst", sie strahlt und legt den Arm um meine Taille. Ich wage es nicht ihr zu sagen, dass Dinge wie Kakao nicht mehr auf meinem Speiseplan stehen und dass ich nicht abgenommen, sondern Muskeln aufgebaut habe. Das hier ist meine Mum und wenn es sie glücklich macht, mir einen Kakao zu machen, bin ich der letzte, der ihr diesen Wunsch verwehren wird.
„Dein Kranz sieht wieder wunderschön aus", sage ich, als wir durch die Eingangstür treten.
„Danke, Baby", sagt sie strahlend und bugsiert mich ins Wohnzimmer. „Deine Tasche kannst du später holen und auspacken, jetzt setzt du dich erstmal", kommandiert sie und ganz der artige Sohn, der ich bin, setze ich mich. Sofort springt mir eine von Mums unzähligen Katzen auf den Schoß und ich kraule das schwarze Tier hinterm Ohr, worauf es schnurrt, als habe es ein Motorrad verschluckt.
„Dein Kakao, Schätzchen", sagt meine Mum kurz darauf, sie muss schon alle Zutaten zusammengerührt haben, bevor ich kam, oder sie kann doch hexen, so wie ich als Kind immer gedacht habe.
„Er ist köstlich", meine ich, als ich einen Schluck davon genommen habe. Und das ist er wirklich, Mum macht die beste Heiße Schokolade der Welt, schokoladig, vanillig, pfefferminzig, sahnig. Eine Sünde.
„Den könntest du viel öfter haben, wenn du wieder hier wohnen würdest", sagt sie und sieht mich verschwörerisch an.
„Mum, du weißt, dass das nicht geht", erkläre ich und in meiner Brust will sich das vertraute Ziehen breit machen, doch ich schiebe es weit weg.
„Sie haben sich getrennt, wusstest du das?", sagt sie und sieht mich ernst an. Ich räuspere mich.
„Nein. Das... das wusste ich nicht", unbehaglich rutsche ich auf dem Sofa hin und her. Mum nickt. Als Übersprungshandlung nehme ich einen weiteren Schluck aus der Tasse. „Mum, hast du den Baum schon fertig?", frage ich, um vom Thema abzulenken.
„Natürlich. Willst du ihn sehen?", fragt sie. „Dotty, lass Harry mal aufstehen", sie scheucht die Katze von meinem Schoß, damit ich aufstehen kann und endlich komme ich auch dazu, meinen Wollmantel auszuziehen. Ich lege ihn auf dem Sofa ab und folge meiner Mum dann.
„Der ist wunderschön", der Baum ragt fast bis zu Decke und ist ziemlich motiviert behangen, ohne, dass er überladen wirkt.
„Danke", sie lächelt und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
„Er wird heute auch kommen, oder?", frage ich an den Baum gewandt, weil ich meine Mum nicht ansehen kann.
„Natürlich, Harry. Er kommt. Wie immer", sie sieht zu mir auf.
„Vielleicht bleibe ich dann lieber in meinem Zimmer", sage ich.
„Schätzchen, Narben sind Zeichen dafür, dass wir leben", meint sie mitfühlend und streicht mir über den Arm.
„Ja, aber sie zeigen dir auch, wo du nie wieder hin willst", halte ich dagegen.
*
Letzte Weihnacht.
„Kannst du nicht noch bleiben?", frage ich und stehle mir noch einen Kuss. Ich bin noch nicht bereit, ihn schon wieder gehen zu lassen. Ihn zu teilen.
„Haz, Sorry, aber ich muss", sagt er und steht auf. Sofort fühlt sich das Bett kalt an.
„Wird jemals der Tag kommen, wo du mein Bett nicht für sie verlässt?", frage ich leise. Er beugt sich hinab und küsst mich erneut.
„Ich rede mit ihr, versprochen. Aber ich muss jetzt wirklich los. Du weißt doch...", setzt er an.
„Ich weiß, Momma Tomlinson duldet keine Verspätung am Heiligen Abend, weil sie ihr Weihnachtswunder in den Arm nehmen muss", ob ich will oder nicht, ich muss lächeln. Seine Mum ist auch nicht diejenige in diesem Szenario, mit der ich ihn teilen muss.
„Ganz genau. Und wir wollen meine Mum doch nicht verärgern", antwortet Louis und seine blauen Augen strahlen voller Schalk.
„Niemals würde es mir einfallen, sie zu verärgern", antworte ich. „Dann husch. Und grüß deine Mom von mir", ich ziehe ihn noch mal am Ausschnitt seines hässlichen Weihnachtspullis zu mir, um ihn zu küssen.
„Mach ich, Haz. Sehen wir uns heute Abend?", fragt er nach.
„Natürlich, es ist die Feier meiner Mum, wo sollte ich sonst sein?", ich verdrehe die Augen, grinse aber.
„Ich wollte mich nur vergewissern", grinst er und verlässt dann mein Zimmer.
„Lou! Musst du schon gehen? Ich wollte fragen, ob ihr Kakao wollt", höre ich die Stimme meine Mum im Flur.
„Sorry Anne. Aber ich muss rüber, will es mir nicht mit Mom verderben", lacht er.
„Grüß Jo von mir und sag ihr, sie soll sich unterstehen und wieder so viel Nachtisch machen", Mum lacht glockenhell.
„Mach ich, Anne. Bis heute Abend", Louis' Schritte hasten die Stufen hinab.
„Bis später, Schätzchen", ruft meine Mum ihm nach, ehe sie an meine Tür klopft. Ich habe mich in der Zwischenzeit wieder angezogen und mein Bett gemacht. Als hätte ich nicht eben mit meinem ältesten und besten Freund geschlafen, sitze ich darauf und lese in einem Buch- zumindest gebe ich das vor.
„Kakao, Baby?", fragt Mum und ich lege das Buch weg.
„Immer doch. Und dann helfe ich dir beim Kochen", ich stehe auf und folge meiner Mum.
*
Es klingelt und meine Mum eilt- in einem grünen Cocktailkleid und perfekt sitzenden Haaren- zur Tür, um den ersten Gästen zu öffnen. Meine Tante und mein Onkel kommen herein und werden von Mum direkt ins Wohnzimmer dirigiert, wo sie mich mit Fragen bombardieren. Nach und nach füllt sich das Wohnzimmer und ich bin umgeben von Stimmengewirr, von dem mir der Kopf schwirrt. Erneut klingelt es und ich höre meine Mum sagen:
„Jo! Ihr seid da. Und du hast doch wieder so viel Nachtisch gemacht! Dein Sohn sollte dir doch ausrichten, dass du dir nicht so viel Mühe machen sollst", ihre Stimme klingt tadelnd.
„Anne, du weißt, dass das für mich keine Mühe ist. Ich mache das gerne", antwortet unsere Nachbarin und ihres Zeichens beste Freundin meiner Mum.
„Louis, gut siehst du aus! Geh doch schon rein, Harry ist im Wohnzimmer", meint Mum und mein Herz flattert aufgeregt. Es ist nicht so, als sähe ich ihn zum ersten Mal, immerhin wohnt er schon immer nebenan, aber ich bin einfach hoffnungslos kitschig und auch wenn es albern ist, so wünsche ich mir nichts mehr, als einen Kuss unter einem Mistelzweig. Aber den werde ich nicht bekommen, nicht ehe er sich getrennt hat von...
„Harry", Tamara steht vor mir, sie hält mir die Hand hin und ihr Lächeln wirkt fast aufrichtig.
„Tamara", sage ich und räuspere mich. Ich wusste nicht, dass sie auch kommt. Schon zieht sie mich an sich und drückt mir links und rechts Küsschen auf die Wange.
„Wie geht's dir?", will sie wissen und ich zucke mit den Schultern, vergrabe meine Hände in meinen Hosentaschen. Meine Weihnachtsstimmung hat grad einen ziemlichen Knacks bekommen, daran kann auch Louis nichts ändern, der im gleichen Weihnachtspulli wie ich, ins Wohnzimmer kommt.
„Schickes Geweih", sagt er, und grinst schief. Dieses Grinsen kriegt mich immer wieder und ist der Grund, warum ich ihn so sehr liebe und das hier alles stumpf ertrage. Ich liebe ihn schon, seit ich denken kann, er war immer schon mein bester Freund, aber mit dreizehn hat sich etwas für mich verändert. Für ihn leider nicht. Erst seit einem Jahr gesteht er sich ein, dass wir mehr sind, als beste Freunde, dass es nicht „normal" ist, wenn wir rumknutschen, wenn er bei mir schläft, oder ich bei ihm. Und vor sechs Monaten haben wir das erste Mal miteinander geschlafen. Louis ist noch nicht soweit, sich zu outen, was okay für mich ist. Nicht okay ist, dass er weiterhin mit Tamara zusammen ist, obwohl er mir seit einem halben Jahr sagt, dass er sie verlassen wird.
„Hübsche Öhrchen", antworte ich, als er jetzt gegen mein glitzerndes Geweih schnippt, das ich auf dem Kopf trage.
„Danke, hab sie mir extra gewaschen", antwortet er und deutet auf die plüschigen Elfenohren, die an seinem Kopf sitzen.
„Ach, Louis, kommst du noch mal kurz mit, oben ist noch das Buch, das ich dir geben wollte", ich zwinkere ihm verschwörerisch zu.
„Klar", sagt er. „Wir sind gleich zurück", sagt er zu Tamara und küsst sie auf die Wange. Ich muss den Kopf abwenden, weil es wehtut.
„Lass mich nicht zu lange hier alleine, Loulou. Ohne Eggnogg halte ich solche Feste nicht aus", kichert sie.
„Eggnogg steht da drüben", sage ich und deute zu der Schale. Tamara nickt und ich meine, dass ihr Lächeln kurz verrutscht. Doch ich habe nicht vor, mich weiter mit ihr zu befassen und gehe stattdessen die Treppe hoch. Louis folgt mir in mein Zimmer und kaum ist die Tür hinter uns zugefallen, ziehe ich ihn schon an mich, um ihn zu küssen. Hier gibt es zwar keinen Mistelzweig, aber meine Lampe tut es auch.
„Harry", versucht er sich Gehör zu verschaffen, doch ich lasse ihm kaum Luft zum atmen. Wenn sie da ist, muss ich ihn teilen, also muss ich mir ein bisschen Vorlauf holen.
„Weniger reden, mehr küssen", murmle ich gegen seine Lippen.
„Aber...das...ist...es...ja. Wir...ich...muss...mit...dir...reden", raunt er zwischen den Küssen. Ich seufze und gebe ihn widerwillig frei.
„Louis!", trällert die Stimme von Tamara. „Komm, es wird Zeit", ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen.
„Zeit?", frage ich.
„Hass mich nicht, bitte. Es tut mir leid, ich würde es dir gern...", er kommt nicht weiter, weil Tamara ihn unterbricht:
„LouLou, jetzt. Sonst sage ich es alleine", ruft sie. Louis drückt meine Hand, dann ruft er:
„Komme", schon stehe ich alleine in meinem Zimmer. Hastig folge ich ihm und pralle fast gegen die Beiden, die am Fuße der Treppe stehen. Eilig gehe ich ein paar Stufen rückwärts hoch. Louis hat seine Arme von hinten um sie gelegt.
„Hört mal alle her, Louis und ich haben euch etwas zu sagen", zwitschert Tamara. Mein Herz wummert, das Blut rauscht in meinen Ohren.
„Wir...werden heiraten!", kichernd hält sie ihre rechte Hand hoch, an der selbst ich von meinem Platz aus den Ring erkennen kann. Er gehört Jo. Oder: gehörte. Ich keuche. Vorhin wollte er ihr noch sagen, dass er sich trennen wird. Das wollte er doch, oder? Mein hämmerndes Herz wird von „Glückwunsch"- Rufen übertönt.
„Aber das ist noch nicht alles", Jo schnieft und sieht ihren Sohn glücklich an. „Ich werde Oma!"
WUMM.
WUMM..
WUMM...
WUMM....
Mein Herz donnert in meinen Ohren und mir wird schlecht. Louis dreht sich zu mir um, sein Blick fleht mich an, ihn nicht zu hassen, aber den Wunsch kann ich ihm nicht erfüllen. Ich eile die Stufen hinauf, stolpere, fange mich und werfe meine Tür hinter mir zu, schließe ab.
*
Seitdem habe ich kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Und im Januar bin ich dann nach LA abgehauen, habe möglichst viele Meilen zwischen ihn und mich gebracht.
„Sie sind nicht mehr zusammen", Mums Stimme hallt in meinem Kopf. Warum sie sich wohl getrennt haben? Und ob er inzwischen wirklich Vater ist? Vater. Das klingt so surreal, so vollkommen abwegig. Er ist mein bester Freund. Oder...war es. Jetzt kenne ich ihn nicht mehr wirklich.
Ich helfe Mum wie üblich bei den Vorbereitungen, auch wenn sie mit mir schimpft, weil ich dieses Jahr ja ebenso Gast bin, wie alle anderen. Der Schlüssel im Schloss lässt uns aufhorchen.
„Mum? Da steht ein fremdes Auto in unserer Auffahrt! Sind schon die ersten Gäste da, oder hast du einen Lover, von dem ich nichts wissen soll? Falls ja, ist die Katze jetzt aus dem Sack", die Stimme meiner großen Schwester kommt immer näher, bis sie in der Küche steht.
„Hi", sage ich, grinse schief.
„Har", sagt sie, ihre Wangen sind gerötet von der Kälte draußen, als sie die Hände davor schlägt, dann breitet sie die Arme aus.
„Gem", sage ich, als ich meine Schwester in die Arme schließe. Als wären wir noch Kinder drehen wir uns hüpfend im Kreis.
„Du bist da", sagt sie an meinem Ohr und ich drücke sie.
„Es ist Weihnachten. Natürlich bin ich da", antworte ich leise.
„Ich war mir nicht sicher wegen...", sagt sie, lehnt sich ein Stück zurück und mustert mich. „Geht es dir gut?", sofort bekommt ihr Gesicht den Ausdruck, vor dem ich weggerannt bin.
„Nicht wirklich. Aber das ist egal", winke ich ab. Sie nickt, feixt und kneift mich dann in die Wange.
„Ich kann kaum fassen, dass du da bist", kichert sie.
*
Wieder Stimmegewirr, wieder viele Leute, die mich umringen, mich mit Fragen bombardieren. Wieder die Klingel und Jos Stimme. Ich halte die Luft an, lausche.
„Jo! Schön, dass ihr da seid!", meint Mum, deren Freude nur kurz verrutscht, weil sie sich wirklich freut, aber auch mit mir mitfühlt. So ist sie eben.
„Anne", seine Stimme. Unverändert. Vertraut und doch fremd, nach einem Jahr. Eine Hand schiebt sich in meine und als ich neben mich blicke, sehe ich meine Schwester dort stehen.
„Danke", flüstere ich, gerührt über ihren Beistand.
Und dann ist es plötzlich, als würde eine Schallplatte im Lauf gestoppt werden, alles geschieht in Zeitlupe, zumindest fühlt es sich so an.
„Haz", er steht vor mir, seine blauen Augen sehen mich an und ich klammere mich an dem Becher Kakao fest, als sei er ein Anker. „Kein Geweih dieses Jahr?", fragt er.
Kein Geweih dieses Jahr?? Kein Geweih dieses Jahr? KEIN GEWEIH DIESES JAHR??? Das ist alles? Letzte Weihnachten hat er mir quasi das Herz herausgerissen und irischen Volkstanz darauf getanzt und alles was er zu sagen hat ist „Kein Geweih dieses Jahr?", irgendwas in mir tickt aus, ich mache mich von Gemma los und ehe ich nachdenken kann, habe ich ihm den Inhalt meiner Tasse über den Kopf geschüttet.
Mit weit aufgerissenen Augen starrt er mich an, während ihm der Kakao übers Gesicht rinnt. Dann drehe ich mich auf dem Absatz um, schnappe mir meinen Mantel und renne raus. Ich muss aus diesem Wohnzimmer raus, muss möglichst viel Abstand zwischen uns bringen. Am liebsten würde ich in den nächsten Flieger steigen und nach LA flüchten. Stattdessen laufe ich auf den Spielplatz, der erhellt vom Mond verlassen da liegt. Das Gras raschelt unter meinen Füßen, von Raureif überzogen. Erst jetzt habe ich das Gefühl, wieder atmen zu können, jetzt wo er nicht mehr in meiner Nähe ist. Rascheln ertönt hinter mir und ich rechne mit Gemma.
„Ich wusste, du würdest hier sein. Hier hast du dich früher schon versteckt, wenn du allein sein wolltest", ausgerechnet seine Stimme. Ich spüre seine Anwesenheit, ohne dass ich zur Seite blicken muss.
„Allein. Das ist der Knackpunkt", grummle ich und schiebe meine Hände in meine Taschen. Sie zittern und fühlen sich an, als tauchte ich sie in Eiswasser.
„Ich schätze, die Kakaodusche hatte ich verdient", sagt er und schnieft. Jetzt blicke ich doch zu ihm. Seine Haare sind nass und voller Kakao.
„Was du nicht sagst", erwidere ich knapp und harsch. Will er jetzt noch auf Märtyrer machen? Dann breche ich ihm Strahl.
„Haz...", setzt er an.
„Ich will nicht mit dir reden, habe ich das nicht deutlich gemacht?", ich starre weiter in die Nacht.
„Doch. Deine Flucht nach LA war ziemlich deutlich. Aber du musst auch nicht reden. Nur zuhören, okay?", meint er. Ich seufze, aber bleibe stehen. „Wir haben uns getrennt", erklärt er.
„Ich weiß", ich schließe die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, die sich brennend ihren Weg bahnen wollen.
„Noch am nächsten Tag", sagt er und ich schnappe nach Luft. „Was du wüsstest, wenn du mich nicht blockiert, meine Briefe geöffnet und mir zugehört hättest", Louis sieht mich an, ich spüre seinen Blick auf mir.
„Machst du mir jetzt ernsthaft Vorwürfe?", blaffe ich.
„Nein", er schüttelt den Kopf. „Natürlich nicht. Ich versuche nur, mich zu erklären", ich schweige. Er deutet das Schweigen richtig und spricht weiter:
„Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Eigentlich hat es das nie. Ich schwöre dir, ich wollte mit ihr Schluss machen...", er holt Luft.
„Stattdessen hast du ihr aus versehen einen Ring an den Finger gesteckt? Louis? Das war verdammt noch mal der Ring deiner Mum, sie liebt das Ding!", unterbreche ich ihn wütend und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Ich weiß. Ich weiß. Sie hat mir gesagt, dass sie schwanger ist und...sollte ich sie damit alleine lassen? Ich habe getan, was du auch getan hättest. Zu ihr gestanden. Zu meinem Kind", sagt er. „Und es war nur Mums Ring, weil es keinen anderen gab. Ich habe das nicht geplant. Ich wollte sie verlassen. Wirklich. Um mit dir zusammen zu sein. Aber ich musste Verantwortung tragen", erklärt er weiter.
„Du hast mir mein Herz aus der Brust gerissen!", ich schluchze.
„Ich weiß, Haz. Und nichts habe ich in meinem Leben mehr bereut, als das. Ich liebe dich. Schon immer. Und das habe ich Tamara auch gesagt", seine Stimme zittert und mein Blick schnellt zu ihm.
„Was?", frage ich und mein Atem bildet Wölkchen in der kalten Luft.
„Ihr und meinen Eltern. Deiner Mum. Allen", seine Hand greift nach meinem Ärmel. „Ich wollte, dass es alle wissen. Auch, dass ich ein Trottel war, weil ich es so lange nicht wahrhaben wollte. Ich musste dich erst verlieren, um zu verstehen, wie sehr ich dich brauche", ich wende mich ihm zu. „Ich habe sie verlassen", er schnieft erneut.
„Und die Verantwortung?", will ich leise wissen.
„Trage ich trotzdem. Ich zahle Unterhalt und jedes zweite Wochenende gehört Jaimie", sagt er.
„Jaimie", wiederhole ich.
„Ich gewöhne mich auch noch dran", er schnaubt. „Haz...", seine Hand schiebt sich in meine Manteltasche, tastet nach meiner Hand. Ich ziehe sie nicht weg, schüttle den Kopf.
„Was erwartest du von mir? Ich kann nicht so tun, als hättest du mir letztes Weihnachten nicht mein Herz gebrochen, als wäre all das nicht geschehen. Ich kann nicht einfach das ganze Jahr ausblenden und so tun, als wäre das alles nicht passiert", sage ich.
„Das weiß ich. Das erwarte ich auch nicht. Aber vielleicht können wir von Vorne anfangen?", seine Stimme zittert und seine Hand, die meine Finger umschließt ebenso.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann", sage ich leise.
„Du könntest mich küssen und es rausfinden", schlägt er vor, ich kann spüren, wie er die Luft anhält. „Wir könnten die Schuld auch auf den Mistelzweig schieben", sagt er, als ich nicht reagiere.
„Hier gibt es keinen Mistelzweig", antworte ich, meine Stimme bebt.
„Gibt es nicht?", seine andere Hand fasst in seine Tasche und dann hält er den Zweig über uns. Ich verdrehe die Augen, doch dann küsse ich ihn, seine Lippen schmecken nach Kakao. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt, ob es überhaupt eine für uns gibt, aber für den Moment ist das hier alles, was ich will.
A face on a lover with a fire in his heart
A man under cover but you tore me apart
Ooh, ooh, now I've found a real love
You′ll never fool me again
*
-Wham!
By: kaputtmachpingu
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