❆ 12. Türchen: The Game We Lose ❆

HeartMeetsHead_x Versüßt euch den 12. Tag des Adventskalenders mit ihrem Türchen 🥰 vielen Dank das du dabei bist und für die Mühe, die du in den One Shot gesteckt hast ♥️ lasst ihr ganz viel Liebe da und viel Spaß beim lesen

Lots of love xx

4584 Words

Louis Pov

»Och, Lou. Wann sind wir fertig?«
Wenn meine kleine Schwester noch einmal nörgelt, stecke ich sie in den nächsten

Laden und habe sie aus Versehen vergessen.

»Wir brauchen nur noch ein Geschenk, dann gehts nach Hause«, sage ich stets bemüht ohne sie zurechtzuweisen, dass sie mir auf die Nerven geht. Meine Augen rollen dabei automatisch von alleine, was ihr nicht verborgen bleibt.

»Du bist doof«, schimpft sie mich und drückt ihre Unterlippe hervor. Die Schnute ver- anlasst mich stehen zu bleiben, um mich zu ihr zu beugen.

»Hör mal, Charlotte ...«, setze ich an und nehme einen tiefen Atemzug, weil selbst meine Geduld so gut wie blank liegt. »... ich weiß, Weihnachtseinkäufe sind anstren- gend. Auch ich bin müde und hungrig. Was hältst du von einem leckeren Burger und Pommes, nachdem wir das letzte Geschenk eingesammelt haben?«

Das Friedensangebot scheint zu fruchten. Ihre Augen leuchten und ihr Kopf nickt eifrig, wobei ihre blonden Löckchen auf und ab wippen. Das bringt mich zum Lächeln.

Versöhnlich strecke ich ihr die Hand entgegen, in die sie ihre Kleinere ohne Wider- worte hineinlegt. Dabei glitzern ihre grün lackierten Nägel, die ich ihr vor drei Tagen verpassen durfte. Grün wie die Kleidung eines Weihnachtselfen, auf die sie diesen Winter abfährt. Wenn sie die Möglichkeit hätte, würde sie gerne einer werden.

Dad hat mich beauftragt, alle Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Er sitzt im Büro fest, um einige Fälle in der Kanzlei vor den Feiertagen erledigt zu haben, die eilen. Meine Frage, warum er die Geschenke nicht online bestellt, habe ich mir geflissent- lich erspart. Selbst dazu würde er keine Zeit finden. Sein Job verlangt ihm viel ab, weshalb einiges an mir haften bleibt. Aus diesem Grund habe ich mich gegen das Jurastudium entschieden, belege stattdessen Mediendesign. Meine Leidenschaft, weshalb ich zur Uni gehe: Games. Was uns zur letzten Station der Shoppingtour führt.

Der Game-Shop erstreckt sich breit vor uns. Links und rechts an den Wänden sta- peln sich Regale bis zur Decke. Direkt vor meinen Augen strahlt mir die neuste Spiel- konsole des Jahres entgegen. Einladend dekoriert mit rot-glänzender Tischdecke und Lichterketten, die die Konsole in einen Augenschmaus verwandelt. Das beweist die Menschenschar drumherum.

»Willst du dir schon wieder ein doofes neues Spiel kaufen?«, erklingt die piepsige Stimme meiner Schwester. Ihren Geduldsfaden schleift sie nur noch notdürftig hinter- her. Der Rest davon ist, glaube ich, zwischen der Spielwarenabteilung und dem Schmuckladen verloren gegangen.

»Ich erinnere dich daran, wenn du eins meiner doofen Spiele spielen möchtest«, ant- worte ich ihr und zeige auf das Regal drei Reihen weiter, in dem sich die Jump ‚n' Run spiele befinden. »Vielleicht ist eins für dich dabei. Das bekommst du auf dein eigentliches Geschenk obendrauf.«

Charlotte öffnet ihren Mund, erstaunt darüber, welch ein Angebot sie von mir bekommt. Grinst anschließend und ihre Augen erreicht das dankende Strahlen, ehe sie sich trollt. Ich beobachte sie für einen Moment, wie sie aufgeregt vor dem Regal hin und her schreitet. Einen Zeigefinger an der Lippe, wie sie ihn immer hält, wenn sie dabei ist, eine Entscheidung zu treffen.

Ein mancher würde womöglich denken, ich habe meine Schwester absichtlich dorthin geschickt, damit ich meine Ruhe von ihr habe. Insgeheim ist der Drang stärker, ihr eine Freude zu bereiten. Ihre Liebe zu Jump ‚n' Run Spiele ist mir bekannt. Ich sehe ihre begeisterten Blicke, wenn ich eines davon zocke. Vor allem, wenn ich ihr den Controller in die Hand drücke und vorgebe, auf Toilette zu müssen, oder Durst hätte. Nicht selten klinke ich mich ein, um gemeinsam die Missionen zu meistern.

Mit einem zufriedenen Lächeln gehe ich die wenigen Schritte zu einen der pompös dekorierten Weihnachtstische, auf dem das Spiel thront, auf welches ich mich seit Monaten freue. Die Werbeindustrie hat ihre Arbeit in die Tat umgesetzt, als sie den Release zum 23.12. verkündeten. Ich trete um den Tisch herum und stelle erstaunt fest, dass nur noch ein Game vorhanden ist. Madden.

Verdammt, habe ich Glück! Wenn dies wirklich die letzte Ausgabe ist, würde es wahr- scheinlich erst Neujahr werden, bis ich in den Genuss komme, es zu spielen.

Ich fackele nicht lange, greife nach dem Spiel und verspüre ein leichtes Kribbeln in der Magengegend. Etwas seltsam, aber wenn ich an die Spielstunden mit meinen Freunden denke, oder alleine an die Momente zum Abschalten zwischen dem Uni- stress und dem Leben, fühlt sich das manchmal so in meinem Bauch an. Also, her mit Madden!

Das Kribbeln in meinem Bauch prickelt langsam auf meinen Fingerspitzen nach, umso näher ich meinem Spieltraum entgegenschmachte. Das Spiel kostet unsag- bare 99,99 Euro. Aber wen interessiert das in diesem Moment? Dad meinte, ich darf mir etwas aussuchen. And i want it.

»Oh nice!«, jubelt mir ein Mann ins Ohr. »Das neue Madden. Ein Glück für mich, oder Tommo?«, spottet er, wobei der verächtliche Unterton eher meinem Spitznamen gilt. Der Klang zischt in mein Ohr und zieht unangenehm in meinem Trommelfell. Das Prickeln an meinen Fingern erlischt, gleicht stattdessen einer Eiseskälte. Wie ein ver- dammt spitzer Eiszapfen zieht sich der Frost meinen Arm hinauf, bis mein Hirn unter Schockfrost steht.

Das Spiel ist weg. Weg! Meine Haut hatte das Material aus Plastik bereits berührt, meine Finger dabei, es zu umschließen.

Plötzlich wird mir heiß, vertreibt die Kälte aus mir und aus dem Schock brodelt eine Wut hervor, wie sie nur einer zustande bringt.

»Styles!«, knurre ich bedrohlich, baue mich vor ihm auf und schnappe nach dem Spiel, das er triumphierend in die Luft hält. Sein Lächeln ekelhaft breit und unver- schämt schamlos. Eine Visage, die ich zu gerne auf den Tisch drücken würde, hinein in das Winterwunderland auf dem Tisch voller Spiele und Glitzer neben uns.

»Das Spiel des Jahres 2025, obwohl es noch nicht mal begonnen hat, hm?« Er wedelt das Spiel in seiner Hand, weit genug von mir entfernt, sodass ich keine Chance habe, dran zu kommen. Ich lasse mich sicher nicht darauf ein, danach zu springen wie eine Maus im Käfig, um einen Ausweg zu finden.

Er lehnt sich mir entgegen. »Damit werde ich vergnügsame Spielstunden haben«, säuselt er mir ins Ohr, worauf er einen Hieb meiner Schulter kassiert.

»Rück mir nicht auf die Pelle, Styles und gib das Spiel wieder raus!« Dieser Kerl macht mich so unfassbar wütend, dass ich drauf und dran bin, zu platzen.

Mein Hals und meine Wangen fühlen sich an, als würden sie lodernd brennen und bin froh, mich nicht selbst in dieser Verfassung ansehen zu müssen.

»Vergiss es, ich hatte es zuerst in der Hand. Demnach gehört es nun mir.«

Zähneknirschend beobachte ich, wie er die Hand senkt und Madden mit beiden Händen umschließt.

Dieser Mistkerl. Ich bin bereit, mir das Spiel zurückzuholen. Sollte ich ihn zu einem Kampf herausfordern, vor dem Shoppingcenter? Oder um einen Wettkampf an einer Spielkonsole, die in der hintersten Ecke des Ladens steht? Wenn ich dann verlieren sollte, wäre es noch immer ungerecht. Denn eins ist sicher:

»Ich hatte die Finger bereits dran, bis du es mir aus den Händen gezerrt hast. Sei kein Idiot und händige es mir einfach wieder aus«, bitte ich darum. Nicht lieb und freundlich, eher todernst und bestrebt, einen Klang von Vernunft einzuschieben. Mehr schlecht als recht.

»Mach keine Szene, Tomlinson. Wir sehen ja, wer zuerst dran war«, sagt er in einem Ton, bei dem mir fast die Magensäure emporschießt.

Im selben Moment wendet er sich von mir ab. Gleichzeitig reagiert mein Körper schneller, als ich den Gedanken sinnvoll zu Ende denken konnte. Meine Füße über- brücken die wenigen Schritte, die uns trennen, während meine Hände bereits an seinen zerren.

Ein überraschtes Zischen bringt mich innerlich zum Jubeln. Mit dem Angriff hat er nicht gerechnet und verdammt, ich ebenso wenig. Was hat der Typ an sich, was mich so aus der Haut fahren lässt?

Ich spüre Styles' Muskeln in seinen Händen zucken, die nicht bereit sind, sich zu öffnen. Stattdessen umschlingen diese stärker als zuvor mein Traum von Spiel, wobei die Chancen sinken, es an mich zu nehmen.

Aus dem Griff entsteht ein Zerren, bis wir uns inmitten der bummelnden Menschen- masse rangeln. Ich schlüpfe unter seinen Arm, um etwas mehr Kraft aufzubauen, seine Hände auseinanderzuziehen. Wir taumeln nach rechts, nach links und knallen rücklings gegen den Tisch, der sicherlich ebenso trauert, weil er Madden hat ziehen lassen müssen.

Umso mehr ich mich gegen ihn stemme, umso mehr klemmt er meinen Kopf zwi- schen Arme und Rumpf ein und nimmt mich somit in den Schwitzkasten. Es lässt sich nicht vermeiden, der Schwachkopf ist stärker, als ich annahm, und scheint ebenso stur zu sein, wie ich es bin.

Kurz überlege ich, ihm in den Arm zu beißen. Der Wintermantel würde den eigent- lichen Schmerz auf nackter Haut dämpfen. Der Überraschungseffekt wäre dabei effektiv. Bevor ich so weit komme, werde ich mit einem Ruck nach hinten gerissen. Weg von Styles und Madden.

Fluchend richte ich mich auf, rüttel meine schiefsitzende Jacke zurecht. Vielleicht hätte ich doch zubeißen sollen ...

»Meine Herren, reißen Sie sich zusammen! Sonst werden Sie mit der Sekunde aus dem Laden geworfen«, droht uns einer der beiden Mitarbeiter, die uns vor einigen Sekunden auseinander manövriert hatten.

»Ja, klar«, brummt Styles, von mir ernten sie nur ein Nicken.

Ich lasse ihn nicht aus den Augen, währenddessen die Mitarbeiter uns loslassen, aber noch kurz warten, bis sie sich zögernd von uns entfernen. Womöglich haben sie bedenken, wir könnten uns erneut an die Gurgel gehen. Die wissenden Blicke und ihr Deuten auf das Game entgehen mir dabei kaum.

»Im neuen Jahr kommt eine weitere Lieferung. Tut mir leid, Kumpel.« Kumpel. Hat mich der Mitarbeiter eben ernsthaft Kumpel genannt?

Meine Vermutung wurde somit bestätigt, wenn ich Styles das Spiel nicht irgendwie abmurkse, würde ich noch ewig warten müssen.

Um uns herum spielt das Geschehen weiter, ich jedoch habe nur ihn im Fokus. Seine Atemzüge heben und senken sich hektisch, ähnlich wie meine. Das Rangeln war anstrengend und schweißtreibend in der Winterkleidung. Mir fällt der leichte Schweißfilm oberhalb seiner Lippe auf, der durch den Bartschatten hindurchschim- mert. Mir hingegen befeuchtet er den Nacken. Seine langen Haare liegen völlig durcheinander um den Kopf. Wenn er nicht so ein unfassbar großer Kotzbrocken wäre, würde ich ihn sogar als attraktiv und hübsch beschreiben.

Als würde er meine Gedanken lesen, schiebt er genau in diesen Augenblick eine Haarsträhne aus seinem Gesicht, aus dem für einen winzigen Anflug Unsicherheit aufblitzt, bevor mich blanker Zorn trifft. Die grünen Augen funkeln mich an, zwischen einer Mixtur aus Abneigung und Siegesrausch, denn ich hatte mein gesetztes Ziel nicht erreicht. Er seins dafür noch immer bei sich.

»Ich hasse dich«, bemerke ich scharf, obwohl gerade noch Gedanken wie attraktiv und hübsch ganz oben im Kurs waren.

Ich bin mir bewusst, Hass ist ein bedeutsames Wort, dass man viel zu unüberlegt in den Mund nimmt. Gerade jetzt, indem meine Gefühle Funken aus Ärgernis versprü- hen, gleitet es überraschend simpel über meine Lippen. Obwohl ich ihn mindestens sehr – überdimensional sehr – sowas von nicht ausstehen konnte.

Zwischen uns herrschte frühzeitig ein gewisses Maß an Rivalität. Beide sind wir talentiert in dem, was wir lernen und umsetzen. Games und die Entstehung dieser Welt ist unser Ding, die Anerkennung, die wir von unseren Kommilitonen und Dozen- ten kassieren, unser täglich Brot. Wir ernähren uns davon, zielstrebig in dem Wissen, uns zu überbieten. Was als Spaß anlief, artete aus. Das Ergebnis wird mir soeben bewusst.

Normalerweise sind wir beide umgänglich mit unseren Mitmenschen. Nur gegenseitig stacheln wir uns an und für gewöhnlich gefällt mir das, gibt mir Motivation. Nur nicht heute.

Styles kaut auf der Unterlippe, unverkennbar überrumpelt von meinen Worten, die mir dumpf im Magen liegen. Würde ich mich dafür entschuldigen? Ganz sicher nicht. Wenn ich jetzt meinen Mund öffne, regnet es mehr Schimpftiraden und das ist das Letzte, was ich anstrebe.

Ich pumpe meine Hände zu Fäusten, immer wieder. Die Wut in mir rebelliert wild, sucht sich vergeblich ein Ventil, um sich auszutoben.

»Hey du!« Mein Augenpaar löst sich von dem lippenkauenden Anblick vor mir. Meine Schwester steht neben Styles und rupft an seinem Mantelärmel. Ihr Mienenspiel düster und für meinen Geschmack einen Ticken zu herausfordernd.

Mist, vor allem vor Charlotte habe ich ein Vorbild zu sein.

»Das ist ganz schön gemein, was du da machst!«, sagt sie voller Selbstbewusstsein. Warm umhüllt mich ihre Tat, für ihren großen Bruder einzustehen und erlaubt mir ein amüsiertes Zucken der Mundwinkel.

»Ja, tröste ihn doch«, sind die letzten Worte, die ich von ihm höre, bevor er sich umdreht und geradewegs zur Kasse trottet. Scheiß auf ihn.

Charlotte lässt sich in meine Arme fallen, die ich für sie öffne, und ziehe sie feste an meine Brust.

»Du kleine mutige Elfe«, nuschel ich in ihre blonden Locken. Ein Kichern hallt aus ihrem Halse direkt in mein Herz, gefolgt von: »So ein Doofian ... Wollen wir dir ein Eis kaufen, mit ganz viel Streusel?«

Dankend drücke ich sie ein letztes Mal an mich, bevor wir Hand in Hand aus dem Laden schlendern. »Ja, bitte. Mit Kirschen obendrauf.«

-–-
Ich würde lügen, zu behaupten, dass ich die Sache vom Vortag verdaut habe.

Spoileralarm: Nein, habe ich nicht. Umso mehr ich die miese Aktion von Styles Revue passieren lasse, umso mehr frisst sich der Groll, den ich auf ihn hege, in mich. So gut es ging, verdrängte ich diese Emotion und bereitete mit meinem Dad

und Charlotte für Heiligabend vor. Wir schnippelten allerhand Lebensmittel für das bevorstehende Raclette am Abend, bevor die Bescherung an der Reihe war. Solche Tage zu dritt kamen viel zu kurz und wünsche mir, dass es mehr davon gäbe.

Mein Dad ist mit Leib und Seele Anwalt, mit der gleichen Leidenschaft, die ich fürs Entwickeln der Games hege. Jedoch tröstet mich der Gedanke, dass er sich über Weihnachten zwei Wochen freinimmt, um Zeit mit uns zu verbringen, und sie sich nimmt, wenn wir ihn brauchen oder er selbst merkt, wenn uns etwas bedrückt.

Charlottes Augen leuchten nach dem Essen wie tausend Sterne, während wir unsere Geschenke auspacken, und genoss es ebenso in vollen Zügen, beisammenzusein.

Von Dad bekommt sie die Erlaubnis und den hübsch verzierten Buchungsbeleg; der eher einem Gutschein glich, mit ihrer besten Freundin und deren Familie in den Ski- urlaub zu fliegen. Sie war außer Rand und Band, berichtete ihrer Freundin unter Jubeln und Tränen, dass sie mitdurfte.

Charlotte und ich schenken Dad eine neue Aktentasche, nachdem die Alte optisch die reinste Katastrophe darstellt. Das Leder zeichnet Risse, die Spuren einer Mario Kart-Bahn gleichen. Wie alle Jahre gesellt sich eine neue Krawatte hinzu. Irgend- wann wurde diese zum Ritual. Ich liebe es, weil ich in seinen Augen und Gesichts- zügen jedes Mal sah, wie herzlich er sich darüber freute. Egal, ob die Krawatte aus- sieht wie ein Desaster, er liebte sie. Charlotte bestand dieses Jahr auf eine glän- zende elfengrüne Krawatte, die sie selbst mit grünem Glitzer überflutete und Dad lachend um den Hals bindet.

Als ich mein Geschenk öffne, hätte ich am liebsten losgeheult, schlucke es aber hinunter und atme rhythmisch ein und aus, damit ich mich unter Kontrolle bringe.

»Krass. Euer Ernst?« Meine Stimme klingt gepresst von dem Kampf gegen die Tränen und den Emotionen, die in mir wüten. Es dauert nicht lange, bis ich mir trotz der Anstrengung die ersten Spuren von der Wange wische.

In meinen Händen liegen vier Karten für die größte Game-Con weltweit und Wahn- sinn, ich erlebe es, als hätte ich den heilige Gral zwischen den Fingern. Sie passen perfekt in meine Klauen. Das lässt mich sogar fast die Madden-Eskapade vergessen. Aber nur fast.

»Der Ausflug wird spitze! Ich habe mir schon Videos und Bilder angesehen. Die Con ist soooo riesig!«, platzt meine Schwester heraus und hüpft auf der Couch freudig auf und ab, direkt zwischen Dad und mir.

Dad räuspert sich. »Also, wenn du uns dabeihaben willst«, wirft er schnell hinterher, dabei wandern seine Augen überall umher, darauf bedacht, meinen zu entfliehen. Er reibt sich den Nacken, wirkt verlegen und weicht gerade so Charlottes Hand aus, die ihm ziemlich nahekommt.

»Klar. Einen alten Mann wie dich müssen wir doch Jung halten«, necke ich ihn und füge sanft hinzu: »Danke euch. Ich will mit niemanden lieber auf die Con, als mit euch.«

Dads Augen schimmern freudestrahlend, die Charlottes so ähneln und mir eine liebe- volle Wärme bescheren, wie es nur ein herzensguter Vater schafft.

»Aber warum vier Karten?«, frage ich vorsichtig nach. »Willst du uns etwas sagen?«

Nachdem sich Mum und Dad trennten, hat er nie eine neue Partnerin nachhause gebracht. Vielleicht ...

»Gott nein.« Sein herzhaftes Lachen erfüllt den Raum, in das ich einstieg, weil es herrlich ansteckt. »Wir haben uns überlegt, eine Karte mehr zu bestellen, falls du jemanden einladen möchtest.«

»Klar, mega! Ich wüsste da schon wen.« Behutsam lege ich die Karten zurück in die ausgepolsterte Box. Ein Teil meiner Phantasie malt sich aus, wie es sein wird, auf der Game-Con zu sein. Auch wenn diese erst im Frühling stattfindet, breitet sich ein freudiges Kribbeln in mir aus.

»Weißt du, Lou. Du solltest die Karten diesen Doofian unter die Nase halten und ihn dann vor seinen Augen wieder wegschnappen«, schlägt Charlotte vor, während sie ihren letzten Sprung mit dem Hintern voraus auf dem Sofa beendet und mich unschuldig von unten anblinzelt. Dieses Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren.

»Verdient hätte er es. Doch so fies habe ich euch nicht erzogen«, pflichtet Dad bei und zieht Charlotte in seine Arme. Zufrieden plumpst sie gegen ihn und stimmt ihm zu. Charlotte hatte ihn über den Vorfall in Kenntnis gesetzt und ihm dabei halb ein Ohr abgekaut.

»Schau mal, du kleines Elfenbiest.« Mit einer auffordernden Handbewegung hole ich Charlotte zu mir. Die kleine rechteckige Schachtel, die ich vorhin unter das Sofa- kissen versteckt hatte, ziehe ich hervor und halte es ihr unter die Nase. Überrascht schaut sie mich an, fast wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

»Noch ein Geschenk?«, fragt sie mich und wippt aufgeregt mit dem Bein, das von der Couch baumelt, als ich ihr zunicke und es überreiche. Ohne zu zögern, reißt sie es auf, quiekt und zappelt freudig.

»Das neue Crash Bandicoot? Oh danke, danke, danke!«, kreischt sie und drückt mich fast zu Brei, ähnlich wie Dad, nach ihrem freudigen Tränenausbruch.

Sie hatte sich gestern nach der Aufregung im Game-Shop kein Spiel ausgesucht. Hat mich zur Aufmunterung lieber in ein Eiscafé bugsiert, anstatt Burger und Pommes zu essen, wie anfangs besprochen. Sie ist ein Goldengel. Deshalb bin ich heute früh am Morgen ein weiteres Mal in den Game-Shop, um ihr ein Spiel zu besorgen, bei dem ich mir sicher war, dass sie drauf abfährt.

Anstatt einen obligatorischen Weihnachtsfilm zu schauen, sitzen wir beisammen und spielen Charlottes neues Game. Diese Stunden miteinander sind die bedeutsamsten und lassen mich meine Sorgen für einige Augenblicke vergessen. Wir sind Familie, wir haben uns. Das ist alles, was zählt und soeben wichtig ist. Verdammt sei Styles und das Spiel, wer braucht die schon?

Die Türklingel reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Da ich über keinen Machtbesitz eines Controllers verfüge, erbarme ich mich, die Türe zu öffnen. Irritiert blinzele ich. Weit und breit keine Menschenseele. Um auf Nummer sicherzugehen, luge ich in die Ferne und lehne mich etwas hinaus. Doch da ist niemand.

Ist recht, dann eben nicht. Vermutlich ein Klingelstreich.

Beim Schließen der Türe fällt mir ein Lichtschweif auf, der mich blendet, und halte sofort inne. Auf der Fußmatte liegt ein Päckchen. Umhüllt in silbernes, glänzendes Papier, welches im richtigen Winkel durch das Verandalicht reflektiert.

Von Neugier erfüllt hebe ich es auf und erkenne den Namen, an wen das Geschenk adressiert ist.

Louis Tomlinson.

Verwundert drehe ich das Geschenk, damit ich auf jede Seite Einsicht erhalte, doch Erkenntnis, von wem es stammt, liefert es nicht.

Ein knappes: »Ich bin mal oben« reicht, um mich von den beiden Zockenden abzu- seilen, um auf direkten Weg in meine Dachgeschosswohnung zu gelangen.

»Na gut, dann wollen wir mal ...«, fasele ich vor mich her, derweil ich das Papier zer- riss und mit der Sekunde zur Eissäule erstarre. Der erstickte Laut aus meinem Hals lässt mich zusammenfahren.

»Was zum ...«, setze ich an, mein Selbstgespräch weiterzuführen. Das, was sich vor meinen Augen enthüllt, löst pure Sprachlosigkeit aus. Fragen, mit denen ich überfor- dert bin. Wer hat mir genau dieses Präsent vor die Türschwelle gelegt?

Mein Hirn rattert. Ich denke an Freunde, die vorhatten mir Freude zu bereiten. Aber mein Hirn springt immer wieder zu den einen Namen, der mir so grotesk vorkommt, dass ich ungläubig mit dem Kopf schüttel. Niemals. Was spinne ich für eine bescheuerte Idee zusammen. Er hat mir auf raue Manier gezeigt, welche Seite in ihm steckt. Arsch bleibt Arsch.

Meine Gliedmaßen scheinen den ersten Schock überstanden zu haben, öffnen sachte mit den Fingerspitzen die Hülle von Madden. Hervor blitzt die Game-Disk und ein gefalteter grüner Zettel, den ich mit zittrigen Fingern aufschiebe. Zugegebener- maßen brauche ich mehr als einen Anlauf, weil mir das Papier dauernd aus den Händen rutscht, bis sich Buchstaben zu Worte formen und einen Sinn ergeben.

Gott, beruhige dich Tommo. Es ist nur ein Spiel. Nur ein Zettel. Es wird dich beides nicht fressen wollen.

Warum um alles in der Welt drehe ich dann so durch, als würde ich mit jeder Zeile, die ich lese, verschlungen werden? Mit Haut und Haar. Dabei leckt sich das Monster genüsslich die Finger und reibt sich wohlig den Bauch. Fuck.

Meine Hände zittern noch immer und mein Bauch gurgelt in einer Lautstärke, bei der ich befürchte, mein Magen dreht sich von innen nach außen.

Behutsam lege ich das Spiel samt Zettel auf den Wohnzimmertisch. Mit dieser Geste habe ich niemals gerechnet, weshalb sie mich so aus den Socken haut. Wie gerne würde ich auf diese Gefühle verzichten, die an Verblüffung und Befangenheit erinnern. Weil er sie in mir hervorruft. Dieser Mistkäfer.

Mit schnellen, festen Tritten laufe ich durch das Wohnzimmer auf und ab, überlege genau, ob ich den nächsten Schritt wage, den ich soeben im Geiste erwäge. Den inneren Schweinehund zu überwinden, kostet mich mehr Nerven, als ich zugeben würde.

Wie es wohl ihm damit ergangen war? Hat es ihn genauso durcheinandergebracht, alles Mögliche an Überwindung verlangt? Die Gedanken überschlagen sich, bis ich allmählich Schwindel davontrage.

Pfeif drauf, Tommo! Wenn er sich getraut hat, es durchzuziehen, schaffe ich mein Vorhaben erst recht!

Mit flinken Fingern ziehe ich mein Smartphone aus der Hosentasche und suche nach Harry Styles' Profil. Allerlei Anstrengung bedarf es nicht, ihn zu finden. Seit dem ersten Unitag folgen wir uns und kursieren gemeinsam in den meisten Lerngruppen- Chats. Flau im Magen wird mir dabei trotzdem, als ich unseren Chat beitrete, der nie stattgefunden hatte.

Ich:

Was wird das, Styles?

Ungeduldig wackel ich mit meinen Beinen auf und ab, seitdem ich mich so bequem wie möglich auf der Couch positionierte. Das Spiel und der beschriebene Zettel auf dem Tisch schüren meine Nervosität an. Womöglich geschmückt mit etwas Unsicher- heit, weil ich planlos bin, wie ich darauf am besten reagiere. Völlig schnuppe, wie oft ich die Zeilen wie eine komplexe Matheformel in meinem Kopf wiederhole.

Hey Louis,
Viel Spaß mit Madden. Auch wenn du nun Zeit hast, vor mir zu üben, zock ich dich

ab, sobald ich das Spiel besitze. Frohe Weihnachten, Harry.

Wie gebannt starre ich auf das Display. Mein Puls rast, als die drei Punkte anzeigen, dass Harry eine Nachricht tippt.

Harry:

Was meinst du, Tomlinson?

Ich:

Tu nicht so. Du weißt genau, was ich meine.

Harry:

Du meinst, dass ich ein umwerfender Kerl bin, der tatsächlich ein Herz besitzt? Dann weiß ich genau, wovon du sprichst.

Du meine Güte, der Kerl macht mich noch fertig und bringt mich schon wieder auf die Palme. Ungeachtet dessen schafft er es aus irgendeinen Grund, mich zum Schmun- zeln zu bringen.

Ich:

Pha. Idiot. Du bringst mich zur Weißglut.

Harry:

Hast du Madden schon ausprobiert?

Ich lese die Nachricht zweimal, wütend darüber, dass er meine Stichelei ignoriert und zur normalen Konversation übergeht. Das ist neu und seltsam, seltsam erfrischend und ... schlichtweg seltsam.

Ich:

Geht dich gar nichts an.

Harry:

Du bist noch sauer.

Ich:

Was denkst du denn? Ich warte auf dieses Game, seitdem der Release angekün- digt wurde. Und du Ochse reißt es mir aus den Händen!!!

Harry:

Jetzt hast du es ja wieder, sogar umsonst. Gern geschehen.

Ich:

Gern geschehen? Ernsthaft?! Du kannst mich mal. Hol es dir doch wieder, dann warte ich lieber bis Neujahr.

So ein aufgeblasener, doofer Esel.

Mein Puls wummert in meinem Hals, die Wut staut sich gefährlich in meinem Magen und brennt wie Hölle. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits von seiner gutmütigen Reaktion, mir das Geschenk zurückzugeben, dass er mir frech entrissen hatte. Ande- rerseits von seinem großkotzigen Verhalten, womit er die versöhnende Performance versaut. Was um Himmels willen geht in seinem Kopf vor? Das passt vorn und hinten nicht zusammen.

Harry:

Es tut mir leid, okay?

Ich:

Es ... tut dir ... was?

Es dauerte einen Moment, bis ich ihm die Antwort zusende. Bisher hat mich nie ein Mensch so heftig aus der Fassung gebracht, vor allem nicht in dieser kurzen Zeit- spanne.

Harry:

Ja, Louis. Es tut mir leid. Es war eine scheiß Aktion von mir und ich weiß nicht, was mich geritten hat. Ich ärgere dich eben gern ... aber das war too much.

Ich:

Okay.

Harry:

Okay?

Ich:

Ich habe Madden bisher nicht gespielt.

Harry:

Warum nicht? Dein Traum liegt vor deiner Nase, vermute ich? Schnapp es dir und übe, damit du nicht verlierst, sobald ich bereit dazu bin, gegen dich anzutreten.

Durch meinen Körper rauscht ein Blitz, der mir durch und durch fährt. Da ist es wieder, das Gefühl, was unsere Sticheleien normalerweise bewirken. Motivation und Kampfgeist, sich gegenseitig zu messen. Styles ist eine Herausforderung für mich, bringt mich an die Grenzen und verdammt, ich steh drauf!

Das wird mir klar, seit dem gestrigen Tag, der aus dem Ruder lief. Da war kein Anspornen, kein Respekt mehr.

Möglicherweise tanzten wir seither auf der Schwelle, die nur einen Fingerbreit ent- fernt war und darauf wartete, übertreten zu werden. Um uns zu erinnern, was unsere Rivalität ausmacht. Ergibt das Sinn? Whatever, für mich definitiv.

Keinen Schimmer, was mich reitet, als ich ihm die kommende Frage stelle. Vielleicht hat er gar keine Zeit oder Lust auf den Vorschlag. Immerhin ist Heiligabend, den man mit der Familie verbringt oder zu der Zeit vollgefressen vor dem Fernseher oder Sofa verweilt.

Glasklar habe ich vor Augen, wie schwer es Harry gefallen sein muss, seinen Faux- pas wieder gutzumachen. Ist das nicht der Sinn, wenn es aus tiefsten Herzen pas- siert? Etwas in Ordnung bringen und die Chance geben, zu verzeihen.

Selbst der Rivale ist früher oder später bereit, ein Herz zu besitzen und es seinem Feind zu offenbaren.

Keine Ahnung weshalb, aber ich habe den Drang zu erkunden, ob Harry Styles das Herz besitzt, von welchem er schrieb. Ist es ein sanftes Herz mit rauen Kanten? Ein weiches mit vielen Dornen umrandet? Ich bin wild darauf, es zu erfahren.

Ich:

Was hältst du davon, wenn wir beide gemeinsam üben? Dann stellt sich schneller heraus, wer der Madden-Champion ist.

Mein Herz klopft, hüpft und trampelt wie wild in meiner Brust. Am liebsten würde ich die Nachricht wieder löschen. Mein Daumen thront einsatzbereit über die Einladung, die ich Styles anbiete. Doch alles Löschen würde nichts nutzen, er hat die Zeilen gelesen. Erdboden, verschling mich.

Harry:

Jetzt?

Ich:

Ähm ... wenn du Zeit hast, ja?

Harry:

Okay, mach dich schon mal warm, Tommo. Das wird dein Untergang.

Ich:

Ha! Träum weiter, Styles!

Ungläubig darüber, wie sich die Zahnrädchen zusammensetzen, schüttele ich den Kopf, bis sich ein befreites Lachen aus meiner Kehle löst, das von ganz tief unten anrückt. Es erfüllt den Wohnraum und hallt in meinen Ohren nach. Zupft an meinem Herzen, das ganz aufgeregt schlägt.

Klingt das Lachen leicht hysterisch? Möglich. Brennen meine Nerven durch, weil der Mistkäfer Styles gleich vor meiner Türe steht und das heißbegehrte Madden mit mir zockt? Scheiße, und wie!

Nie im Leben habe ich erwartet, den Weihnachtsabend mit Styles zu verbringen. Aber hey, Weihnachten beschert auch manchmal Überraschungen, die Wunder brin- gen.

Wie von einer Tarantel gestochen räume ich meine losen Socken und Shirts zusammen, die auf der Couch und den Stühlen baumeln, renne zu Charlotte und Dad, um sie einzuweihen. Sie reagieren ebenso verblüfft wie ich, als es geschieht. Die Türe an diesem Abend klingt ein zweites Mal.

Mein Magen schlägt einen Salto und meine Beine überschlagen sich, sodass ich die letzten Meter bis zur Tür stolpere. Bevor ich dagegen knalle, fange ich mich recht- zeitig am Knauf ab. Grundgütiger, ich war verloren.

Ich atme ein letztes Mal tief durch, öffne die Türe und spiegele das Lächeln wider, welches mir Harry schenkt. Spitz, herausfordernd mit einem entzückenden Touch Verlegenheit.

»Hey, Styles«, begrüße ich ihn atemlos. »Frohe Weihnachten, Tomlinson.«
- ENDE -

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