❆ 18.12.2022: to be brave ❆
Heute hat die liebe Bex_1506 einen One Shot für euch. Bevor ich meine Worte an dich richte meine Blume, möchte ich euch allen ganz viel Spaß mit dem One Shot schreiben. Lasst ihr ganz ganz ganz viel Liebe da, denn das hat sie verdient ♥️
Und jetzt zu dir meine Blume..
Du weißt wie unfassbar dankbar ich dir dafür ein, dass du in diesem Jahr dabei bist. Es war für mich absolut in Ordnung das du deine Zeit gebraucht hast, um der ganzen Sache zuzustimmen. Ich durfte ja tatsächlich schon ein paar Dinge von dir lesen und liebe, liebe es so unfassbar sehr und das weißt du. Deswegen bedeutet es mir unglaublich viel, dass du nun auch anderen dein Talent zeigst und sie es kennenlernen dürfen. Abgesehen davon möchte ich dir auch noch ein Dankeschön dafür aussprechen, dass ich dich nun seit einigen Monaten zu meinem Kreis zählen darf. Danke das du immer da bist, egal was ist. Ich hoffe wirklich ich kann auch nur eine halbwegs so gute Freundin für dich sein, wie du es für mich bist. Danke dir für dieses Kunstwerk Love, es bedeutet mir so so viel dich dabei zu haben (auch wenn ich mich nun wiederholt habe). Love you meine Blume ♥️
Lots of Love und Danke an alle von euch die noch so fleißig dabei sind und den Autor*innen so viel Liebe und Unterstützung dalassen. Vielen dank xx
Wörteranzahl: 6126
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Hello ihr lieben Menschen <3
Die Idee für diesen OS stammt von meiner besten Freundin, bzw. ist ihr etwas ähnliches passiert. Ich habe mein eigenes Ding draus gedreht und ab einem bestimmten Punkt ist alles frei aus meinem Kopf raus erfunden.
Habt viel Spaß :)
„Bist du aufgeregt?"
„Ich weiß nicht. Schon irgendwie."
Aufmunternd schaut Eleanor mich an. „Das wird bestimmt schön. Ich denke an dich." Wir verabschieden uns und ich steige aus ihrem Wagen aus. So lieb wie El ist, hat sie mich zu meinem ersten Arbeitstag gefahren.
Wir haben uns vor einigen Jahren im Austauschprogramm kennengelernt und schon nach einigen Tagen gut verstanden. Als unser Jahr in Deutschland zu Ende ging, sind wir einfach hiergeblieben und zusammengezogen. Unsere Familien kommen aus England, aber nachdem meine Mom gestorben ist, wartet Zuhause niemand mehr auf mich. Und Eleanor sagt jedes Mal, wenn ich sie frage, dass sie mich hier ja nicht allein lassen kann. Sie ist meine beste und einzige Freundin.
Letztes Jahr habe ich mein Lehramtsstudium begonnen und um nebenbei Geld zu verdienen, hat mich die Mutter einer meiner Nachhilfeschülerinnen gefragt, ob ich auch in ihrem Restaurant arbeiten möchte. Dort arbeiten viele junge Menschen, unter anderem auch einige aus dem Austauschprogramm, wo Eleanor und ich auch drin waren. Das Geld können wir gut gebrauchen, also habe ich zugesagt.
„Hey du", werde ich angesprochen, als ich wie bestellt und nicht abgeholt vor der Tür des Restaurants stehe. Es ist kalt und ich bin froh, dass mir El ihren Schal noch gegeben hat. Zurück muss ich nämlich mit dem Bus fahren. „Kann ich dir weiterhelfen?" Ich drehe mich zu der Stimme, die einen wunderschönen französischen Akzent hat und sehe ein Mädchen, dass so alt sein muss wie ich. Ihre blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten und ihre Augen strahlen. Sie ist hübsch.
„Ich... ähm... Ich bin Louis und-" „Ah Louis", die Art, wie sie meinen Namen ausspricht, lässt mich schmunzeln. „Schön, dass du hier bist, komm mit. Maria hat schon erzählt, dass du ab heute auch hier arbeitest."
Sie hält mir die Tür auf und schenkt mir ein Lächeln. Während ich ebenfalls das Restaurant betrete, verrät sie mir auch ihren Namen. „Ich bin Eveline."
Eveline führt mich in den hinteren Bereich des Restaurant. Ich habe kaum Zeit mich richtig umzugucken, da stehen wir vor einer Milchglastür mit der Aufschrift ‚Büro'. Eveline klopft an und nachdem wir hereingebeten werden, öffnet sie die Tür.
„Salut Maria, ich habe Louis mitgebracht", begrüßt sie unsere Chefin, während wir in das helle Büro eintreten. „Super Eveline, danke." Maria nickt ihr zu und wendet sich dann an mich. „Hi Louis, alles klar?"
„Ich bin etwas nervös", gebe ich zu und sehe Eveline im Augenwinkel grinsen. „Das vergeht, glaub mir", meint sie und meine Chefin stimmt ihr zu. „Komm, ich zeige dir alles und Eveline kann sich schon umziehen gehen."
Maria steht von ihrem Schreibtisch auf und legt mir eine Hand zwischen die Schulterblätter. „Mach dir keine Sorgen, ich bin mir sicher, das wirst du gut machen."
Wir gehen zurück in den Eingangsbereich und diesmal habe ich Gelegenheit mir alles genau anzuschauen. Das Restaurant ist rund aufgebaut und streckt sich über zwei Ebenen. Kein Tisch sieht aus wie der andere und viele unterschiedliche Pflanzen sind im Raum verteilt. Man fühlt sich irgendwie Zuhause. Maria führt mich herum, zeigt mir die Theke, die Küche und den Umkleidebereich, wo ich meine Sachen ablegen kann. „Hier ist dein Schließfach", erklärt sie. „Zieh dich in Ruhe um, ich warte vorne auf dich und dann stelle ich dir die Leute vor, die heute auch Schicht haben und dich einarbeiten."
Gesagt getan, stehe ich kurze Zeit später vor einigen Menschen, die in der gleichen Arbeitskleidung stecken und Maria stellt mich vor.
„So ihr Lieben, das hier ist Louis." Sie legt einen Arm um mich. „Er kommt aus England und ist genau wie einige von euch durch das Austauschprogramm nach Deutschland gekommen. Jetzt lebt er seit einigen Jahren hier. Aber mehr kann er euch selbst bei Gelegenheit erzählen."
Die anderen stellen sich selbst vor und ich versuche mir so viele Namen wie möglich zu merken. Ganz links in der Reihe steht ein Junge mit braunen Locken, die ihm knapp bis zur Schulter gehen. „Äh ich bin Harry. Herzlich... Willkommen?", fügt er hinzu.
Ich lächle ihn ermutigend an und nicke, um ihm zu zeigen, dass er die richtigen Worte gewählt hat. „Harry ist erst seit wenigen Wochen in Deutschland und tut sich noch etwas schwer mit der Sprache. Aber er macht das super", erklärt Maria.
Meine erste Schicht beginnt und der Junge, der sich als Liam vorgestellt hat, kümmert sich um mich. Er ist Schichtführer und somit koordiniert er an diesem Tag, wer wo eingeteilt ist. Maria hält sich eher im Hintergrund und arbeitet im Büro.
Liam erklärt mir, dass die Gäste entweder ein Tablet bekommen, über das bestellt werden kann, oder wir uns um sie kümmern. Er zeigt mir noch mal genauer, wo ich Notizblöcke, Stifte und so weiter finde und teilt mich dann für einen Bereich ein. Bis das Restaurant öffnet, kümmern wir uns darum, die Tische einzudecken.
Ich komme nicht wirklich dazu, mit jemand anderem zu sprechen als Liam, da wir nicht viel Zeit haben, bis die ersten Gäste kommen. Kurz vorher schickt er mich in den Pausenraum, um noch ein paar Minuten durchzuatmen. Dort sitzen Eveline und Harry und unterhalten sich in einem Mix aus Englisch und Deutsch.
„Hi Louis, setz dich zu uns", winkt mich Eveline zu ihnen und nimmt ihre Strickjacke, die neben ihr auf der Bank lag, auf den Schoß. Mit einem dankbaren Lächeln setze ich mich neben sie und stelle meine Trinkflasche ab, die ich schnell aus meinem Spint geholt habe. „Soll ich dich in unsere WhatsApp-Gruppe hinzufügen?", fragt sie und ich stimme ihr zu. Sie hält mir ihr Handy hin, damit ich meine Nummer eintippen kann und wenige Minuten später befinde ich mich in einer neuen Gruppe. „Darüber kommen meistens alle Infos. Aber oft besprechen wir auch, wann wir das nächste mal feiern gehen", erklärt sie und steckt grinsend ihr Handy wieder ein.
„Darf ich dich was fragen, Louis?" Frech grinse ich sie an. „Das hast du bereits." Sie streckt mir die Zunge raus. „Maria hat erzählt, dass du auch im Programm warst, wieso bist du danach nicht wieder nach England gegangen?"
„Mir hat es hier gefallen. Ich habe hier Eleanor kennengelernt und wir wollten beide nicht wieder nach Hause, sondern zusammen hier bleiben. Also haben wir uns eine Wohnung gesucht und hier angefangen zu studieren."
„Wer ist Eleanor?", fragt sie neugierig aber auf eine interessierte Art. Schnell erkläre ich, wer sie ist und frage sie, ob sie alleine hier in Deutschland ist, woraufhin sie nickt.
Harry sitzt ziemlich still neben uns und knibbelt an seinen Fingern rum. Vermutlich versteht er nicht so viel von dem, was wir sprechen, weshalb ich ihn auf Englisch anspreche und erkläre, was wir gesagt haben.
„Ich kann nicht so gut Deutsch wie du", murmelt er. „Meine Mama sprach Deutsch, ich bin mit beiden Sprachen groß geworden. Nur deshalb spreche ich es so gut." Ich erinnere mich noch, als Eleanor anfing, Deutsch zu lernen. Es hat lange gedauert und die meiste Zeit haben wir nur Englisch gesprochen. Heute ist es ein Mix aus beidem.
Wir sitzen noch ein paar Minuten im Pausenraum, in denen mich Eveline mit Fragen löchert. Ich gebe mir Mühe, langsam zu sprechen und übersetze viel, damit Harry auch am Gespräch teilhaben kann. Hin und wieder bringt er sich auch ein aber größtenteils hört er uns einfach zu.
Nach der Pause weiß ich, dass Eveline ihr Austauschjahr verlängert hat, und somit ein weiteres Jahr hier lebt und arbeitet. Sie ist wie ich 23 Jahre alt und ihre Familie lebt mitten in Frankreich, nahe an Paris in einer Stadt namens Montigny. Harry ist schon 25 und war vor seinem Aufenthalt hier in Amerika und Neuseeland. Bei Gelegenheit muss ich ihn unbedingt fragen, was er dort alles erlebt hat.
Unsere Schicht beginnt und Eveline kommt mit mir nach vorne ins Restaurant, während Harry bei Liam hinter der Bar bleibt. Es ist anstrengend und ich muss mich definitiv erst an die Arbeit gewöhnen, aber es macht auch Spaß. Eveline macht einen Spaß nach dem anderen und ich schaue mir von ihr ab, wie sie mit den Gästen umgeht.
***
Die Tage im Restaurant vergehen unglaublich schnell und ich lerne vor allem Eveline und Harry besser kennen. Letzterer redet weiterhin nicht besonders viel aber das muss er auch nicht. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist, eine neue Sprache zu lernen. Trotzdem scheinen wir einen Draht zueinander zu haben. Die Pausen verbringen wir immer zusammen und ich genieße Zeit mit Harry. Er ist für mich jedes Mal ein Stück Zuhause. Ganz vielleicht hat Harry es mir ein wenig angetan aber bisher habe ich noch keine Chance gesehen, ihm das irgendwie zu verdeutlichen.
„Hi Louis", begrüßt mich Eveline als ich heute ins Restaurant komme. Wir haben Mittagsschicht und wollen danach auf den Weihnachtsmarkt. „Hi Eve." Ich umarme sie schnell und gehe in den Pausenraum, um mich umzuziehen. Dort sitzt Harry und tippt auf seinem Handy. Als er mich sieht, legt er es weg und beginnt zu lächeln, woraufhin ich es ihm automatisch gleichtue. Wortlos winkt er mir zu und ich begrüße auch ihn mit einer Umarmung. „Gehst du nachher auch mit?", will er von mir wissen. „Na klar, du bist doch auch da."
Als wir uns später zu dritt auf den Weg in die Innenstadt machen, klingelt mein Handy. „Hi El", nehme ich den Anruf an. „Hey Lou, was machst du?", will sie wissen.
Ich erkläre ihr, dass ich doch heute auf dem Weihnachtsmarkt bin und höre, wie sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn klatscht. „Stimmt, ich hab's vergessen. Tut mir leid. Kann ich mich euch vielleicht anschließen? Dann bin ich nicht allein heute Abend."
Ich frage schnell die anderen beiden, ob sie was dagegen haben, wenn El uns begleitet und bekomme zweimal Kopfschütteln. Also vereinbaren wir einen Treffpunkt an der Schlittschuhbahn und ich lege auf.
Kurze Zeit später erkenne ich meine beste Freundin an ihrer roten Wollmütze und schließe sie in eine enge Umarmung. „Hi El, das sind Eveline und Harry", stelle ich meine Freunde vor. Eveline schließt El sofort in eine Umarmung, Harry mustert sie mit einem Blick, den ich nicht deuten kann. Vermutlich ist er nervös, jemand neues kennenzulernen.
Die Mädels haken sich beieinander unter, als würden sie sich schon ewig kennen und laufen ein paar Schritte vor auf der Suche nach einem Stand, an dem wir alle etwas zu essen finden. Harry und ich gehen hinter ihnen und ich nutze die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob alles okay ist.
Er nickt nur und ich akzeptiere es und versuche seine Stimmung mit schlechten Witzen aufzuheitern. Aber mehr als sein Grinsen und ein gespielt genervtes Augenrollen meiner besten Freundin bekomme ich nicht.
Als wir uns alle etwas zu essen gekauft haben und um einen Tisch herum stehen, merke ich, wie El Harry und mich mustert. Bisher hatte sie sich mit Eveline darüber unterhalten, dass diese über Weihnachten nach Frankreich fährt. „Hey Harry", spricht sie ihn an, was der Angesprochene gar nicht toll findet. Ich merke dass er sich anspannt und lege aus einem Impuls heraus unter dem Tisch meine Hand auf seinen Unterarm. „Ja?", fragt er und sieht unsicher erst zu mir und dann zu ihr. „Fliegst du über Weihnachten nach Hause?"
Kopfschüttelnd senkt er den Blick. „Ich habe kein Zuhause. Also ich.. mein Zuhause ist da, wo ich bin."
Niemand von uns weiß so richtig, was wir sagen sollen, also lege ich meine Hand auf seine und ergreife das Wort. „Ich verstehe das. Ich bleibe auch hier über die Feiertage. Wenn du magst, kannst du zu mir kommen?" Fragend schiele ich kurz zu El, die mir zunickt. „Denn El fliegt übermorgen zu ihrer Familie und dann sind wir beide nicht allein."
Das erste Mal an diesem Abend habe ich das Gefühl, dass Harrys Stimmung sich wirklich bessert. Lächelnd nickt er mir zu. „Das wäre schön", murmelt er.
***
„Lou, hast du meine Mütze gesehen?", ruft Eleanor aus ihrem Schlafzimmer. Sie ist spät dran, so wie immer eigentlich, und hat vor ungefähr einer halben Stunde angefangen, ihren Koffer zu packen.
Ich entdecke ihre Mütze neben mir auf der Couch und entscheide mich, so nett zu sein und ihr diese zu bringen. In ihrem Zimmer herrscht das blanke Chaos und stutzig betrachte ich ihren leeren Kleiderschrank. Die Klamotten, die es nicht mit ihr nach England schaffen, hat sie auf ihrem Bett verteilt.
Gemeinsam schaffen wir es, dass Eleanor halbwegs pünktlich losfahren kann und gerade als sie sich ihre Stiefel überstreift, klingelt es an der Tür. Harry.
„Hi Harry", höre ich meine beste Freundin. „Ich muss jetzt leider direkt los, aber habt viel Spaß und lasst die Wohnung heile!"
„Äh...", macht Harry aber sie schiebt sich einfach an ihm vorbei und zieht mit einem Tschüühüüss die Wohnungstür hinter sich zu.
Jetzt steht er hier vor mir und ich kriege kaum ein Wort raus.
„Hey Lou." Schüchtern kommt er auf mich zu. „Ist es wirklich okay, wenn ich hier bin?"
Schnell nicke ich. „Natürlich. Tut mir leid, ich war.. in Gedanken." Lächelnd umarmt er mich und vergräbt seine Nase kurz in meinen Haaren. Ich zeige Harry Eleanors Zimmer, in dem er die nächsten Tage schlafen wird. Er wollte erst auf dem Sofa schlafen aber meine beste Freundin hat ihm deutlich gemacht, dass es für sie okay ist und er sich seinen Rücken nicht an unserer alten Couch kaputt machen soll.
Ich lasse ihm Zeit, seine Sachen auszupacken und beginne einen Einkaufszettel zu schreiben, damit wir gleich einkaufen gehen können. Harry hat mal erzählt, dass er gerne kocht und ich hoffe, diese Woche davon profitieren zu können.
„Hey Harry?", rufe ich ein wenig später und kurz darauf kommt er mit fragendem Gesichtsausdruck zu mir.
„Worauf hast du Lust, was wir die nächsten Tage machen? Wir müssen nicht arbeiten und haben ganz viel Zeit."
Harrys Augen beginnen zu leuchten und es scheint, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. Ob er sich vorher schon Gedanken darüber gemacht hat? Es ist das erste Weihnachtsfest seit langem, welches er in Gesellschaft verbringt. Das hat er mir verraten. Noch immer weiß ich nicht, warum Harry scheinbar keine Familie hat und vielleicht ergibt sich in den nächsten Tagen eine Gelegenheit, mit ihm ein tiefgründigeres Gespräch zu führen. Jetzt aber nehme ich mir erstmal vor, ihm so gut es geht, alle seine Wünsche zu erfüllen, damit dies ein wunderschönes Weihnachtsfest wird.
Er bittet mich nach Zettel und Stift und beginnt eine Liste zu schreiben. Als ich einen Blick drauf werfen will, versteckt er sie schnell hinter seinem Rücken. Dann muss ich mich wohl überraschen lassen.
***
Der erste Punkt auf Harrys Liste ist Weihnachtsfilme zu schauen. Und zwar jeden Abend einen. Für unseren ersten Abend hat er Single all the way ausgesucht. „Kennst du den schon?", möchte er wissen, als ich mich mit einer Tüte Chips und einer Tafel Schokolade neben ihn fallen lasse. Beides lege ich vor uns auf den Tisch.
„Single all the way? Hm nein, sagt mir gar nichts." Ich nehme die Wolldecke, schaue Harry fragend an und breite sie über uns aus als er nickt.
„Was ist dein liebster Weihnachtsfilm?", fragt er
„Ich habe keinen. Ehrlich gesagt fällt mir nicht ein einziger ein", gebe ich zu.
„Dann wird's wohl Zeit, deine Bildung nachzuholen", scherzt er und startet den Film.
Es geht um einen Mann, der von seiner Familie genervt wird, wann er denn endlich mal jemanden mit nach Hause bringt. An Weihnachten überredet er seinen besten Freund, mit ihm nach Hause zu kommen, um seinen Partner zu spielen.
„Zum Glück haben wir dieses Problem nicht", murmelt Harry. „Welches?", will ich wissen. „Zu Weihnachten jemanden mitbringen zu müssen."
Da hat er Recht. Obwohl... wenn es Harry wäre, den ich mitbringen könnte, ich glaube dann wäre ich schon ziemlich stolz.
„Mit der richtigen Person ist das vielleicht gar nicht so schlimm."
„Denkst du da an wen bestimmtes?"
„Nein", sage ich schnell. Zu schnell. Er weiß, dass ich lüge aber er sagt nichts mehr. Wir widmen uns wieder dem Film, bis Harry doch noch etwas sagt.
„Du?"
„Ja?"
Zögerlich stellt er seine Frage. „Hast du schonmal jemanden mit nach Hause gebracht?" Ich nicke. „Als ich noch in England gelebt habe, habe ich meinen Ex-Freund mit nach Hause gebracht. Und du?"
In dem Moment, wo die Worte meinen Mund verlassen, möchte ich mir gegen die Stirn schlagen. Harrys Schweigen zeigt, dass meine Worte ihn getroffen haben.
„Tut mir leid...", murmle ich. „Ich hab nicht nachgedacht."
„Ist schon okay, Lou. Aber um deine Frage zu beantworten... Meine Beziehungen waren nie lang genug, um daraus etwas ernstes zu machen. Also selbst wenn... Hatte ich bisher niemanden, den man mitbringen kann."
„Tut mir leid, dass deine Beziehungen nie gehalten haben."
„Das muss es nicht. Ich bin daran nicht unbeteiligt. Also.. ich bin ja nie so lange an einem Ort, dass etwas ernstes entstehen könnte, weißt du?"
„Gab es denn bisher nie jemanden, der dich zum Bleiben bewegt hat?"
Harry zögert, bevor er antwortet. „Bisher war da niemand."
***
Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zimmer komme, steht Harry schon an der Kücheninsel und macht Frühstück. Den Esstisch hat er auch schon gedeckt und ich frage mich, wann er wohl aufgestanden ist.
Mit einem Guten Morgen klaue ich mir einen der Pfannkuchen, die auf einem Teller gestapelt neben der Herdplatte liegen und rolle ihn ein, um ihn so zu essen. „An den Service könnte ich mich gewöhnen", sage ich und setze mich auf einen Stuhl.
Harry grinst nur. „Hast du gut geschlafen?", will er wissen und ich nicke.
„Eigentlich sollte ich dich das fragen, du bist hier zu Gast."
„Ich habe sehr gut geschlafen. Eleanors Bett ist bequem."
Er legt den letzten Pfannkuchen auf den Teller und kommt zu mir an den Tisch, um sich zu mir zu setzen. Wir essen Harrys Pfannkuchen und als ich ihn frage, was wir heute unternehmen, grinst er wieder.
„Wir backen Plätzchen."
Ich habe zwar keine Ahnung, wie man einen Keksteig macht oder ob wir die Zutaten und Materialien hier haben, aber zur Not kaufen wir eben nochmal welche ein.
Lächelnd stimme ich ihm zu. „Das klingt super."
Nach dem Frühstück räumen wir den Tisch ab und Harry sucht sich durch unsere Küchenschränke, scheint aber nicht fündig zu werden. Also ziehen wir los in den Supermarkt, wo er mir einen Korb in die Hand drückt, in den er alle möglichen Zutaten legt. Als letztes stehen wir vor einem Regal mit Ausstechformen und anderem Zeug, das man wohl zum Backen verwenden kann.
Harry schaut sich alles in Ruhe an und legt Plastikbeutel und kleine kegelförmige Metalldinger in den Korb. Ich habe keine Ahnung, was er damit vor hat aber ich lasse ihn machen.
Wieder in der Wohnung bereiten wir den Teig vor. Harry hat sein Handy mit dem Rezept neben sich liegen und misst die Zutaten ab, die ich ihm reiche. Anschließend knetet er alles und ich schaue dem Spiel seiner Muskeln zu.
Als er sich die Haare aus dem Gesicht wischt, landet etwas Mehl auf seiner Nase. Schmunzelnd stoppe ich seine Knetbewegungen, um es ihm aus dem Gesicht zu wischen. Seine Augen beobachten jede meiner Handbewegungen und bleiben schließlich an meinen stehen.
Sein Blick ist so intensiv, dass ich vergesse was ich tun wollte und meine Hand in einer komischen Position in der Luft hängen bleibt. Also starren wir uns gegenseitig an, während die Spannung zwischen uns immer größer wird.
Tu etwas, Louis!
Harry wendet sich zuerst ab und guckt auf seine Hände, die im Teig stecken.
„Ich... Äh... Du- Du hast da etwas Mehl", gebe ich stammelnd von mir.
Bevor ich mich versehe, hat Harry eine seiner Hände aus der Schüssel gezogen und streicht über meine Nasenspitze. „Du jetzt auch", lacht er und wir ignorieren was gerade passiert ist.
***
„Erklärst du mir, was du da machst?"
Ich komme mir dämlich vor, weil ich keine Ahnung habe, wieso Harry den Teig erst in einen Plastikbeutel füllt, um ihn dann an einer Ecke aufzuschneiden.
„Das siehst du gleich, Lou", meint er und steckt einen der Metallkegel auf das Loch im Beutel. Erst als er Druck auf den Beutel gibt und der Teig durch den Kegel in eine wellige Form gepresst wird, verstehe ich, was er tut.
„So macht man Spritzgebäck?"
„So kann man es machen. Es gibt richtige Maschinen dafür aber für uns reicht auch ein Spritzbeutel und eine Tülle."
Nachdem er ein paar Kekse gemacht hat, reicht er mir den Beutel und legt seine Arme von hinten um mich, um mir zu helfen. Vielleicht stelle ich mich dabei ein klein wenig dümmer an, als ich bin, nur damit er seine Arme nicht von dort wegnimmt. Harry hat einfach die perfekte Größe, um mich an ihn zu lehnen.
Ich schiebe das erste Blech in den Ofen und stelle an meinem Handy einen Timer. Harry ist schon dabei, den restlichen Teig auszurollen, damit wir diesen ausstechen können. Daraus werden Sterne.
Erst als alle Kekse abgekühlt sind, können wir sie verzieren. Für das Spritzgebäck haben wir Schokolade geschmolzen und tunken jeden Keks mit einer Hälfte rein. Auf die Sterne kommen etwas Zuckerguss und Streusel. „Das sind besondere Streusel", meint Harry, als er mir die Packung gibt. „Klingglöckchen", lese ich vor und verziere meinen ersten Stern damit. Kleine bunte Kügelchen und grüne Tannenbäumchen verteilen sich auf dem Keks.
Im Augenwinkel beobachte ich, wie Harry einen Keks zur Seite legt, dem eine Zacke fehlt. „Wieso hast du den Keks zur Seite gelegt?", frage ich ihn und lege die bereits Verzierten zum Trocknen auf einen Teller.
„Weil er kaputt ist, den können wir so essen."
„Aber der muss doch verziert werden!"
Harry hält inne damit, den Zuckerguss auf den restlichen Sternen zu verteilen. „Weißt du, ein Keks muss nicht verziert werden, um zu schmecken."
„Aber vielleicht wollte der Keks etwas Besonderes sein."
Erstaunt guckt Harry mich an. „Spielst du gerade auf die Geschichte vom kleinen Stern an, der etwas Besonderes sein wollte?"
„Du kennst die Geschichte?"
„Ja klar, die hat mir meine Mama früher immer erzählt, wenn wir Plätzchen gebacken haben", erklärt er.
Wäre jetzt ein guter Augenblick, um ihn zu fragen, warum er jetzt nicht mehr mit seiner Mama backt oder überhaupt, warum er nicht mehr bei ihr ist? Ich möchte nichts falsches sagen und bleibe deshalb lieber still, aber Harry unterbricht die Stille.
„Ich sehe es in deinem Kopf arbeiten, Lou. Du kannst ruhig fragen."
„Wieso bist du über Weihnachten nicht zu Hause?"
Seufzend stellt er die Schüssel mit dem Zuckerguss ab, die er die letzten Minuten sowieso nicht genutzt hat. „Es gab immer nur meine Mama und mich und als sie vor ein paar Jahren gestorben ist, habe ich angefangen, um die Welt zu reisen."
„Das tut mir leid, Harry."
Doch er schüttelt den Kopf. „Anfangs da hat es mich zerrissen, weißt du? Aber mittlerweile... Es ist okay, ich bin okay."
Er schenkt mir ein Lächeln, auch wenn ich in seinen Augen sehe, dass er seine Mama vermisst. Ich kann leider viel zu gut nachvollziehen, wie er sich fühlt, weshalb ich die Streusel abstelle, die ich die ganze Zeit unsicher in meiner Hand gewogen habe, und auf ihn zugehe, um ihn zu umarmen. Das haben wir irgendwie noch nie länger als ein paar Sekunden gemacht und es fühlt sich in diesem Moment mehr als richtig an. Er legt seine Arme um mich und ich kuschle meinen Kopf an seine Brust.
Ich weiß nicht, wie lange wir so stehen bleiben. Irgendwann lösen wir uns wieder und verzieren weiter die Sterne.
„Ich würde auch gerne mal eine Geschichte schreiben", unterbricht Harry die Stille.
„Das können wir ja dann morgen machen, wenn wir die Kekse essen."
„Ich schreibe es auf die Liste."
***
„Ein Karomuster? Dein Ernst? Was soll das denn für ein Geist sein?"
Harry hat die Idee eine Geschichte zu schreiben tatsächlich ernst genommen, sodass er nun mit meinem Laptop auf dem Schoß auf dem Sofa sitzt und einfach angefangen hat zu tippen.
„Er ist eben was ganz Besonderes!", verteidigt Harry seinen Protagonisten, den er Karobert nennt.
„Aber inwiefern soll ihm denn ein Karomuster helfen, Harry? Er fällt doch total auf!"
„Genau darum geht es doch, Louis. Das ist das Besondere an ihm."
Ich verstehe noch nicht, worauf Harry in seiner Geschichte hinaus will aber schaue ihm einfach beim Schreiben zu. So wie ich schon gesagt habe, fällt Karobert durch sein Muster auf und wird deswegen in der Geisterschule geärgert, weil er sich nicht tarnen und verstecken kann, wie die anderen Geister. Das macht ihn sehr traurig.
Eines Tages trifft Karobert auf Blätti, einen Blattkäfer. Blätti erklärt Karobert, dass er das Besondere in seinem Muster erkennen muss. Sie zum Beispiel tarnt sich in einer Umgebung, die zu ihrer Farbe passt und Karobert muss sich genauso auch tarnen. Zum Beispiel als Tischdecke.
Harry hat ein Talent zu schreiben, vielleicht sollte er das öfter machen. Ihm zuzusehen hat Spaß gemacht und ich verstehe nun auch die Botschaft hinter der Geschichte.
„Karobert könnte jetzt genauso undercover gehen wie Amber aus dem Film gestern", scherze ich.
„Hat dir A Christmas Prince gefallen?"
„War mal was anderes. Ich finde die Idee gar nicht schlecht, dass wir jeden Abend einen Weihnachtsfilm schauen. Mit dir macht das irgendwie Spaß."
Das scheint Harry zufrieden zu stellen. Er legt den Laptop weg und schaut auf die Uhr.
„Hast du Lust noch rauszugehen?" Ich stimme ihm zu und wir packen uns in warme Kleidung ein.
Letzte Nacht hat es geschneit und die ganze Stadt ist am Glitzern. Wir steuern die Innenstadt an. Nicht weit von uns ist der Weihnachtsmarkt, wo wir vor knapp zwei Wochen entschieden haben, die Feiertage gemeinsam zu verbringen. Heute hat Harry aber ein anderes Ziel, denn er läuft auf direktem Weg auf ein Blumengeschäft zu.
„Suchst du etwas bestimmtes?", frage ich ihn, als wir den Laden betreten und uns die warme Luft entgegenströmt.
„Ja... Einen Mistelzweig", murmelt Harry.
Ich weiß nicht, wie ein Mistelzweig aussieht oder weshalb man sowas kauft, aber in dem Moment bemerkt uns auch eine Floristin und zeigt Harry einen Mistelzweig.
Wieso will Harry ein paar Blätter an einer Schnur kaufen? Irgendwas wird er sich dabei schon denken und ich habe ja eh keine Ahnung von Blumen. Er nimmt den Zweig und noch eine Topfpflanze mit grünen und roten Blättern. Ein paar davon haben goldenen Glitzer drauf.
Harry bezahlt und wir verlassen den Laden wieder. Auf dem Weg nach Hause machen wir noch einen kurzen Umweg, um gebrannte Mandeln, Popcorn und weitere Süßigkeiten zu kaufen, die wir bei unserem Film heute Abend schauen können.
„Erklärst du mir jetzt, wofür wir einen Mistelzweig brauchen?", frage ich Harry als er seine Blume, die übrigens Christstern heißt, wie er mir erklärt hat, auf unseren Esstisch stellt und sich suchend im Raum umsieht. Anschließend hängt er den komischen Zweig über den Türbogen, der Küche und Wohnzimmer voneinander trennt, an einem Nagel auf, der noch dort hängt, weil El gerne irgendwelche Girlanden oder Ähnliches dort befestigt.
Er denkt darüber nach, ob er mir antwortet, schüttelt dann den Kopf. „Noch nicht."
Seufzend nehme ich das so hin, dass da jetzt was hängt und fülle unsere Snacks in Schüsseln um. Vielleicht sollte ich Eleanor mal fragen, wieso man sich sowas aufhängt.
Harry hat für heute Der Grinch ausgesucht und diesen Film kenne ich sogar.
„Weißt du, Eleanor sagt zu mir immer, dass ich wie der Grinch bin", gebe ich zu, als ich die Schüsseln auf den Wohnzimmertisch stelle.
„Magst du Weihnachten nicht?"
Ich zucke mit den Schultern. „Wenn man an Weihnachten Geburtstag hat, ist das irgendwie immer doof. Außerdem hab ich Weihnachten nicht mehr so richtig gefeiert in den letzten Jahren. Es ist mir egal, wenn es nach mir ginge, könnten wir einfach frei haben aber ohne einen christlichen Feiertag. Ist es nicht sowieso komisch, etwas zu feiern, an das man nicht glaubt?"
„Naja... Selbst dem Grinch konnte Cindy Lou helfen. Da sollte es bei dir ja nicht schwer sein, dass du Weihnachten wieder magst", meint Harry nur und wir starten den Film.
***
Am nächsten Morgen schlafen wir lange. Ich bin nur aufgewacht, weil draußen jemand Schnee schippt. Ein Blick zum Fenster bestätigt meine Vermutung, dass es heute Nacht wieder geschneit hat. Schnee an Heiligabend, das ist schön.
Heiligabend. Mein Geburtstag.
Ein Blick auf mein Handy zeigt mir eine Nachricht meiner besten Freundin. Sie hat direkt um Mitternacht geschrieben, da war ich schon am Schlafen.
>Happy Birthday, Buddy! Wünsch dir einen tollen Tag, wir telefonieren später!<
Ich will mich gerade bedanken, da sehe ich, dass sie online ist und rufe sie an. Wenige Sekunden später geht sie dran und gratuliert mir erneut zum Geburtstag. Wir quatschen eine Weile über die letzten Tage, da fällt mir wieder ein, dass ich sie nach dem Mistelzweig fragen wollte.
„Du El, weißt du, wieso man zu Weihnachten einen Mistelzweig aufhängt?"
„Hat Harry das gemacht?", stellt sie die Gegenfrage, die ich bejahe.
Ihr breites Grinsen irritiert mich und ihre schlichte Antwort ist ernüchternd. „Dann wird er dir auch erklären, warum man das macht."
Als ich höre, dass Harry durch den Flur tapst, legen wir auf und ich ziehe mich an.
„Guten Morgen Lou, alles Liebe zum Geburtstag", begrüßt er mich, als ich zu ihm in die Küche stoße. Er zieht mich in eine enge Umarmung und ich genieße einfach nur. Es ist ein schönes Gefühl, wenn jemand am Geburtstag bei einem ist.
Er hat so wie jeden Morgen schon den Frühstückstisch gedeckt und auf meinem Platz liegt ein Päckchen. Harry schiebt mich dorthin und fordert mich auf, es auszupacken. Zum Vorschein kommt das Buch vom kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry.
„Du hast dir das gemerkt?", frage ich erstaunt. Harry nickt und beißt sich auf die Unterlippe.
Es war einer meiner ersten Tage im Restaurant, als ich nach der Uni zur Arbeit kam und meine Kollegen gefragt habe, ob jemand genau dieses Buch hätte, weil ich es lesen sollte. Eveline hat mir ihr Exemplar ausgeliehen und als ich es ihr nach einigen Tagen zurückgegeben habe und sie fragte, wie ich es fand, antwortete ich, dass ich es mir unbedingt auch kaufen muss. Harry stand neben uns aber ich wusste nicht, dass er verstanden hat, worüber wir sprachen.
„Du wolltest es unbedingt haben und ich hoffe, dass du es dir bisher nicht selbst gekauft hast?"
„Nein, ich- Harry, das ist so toll, danke!"
Nach dem Frühstück setzen wir uns mit meinem neuen Buch aufs Sofa. Da wir beide genug sehen wollen, sitzen wir recht eng zusammen, aber als ob ich mich darüber beschweren würde. Harry hat einen Arm hinter mir auf die Sofalehne gelegt und eine Decke über uns gelegt. Neben uns steht ein Teller von unseren Keksen. Die Situation ist perfekt.
Und so lesen wir die Geschichte vom kleinen Prinzen. Immer abwechselnd liest jeder von uns eine Seite und das macht so Spaß, dass wir uns danach ein weiteres Buch schnappen. Die große Wörterfabrik ist ein wunderschönes Kinderbuch, dass ich ebenfalls für die Uni brauchte. Zwischendurch holen wir uns neue Kekse und Punsch.
Ich merke, dass Harry lieber mich anguckt als das Buch, wenn ich lese. Und mir geht es genauso. Wir lesen ein Buch nach dem anderen, bis wir am Abend entscheiden, uns noch ein wenig zu bewegen und durch den Park zu laufen.
Es schneit wieder aber das stört uns nicht wirklich. Doch trotz Schal und Mütze ist es eiskalt. Ich reibe meine Hände aneinander doch sie werden nicht warm. Harry streckt mir zögernd seine Hand hin und ich lege meine hinein, woraufhin er unsere verschränkten Hände in die Tasche seines Mantels steckt. Mein Blick folgt seinen Bewegungen und bleibt schließlich an seinem Gesicht hängen. Harry grinst mich schüchtern an und ich erwidere es.
„Ist das okay?"
„Mehr als okay."
***
„Hier pack aus, Harry." Ich drücke ihm das Paket in die Hand, das ich sogar selbst eingepackt habe. „Aber ich dachte, wir wollten uns nichts schenken, Lou!"
„Du hättest mir auch nichts zum Geburtstag schenken sollen und hast dich auch nicht dran gehalten", erwidere ich. „Aber...", stammelt er. „Ich bin hier zu Gast und irgendwie muss ich mich doch erkenntlich zeigen."
„Ach Quatsch. Nun pack aus. Es ist nicht nur von mir, sondern auch von Eveline. Wir wollten dir gerne ein Weihnachtsgeschenk machen und ich weiß, dass du es magst."
Vorsichtig löst er die Klebestreifen und entfernt das bunte Papier. Als seine Augen den Karton sehen, werden sie ganz groß.
„Eine Polaroid Kamera?", flüstert er.
Lächelnd nicke ich. „Wohin auch immer deine Wege dich in Zukunft führen, damit kannst du ein paar Erinnerungen festhalten. Willst du sie ausprobieren?"
Das lässt sich Harry kaum zweimal sagen. Das erste Bild macht er von mir und während wir darauf warten, dass sich die Farbe entwickelt, schießt er direkt das nächste von uns zusammen.
Als ich Harry frage, ob er irgendwelche Traditionen zu Weihnachten hat, die wir befolgen müssen, schaltet er grinsend den Fernseher an. „Kevin allein zu Haus muss einfach sein." Es ist der letzte Film auf Harrys Liste. Gestern Nacht, als wir spät von unserem Spaziergang zurückkamen, hat Harry mir seinen Lieblingsfilm A California Christmas gezeigt und mir davon erzählt, dass er ihn immer an seine Zeit in den Staaten erinnert. Morgen wird Harry wieder in seine Wohnung zurückkehren, weil Eleanor dann zurückkommt.
„Ich frage mich ja echt, wie man sein Kind zu Hause vergessen kann und es einem nicht auffällt."
„Ach Lou", seufzt Harry. „Du machst den Film kaputt"
„Sorry, aber die Menschen, die man lieb hat, vergisst man doch nicht, wenn man wegfährt, egal wie chaotisch es gerade ist."
„Ich würde dich nicht vergessen."
„Meinst du, wenn du Deutschland wieder verlässt?"
„Ich weiß nicht, ob ich Deutschland wieder verlassen möchte."
Mir fällt unser Gespräch vom ersten Abend wieder ein, an dem ich ihn fragte, ob da mal jemand war, für den überlegt hat zu bleiben.
Bisher war da niemand.
In mir macht sich das Bedürfnis breit, genau diese Person zu sein, die schafft, was vorher kein anderer geschafft hat. Harry zum Bleiben bewegen. Und das nicht, weil er muss, sondern weil er will. Für mich. Für uns?
Gibt es ein uns? Könnte es ein uns geben?
Ich weiß nicht, ob ich Deutschland wieder verlassen möchte.
Ich lasse den Satz so stehen, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Dann fügt Harry noch etwas hinzu.
„Zumindest nicht allein."
***
Die halbe Nacht denke ich darüber nach, ob Harry damit mich gemeint hat. Ob er sich vorstellen könnte, nur noch mit mir wegzugehen. Vielleicht will er auch nur nicht mehr allein sein auf seinen Reisen.
Hätte ich noch was dazu sagen sollen?
Ja. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, aber jetzt ist es vorbei. Nach dem Frühstück wird Harry gehen. Ach verdammt. Ich könnte mich an seine Anwesenheit gewöhnen.
Auch Harrys Stimmung ist nicht sonderlich begeistert. Schweigend bringen wir das Essen hinter uns und anschließend helfe ich ihm, seine Sachen einzupacken.
„Louis?" Ich höre, dass Harry tief hinter mir ein- und ausatmet. Er war im Badezimmer um sein Duschgel und sein Shampoo zu holen.
„Ja?"
„Kommst du her?" Ich wende mich ihm zu und lege den Kopf schief. Harry streckt die Hand nach mir aus und ich greife sie und lasse mich von ihm unter den Türbogen ziehen.
In der Hand hält er seine Liste mit Dingen, die er gerne in den letzten Tagen tun wollte. Ich durfte nicht drauf schauen aber jetzt reicht er mir den zusammengefalteten Zettel.
Was ich gerne tun möchte:
Mutig sein
Jeden Abend einen Weihnachtsfilm gucken
Plätzchen backen
Louis ein Geschenk machen
Mit Louis „Der kleine Prinz" lesen
Einen Mistelzweig aufhängen
Die Stadt bei Nacht erkunden
Eine Geschichte schreiben
Alle Punkte sind abgehakt, bis auf den ersten.
„Wieso mussten wir unter den Türbogen gehen, damit du mir deine Liste zeigst? Und warum ist der erste Punkt nicht abgehakt?"
„Ich wollte, dass du genau hier stehst, wenn ich dir das Folgende sage und das wird dann der letzte Punkt sein. Egal, was du sagst, ich war dann mutig und... ja."
Geduldig warte ich, was Harry mir sagen möchte aber in meinem Inneren kribbelt alles und mein Herz schlägt viel zu schnell.
„Nach einer Person wie dir hab ich lange gesucht. Jemanden, mit dem man lachen und Spaß haben aber auch ernste Gespräche führen kann. Jemanden, der mich an Weihnachten zu sich holt, damit ich nicht allein bin. Du bist die Person, für die ich hier bleiben möchte. Für die ich hier bleiben werde, weil..."
Er zögert.
Sag schon, Harry!
„Ich habe mich in dich verliebt, Louis."
Sprachlos ziehe ich ihn zu mir, bis sich unsere Nasenspitzen fast berühren, genieße einen Moment lang diesen intimen Moment, in dem er mir so nah ist, dass ich die Sprenkel in seinen Augen sehen kann.
„Das kann ich nur zurückgeben, Harry", flüstere ich, woraufhin sich auf seinen Lippen ein Strahlen ausbreitet.
„Dann kann ich dir jetzt verraten, wofür der Mistelzweig steht."
„Ich bitte darum."
„Wenn zwei Menschen unter einem Mistelzweig stehen, müssen sie sich küssen."
„Worauf wartest du dann noch?"
*****
Die Idee, dass sie jeden Abend einen Film gucken, war die erste, die mir in den Kopf kam. Da ich aber genau wie Louis als der Grinch bezeichnet werde und keine Weihnachtsfilme kenne, habe ich mir hier Hilfe von ein paar lieben Menschen geholt, die mir ihre liebsten Filmempfehlungen gegeben haben <3
Die Geschichten vom kleinen Stern und von Karobert gibt es übrigens wirklich. Die erste findet ihr zum Beispiel auf YouTube, die zweite in der Notizenapp meines Handys :D Die habe ich mit einer lieben Freundin zusammen geschrieben :)
Ich wünsch euch noch eine schöne Weihnachtszeit, ihr Lieben. Vielleicht ist der ein oder andere ja genauso mutig wie Harry <3
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