❆ 10. Türchen: Don't let it break your heart ❆
Heute haben wir einen One Shot von der lieben Keimling18 für euch :) Eigentlich sollte sie gestern dran sein, leider habe ich das total verplant und deswegen verkackt :( Dafür könnt ihr ihr heute ganz viel Liebe da lassen, denn das hat sie verdient <3
Sie ist auch einer der wenigen, die seit dem ersten Adventskalender wirklich jedes Jahr dabei sind und das macht mich einfach unfassbar glücklich. Vielen Dank an dich, dass du jedes Jahr auf's Neue so viel Freude hast und so tolle One Shots mit uns teilst! Ihr werdet den One Shot auch noch einmal in ihrem One Shot Buch gucken, also wenn ihr auf ihrem Account vorbei schaut (Was ihr natürlich tun werdet c:) dann werft da doch auch gleich einen Blick rein! Ihr werdet es nicht bereuen xx
Nun aber viel Spaß mit diesem One Shot und einen wundervollen Freitag! Unter der Anzahl der Wörter gibt es auch noch einen kleinen Text von ihr an euch <3
Lots of Love xx
Wörteranzahl: 9504
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Ich weiß, dieser Os ist sehr lang geworden, aber ich konnte ihn nicht irgendwie kürzen, da ich darin ein sehr emotionales Thema für mich verarbeite. Ich hab das jetzt schon ein ganzes Jahr mit mir rumgetragen und nie wirklich darüber gesprochen, wie sehr es mich belastet. Der Os ist ein bisschen sad (aber nicht auf Larry bezogen), dennoch hoffe ich, dass er euch gefällt.
Ich weiß, sowas ist immer blöd, da es schon einen Teil der Geschichte vorne wegnimmt, aber wenn Jemand von euch in letzter Zeit ein Haustier verloren hat und immer noch schwer damit zu kämpfen hat, lies es lieber nicht oder in einer Umgebung, in der du dich wohlfühlst.
Ich möchte diesen Os meinen zwei Hasen widmen. Es tut mir leid, dass ich nichts mehr für euch tun konnte.
All the Love ~ L xx
Es war ein Sonntag, als es mir zum ersten Mal aufgefallen ist.
Das Wetter ist umgeschlagen und es weht ein eisiger Wind durch die erhellten Straßen. Weihnachten steht vor der Tür, weshalb auch ich mich um ein paar Besorgungen kümmern muss, bevor die sogenannte Weihnachtshektik ihren Anfang findet.
Viel brauche ich nicht, ein Geschenk für Niall, etwas kleines für Molly und auch für mich selbst sollte etwas zu finden sein.
Der Wind peitscht mir um die Ohren. Innerlich fluche ich. Warum musste ich mir auch ausgerechnet diesen Tag zum Einkaufen aussuchen?
Auf dem Rückweg wird das Wetter noch schlimmer und irgendwann bekomme ich es tatsächlich mit der Angst zu tun, dass ich gleich abheben könnte. Völlig durchnässt kämpfe ich mich weiter voran und komme bald auch an meinem Ziel an.
Etwas schlecht fühle ich mich dann doch, als ich das gesamte Treppenhaus volltropfe.
Das schlechte Gewissen ist jedoch nach einem Wimperschlag schon wieder vergessen und ich schließe zitternd meine Wohnungstür auf. Vielleicht sind wetterfeste Klamotten wirklich etwas, was ich mir anschaffen sollte. Eine Überlegung wäre es wert.
"Molly, ich bin wieder da!" ,rufe ich und trete die Tür hinter mir zu. Umständlich kicke ich mir die nassen Treter von den Füßen und beeile mich, in die Küche zu kommen.
Dort stelle ich die Tüte im Spülbecken ab und hole die gekauften Geschenke raus, nur, um sie daneben zu legen. Wirklich nass ist keins der Dinge geworden, was vermutlich auf die Plastiktüte zurückzuführen ist. Zum ersten Mal bin ich tatsächlich froh, auf die Umwelt geschissen zu haben.
Als nächstes will ich mich meinen Klamotten widmen, doch dann fällt mir etwas auf.
Es ist merkwürdig still in der Wohnung, obwohl Molly um diese Uhrzeit eigentlich noch putzmunter sein müsste. Normalerweise kommt sie immer sofort angerannt, wenn ich nach Hause komme.
Mir dreht sich der Magen herum, als ich erneut nach meiner Hündin rufe und mit schnellen Schritten durch meine Wohnung eile.
Wo ist sie?
In meinem Schlafzimmer werde ich fündig. Mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich sie schlafend in meinem Bett vorfinde.
Molly ist sehr alt. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt. Stolze 21 Jahre hat die Hündin schon hinter sich gebracht und feiert auch hoffentlich noch ihren 22. Geburtstag mit mir. Sie ist am selben Datum auf die Welt gekommen wie ich. Moms Nachbarin hat ihr den Welpen aufgeschwatzt, da er sonst in ein Tierheim gekommen wäre. Bei so etwas hatte sie schon immer ein weiches Herz und so kam es, dass sie ein Baby und einen Welpen gleichzeitig großziehen musste.
Sie hat es gern getan. Bis zu ihrem Tod hat sie sich liebevoll um uns gekümmert. Seit einem Jahr sind wir jetzt auf uns allein gestellt und ich versuche den Gedanken zu verdrängen, dass es in naher Zukunft nur noch ich sein werde.
Molly darf nicht sterben. Sie ist alles, was ich noch habe.
Wenigstens unseren 22. Geburtstag soll sie noch erleben. Das ist alles, worum ich bitte.
Da ich eine Erkältung eher vermeiden möchte, löse ich meinen Blick von Molly und begebe mich schnurstracks ins Badezimmer. Nach einer heißen Dusche mache ich mir einen Tee und setze mich mit Nialls frisch gebackenen Weihnachtsplätzchen zu Molly ins Bett. Er ist gestern extra vorbeigekommen und hat sie mir gebracht.
Mit meinem Laptop auf dem Schoß mache ich es mir bequem und schalte einen schnulzigen Weihnachtsfilm an.
Meine Hand liegt in Mollys Fell. Abwesend kraule ich sie und nippe immer mal wieder an meinem Tee. Zwischendurch findet auch eins von Nialls Plätzchen seinen Weg in meinen Mund.
Mir ist unklar, wie viel Zeit vergangen ist, bis Molly sich bewegt.
Meine Augen liegen sofort auf ihr. Den Tee stelle ich weg und streichele sie jetzt auch noch mit meiner anderen Hand. Der Laptop verrutscht durch meine neue Position etwas, doch das ist mir egal.
"Heeey, na wie geht's dir?" ,frage ich sie lächelnd. Doch dieses hält nicht lange an. Sie sieht mich an. Irgendetwas stimmt nicht. Ich kann nicht genau sagen, was anders ist, aber ich habe ein ungutes Gefühl, als ich in ihre Augen schaue. Sie sieht mich leidend an.
Bilde ich mir das ein?
Nein, oder?
Unsicher kaue ich auf meiner Unterlippe herum, bevor ich zu meinem Handy greife. Es hat schon Vorteile, die private Nummer eines Tierarztes zu besitzen und genau diese werde ich jetzt nutzen.
"Louis? Was gibt es denn? Ist was mit Molly?"
"Ehm, Hallo Doktor Styles, ich - nicht direkt. Sie verhält sich ein wenig seltsam und ich mache mir Sorgen" ,nuschele ich in das Gerät, da ich den Anruf doch schon wieder bereue. Am Ende mache ich mir nur wieder umsonst Sorgen.
Immerhin hat mir Doktor Styles seine Nummer nicht gegeben, damit ich ihn wegen jeder Kleinigkeit anrufe. Als er erfahren hat, dass meine Mutter gestorben ist, hat er mir sofort seine Nummer gegeben. Er weiß um meine Situation Bescheid und hat vermutlich einfach nur Mitleid, da ich außer Niall und Molly niemanden mehr habe. Doktor Styles kennt mich schon seit ich ein kleines Baby bin, Mom ist mit Molly seit ihrer Geburt immer nur zu ihm gegangen, wenn irgendetwas anstand. Über die Jahre haben wir uns mit dem Tierarzt angefreundet und mittlerweile ist er so etwas wie ein Onkel für mich.
"Louis, wie oft noch? Du kannst mich ruhig Robin nennen, vor Allem wenn du meine private Nummer benutzt."
"Ja, ich weiß. Sorry."
"Also, warum machst du dir Sorgen? Inwiefern verhält sie sich seltsam?"
"Sie wirkt irgendwie träger auf mich und einfach nur erschöpft... Außerdem isst sie nicht mehr richtig" ,füge ich noch hinzu bei dem Gedanken an ihren vollen Futternapf, den ich heute Morgen unberührt vorgefunden habe. Ich will es mir vielleicht nicht eingestehen, aber sie ist sogar ein wenig dünner geworden.
Ein Seufzen ist zu hören.
"Du weißt, dass das auch einfach nur mit ihrem Alter zusammenhängen könnte?"
"Ja, aber ich habe so ein Gefühl, dass da noch was ist" ,drugse ich herum und sehe in meinen Schoß. Ich fühle mich aufgrund meiner Aussage etwas dumm.
"Wir machen das so, du kommst morgen in die Praxis, ich schau, dass ich dich noch irgendwo reingequetscht bekomme, und wir checken Molly einmal durch" ,schlägt Robin vor und ich atme erleichtert auf. Er ist ein Engel.
"Danke. Ich wollte wirklich keine Umstände machen."
"Ihr zwei macht mir doch keine Umstände. Außerdem arbeitet mein Sohn seit neuestem in meiner Praxis, weshalb ich es ein bisschen ruhiger angehen lassen kann. Bin ja auch nicht mehr der Jüngste."
Robin lacht am Ende herzhaft und bringt mich damit auch zum Lächeln. Ich sehe wieder zu Molly, und auf einmal sieht es nicht mehr ganz so düster aus.
Wenn sie etwas hat, wird ihr bald geholfen.
"Trotzdem danke, das ist nicht selbstverständlich."
"Ich mach das gern Louis. Mein Handy lasse ich über Nacht an, nur falls es einen Notfall geben sollte."
"Danke Robin."
"Gern doch."
Wir verabschieden uns, doch bevor ich den roten Hörer drücken konnte, stoppt mich seine Stimme.
"Oh, und Louis?"
"Ja?"
"Molly ist eine Kämpferin, genau wie deine Mutter, mach dir keinen Kopf um sie. Alles wird gut."
"Ja, alles wird gut" ,wiederhole ich seine Worte und versuche, sie wirklich angestrengt zu glauben. Doch wie es nun einmal mit dem Glauben so ist, kommt er nicht einfach, nur weil man es sich wünscht.
《♡》
"Ah, Louis! Schön, dass du da bist. Du kannst gleich mitkommen" ,begrüßt Anne mich, sobald ich die Praxis betreten habe. Mit Molly auf dem Arm folge ich Robins Frau und bin ziemlich erleichtert darüber, dass ich schon so schnell dran komme. Meine Sorgen machen mich schon ganz verrückt, aber ich bin zuversichtlich, dass Robin mich beruhigen kann.
"So, da wären wir. Robin konnte euch leider nicht übernehmen, aber dafür wird sich mein Sohn wundervoll um unsere Molly kümmern" ,verspricht Anne, während sie die Tür zum zweiten Behandlungsraum öffnet.
Etwas unzufriedener folge ich ihr, da ich eigentlich fest davon ausgegangen bin, dass Robin nach ihr sieht. Immerhin kennt er sie schon gut und ich würde mich sicherer mit ihm fühlen. Annes Sohn ist ja laut Robins Aussage erst neu dabei. Bestimmt hat er noch viel zu lernen.
"Ich möchte wirklich keine Umstände machen und ich bin euch schon dankbar, dass das so kurzfristig überhaupt geklappt hat, aber wäre es nicht irgendwie möglich, dass Robin das übernimmt? Ich würde auch warten, bis er fertig ist" ,versichere ich ihr und lege Molly dabei vorsichtig auf dem Behandlungstisch ab. Meine Hände befinden sich danach immer noch in ihrem Fell und ich streichele sie zur Beruhigung.
"Es tut mir wirklich leid Louis, aber Robin wollte sich um die Katze kümmern, die eingeschläfert werden muss, weil er weiß, dass Harry dafür noch nicht bereit ist. Seine Katze musste eingeschläfert werden als er jünger war, er hat es nicht gut verkraftet, weshalb Robin ihn jetzt schützen möchte. Beide haben heute einen vollen Terminkalender und ich konnte gestern wirklich nur bei Harry etwas freischaufeln. Du musst dir aber wirklich keine Gedanken machen, mein Sohn macht das hier mit der selben Leidenschaft wie Robin, wenn etwas mit Molly nicht stimmt, wird er es herausfinden" ,versichert sie mir und tätschelt meine Hand, die auf Mollys Rücken liegt. Ich nicke leicht und sehe ein, dass mir wohl nichts anderes übrig bleibt.
Robins Sohn wird bestimmt wissen was er tut, immerhin hat er hart dafür gearbeitet, diesen Beruf auszuüben, aber ich komme nicht darum herum, mir lieber Robin zu wünschen. Er kennt Molly.
"Entschuldigung für die Verspätung, ich hoffe-"
"Ah, Harry mein Schatz, da bist du ja!" ,unterbricht Anne ihren Sohn freudestrahlend, was diesen wohl etwas aus der Bann wirft. So wie mich sein Erscheinungsbild. Braune Locken, grüne, stechende Augen und, so weit ich das erkennen konnte, besitzt dieser Mann auch noch Grübchen.
Okay, vielleicht bin ich doch ganz froh darüber, dass Robin keine Zeit hat.
"Mom, ich dachte, wir wollten professionell bleiben vor den Kunden" ,zischt er ihr zu, was diese nur die Augen verdrehen lässt. Spielerisch schlägt sie ihm gegen den Oberarm.
"Ja, aber doch nicht vor Louis, du Dummerchen."
Bei meinem Namen sieht er mich zum ersten Mal richtig an und mir bleibt fast das Herz stehen. Heilige Scheiße. Ein Lächeln bildet sich auf seinen Lippen und er beugt sich leicht nach vorne, um mir seine Hand hin zu halten. Seine Grübchen zeigen sich nun deutlicher und ich löse sprachlos meine rechte Hand aus Mollys Fell, um seine größere entgegen zu nehmen.
"Uhm, oh ja, nett, Sie kennenzulernen. Ich bin Doktor Styles Junior."
Anne verdreht erneut ihre Augen, bevor sie ihn wieder gegen den Oberarm schlägt und ihn streng ansieht. "Hör auf, ihn zu Siezen. Mach dich nicht lächerlich. Immerhin hattest du vor zehn Jahren Mal einen Crush auf ihn."
Harrys Wangen färben sich rot, während ich ihn stirnrunzelnd mustere. Vor zehn Jahren? Da war ich elf, fast zwölf, ich wusste gar nicht, dass ich Robins Sohn schon einmal kennengelernt habe.
"Mom!"
"Du hättest ihn hören müssen. Immer ging es nur um den hübschen Jungen mit den blauen Augen und der Stupsnase, der mit ihm seinen Schokoriegel geteilt hat" ,erzählt Anne mit einem Glitzern in den Augen, was mich zum lächeln bringt. Sie erinnert mich stark an meine eigene Mutter, sie hätte mich in solch einer Situation bestimmt auch aufgezogen.
Bei der Erwähnung des Schokoriegels fällt es mir allerdings wieder ein. Es gab hier früher einen Jungen, der sich im Wartezimmer immer zu Jemanden gesetzt hat und mit ihnen geredet hat. An einem Tag hat er sich auch zu Mom und mir gesetzt. Wir haben über unsere Haustiere gesprochen, aber auch über unsere Hobbies. Harry hat Ballett getanzt, diese eine Tatsache ist mir im Kopf hängen geblieben, da mich das damals schon fasziniert hat. Ob er immer noch Ballett tanzt? Bestimmt hat er jetzt keine Zeit mehr, schade eigentlich. Er würde in engen Strumpfhosen bestimmt gut aussehen.
"Okay, das reicht Mom, ich würde jetzt wirklich gern meiner Arbeit nachgehen. Kannst du Jenny reinschicken?" ,bittet Harry und schiebt sie in Richtung Tür.
"Frechheit, der eigene Sohn möchte nicht mit der Mutter zusammen arbeiten."
Kopfschüttelnd verlässt Anne den Raum, was mich schmunzeln lässt.
"Entschuldigung für ihre Unprofessionalität."
"Mir macht das überhaupt Nichts aus. Es fühlt sich dadurch direkt ein bisschen heimischer an" ,winke ich ab, da ich Annes Art wirklich sehr schätze. Sie war schon immer eine Art zweite Mutter für mich.
"Ist es okay, wenn wir uns auch duzen? Ich finde den Gedanken etwas weird dich zu siezen, wenn du mit meinen Eltern schon per du bist."
"Ich habe kein Problem damit."
Wir fangen beide an zu lächeln und für einen kurzen Moment vergesse ich, wo ich mich gerade befinde. Erst als Molly mit einem kläglichen Laut auf sich aufmerksam macht, sehe ich zu ihr herunter. Mich überkommt sofort das schlechte Gewissen, da es jetzt um sie gehen sollte und nicht um einen gutaussehenden Tierarzt.
"Und wen haben wir hier?" ,fragt Harry lächelnd und krault Molly an ihrem Kopf, während er sich zu ihr herunterbeugt. Ich fange an zu lächeln, da das tatsächlich etwas ist, das Robin auch immer macht.
"Das ist Molly, vielleicht erinnerst du dich noch an sie. Du hast sie vor zehn Jahren einmal gestreichelt" ,antworte ich mit einem kleinen Lächeln, wobei mir schon bewusst ist, dass er sich bestimmt nicht mehr an sie erinnert. Er hat bestimmt schon viele Hunde gestreichelt.
"Vor zehn Jahren? Wie alt ist sie denn?"
"21."
Harrys Mund klappt ihm auf und er löst seinen Blick von ihr, um mich anzusehen. Langsam stellt er sich wieder aufrechter hin, sieht mich allerdings immer noch überrascht an.
"21? Das ist ein sehr ungewöhnlich hohes Alter für einen Hund. Was hat sie denn?"
"Sie isst nicht mehr richtig, ist andauernd erschöpft und nimmt immer mehr ab" ,zähle ich grob die Dinge auf, die mir in letzter Zeit aufgefallen sind. Harry nickt nur und mustert Molly nachdenklich, bevor er etwas unsicher zu mir sieht. Ich sehe ihm an, dass er etwas sagen möchte, sich aber noch zurück hält. Vermutlich weiß er nicht, wie er die nächsten Sätze formulieren soll.
"Du weißt, dass das auch einfach Alterserscheinungen sein können. 15 wäre schon ein sehr stolzes Alter für eine Hündin, und sie ist nochmal 6 Jahre älter."
"Es ist nicht nur das Alter" ,entgegne ich sofort und halte an meinem schlechten Gefühl fest.
"Woher weißt du das?" ,fragt Harry berechtigterweise, doch ich lasse mich nicht verunsichern. Ich kenne Molly. Das ist nicht nur das Alter.
"Ich weiß es eben."
"Louis..."
"Nein, bitte untersuch sie einfach. Ich - ich brauche Gewissheit. Ich kenne diesen Hund seit 21 Jahren und ich bin mir sicher, dass sie etwas hat. Bitte, Harry." Flehend sehe ich ihn an, weshalb er seufzend den Blick abwendet. Vermutlich verschwende ich gerade seine Zeit.
"Okay" ,sagt er schließlich und überrascht mich etwas. Viele Tierärzte hätten ihr keinen zweiten Blick mehr geschenkt.
"Okay?"
"Okay."
Er lächelt leicht, was auf mich überspringt.
Harry fängt jetzt an, sie zu untersuchen und stellt mir nebenbei immer mal wieder fragen über sie, die ihm helfen sollen, sich ein Bild machen zu können. Irgendwann kommt auch noch eine Arzthelferin herein und unterstützt Harry, wo sie nur kann.
Stirnrunzelnd mustert er Molly, während er sich auf seiner Unterlippe herumkaut.
"Okay, es gibt gute und schlechte Neuigkeiten. Die gute ist, du hattest Recht" ,fängt Harry an zu sprechen. Ihm fällt es schwer, die kommenden Worte auszusprechen. Ich kann ihm das Bedauern ansehen, als er mir in die Augen blickt.
"Und die schlechte?" ,frage ich und kralle mich in Mollys Fell fest. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit für diese Neuigkeiten bin.
"Sie hat einen Tumor im Bauch. Er ist gutartig, allerdings nimmt er sehr viel Platz im Magen ein, weshalb sie weniger isst. Es gibt jetzt genau drei Möglichkeiten, wie du damit umgehen kannst. Entweder du machst nichts und sie wird irgendwann verhungern oder wir operieren sie, wovon ich dir allerdings stark abraten würde. Sie ist sehr alt, weshalb ich glaube, dass sie die Narkose nicht überleben würde und wir würden sie dadurch nur unnötig unter Stress setzen."
"Und die dritte Möglichkeit ist...?" ,frage ich, da die anderen zwei nicht wirklich toll sind.
Harry kneift seine Augen zusammen, bevor er mich mitleidig ansieht.
"Einschläfern."
"Nein" ,sage ich sofort, da diese Möglichkeit absolut nicht in Frage kommt.
"Louis, bitte denk darüber nach, Einschläfern ist das Beste für sie" ,versucht er, auf mich einzureden, doch ich schüttele nur meinen Kopf. Einschläfern kommt nicht in Frage, das mache ich nicht. Nein. Nope.
"Ich werde sie nicht umbringen."
"Andernfalls lässt du sie verhungern, wenn du sie Einschläfern lässt, kann sie wenigstens in deinen Armen friedlich einschlafen" ,versucht es Harry weiter, doch bei mir stößt er nur auf taube Ohren.
"Ich habe vor einem Jahr meine Mutter verloren, ich kann Molly jetzt noch nicht gehen lassen. Ich brauche sie!"
"Manchmal muss man Jemanden gehen lassen, den man liebt, damit diese von ihrem Leid erlöst werden. Es tut mir leid Louis, lass es dir nochmal durch den Kopf gehen. Sie hatte ein langes, wundervolles Leben, warum es noch weiter in die Länge ziehen, wenn sie darunter leidet? Ich weiß, dass so etwas schwer ist, aber manchmal ist es unvermeidlich" ,höre ich Harry, während ich mein Gesicht in Mollys Fell presse. Die Tränen strömen aus meinen Augen und ich versuche mit aller Kraft, Harrys Worte auf die Seite zu Drängen.
Ich kann sie nicht Einschläfern. Ich kann das nicht. Ich brauche sie.
《♡》
Mit zitternden Händen versuche ich, den Wasserkocher zu befüllen.
Meine Gedanken drehen sich ganz allein um Molly und die Frage, ob ich sie wirklich Einschläfern lassen soll. Ich weiß, dass es vermutlich besser für sie wäre, aber ich kann das einfach nicht. Ich kann doch nicht aktiv dafür sorgen, dass sie stirbt. Das geht nicht.
"Lou? Ist alles okay?"
Ungeschickt werfe ich eine der Tassen von der Ablage, als ich mich erschrocken zu Niall umdrehe. Fluchend bücke ich mich sofort, um die größeren Scherben aufzusammeln. Nialls Blick ignoriere ich dabei. Ich komme einfach nicht mit diesem mitleidigen Gesichtsausdruck klar, den er, seit er hier ist, aufgesetzt hat. Es macht mich kirre. Ich möchte sein Mitleid nicht, das erinnert mich nur daran, dass es Molly beschissen geht.
"Lass es, ich mach das später weg."
Niall kniet gegenüber von mir und greift nach meinen Handgelenken. Er nimmt mir die Scherben ab und legt sie wieder zwischen uns, bevor er aufsteht und mir hoch hilft.
Wieder bemerke ich, dass meine Hände zittern, weshalb ich sie unter meine Oberarme klemme. Niall soll es nicht sehen. Das bringt mir nur wieder einen mitleidigen Blick ein. Er ist sowieso schon besorgt genug um mich, das merke ich wieder mal daran, dass er nicht von meiner Seite weicht, bis ich auf dem Sofa sitze, so als hätte er Angst, ich könnte jeden Moment umkippen.
"Willst du ein Taschentuch?"
"Wofür?"
"Du weinst."
"Einbildung" ,behaupte ich schlichtweg, obwohl klar ist, dass ich über diese Tatsache nicht lügen kann, da der Ire es schon gesehen hat.
Wieder trifft mich ein mitleidiger Blick und ich muss sofort an Molly denken und an ihren Tumor und dass es ihr beschissen geht, aber ich ein zu großer Egoist bin, um sie einfach von ihren Schmerzen zu befreien, weil ich weiß, dass mich ihr Tod psychisch fertig machen würde. Moms habe ich auch nur schwer verkraftet und jetzt soll mir auch noch Molly entrissen werden? Die einzige lebende Verbindung, die mir noch zu meiner Mutter bleibt? Sie wird so oder so bald sterben, warum dann nicht warten, bis es einfach passiert? Einfach der Natur den Lauf der Dinge überlassen?
Warum zählt es schon als Entscheidung, wenn ich einfach nichts mache? Ich möchte mich nicht entscheiden, denn egal, wie ich mich entscheide, Molly ist am Ende tot. Nur in der einen Situation bin ich daran schuld, dass sie stirbt und in der anderen bin ich daran schuld, dass sie Schmerzen erleiden musste.
Niall versteht nicht, dass ich nicht mein Go für das Einschläfern geben kann. Für ihn ist das die einzig richtige Entscheidung. Er versteht es nicht. Er versteht mich nicht. Niall hat kein Haustier, aber er hat einen Bruder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Niall auch so schnell über das Leben seines Bruders entscheiden könnte. Molly ist für mich Familie. Ich habe zu ihr momentan die stärkste emotionale Bindung. Sie ist nicht nur ein Hund. Sie ist meine Schwester. Sie war überall dabei, bei allen wichtigen Meilensteinen. Molly war immer da, hat mir zugesehen beim Älter werden und war immer mein Fels in der Brandung. Vor allem jetzt, da Mom nicht mehr da ist.
Wer fängt mich auf, wenn Molly nicht mehr da ist? Ich habe niemanden. Gut, Niall, aber der hat seine eigene Familie und ist frisch in einer Beziehung. Er wird nicht immer Zeit für mich haben, was ich auch komplett verstehen kann. Wir sind Freunde, gute Freunde, aber er hat auch sein eigenes Leben, was ich ihm nicht vorwerfen werde.
Es ist nur, ich habe Angst davor, allein zu sein. Allein mit meinen Problemen, allen mit meinen Gedanken, allein mit mir.
"Was hält dich davon ab, sie einzuschläfern?"
Ich weiß, dass er diese Frage ernst meint und mich einfach nur besser verstehen möchte, aber ich bekomme dadurch nur das Gefühl, dass ich das Problem bin. Niemand würde in meiner Situation anders handeln oder zumindest nicht so leichtfertig wie Niall. Jeder hätte Probleme damit, diese Entscheidung zu treffen und dass Niall das noch nicht einmal von sich aus so sieht, lässt mich daran zweifeln, ob ich es ihm überhaupt näher erklären sollte. Er hat es nicht so mit Tieren, er würde sie vermutlich niemals als Familienmitglied betiteln, was wahrscheinlich daran liegt, dass er selbst noch nie ein Haustier hatte.
"Du würdest das nicht verstehen."
"Versuch, es mir zu erklären. Ich verspreche, dass ich mein Bestes geben werde, um dich zu verstehen" ,versichert er mir, weshalb ich mich schließlich überreden lasse.
"Sie ist wie eine Schwester für mich Ni, ich möchte nicht über ihr Leben entscheiden. Woher weiß ich, wie schlimm sie die Schmerzen findet? Vielleicht will sie ja noch weiterleben, woher will ich das wissen? Wie kann ich mir anmaßen, einfach darüber zu entscheiden, wann ihre Zeit hier zu Ende ist. Nehmen wir an, dein Bruder wäre in Mollys Situation und er könnte sich aus irgendeinem Grund nicht mit dir verständigen. Würdest du aktiv etwas dafür tun, dass er stirbt oder würdest du einfach abwarten und dich raushalten?" ,frage ich ernst gemeint und hoffe, dass er mir jetzt nicht ins Gesicht lacht, weil ich Molly mit Greg verglichen habe.
"Ich... ich weiß es nicht" ,antwortet er tatsächlich nachdenklich, was mich etwas besser fühlen lässt. Er wäre auch überfordert, also liegt es nicht an mir.
"Siehst du."
"Aber ich denke, ich würde ihn erlösen. Louis, die Schmerzen, die sie hat, sind nicht aushaltbar, wenn dir ein Tierarzt rät, sie einzuschläfern. Sie hat starke Schmerzen, sie kann doch sogar fast nichts mehr machen außer existieren und schlafen. Selbst essen tut sie ja noch nicht mal mehr. Was ist das für ein Leben? Ich weiß, dass du vermutlich denkst, ich könnte mit Tieren nicht wirklich etwas anfangen, aber Molly ist mir verdammt nochmal auch an Herz gewachsen. Ich kenn' sie seit ich dich kenne, sie ist auch etwas besonderes in meinen Augen. Ich hab mit ihr mal eine Wurst geteilt, okay? Das heißt was bei mir."
Diese Antwort gefällt mir eher weniger. Unzufrieden sehe ich auf meine Hände, die mit der Ecke eines Kissens spielen. Niall lässt sich davon nicht beirren, sondern legt seine Hand auf meine und versucht dadurch, meine Augen wieder auf sich zu lenken.
"Sie hatte eine schönes Leben, ein fantastisches. Jay und du waren die besten Herrchen, die sie sich hätte wünschen können, aber irgendwann kommt alles mal zu einem Ende. Sie wird sterben, so oder so. Denk doch bitte darüber nach, ob du ihr das Ganze nicht erleichtern möchtest. In meinen Augen tust du das Richtige, wenn du sie erlöst, aber ich denke, ich kann jetzt auch verstehen, wenn du es nicht machst."
"Ich denke nochmal darüber nach" ,antworte ich tatsächlich ernst gemeint, was vermutlich daran liegt, dass ich mich zum ersten Mal bei diesem Thema verstanden fühle und ich kann seine Argumentation auch ein wenig verstehen.
Es wäre vermutlich besser, sie zu erlösen, die Frage ist nur, ob ich das kann.
《♡》
"Wir wissen beide, warum ich hier bin, Louis. Kann ich rein kommen?"
Überrumpelt lasse ich Robin in meine Wohnung. Es ist etwas ungewöhnlich für ihn, ohne Vorwarnung aufzutauchen, und ich habe nicht wirklich damit gerechnet, ihn Sontag morgens vor meiner Tür stehen zu sehen.
"Willst du einen Tee oder sowas?" ,frage ich müde und werfe meinem Spiegelbild einen kurzen Seitenblick zu, als ich an dem großen Wandspiegel im Flur vorbeilaufe.
Ich sehe absolut beschissen aus. Wundert mich, ehrlich gesagt, nicht. Immer hin lag ich die Nacht wach und habe mich mit der Frage beschäftigt, ob ich Molly nun Einschläfern sollte. Eine Antwort habe ich immer noch nicht.
"Nein, nein, ich bin nur für einen kurzes Gespräch mit dir hier. Anne wollte später noch etwas mit mir unternehmen, weil heute der erste Advent ist" ,winkt Robin lächelnd ab, und sieht sich suchend in meiner Wohnung um.
"Wo ist Molly?"
"In meinem Zimmer. Sie schläft, wie eigentlich immer..."
Die letzten Tage ist es immer schlimmer geworden. Sie hat für nichts mehr Energie und es macht mich innerlich fertig, mitanzusehen, wie langsam das Leben aus ihrem Körper flieht. Von Tag zu Tag geht es ihr schlechter und ich fühle mich so verdammt hilflos, denn die einzige Hilfe, die ich ihr geben kann, ist der Tod.
Und was ist das denn für eine Hilfe?
Robins Lächeln fällt bei meiner Antwort. Räuspernd sieht er zu Boden, bevor er den Blick hebt und einen Schritt auf mich zu kommt. Die selbst gehäckelte Wintermütze hält er in den Händen, um irgendwie mit seiner Unsicherheit umzugehen. Er zögert, stottert und bricht seinen Satz ab, bevor er ihn überhaupt wirklich begonnen hat. Ihm fehlen die Worte.
"Harry hat mir erzählt, dass du nicht wirklich gut auf den Vorschlag reagiert hast, Molly Einschläfern zu lassen."
"Wie soll ich denn bitte reagieren? Hat er Luftsprünge erwartet?" ,frage ich pampig zurück, da sich das gerade wie ein Vorwurf angehört hat. Als wäre es falsch, traurig zu reagieren, wenn der Tierarzt dir sagt, dass dein Familienmitglied einen Tumor hat.
"Nein natürlich nicht. Ich - okay, das war ein blöder Einstieg in das Thema. Ich bin einfach nur hier, um mit dir über Molly zu sprechen, weil mir dieser Hund mittlerweile auch sehr ans Herz gewachsen ist" ,versucht Robin es erneut und macht beschwichtigende Bewegungen mit seinen Händen, während ich ihn stirnrunzelnd ansehe. Er ist hier, um mit mir über Molly zu sprechen? Das kann nur eins bedeuten.
"Also bist du hier, um mich davon zu überzeugen, sie umzubringen?"
"Wir erlösen sie, Louis."
"Benutz keine beschönigten Wörter. Sag doch einfach, wie es ist, wir bringen sie um" ,berichtige ich ihn fast schon sauer, da mich diese alte Leier zur Weißglut bringt. Erlösen. Schwachsinn. Wir lassen zu, dass sie getötet wird.
"Ich benutz keine beschönigten Wörter. Sie hat Schmerzen, starke Schmerzen, oder was glaubst du, wieso sie den ganzen Tag nichts mehr macht? Sie leidet und das wird erst mit ihrem Tod aufhören" ,kommt es klar und deutlich von Robin, der plötzlich einen ganz anderen Ton anschlägt. Er ist nicht mehr unsicher, welche Worte er als nächstes in den Mund nehmen soll, er spricht sie einfach aus, weil er sich nicht mehr zurückhalten kann.
Seine forsche Art tut ihm allerdings sofort wieder leid. Seine Mimik wird weich und ich kann dieses verhasste Gefühl des Mitleids in seinem Augen aufglänzen sehen, als er meine Tränen bemerkt. Es sind nicht viele, nur ein, zwei, die sich den Weg zu meinem Kinn bahnen und ihr Ende auf dem grauen Teppich finden, mit dem mein Wohnzimmer ausgelegt ist.
Robin zögert nicht lange, überbrückt die Distanz zwischen uns und nimmt mich in den Arm. Diese Geste bringt mich noch mehr zum Weinen, da es sich wie eine väterliche Umarmung anfühlt. Geborgen, verstanden und geliebt. Diese Gefühle durchfluten mich, als Robin mich fest an sich drückt und versucht mich zu beruhigen.
"Du leidest doch genauso wie sie. Diese ständige Sorgerei macht dich fertig. Bitte Louis, zieh den Schlussstrich. Und das rate ich dir nicht als dein Tierarzt, sondern als ein guter Freund. Lass sie gehen."
"Ich k-kann nicht - ich" ,stottere ich überfordert gegen seine Schulter. Wie kann er so etwas verlangen? Ich kann sie doch nicht - Ich kann nicht das Okay für ihren Tod geben. Es wäre das Richtige, aber - ich kann sie doch noch nicht gehen lassen. Ich brauche sie bei mir. Genauso sehr, wie ich Mom brauche. Hier bei mir und nicht nur in meinem dummen Herz, das seit einem Jahr nur noch am Ziehen ist, sobald ich an sie denke.
"Was hätte deine Mutter gemacht?" ,fragt er so plötzlich, dass mein ziehendes Herz in meinen Magen rutscht und dort ein riesiges Loch der Leere entstehen lässt.
Es ist klar, was Mom gemacht hätte. Sie hätte noch nicht mal eine Sekunde gezögert und Molly Einschläfern lassen, aber ich bin nicht sie.
Ich bin nicht so stark.
"Sie erlöst" ,antworte ich gebrochen, als ich den Gedanken zum ersten Mal zulasse, es wirklich zu tun.
"Warum kannst du es dann nicht?" ,fragt er vorsichtig und voller Empathie, wie Robin nunmal ist. Er musste schon viele Tiere Einschläfern, unter anderem auch seine eigenen, weshalb wohl niemand den Schmerz besser versteht als er.
"Ich bin nicht so stark wie sie."
"Du bist ihr Sohn und das ist definitiv nicht schwer zu übersehen. Ihr habt beide einen Willen aus Stahl, aber ein Herz aus Gold. Ich bin mir sicher, dass du es schaffst. Tu es für Molly und lass sie endlich zu deiner Mutter."
Ich presse mein Gesicht in seine Schulter, als ich laut aufschluchze.
Meine Gedanken tun mir physisch weh. Ich will es nicht wahr haben. Ich will es nicht, aber ich muss. Ich muss sie Einschläfern. Robin hat Recht. Mit Allem. Sie gehen zu lassen bricht mir mein Herz, aber wenigstens muss sie dann nicht mehr leiden. Ich muss sie gehen lassen.
Zitternd atme ich aus und ein, bevor ich gebrochen und leise mein Einverständnis gebe.
"Für Molly"
《♡》
Es fühlt sich an wie ein Traum.
Surreal.
Niall sitzt hinterm Steuer und fährt mich mit Molly zur Praxis. Robin hat sich geweigert, mich allein wieder gehen zu lassen, weshalb er darauf bestanden hat, dass mich zumindest ein Freund nach Hause bringen soll. Er traut mir nicht zu, in diesem Stadium Auto zu fahren. Ich mir auch nicht.
Gestern war mein letzter Abend mit ihr. Wir haben Clifford angeschaut, unsere Lieblingskinderserie von früher. Ich hab etwas gekocht und ihr Lieblingsessen besorgt, auch wenn sie fast nichts davon gegessen hat. Als wir ins Bett gegangen sind, habe ich sie in den Arm genommen. Sie ist schnell eingeschlafen. Ich lag die ganze Nacht wach. Habe sie atmen gehört. Ihren Herzschlag gespürt und ihr Fell zwischen meinen Fingern gefühlt. Alles wie immer, nur mit dem penetranten Hintergedanken im Kopf, dass ich das bald nicht mehr haben werde.
Bald ist meine Wohnung leer, wenn ich nach Hause komme.
Bald.
Bald klang bis jetzt immer noch so weit weg, doch als Niall plötzlich den Motor abstellt, zerplatzt meine kleine Blase und ich werde erdrückt von der urplötzlich Last des Bevorstehenden.
Mein Griff wird fester um mein Handy. Ich bewege mich nicht. Atme flach und starre gerade aus. Vielleicht lässt sich der Moment rauszögern, wenn ich mich nicht bewege, schreitet die Zeit vielleicht auch nicht voran. Vielleicht bleibt alles stehen. Genau so wie es jetzt ist.
Doch das passiert nicht. Natürlich nicht. Die Zeit bleibt nicht auf wundersamer Weise stehen und Molly wird auch nicht mehr gesund.
"Louis, wir sollten..."
Niall lässt seinen Satz in der Luft hängen. Unvollendet. So als würde die Unvollständigkeit des Satzes irgendetwas an der Sache verändern. Irgendetwas daran ändern, dass Molly gleich eingeschläfert wird.
"Ich hol Molly."
Ich schnalle mich ab, steige aus und lasse die Beifahrertüre des Wagens zufallen. Ich öffne den Kofferraum, hole Molly aus ihrem Käfig und mache alles wieder zu. Mit ihr im Arm laufe ich über die Straße und in die Praxis. Anne begrüßt mich, mit einem traurigen Lächeln. Mitleid steht ihr groß und fett ins Gesicht geschrieben und ist so penetrant, dass ich es einfach nicht ignorieren kann. Ich folge ihr in ein Zimmer. Es ist das Selbe von letztem Mal. Doch anstatt sie, wie letztes Mal, auf die Liege zu legen, stelle ich mich mit ihr ihm Arm in eine Ecke des Raumes. Erst da fällt mir Niall auf, der mich bis in das Zimmer begleitet hat.
Seit ich Molly aus dem Auto geholt habe, ist mein Gehirn auf Autopilot. Ich habe aufgehört, über mein Handeln nachzudenken und habe es einfach gemacht.
Doch jetzt, wenn ich in dem Raum bin, in dem es passieren soll, schaffe ich es nicht länger, meine Gefühle zu unterdrücken. Ich habe Angst, Angst um Molly. Dieses Gefühl der Flucht durchströmt jede Faser meines Körpers und es ist verdammt schwer für mich, hier zu bleiben. Ich will gehen. Molly beschützen. Sie nach Hause bringen, aber das geht nicht. Sie wird nie wieder nach Hause kommen. Nie mehr.
Ich fange an zu zittern, presse Molly enger an mich und mache noch einen Schritt zurück. Mein Rücken ist an der Wand, und doch bin ich noch nicht weit genug entfernt von dem Tisch.
Von dem Tisch, dessen alleinige Anwesenheit mich zutiefst beunruhigt.
Ich presse mein Gesicht in ihr Fell, als ich meine Tränen bemerke. Das ist mein letzter Moment mit ihr. Er ist gekommen. Ich bin nicht bereit dafür. Bin nicht bereit. Molly soll bleiben. Einfach bei mir. Muss doch nach Hause mit ihr. Sie kann doch nicht einfach gehen.
"Louis."
Ich sehe nicht auf, drücke mein Gesicht weiter in ihr Fell und murmele mein Matra wie ein Besessener vor mich hin.
Darf nicht gehen.
"Louis" ,sagt die Stimme nun fester und als ich eine Hand an meiner Schulter spüre, will ich zurückschrecken, doch da das nicht geht, drehe ich mich leicht zur Seite, damit Molly sicher vor der Person ist. Ihr passiert nichts. Sie ist hier bei mir. In meinen Armen. Alles wird gut.
"Könntest du aus der Ecke kommen? Bitte."
Ich sehe Robin lange an. Geduldig erwidert er meinen Blick. Er steht neben dem Behandlungstisch und wartet. Wartet darauf, dass ich bereit bin, doch das bin ich nicht.
Mit meiner Mutter zusammen hätte ich das bestimmt geschafft. Mit ihr wäre ich bereit gewesen, weil sie den Schmerz mit mir geteilt hätte. Sie hätte gewusst, wie es sich anfühlt. Wie es ist, machtlos daneben zu stehen. Keiner in diesem Raum versteht mich. Robin am ehesten noch, weil er sein eigenes Haustier einmal Einschläfern musste, aber da hatte er selbst die Spritze gehalten. Ich brauche Jemanden, der das Alles aus meiner Perspektive erlebt hat.
"Ich will Harry."
"Wie bitte?" ,fragt Robin verwundert, da er vermutlich nicht damit gerechnet hat, dass ich so schnell etwas sage.
"Harry soll Molly Einschläfern."
Anne meinte doch, dass dessen Katze eingeschläfert werden musste und ihm das sehr schwer gefallen ist. Er versteht mich.
"Ich weiß nicht, ob das geht, Louis. Harry-"
"Es geht. Ich gehe und übernehme so lange einfach seine Patienten. Kannst du Louis dann später in mein Büro bringen?" ,fragt Robin seine Frau, die er zuvor noch unterbrochen hat. Anne nickt leicht, weshalb er sich wieder mir zuwendet.
"Kann ich mich von ihr verabschieden?" ,fragt Robin vorsichtig und kommt erst näher, als ich es ihm erlaubt habe. "Machs gut Molly, grüß Jay von mir" ,sagt er leise und streichelt sie liebevoll, bevor er sich mir zuwendet. Seine Lippen sind aufeinander gepresst. Tiefe Trauer spiegelt sich in seinen Augen wider, als er mir sanft gegen den Oberarm klopft und sich mit einem letzten Nicken von mir abwendet.
Als er geht wird es still im Raum, dennoch fühlt es sich so an, als würde mir das Mitleid der Beiden ins Gesicht schreien. Weder Anne noch Niall sagen etwas, doch ich kann ihre Blicke spüren. Ihre Blicke, die sich wie Feuer auf meiner Haut anfühlen, weshalb ich es irgendwann einfach nicht mehr aushalte.
"Niall? Kannst du am Auto warten? Ich möchte nicht, dass du mich gleich so siehst" ,bitte ich ihn, da ich wirklich nicht denke, dass ich mich zusammenreißen kann.
"Natürlich, ich warte außen. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich habe heute nichts mehr vor" ,versichert er mir und legt seine Hand auf meine Schulter. Ich sehe ihm nicht in die Augen, als er sich von Molly verabschiedet und schließlich geht.
Es dauert nicht lange, bis die Türe erneut aufgeht und Harry etwas gestresst das Zimmer betritt. Er sieht zuerst zu seiner Mutter, bevor er mich in der Ecke stehen sieht. Das Hektische verschwindet sofort aus seinem Gesicht und macht einem kleinen Lächeln platz, das tatsächlich nicht mit Mitleid durchtränkt ist.
"Hey Louis, Hey Molly."
"Hey."
Unsicher sehe ich zu Anne, bevor mein Blick wieder auf ihm liegt. Ich will, dass sie auch den Raum verlässt.
"Kann Anne den Raum verlassen?" ,frage ich vorsichtig, da ich sie nicht irgendwie beleidigen möchte. Ich mag Anne, sie ist toll, aber ich möchte jetzt wirklich keine Zuschauer haben, sondern wirklich nur die Leute, die hier dabei sein müssen.
Harry tauscht mit seiner Mutter einen Blick aus.
"Du kannst ja vor der Tür warten und ich ruf dich, falls ich doch Hilfe brauche. Ich denke nicht, dass Molly mir großartig Schwierigkeiten bereiten wird" ,argumentiert Anne, weshalb sie sich geschlagen gibt. Auch sie verabschiedet sich von Molly und verlässt den Raum ohne weiteren Kommentar. Harry sieht ihr einen Moment lang hinterher, bevor er seinen Kopf wieder zu mir dreht.
Er lächelt freundlich.
"Wärst du so lieb und würdest mit Molly hier her kommen? Du musst sie nicht auf dem Tisch ablegen, wenn du willst, kannst du sie auch weiterhin halten" ,versichert er mir, weshalb ich tatsächlich langsam aus meiner Ecke komme.
"Wärst du so lieb und würdest mit Molly hier her kommen? Du musst sie nicht auf dem Tisch ablegen, wenn du willst, kannst du sie auch weiterhin halten" ,versichert er mir, weshalb ich tatsächlich langsam aus meiner Ecke komme. Harry wirkt weniger bedrohlich auf mich, bei ihm habe ich das Gefühl, dass er ihr wirklich erst die Spritze gibt, wenn ich bereit dazu bin.
Ich vertraue ihm.
"Hast du - Hast du irgendwelche Fragen?"
Harry steht vor mir, hat seine Hände vor dem Körper gefaltet und sieht mich seelenruhig an, als hätte er alle Zeit der Welt. Dabei weiß ich, dass er eigentlich einen straffen Zeitplan hat. Dennoch nimmt er sich die Zeit, um meine Fragen zu beantworten.
"Tut es weh?" ,frage ich und sehe ihm starr in die Augen, auf der Suche nach einer kommenden Lüge. Doch diese bleibt aus, stattdessen bekomme ich ein mildes Lächeln und eine ehrliche Antwort.
"Nein, sie wird einfach friedlich einschlafen. Keine Schmerzen, ich versprechs."
Er würde mich nicht anlügen. Da bin ich mir sicher. Er war selbst einmal in meiner Situation und weiß, dass man ehrliche Antworten braucht.
"Ich fühl' mich schuldig" ,spreche ich das aus, was mich schon lange beschäftigt, aber ich habe es immer zur Seite geschoben, weil ich dachte, dass Andere das als lächerlich ansehen könnten. Es gibt ja schließlich keinen Grund, um sich schuldig zu fühlen. Ich "erlöse" sie ja nur.
"Warum?" ,fragt er sanft nach.
"Weil ich ihren Tod nicht verhindere, obwohl ich es könnte."
"Du kannst ihren Tod nicht verhindern, vorerst ja, aber auf längerem Zeitraum wird sie es nicht mehr mitmachen. Wenn es so weiter geht, wird sie auf jeden Fall dieses Jahr noch sterben. Manchmal ist der Tod nicht das schlechtere Los. Ihr wird es besser gehen, ohne die ganzen Schmerzen. Du triffst die richtige Entscheidung, Louis" ,versichert er mir mit einem empathischen Lächeln.
"Ich fühl' mich so schwach" ,schluchze ich verzweifelt, als neue Tränen kommen, bei dem Gedanken, dass es gleich so weit ist.
"Du bist hier mit ihr, das erfordert Stärke. Meine Katze musste mal eingeschläfert werden. Ich habe versucht, in der Nacht mit ihr abzuhauen. Zum Glück hat mich Mom noch erwischt. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft, du schon. Du bist hier, um Molly zu helfen, das ist alles, was zählt."
"Wie war es?"
"Es hat auf mich gewirkt, als würde sie einfach nur einschlafen. Ganz friedlich und in meinen Armen. Ich war bis zum Ende bei ihr" ,erzählt er wieder mit einem milden Lächeln, indem ich allerdings kein Mitleid sehe, sondern Verständnis. Verständnis für mich und meine Situation. Etwas, was mir viel mehr weiterhilft, als dieses beschissene Mitleid.
"Ich hab Angst" ,öffne ich mich ihm nun völlig. Er nickt leicht. "Das ist okay. Die hatte ich auch" ,antwortet er ehrlich und macht das Ganze hier erheblich leichter für mich.
"Ich denke, ich bin bereit" ,kommt es unsicher von mir. Ganz wird die Unsicherheit wohl nie weg gehen.
"Wenn ich ihr die Spritze gebe, denkst du, dass du es schaffst, still zu halten oder soll ich lieber meine Mutter holen? Es ist normal, dass du sie beschützen willst und dich deshalb vielleicht wegdrehst, wenn ich ihr die Spritze geben möchte. Wenn du dir es nicht vorstellen kannst, still zu halten, hol ich meine Mutter" ,erklärt er mir ohne jeglichen Vorwurf in seiner Stimme oder seinen Augen. Alles, was ich höre und sehe ist sein Verständnis.
"Vielleicht ist Anne besser als ich" ,gebe ich leise zu, da ich mir durchaus zutrauen würde, mich einfach wegzudrehen.
Harry nickt verständnisvoll, bevor er zu der Tür geht und sie für seine Mutter öffnet, die davor gewartet hat.
"Könntest du Molly halten, während ich ihr die Spritze gebe?" ,höre ich ihn seine Mutter fragen, während ich mit dem Rücken zu ihnen stehe. Ich halte Molly und presse mein Gesicht wieder in ihr Fell.
"Louis?"
Ich hebe meinen Kopf und sehe Anne neben mir an. Sie legt ihre Hand auf meinen Oberarm.
"Würdest du sie mir für einen Moment geben? Du bekommst sie sofort danach wieder zurück. Anne-Ehrenwort" ,versichert sie mir mit einem traurigen Lächeln.
Sobald ich ihr Molly gebe, ist es vorbei. Jetzt könnte ich noch gehen, sie mitnehmen. Einfach wegrennen, so wie Harry das mit seiner Katze versucht hat.
Ich will sie Anne nicht geben. Ich will noch länger an ihr festhalten. Kann sie noch nicht loslassen. Brauche sie noch.
Annes Hand auf meiner Schulter verschwindet, dafür spüre ich dort jetzt eine größere. Vor mir spüre ich seine Präsenz, weshalb ich meine Augen öffne und zu ihm hoch sehe. Meine Sicht ist komplett verschwommen, aber die grünen Augen kann ich dennoch ausmachen.
"Louis, hey, ganz ruhig. Ich weiß, der Schritt ist am schlimmsten, aber du schaffst das. Du hast es schon bis hier her geschafft, du kannst auch den letzten Schritt gehen. Ich glaube an dich."
Langsam wird mein Griff um sie lockerer, doch meine Atmung unkontrollierter. Immer mehr Schluchzer unterbrechen mich, während ich Molly Anne überreiche, die sofort beruhigend auf sie einspricht, als Molly merkt, dass sie nicht mehr auf meinem Arm ist.
"Das hast du sehr gut gemacht, Louis. Ich hol jetzt die Spritze, die ich da drüben schon hingerichtet habe, werde sie ihr aber erst geben, wenn du mir dein Einverständnis gegeben hast. Alles passiert in deinem Tempo, okay? Du brauchst keine Angst zu haben" ,versichert er mir eindringlich. Ich nicke, da ich zum Sprechen nicht mehr in der Lage bin. Ich sehe ihm zu, wie er die Spritze holt und mit dieser zu Molly läuft. Mehr macht er nicht. Er sieht abwartend zu mir.
"Darf ich?" ,fragt er mit gewohnt sanfter Stimme.
Ich zögere. Mache meine Augen zu und nicke schließlich. Ein gepresstes Geräusch verlässt meinen Mund, weshalb ich direkt meine Hände auf meinen Mund presse. Es zieht überall in meinem Körper. Ich denke ich muss sterben, als es immer schlimmer wird. Ich habe sie gehen lassen. Molly ist weg, noch nicht ganz, aber bald.
"Louis."
Anne gibt mir Molly zurück, die gar nicht weiß, was gerade mit ihr geschieht. Unwissend sieht sie mich an und das bringt mich nur noch mehr zum Weinen.
"Komm mit, Mom hat mir gerade erzählt, dass du dich in Dads Büro verabschieden darfst" ,spricht Harry beruhigend auf mich ein. Er legt seine Hand auf meinen oberen Rücken und führt mich zu dem Büro. Ich bekomme den ganzen Weg über nichts mit. Meine volle Aufmerksamkeit liegt auf Mollys Herzschlag, der jetzt noch da ist. Bald nicht mehr.
"Du kannst dich da mit ihr hinlegen, wenn du möchtest. Ich lasse euch jetzt allein und komme erst in ein paar Minuten wieder, um ihren Puls zu fühlen."
Ich öffne meine Augen und sehe direkt vor mir eine Decke auf dem Boden ausgebreitet. Neben der Decke steht eine Tasse Tee und Kekse. Schluchzend nicke ich, bevor ich auf meine Knie gehe, um Molly dort abzulegen. Nur weit weg nehme ich das Schließen der Tür wahr. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, mich um Molly zu kümmern. Ich ziehe meine Jacke aus, lege mich neben sie und decke uns beide mit der Jacke zu. Eng an sie gekuschelt liege ich seitlich da, meine rechte Hand an ihrem Herzen. Mein Blick gilt ganz allein ihren Augen, die trüber nicht sein können.
Die Kirchenglocken sind in weiter Ferne zu hören. Es schlägt Zwölf. Ansonsten ist es völlig ruhig. Meine Tränen haben aufgehört. Still liege ich neben ihr, spüre ihren langsamer werdenden Herzschlag unter meinen Fingerspitzen und sehe ihr in die Augen.
Es wirkt nicht so, als würden wir hier liegen, um ihren Tod abzuwarten.
Aber vielleicht liegt das auch nur an meiner schützenden Blase, die ich mir aufgebaut habe, mit der ich die Realität wenigstens für ein paar Minuten ausschließen kann.
Doch genau diese Realität kommt fünf Minuten in Form von Harry wieder zu Tür herein.
"Darf ich?" ,fragt er vorsichtig, bevor er sich uns nähert. Erst als ich ihm mein Einverständnis gebe, kommt er zu uns auf die Decke. Ich nehme die Jacke von ihr runter, damit er ihren Puls überprüfen kann. Während er das macht, sehe ich ihm starr in das nachdenkliche Gesicht. Ich kann eine Tränenspur erkennen. Hat er auch geweint?
Als seine Augen auf meine treffen, schlucke ich. Ich bin nicht bereit für diesen Moment. Ich kann in seinen Augen erkennen, was er mir sagen möchte, aber ich kann das noch nicht. Er soll meine Blase noch nicht völlig zerstören.
"Nicht...bitte."
Flehend sehe ich ihn an. Er nickt leicht, bevor er sich ein Lächeln abringt.
"Ich lass euch zwei noch ein bisschen allein."
《♡》
Eine Woche ist es jetzt her. Eine Woche seit sie nicht mehr bei mir ist. Das Haus ist seltsam leer, ebenso wie ich. Außer meiner Arbeit habe ich nichts mehr wirklich, wofür es sich lohnen würde, aufzustehen.
Die meiste Zeit liege ich in meinem Bett oder auf dem Sofa und sehe mir alte Folgen von Clifford an. Einmal wollte ich ein altes Video anschauen, das Mom an meinem zehnten Geburtstag gemacht hat, aber ich musste es ausmachen. Es hat mich fertig gemacht, Molly und Mom zu sehen. Ich war damals so glücklich. Ich wäre jetzt wirklich gern wieder zehn. Doch das geht nicht. Ich werde nie wieder zehn sein oder von irgendjemandem der Sohn.
Der ganze Schmerz, den ich bei Moms Tod gefühlt habe, kommt durch Molly doppelt so stark zurück. Es ist kaum mehr auszuhalten.
Ein Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Ich überlege einen Moment, ob ich überhaupt die Tür öffnen soll, doch dann raffe ich mich auf und laufe barfuß zu meiner Wohnungstür. Vorsichtig öffne ich sie einen Spalt, doch als ich Harry sehe, öffne ich die Türe ganz. Was will er denn hier? Robins tägliche Besuche bin ich mittlerweile gewohnt, aber Harry ist neu.
"Hey, Louis."
" 'ey" ,murmele ich müde und lehne mich gegen den Türrahmen. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Ich bin am Ende.
"Ich soll dir das hier vorbeibringen" ,sagt er mit einem Lächeln und hält mir eine Karte entgegen. Ich nehme sie an und mustere sie stirnrunzelnd. Es ist eine Weihnachtskarte.
"Mom und Dad möchten dich einladen, mit uns Weihnachten zu feiern. Die beiden würden sich wirklich sehr freuen, wenn du kommst. Immerhin bist du für sie fast schon wie ein Sohn" ,meint Harry und lächelt jetzt so breit, dass man seine Grübchen sehen kann. Diese und seine Worte bringen mich tatsächlich zu einem kleinen Lächeln. Anne und Robin sind wirklich süß.
"Ich werde es mir überlegen, aber eigentlich habe ich sowieso nichts vor. Ich denke, ich werde kommen. Mal sehen" ,sage ich weniger überzeugt, da ich ihre Familienidylle nicht zerstören möchte.
"Wie gesagt, Mom und Dad würden dich wirklich gern dabei haben. Oh, und ich hab gestern Plätzchen gebacken, ich dachte, dass du dich vielleicht über ein paar freust" ,fügt er noch hinzu und hält mir eine kleine Box hin, die ich zuvor gar nicht wahrgenommen habe. Überrascht nehme ich sie entgegen.
"Danke Harry, das ist wirklich lieb von dir."
Seine Freundlichkeit überrumpelt mich etwas, weshalb ich nicht genau weiß wie ich damit umgehen soll. Ich bin ihm wirklich dankbar, aber ihm das nur zu sagen fühlt sich nach zu wenig an.
"Hab ich gern gemacht, aber ich muss jetzt auch schon wieder weiter. Es war schön, dich wiederzusehen. Bis Weihnachten. Hoffentlich."
Ich verabschiede mich ebenfalls und sehe ihm etwas bedröppelt hinterher, als er noch einmal winkt und schließlich um die Ecke verschwindet. Irgendwie hätte ich ihn gerne länger hier gehabt. Er war wie ein kleiner Lichtblick, der mich aus meiner trostlosen Wohnung geholt hat.
Meine Laune ist ein bisschen besser, als ich die Tür wieder hinter mir schließe.
Während ich zurück in mein Wohnzimmer laufe, drehe ich die Weihnachtskarte um und lese mir durch, was auf der Rückseite geschrieben steht.
Ich würde mich allerdings am meisten freuen, wenn du die Einladung annimmst
H xx
Ps: Ich hoffe die Plätzchen schmecken dir!
Mit einem kleinen Lächeln lasse ich mich auf das Sofa fallen und lege die Karte behutsam zur Seite, bevor ich die Box öffne. Ich nehme eins der schönen Plätzchen heraus und betrachte es einen Moment, bevor ich es esse.
Und zum ersten Mal seit einer Woche fühlt sich der Schmerz in meiner Brust nicht mehr so stark an.
《♡》
"Louis! Schön, dass du kommen konntest. Alles Gute zum Geburtstag und fröhliche Weihnachten!" ,wünscht Anne mir und zieht mich direkt in das Haus für eine kräftige Umarmung. Ich muss anfangen zu lachen und erwidere die Umarmung glücklich. "Danke Anne, ich wünsche dir auch fröhliche Weihnachten."
Sie ist heute die erste Person, die mir gratuliert. Abgesehen von Niall, der mir heute morgen per Sprachnachricht ein Geburtstagsständchen geschickt hat, weil er gerade bei seiner Familie in Irland ist.
"Na komm, schnell, zieh deine Schuhe aus. Deine Jacke kannst du mir geben. Robin ist ja schon ganz aufgeregt. Er ist dieses Jahr für das Essen verantwortlich und ist schon ganz ungeduldig, was wir dazu sagen werden" ,erzählt Anne mir aufgeregt, während sie meine Jacke an die Garderobe hängt. Sobald ich meine Schuhe ausgezogen habe, bekomme ich noch von ihr Hausschuhe, bevor ich weiter in das Haus gezogen werde.
"Ah, da ist ja unser Ehrengast! Alles Gute zum Geburtstag mein Lieber und natürlich auch frohe Weihnachten" ,wünscht Robin mir mit einer überschwänglichen Geste, bevor auch er mich umarmt.
"Danke, dir auch frohe Weihnachten" ,erwidere ich mit einem Strahlen, das der ganzen Weihnachtsdekoration in dem Haus fast schon Konkurrenz macht.
"Louis! Schön, dass du gekommen bist. Ich hatte etwas Angst, dass du nicht kommst. Oh, ehm, alles Gute und fröhliche Weihnachten" ,wünscht mir jetzt auch Harry, der mich ebenfalls umarmt. Seine Umarmung ist sanfter und er beugt sich zu mir herunter, damit ich mich nicht wie sonst immer so strecken muss. "Danke, frohe Weihnachten, Harry" ,wünsche ich auch ihm, bevor wir die Umarmung beenden. Anne nimmt mich sofort wieder in Beschlag und zieht mich zu dem Esstisch hin.
"Ich weiß, dass man normalerweise erst nach dem Essen die Bescherung macht, aber wir haben ein Geschenk, dass du einfach jetzt schon haben musst. Du bekommst ja sowieso zwei, weil du auch noch Geburtstag hast" ,meint sie fröhlich und drückt mich auf einen der vier Sitze, bevor sie mir ein Geschenk auf den Schoß legt.
"Oh ich wusste nicht - Ich habe gar nichts für euch dabei" ,nuschele ich beschämt, da das hier auch eher eine spontane Entscheidung war.
"Das ist doch nicht schlimm, du bist Geschenk genug und jetzt pack es aus" ,drängt Anne mich, was Robin zum Lachen bringt. Harry hat sich mittlerweile neben mich gesetzt und beobachtet mich mit einem glücklichen Grübchen-Lächeln.
Vorsicht packe ich das Geschenk aus und es kommt ein selbst gehäckelter Weihnachtspulli zum Vorschein.
"Das ist eine alte Styles-Tradition. Am Weihnachtsfest trägt jeder einen selbstgemachten Weihnachtspullover" ,erklärt Robin mir und verteilt zwei weitere an Anne und Harry, die sich ihre auch direkt überwerfen. Auch Robin zieht seinen an, weshalb ich es ebenfalls mache.
Lächelnd sehe ich in die Runde, als Robin schnell das Essen holt.
Anne hat sich mir gegenüber gesetzt und fängt ein Gespräch mit mir über meine Arbeit an. Enthusiastisch berichte ich ihr von all den lustigen Geschichten, die bisher auf der Arbeit passiert sind, die ich sonst niemandem erzählen konnte. Anne hört mir interessiert zu und auch Harry stellt mir ab und zu Fragen.
Das Essen schmeckt fantastisch und so viel wie heute habe ich schon lange nicht mehr gelacht.
"Soll ich dir mal etwas Schönes zeigen?" ,fragt Harry mich flüsternd, nachdem seine Mutter in die Küche gegangen ist, um den Nachtisch vorzubereiten. Harry ist etwas zu mir herübergebeugt und lächelt verschmitzt.
"Ehm, klar" ,antworte ich unsicher, da ich keine Ahnung habe, was er mir zeigen könnte.
Harry führt mich zu einer Tür, vor der er stehen bleibt. Er legt seinen Zeigefinger an seine Lippen, bevor er behutsam die Klinke herunterdrückt und leise die Tür öffnet. Er überlässt mir den Vortritt, doch sobald ich auch nur einen Schritt in das Zimmer gemacht habe, bleibe ich stehen.
Dort im Zimmer liegt eine Hündin auf dem Boden, umzingelt von Hundebabys, die winziger nicht sein könnten.
"Das ist Annabelle, unsere Hündin. Sie hat heute Morgen ihre Kinder auf die Welt gebracht. Sie sind noch ganz klein, du kannst ruhig näher heran" , flüstert Harry mir zu, der mittlerweile neben mir steht. Nur schwer kann ich meinen Blick von den Welpen lösen und sehe unsicher zu Harry.
"Nicht, dass sie mich als Bedrohung ansieht."
"Wenn du bei mir bist, ist alles gut" ,beruhigt Harry mich und hält mir auffordernd seine Hand hin. Vorsichtig ergreife ich diese und lasse mich näher zu den Welpen ziehen. Davor gehen wir in die Hocke und Harry begrüßt seinen Hund mit Streicheleinheiten, bevor er meine Hand nimmt und sie vor die Nase der Hündin hält. Sie schnuppert daran und legt gelassen ihren Kopf wieder hin. Sie scheint meine Anwesenheit nicht zu stören, weshalb Harry ganz vorsichtig einen der Welpen in die Hand nimmt.
"Möchtest du ihn mal halten?" ,fragt er mit gedämpfter Stimme. Benommen nicke ich und breite meine Handflächen aus, in die er das kleine Ding reinlegt.
Fasziniert betrachte ich es und sehe dem Baby dabei zu, wie es ganz friedlich vor sich hin atmet. Er hat schon ein bisschen Fell, das schwarz glänzt. Andächtig streiche ich vorsichtig mit meinem Zeigefinger über das kleine Köpfchen. Mein Herz schmilzt immer mehr, umso länger ich das kleine Bündel in meiner Hand ansehe.
"Wir suchen immer noch ein paar Besitzer für den Großteil der Welpen, wenn du einen haben möchtest, musst du es nur sagen" ,bietet Harry mir an, was mich beinahe zum Weinen bringt.
Eigentlich hatte ich nicht geplant, mir gleich einen neuen Hund zuzulegen, weil ich nicht das Gefühl haben wollte, Molly zu ersetzen, doch jetzt denke ich ernsthaft darüber nach. Die Welpen haben sogar am selben Tag Geburtstag wie Molly, wenn das kein Zeichen ist. Außerdem glaube ich sowieso nicht, dass ich den Welpen in meiner Hand jemals wieder abgeben kann.
"Ich würd' gern eins nehmen. Am liebsten den hier" ,flüstere ich so leise wie möglich, um ihm keine Angst zu machen. Er ist der Einzige mit schwarzem Fell, wie Molly.
"In dem Fall sollten wir unbedingt unsere Nummern austauschen, damit ich dich auf dem Laufenden halten kann, wann man ihn von der Mutter trennen kann. Und du solltest allgemein öfter hier vorbeischauen, damit der Welpe sich schon mal an dich gewöhnen kann. Oh und-"
"Wieso treffen wir uns nicht in ein paar Tagen in einem Café und besprechen dort alles Nötige? Ich lade dich auch ein" ,füge ich mit einem Schmunzeln hinzu und bin mir dabei vollends bewusst, dass sich das nach einem Date anhört. Harry scheint das auch zu bemerken, denn er wird ganz rot um die Nase, und fängt an zu stottern. "Ja, ehm, das klingt gut" ,sagt er schnell und unterbricht peinlich berührt unseren Augenkontakt.
Schmunzelnd betrachte ich sein Seitenprofil noch für einen Moment, bevor ich wieder zu dem kleinen Etwas in meiner Hand sehe. Eins steht fest, wenn es ein Männchen ist, wird er definitiv Clifford heißen. Und ich habe durch ihn und Molly jetzt schon mehr gelernt, als durch jeden gut gemeinten Rat, den ich bisher in meinem Leben erhalten habe.
Denn egal wie schrecklich das Ende eines Lebens sein mag, umso schöner und dankbarer sollte man sein, wenn man bei dem Anfang eines neuen dabei sein darf.
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