19. Dezember: Das Kaufhaus der Wunder

Nachtrag: Der One Shot ist von der lieben ConniKiss ! <3

Halli Hallo meine Lieben :) Heute haben wir erneut einen One Shot, bei dem der Name der Autorin irgendwie auf der Strecke geblieben ist. Deine Mail hatte irgendwas mit @mrskiss dabei, doch nicht deinen Namen... Bitte bitte schreib hier doch einen Kommentar, wenn der von dir ist!

Ansonsten, lasst ihr bitte trotzdem viele Kommentare und einen Vote da, dass hat sie wirklich verdient! Vor allem nach einem Blick auf die Anzahl der Wörter. Vielen Vielen Dank an dich, dass du dir so eine Mühe gegeben und dein Herzblut in diesen One Shot gesteckt hast. Er wird allen den Tag versüßen, da bin ich mir sehr sicher <3

Lots of Love

Michelle xx

Wörteranzahl: 8196





Die meisten Menschen glaubten, um ein Wunder zu erleben, musste man einen Kaninchenbau hinabfallen, durch einen Kleiderschrank stolpern oder von einem Wirbelsturm in einem Holzhaus davongetragen werden.

Dabei brauchte man weder sieben Berge und sieben Zwerge zu suchen noch auf Circes Insel zu stranden, um Zeuge echter Magie zu werden.

Denn gleich die Hauptstraße runter, am Rathaus links und dann in der dritten Kurve der Zaubergasse stand das Kaufhaus der Wunder - Zuhause der merkwürdigesten und phantastischsten Raritäten und Kostbarkeiten, die man sich nur vorstellen konnte.

***

Harry zog sich die dottergelbe, selbstgestrickte Bommelmütze weiter über die Ohren. Unter den dünnen Sohlen seiner Chelsea Boots konnte er jede Ecke und Kante des groben, unregelmäßigen Kopfsteinpflasters spüren, als er die menschenleere Häuserschlucht entlaghastete.

Eine weitere Böe eisiger Winterluft peitschte ihm ins Gesicht. Harry beschleunigte seine Schritte - das einzige Geräusch, das in der engen Gasse widerhallte. Nur noch ein paar Meter, dann hatte er es geschafft.

Als die fahlgelben Gesteinsblöcke unter seinen Füßen endlich silbrig glänzendem Asphalt wichen, atmete Harry erleichtert auf. Zu seiner Rechten schmiegte sich ein vier Stockwerke hoher Jugendstilbau in die Kurve der Zaubergasse, eingerahmt von einer seit Jahrzehnten geschlossenen Schneiderstube und einem heruntergekommenen Fachwerkhaus.

Aus zahlreichen großzügig geschnittenen Fenster blickte das Gebäude auf Harry herab und verbreitete den gleichen warmen Schein wie ein Kaminfeuer. Harry legte den Kopf in den Nacken und blickte die Fassade hinauf, an der steinerne Ranken erblühten.

Unwillkürlich beruhigte sich Harrys Atem und das Feenwesen konnte spüren, wie sich seine zum Schutz gegen die Kälte hochgezogenen Schultern entspannten, als ihn das vertraute Summen der Magie traf, mit der das Kaufhaus der Wunder förmlich zu vibrieren schien.

Nachdem die heute dunkelrot gestrichene massive Flügeltür vor ihm aufgeschwungen war und Harry unter dem imposanten Steinbogen eingetreten war, führte ihn sein Weg wie jeden Morgen als erstes über die hölzerne Wendeltreppe in den ersten Stock.

"Harry!" Eine blonde Gestalt unter einer zu großen Weihnachtsmütze winkte ihm von der Kaffeebar zu, die bereits passend mit jeder Menge Lametta und Tannenzweigen geschmückt war. Durfte er vorstellen: Niall, leidenschaftlicher Koch und Bäcker, blondiert, Halb-Kobold, König der Insider- Witze und Weihnachts-Enthusiast. Wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge.

"Wow, die Deko ist ja mega", staunte Harry und betrachtete mit großen Augen das in der Luft schwebende sanft blickende Lichtermeer, das die Holzdecke des Cafés in einen täuschend echten Nachthimmel verwandelte. Außerdem hingen unzählige golden glänzende Glöckchen in den Ecken, wiegten sich sanft in einem nur ihnen bekannten Rhythmus und untermalten die festliche, aber nicht weniger gemütliche Stimmung mit leisen Weihnachtsmelodien.

"Na, immerhin einer, der das so sieht", grummelte sein Gegenüber und leerte mit mehr Schwung als nötig den Kaffeesatz in den Mülleimer.

Oh oh. Bei Nialls gereizt nach unten gezogenen Mundwinkeln konnte Harry sich schon fast denken, wo dem Barista der Schuh drückte - auch ohne seine Feenkräfte anzuzapfen und Nialls Emotionen zu lesen.

Harry seufzte.

Wollte er eine weitere übermäßig emotionale Litanei über einen ihrer Kollegen im Kaufhaus über sich ergehen lassen? Lieber würde er sich einen Monat lang nur von missglückten Koch- Experimenten seiner Schwester Gemma ernähren.

Würde er trotzdem nachfragen, was seinem besten Freund auf den Magen drückte? Definitiv.

"Zayn?"

Niall schnaubte. "Wenn du nicht noch jemanden kennst, der hier wie die Personifikation einer Ein- Sterne-Bewertung deiner absoluten Lieblings-Serie rumschleicht und mit seiner schlechten Laune die Luft verpestet?"

"So schlimm?", fragte Harry vorsichtig. Um ehrlich zu sein, hatte er diese Feindschaft zwischen Niall und Zayn (oder was auch immer die beiden am Laufen hatten) noch nie so richtig verstanden.

Andererseits hatte er erst vor einem knappen Jahr im Kaufhaus der Wunder angefangen zu arbeiten und dieser Kleinkrieg lief nach Aussage sämtlicher Kollegen - ob menschlich oder übernatürlich - schon seit Nialls ersten Tagen als Hilfskraft, lange bevor er sich die Kaffeebar aufgebaut hatte.

Nur Liam, Leiter des Kaufhaus, Karmawesen und hoffnungsloser Optimist, schien immer noch daran zu glauben, dass sich die beiden irgendwann von allein zusammenraufen würden.

Nialls Gesichtsausdruck nach war es wahrscheinlicher, dass er Zayn einfach einen von Perries vielen Tränken ins Essen kippte, die die Hexe im Erdgeschoss verkaufte und einen für ein paar Stunden in einen Frosch verwandelten.

"Weißt du, was dieses Arschloch gesagt hat?", echauffierte sich Niall mit empört durch die Luft rudernden Armen. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er mit immer lauter werdender Stimme fort: "Er hat es Blödsinn genannt. Blödsinn! Das muss man sich erst mal vorstellen! Blödsinn, pah! Und das, nachdem ich extra eine Wochenendschicht eingelegt, um die ganze Dekoration - dieses absolute Kunstwerk, nebenbei - pünktlich zum ersten Dezember fertig zu bekommen. Blödsinn, ich fass es ja nicht! Er ist selber Blödsinn und trotzdem schmeißt ihn hier keiner raus. Ich mein, ich wusste ja, dass er ein Vollidiot allererster Klasse ist, aber-"

"Woher eigentlich?"

"Was?" Niall blickte ihn verwirrt an, durch die Störung sichtlich aus dem Konzept gebracht.

Harry lehnte sich gegen die Theke. "Na, woher weißt du, dass er ein Idiot ist?"

"Vollidiot allererster Klasse", korrigierte Niall, bevor für den Bruchteil einer Sekunde ein Ausdruck über sein sonst so fröhliches Gesicht huschte, den Harry nicht ganz deuten konnte.

Das war keine Wut, keine Kampfeslust, das war ... Verletzlichkeit?

Doch dann war der Moment vorbei und das Feuer in Nialls Augen glomm erneut auf, als hätte jemand darauf gepustet.

Nicht jemand. Harry. Harry war dumm genug gewesen, Nialls Wut mit einer unbedachten Frage neu zu schüren. Ganz toll.

"Hast du den Typen mal gesehen?" Und da kam die Tirade auch schon.

"Klar, ich versteh, dass es ein Scheiß-Job ist, alle bösen Menschen auf dieser Welt für ihr arschiges Verhalten zu bestrafen, während Liam rumrennen darf und die beschenkt, die besonders lieb und nett oder was auch immer sind. Wär ich auch sauer drüber." Niall zuckte mit den Schultern und eine Welle Genervtheit schlug in Harrys Magen auf. "Aber das ist doch keine Entschuldigung, sich selber so benehmen, oder? Es ist keine Entschuldigung dafür, andere runterzumachen, zu beleidigen, zu verarschen-"

Niall brach ab.

Obwohl Harry sich größte Mühe gab, Nialls Gefühle auszublenden, legte sich der unangenehme Geschmack fauler Zitronen auf seine Zunge. Das schmeckte nach tieferliegenden Problemen, Verdrängung und dringend nötiger Aussprache. (Im wahrsten Sinne des Wortes.)

Aber vor allem ging es Harry nichts an. Welche Geschichte Zayn und Niall auch immer teilten, es war nicht sein Recht, in ihren Gefühlen herumzuspionieren wie Gemma früher, wenn sie noch vor dem ersten Advent das ganze Haus auf der Suche nach ihren Weihnachtsgeschenken auf den Kopf gestellt hatte.

Deshalb schob er seine Fähigkeit die meiste Zeit des Tages in die hinterste Ecke seines Kopfes, schmiss eine Decke drüber und zog einen Stacheldrahtzaun außen herum.

Auch wenn es wehtat, einen so großen Teil von sich ständig zu verleugnen.

"Wie auch immer", begann Niall, die Hände verlegen in die Tasche seiner mit Schneeflocken bestickten "Kiss the cook"-Schürze vergraben. "Willst du dir ein paar Lebkuchen mit nach oben nehmen?"

***

Nach oben meinte das Kleidungsparadies im dritten Stock, das Harry inzwischen sein Eigen nennen durfte.

Trat man durch die Glastüren hindurch, in die filigrane Verzierungen geätzt worden waren, fand man sich von der Realität abgeschnitten in einer Explosion von Farben, Stoffen, Mustern und Schnitten wieder.

Jeder Quadratzentimeter der Ladenfläche war mit Kleiderstangen zugestellt, die sich unter dem Gewicht von dutzenden abgewetzten Leder- und Jeansjacken, seidigen feurig schimmernden Abendkleidern, zuckerwatte-bauschigen Pettycoats und paisley-gemusterten Rüschenblusenmonstern bogen.

An zwei der Wände krümmten sich platzsparende Holzregale gegen die blass beblumte Tapete der Decke, deren vor Jahrzehnten aufgetragener weißer Lack bei der kleinsten Berührung in Flöckchen zu Boden rieselte. Darin stapelten sich neongrüne Clutches neben schwarzen DocMartens, deren Schnürsenkel bereits zweimal den Motten zum Opfer gefallen waren, und Wildlederhandschuhen; voluminöse, butterweiche Loop-Schals, die vor ein paar Jahren so im Trend gewesen waren, neben

einer ganzen Sonnenbrillen-Armee und Schmuckkästchen aller Formen und Farben, die einer Auster gleich überraschende Schätze vor der Außenwelt verbargen: gefiederte Ohrringe, falsche Perlenketten und Lederarmbänder genauso wie echte Diamantstecker, mit farbigen Steinen besetzte, goldene Armreifen und genügend Silberringe, um das ganze Saarland zu verloben.

Harry schlängelte sich zwischen einem babyblauen, der Barock-Zeit nachempfundenen Ballkleid und einem Stapel kurzer, bunter Stoffhosen hindurch bis zur Kasse. Mit einer Hand schob er sich den letzten Rest seines Vanillekipferls in den Mund und stellte gleichzeitig vorsichtig seine bis zum Rand gefüllte Tasse heiße Schokolade auf der Glasplatte ab, die er Niall abgeluchst hatte.

"Auch schon da?"

Harry zuckte zusammen und unterdrückte einen Fluch, als die heiße Flüssigkeit über den dickwandigen Keramikrand schwappte und seinen Handrücken verbrühte.

Vor ihm schwebte ein rot getigerter Katzenkopf in der Luft - und grinste ihn an. Harry seufzte. "Dir auch einen guten Morgen, Cato."

"Was bist du denn jetzt so knatschig?" Catos Nase zuckte und seine - nein, ihre - sandbraunen Augen blitzten für Harrys Geschmack deutlich zu belustigt auf. "Konntest du deinen heißgeliebten Louis heute noch nicht anschmachten?"

Harrys Gesicht wurde heiß und er protestierte: "Er ist nicht mein heißgeliebter Louis-"

"Klar." Hätten Katzen Augenbrauen, würden Catos sicher bis zu ihren spitz zulaufenden Ohren wandern. Stattdessen wurde mit einem leisen Plopp der Rest ihres Körpers sichtbar und sie landete sicher auf sicheren Pfoten neben Harrys mit Sahne und Marschmallows garniertem Kakao. "Und du schmachtest natürlich auch nie, hab ich Recht?"

"Nein?"

Der Blick, mit dem Cato ihn bedachte, gab Harry deutlich zu verstehen, dass er sich seinen Blödsinn für jemanden Anderes aufheben sollte. "Darf ich dich dran erinnern, dass ich riechen kann, wie deine Pheromone ausgeschüttet werden, wenn Louis auch nur in deine Richtung atmet?"

Die Hitze kroch Harrys Hals hinab. Gut, vielleicht schmachte er Louis ein klitzekleines bisschen an, aber ehrlich - wer tat das nicht? Wenn doch sein Kollege, der sich seine Arbeitszeit zwischen dem Tattoostudio gegenüber und der Tiervermittlung im Erdgeschoss aufteilte, nicht nur unfassbar heiß war und einen mit nur einem Blick aus seinen unendlich tiefen blaugrauen Augen in seinen Bann zog, sondern außerdem das niedlichste Lachen auf der Welt hatte, das in Harry den Wunsch weckte, ihn in einen seiner Louis vermutlich zu großen Hoodies einzupacken und nie wieder loszulassen? Mal ganz abgesehen von seiner durchtrainierten, aber trotzdem kurvigen Figur, die ihm bei jeder Begegnung einen trockenen Mund verpasste.

Was jedes einzelne verdammte Mal dafür sorgte, dass Harry nur unverständliches Zeug vor sich hin brabbelte und dann die Flucht antrat. Selbst Cato, die in ihren unsichtbaren Zustand liebend gern ihre kleine hellrosa Nase in die Angelegenheiten anderer Menschen steckte, verschwand lieber, wenn Louis auf der Bildfläche erschien, als sich durch weitere zehn Minuten Fremdscham zu quälen.

"Da kommt er übrigens", unterbrach Cato Harrys hormonvernebelte Gedankengänge und putzte weiter seelenruhig ihre Vorderpfote. So als würde Harrys Gehirn nicht gerade komplett einfrieren. Frechheit.

Er wirbelte herum. Denn leider war er schon lange über das Stadium hinweg, in dem er wenigstens so tun konnte, als würde ihm Louis' Anwesenheit keine zittrigen Knie verpassen.

Nein, stattdessen drückte er sich fast an der Scheibe, die den Laden vom Rest des Kaufhaus trennte, die Nase platt und bewunderte Louis' heute besonders fluffig liegende haselnussbraune Haare, als er die Empore entlang zu seinem und Zayns Studio lief. Und erst die Rundung seines Hintern, die von der schwarzen Skinny Jeans besonders gut zur Geltung gebracht wurden ...

"Gott, du bist echt ein hoffnungsloser Fall", schnurrte Cato resigniert. Dann verpuffte ihre Gestalt mit einem weiteren Puff, nichts als langsam zu Boden segelnde Feuerfunken zurücklassend.

***

Auch die nächsten Tage verliefen nach diesem Muster: Harry betrat das Kaufhaus, erleichtert, der von Tag zu Tag klirrenderen Kälte zu entkommen. Dann würde er sich bei Niall mit heißer Schokolade, dem neuesten Tratsch und Klatsch unter den Mitarbeitern und gelegentlichen Beschwerden über Zayns neuestes Fehlverhalten versorgen, bevor er den Laden aufschloß und die neuesten Kreationen seiner guten Feen-Freundin Taylor auspackte und aufhängte.

Mal war es ein aus schönen Träumen gewebter Cardigan, mal ein mit Selbstbewusstsein veredelter Jumpsuit aus bester Seide oder eine Latzhose, die mit nie verwelkenden Lilien verziert war. Jedes ihrer Kunstwerke verkauften sich schneller, als Liam einem unglücklichen Kind ein kostenloses Spielzeug andrehen konnte.

Im Laufe jedes Vormittags würde sich Cato irgendwann aus der stets ein bisschen nach Mottenkugeln riechenden Luft materialisieren und Harry mit nutzlosen Vorschlägen nerven, was er in Bezug auf seinen Crush unternehmen könnte. (Zum Beispiel Louis einfach anzusprechen. Was für eine absurde Idee.)

Schließlich, wenn der Ansturm der verschiedensten Besucher des Kaufhaus der Wunder langsam abgeebbt war, nur um am nächsten Tag in gleicher Stärke zurückzufluten, schloss Harry den Laden ab und lief hinab ins Erdgeschoss.

Dort lag neben einer zugekramten Buchhandlung, Liams ganzem Stolz, die Tiervermittlung - eine Mischung aus Tierheim und Zoofachhandel.

Nach einem letzten Blick durch das jetzt dunkle, verlassene Kaufhaus schob Harry die Tür auf. Sofort stieg ihm der vertraute Geruch nach Heu, Fell und Fischfutter in die Nase, als er sich sich an Käfigen, Regalen und Aquarien vorbei seinen Weg ertastete.

Bis auf vereinzeltes Geruschel des einen oder anderen vor sich hin dösenden Tieres blieb die warme, leicht abgestandene Luft um ihn herum still.

Eine kalte Schnauze schnupperte gegen Harrys Handfläche.

Harry kreischte auf und stolperte rückwärts über seine Füße. Mit einem dumpfen Plumps knallte sein Hintern auf dem gefliesten Boden auf. Gott, er würde hier und jetzt sterben, nicht wahr? Welches Monster aus den neun Höllenkreisen auch immer entkommen war, es würde ihn in Stück reißen, bei lebendigem Leibe fressen oder wie auch immer Dämonen ihre Nahrung zu sich nahmen.

Und das so kurz vor Weihnachten? Panisch ging Harry im Kopf die letzten Tage durch auf der Suche nach welcher Missetat auch immer, die Karma veranlasst hatte, ihn ausgerechnet jetzt elendig unter die Erde zu bringen.

Oh Gott, was wenn Zayn mit Harrys Ableben beauftragt worden war? Niall würde ihn köpfen. Verdammt, war Harry ein schlechter Freund, wenn durch sein Versagen sein bester Freund zum Mörder wurde. Was -

"Harry?!"

Das war nicht Zayn.

"Was machst du hier?"

Nein, definitiv nicht Zayn. Viel schlimmer: Louis.

"Ähm ..." Harry schluckte gegen die plötzliche Trockenheit in seinem Mund an. "Nichts? Überhaupt: was machst du hier?"

"Ich arbeite hier?" Oh richtig.

Harrys Gesicht wurde heiß. Immerhin das konnte Louis jetzt nicht sehen - oder? Seine Augen huschten durch die Dunkelheit, doch in der Schwärze konnte er keine Konturen ausmachen. "Können wir vielleicht mal Licht anmachen?"

"Ähm ..." Klang Louis etwa nervös? "Das ist grade etwas ungünstig ..." "Was, warum?" Harry runzelte die Stirn.

Louis räusperte sich verlegen. Befriedigend zu wissen, dass Harry nicht als einziger mit einem trockenen Hals zu kämpfen hatte.

"Ich hab ... eventuell nichts an?"
Harry fing an zu husten. Das Wissen, dass Louis ein paar Meter entfernt von ihm nackt war ... okay,

jetzt hatte er auf einmal zu viel Spucke im Mund. Schließlich krächzte er hervor: "Bitte was?" "Hey, ich mach immer noch mal eine Runde hier durch, bevor ich gehe", verteidigte sich Louis

schnell. Der schwere Duft von überzuckertem Früchtetee schmeckte nach Verlegenheit.

"Nackt?" Ja, Harrys Gehirn hatte sich anscheinend an diesem Punkt aufgehängt. Konnte man es ihm verübeln?

"Natürlich nicht, du Dussel." Die Luft wurde klarer und Louis' Tonfall wechselte von peinlich berührt zu amüsiert. "In Tierform. Ich hatte ja keine Ahnung, dass hier noch jemand ist und ich mich zurückverwandeln muss."

"Oh." Das einzige, was Harry von einem Facepalm abhielt, war der Fakt, dass Louis das Geräusch definitiv hören würde. Und er wollte wirklich nicht riskieren, von seinem Schwarm für noch seltsamer gehalten zu werden als eh schon. "Wer-Luchs, richtig?"

"Luchs-Gestaltwandler", korrigierte Louis, "ich werde nicht vom Mond beeinflusst. Um zum Thema zurückzukommen: was machst du hier?"

Mist.

***

Fünf Minuten später fand sich Harry auf einem Hundekissen sitzend wieder, das kuscheliger war als sein eigenes Bett, und strich über seidenweiches, hellgraues Fell.

"Ich kann nicht glauben, dass du dieses Viech freiwillig so nah an dich ranlässt", kommentierte Louis skeptisch. Er war zum Umziehen in den Lagerraum verschwunden, während sich Harry unbeholfen wie Bambi auf Eis an der Wand entlang zum Lichtschalter getastet hatte.

Jetzt lehnte er neben einem Terrarium an der Wand, dessen Inhalt Harry lieber nicht genauer inspizierte. Immerhin wollte er in seinem Leben nochmal einschlafen können. Außerdem versuchte er auszublenden, wie eng sich Louis' Jogginghose an seinen Hintern schmiegte - nur ein weiteres Bild, das ihn nachts wachhalten würde.

Stattdessen kraulte er dem mittleren der drei Köpfe des Cerberuswelpen hinter den Ohren, der es sich auf seinem Schoß bequemgemacht hatte. "Was hast du denn? Elio ist doch total lieb und knuffig."

Louis schnaubte belustigt und verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein. "Zu dir vielleicht. Mich knurrt er jedes Mal an, wenn ich nur den Raum betrete."

Wie aufs Stichwort hob Elio den linken Knopf und bleckte die nadelspitzen Zähnchen, die orange- glühenden Augen stur auf den Gestaltwandler gerichtet.

"Siehst du?" Empört wedelte Louis seine Hand in Richtung des kleinen Höllenhundes, der versuchte, sich bedrohlich aufzuplustern. "Er ist absolut nicht lieb und knuffig! Ganz im Gegenteil, er ist durch und durch böse und verdient es auf keinen Fall, von dir so verwöhnt zu werden!"

"Klar." Harry hob skeptisch die Augenbrauen und deutete auf den rechten der Köpfe, der auf seinem Oberschenkel vor sich hin döste und hin und wieder einen kleinen, unglaublich süßen Schnarcher von sich gab. "Durch und durch böse - ich glaub ja auch."

"Hey, er sabbert dich voll", versuchte Louis seinen Punkt zu verteidigen. Als er Harrys unbeeindruckten Blick bemerkte, hob er abwehrend die Hände. "Okay, vielleicht nicht total böse ... aber ich trau dem kleinen Monster nicht. Er hat mal versucht, mich zu beißen, okay?"

Harry beugte sich zum kleinen Pelzknäul auf seinem Schoß herunter und flüsterte ihm zu: "Hör nicht auf den doofen Mann, Elio, du bist ein ganz Lieber, das weiß ich."

Louis ließ sich mit dem Rücken an der Wand herunterrutschen, bis er Harry gegenüber im Schneidersitz auf dem Boden saß. Nach einer Weile fragte er: "Warum adoptierst du ihn dann eigentlich nicht? So viele Interessenten gibt es nicht für dreiköpfige Höllenhunde und dich scheint er immerhin zu mögen."

Harrys Herz verkrampfte sich, als er die zusammengerollte Gestalt vor sich betrachtete. Elios kleine Pfoten zuckten gegen seine Wade und er hatte seinen Schwanz ordentlich um sich herum gelegt. Zu gerne würde er den Welpen mit zu sich nach Hause nehmen, aber ...

"Zu kleine Wohnung. Und außerdem arbeite ich den ganzen Tag hier, das wär nicht fair."
Louis nickte verständnisvoll. "Also besuchst du ihn lieber heimlich jeden Tag nach der Arbeit?"

"Hey, heimlich ist wohl zu viel gesagt", protestierte Harry beleidigt, "es ist nur sonst nie mehr jemand hier, dem ich Bescheid sagen könnte, okay?"

"Sure, Jan." Louis' Augen funkelten belustigt, als sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breitmachte wie Elio auf Harrys Schoß.

Und erst jetzt fiel Harry auf, dass er sich bereits über fünf Minuten mit Louis unterhalten hatte. Also so richtig, wie es ganz normale Leute machen, die sich nicht komplett dabei blamieren, wenn sie mit ihrem Crush reden.

Vielleicht waren Catos Vorschläge ja doch nicht so dumm gewesen. Hmm.

"Weißt du eigentlich, warum genau Niall und Zayn sich so gar nicht ausstehen können?", fragte Harry nach ein paar Momenten des Schweigens und fuhr weiter über Elios weiches Fell, das sich wie eine kleine Heizbatterie gegen seine Haut presste.

Louis sah überrascht auf. "Sag bloß, dir geht dieser Kleinkrieg genauso auf die Nerven wie mir?"

Harry verdrehte die Augen. "Wenn Zayn dir gegenüber auch jede Kleinigkeit zu einer zweistündigen Beschwerde auswalzt ... dann ja."

"Darauf kannst du wetten." Louis grinste Harry verschwörerisch an und sein Magen tat wieder dieses komische Ding. Dieses Hilfe-ich-übergebe-mich-gleich-aber-auf-gute-Art-Ding. So als würde er von einem fliegenden Drachen springen, aber trotzdem wissen, dass ein Kraftfeld ihn am Boden auffangen würde. (Und ja, das war anscheinend etwas, mit dem sich pubertierende Elfen ihre Freizeit vertrieben.)

Verdammt, er stand echt auf diesen Kerl, war das peinlich. Wenn jetzt als nächstes noch sein Herz schon mal für den Fall eines Infarkts anfing zu üben ... na dann gute Nacht.

Louis' Schulterzucken lenkte Harrys Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt. "Aber ich hab keine Ahnung, Zayn rückt mit keinen Details raus, egal wie oft ich versucht habe, ihn mit Schoko- Minz-Plätzchen zu bestechen."

Oh. Das dunkle Karma-Wesen, Rächer der zu Unrecht Geschädigten und Hüter der Gerechtigkeit, stand also auf ... Schoko-Minz-Plätzchen? Interessant.

"Falls es euch interessiert: die beiden hatten mal was miteinander", mischte sich eine gelangweilte Stimme hinter Harry in die Diskussion ein und ein paar vereinzelte Funken landeten auf Elios Fell.

"Cato, was hatten wir gesagt zum Belauschen fremder Unterhaltungen?", fragte Louis und warf dem Möchtegern-Phoenix in Katzenform einen strengen Blick zu.

"Unhöflich, nicht angemessen bla bla bla Missachtung der Privatsphäre bla bla bla", machte Cato den Gestaltwandler spöttisch nach. "Ich bin mir sicher, da war noch mehr, aber weiter hab ich nicht zugehört."

Louis seufzte. "Du bist echt ein hoffnungsloser Fall."

Die Katze sprang auf seinen Schoss, wischte ihm die flauschige weiße Schwanzspitze durchs Gesicht und murrte leise: "Sagt grade der Richtige."

"Halt die Klappe". Louis' Ohrenspitzen wurden rot.
Harry starrte die beiden nur verwirrt an. "Zayn und Niall hatten mal was miteinander?"

Cato tapste ein paar Mal auf Louis' überkreuzten Beinen hin und her, bis sie die perfekte Position gefunden hatte, um sich niederzulassen. Nach ein paar Sekunden stieß sie Louis ihren Kopf gegen die Brust. "Hey, wo bleibt meine Massage?"

Als Louis tatsächlich mit einem Seufzen und einem süßen Lächeln ihrem Wunsch nachkam, fuhr sie fort: "In Nialls erster Woche hier. Die beiden haben ein paar Mal rumgemacht, einmal sogar oben im Tattoostudio. Falls es euch interessiert, Niall ist anscheinend echt talentiert, wenn es um Blowjobs geht, und Zayns -"

"Zu viele Informationen", fiel Harry ihr hastig ins Wort. Er wollte sich seinen besten Freund jetzt wirklich nicht beim Sex vorstellen.

"Schisser", schnurrte Cato.

"Aber woher kommt dann dieser gegenseitige Hass auf einmal?", fragte Louis und zog verwirrt die Nase kraus. Harrys Herz setzte einen Schlag aus. Wie knuffig.

"Keine Ahnung." Cato gähnte und zeigte ihre spitzen Reißzähne. "Aber ich kann euch versichern, dass es nicht daran liegt, dass die gegenseitige Anziehung verschwunden wäre. Ganz im Gegenteil, bei der sexuellen Spannung stehen sie jedes Mal kurz davor, sich gegen die Wand zu-"

"Danke, wir haben's kapiert", warf Louis schnell ein.

"Schisser", wiederholte Cato und streckte sich, ohne auf Louis' gejaultes "Autsch!" zu achten, als sich ihre Krallen in seinen Oberschenkel bohrten. "Wie auch immer, mir reichen die Pyjamaparty- Vibes für einen Tag. Bye, Loser."

Damit ging ihr Schwanz in Flammen auf, die sich über ihr Fell fraßen, bis der ganze Katzenkörper brannte. Cato blickte Harry mit starren Blick in die Augen, während ihre Beine nach und nach zu Rauch wurden und davonwehten. Ein letztes Zwinkern, dann war sie verschwunden.

"Dramaqueen", murmelte Harry grinsend. Elios rechter Kopf rutschte ein Stück auf seinem Oberschenkel herum, die anderen beiden Köpfchen legten sich dazu. Harry strich behutsam über die Schlappohren des linken Kopfs, der sich halb unter die anderen beiden gequetscht hatte. Harrys Hand sah so groß daneben aus, am liebsten hätte er Elio einfach in die Bauchtasche seines Hoodies gesteckt und nicht mehr hergegeben.

"Meinst du, wir sollten was unternehmen?"

"Hmm?" Harry blickte auf. Louis hatte die Beine angezogen und das Kinn auf den Knien abgelegt. Gemein, so sah er noch kleiner und niedlicher aus als sonst. Jetzt wollte er Louis gleich neben Elio einpacken und nicht mehr loslassen.

"Wegen Niall und Zayn. Wenn die beiden immer noch was füreinander empfinden, sollten wir dann nicht eingreifen?" Louis legte den Kopf schief. "Wir wissen beide, dass sie viel zu stur sind, um von allein aufeinander zuzugehen. Und lange mach ich diesen Kindergarten-Kram nicht mehr mit."

Harry ließ seinen Blick nachdenklich durch den Raum schweifen. Er war sich ziemlich sicher, dass Niall ihm die Freundschaft kündigen würde, wenn er vorschlagen würde, sich mit Zayn auszusprechen. Auf der anderen Seite hatte Louis Recht: diese Feindschaft ging ihm langsam, aber sicher auf die Nerven - besonders wenn sie anscheinend nur schlecht getarnte sexuelle Spannung war.

Sein Blick traf Louis' Augen, in deren blauen Tiefen der Schalk funkelte. "Hast du eine Idee?" ***

Harry hatte sich gerade seinen täglichen heißen Kakao bei Niall geholt, als Liams panische Stimme durch die selten benutzte Lautsprecheranlage des Kaufhaus schallte: "Welcher Volltrottel hat hier bitte überall Misteln aufgehängt?!"

Niall runzelte verwirrt die Stirn, die heute nicht unter einer Weihnachtsmütze begraben war. Stattdessen krönte ein Haarreif mit Rentiergeweih seinen blonden Haarschopf, an deren Seiten zwei spitze Ohren hervorragten.

Harry versteckte sein Grinsen hinter der mit Geschenkpaketen bemalten Kakaotasse. Louis und er hatten zwar nur die ganze Nacht gebraucht, um in jeder Ecke, unter jedem Torbogen und zur Sicherheit sogar an den Regalen im Tattoostudio Mistelzweige anzubringen, aber hey - was tat man nicht alles, um seinem besten Freund endlich zu einem festen Freund zu verhelfen?

Der Lautsprecher knackte und erneut ertönte Liam: "Für den Fall, dass es noch nicht alle wissen - Jade ist allergisch gegen Misteln. Ich weiß, ihr wolltet alle noch eure Frühstückspause genießen, bevor das Kaufhaus öffnet, aber daraus wird leider nichts. Wir müssen alles wieder abhängen, bedankt euch nicht bei mir."

Oh Shit. Harry rutschte das Lächeln aus dem Gesicht.

"So ein Mist", beschwerte sich Niall mit finsterem Gesicht und stiefelte verärgert hinter der Theke vor. Vor sich hin schimpfend krabbelte er auf einen der Barhocker und begann, Louis' und Harrys harte Arbeit von der Decke zu entfernen. "Ich wette, es war Zayn. Sieht dem Arsch ähnlich, erst meine Deko beleidigen und dann seine eigene, angeblich so viel coolere aufhängen. Idiot. Wahrscheinlich wollte er nur eine Ausrede haben, um mit Perrie rummachen zu können. Die beiden haben in letzter Zeit ja so sehr die Köpfe zusammengesteckt, als wären sie siamesische Zwillinge. Pah, nutzt der einfach den Geist der Weihnacht aus für ein paar Blowjobs, der Depp - und ich muss früher mit der Arbeit anfangen, nur um seinen Blödsinn wieder aufzuräumen, ich glaubs ja auch ..."

So viel dazu, Zayn und Niall endlich zusammenzubringen. Harrys Herz rutschte ihm in die Hose. Besser hätte ihr Plan ja gar nicht nach hinten losgehen können.

***

"Ich hab einen Plan", verkündete Louis am nächsten Abend, als er es sich Harry und Elio gegenüber auf einem der Stühle an der Kaffeebar bequemgemacht hatte. Um sie herum schien das Kaufhaus bereits in einen Dornröschenschlaf versunken zu sein.

"Weil dein Plan ja beim letzten Mal so gut funktioniert hat?", fragte Harry mit hochgezogenen Augenbrauen vom Boden aus, während Elio zwischen den Stühlen und Tischen auf der Jagd nach Staubmäusen umherwuselte.

"Das war einmal", protestierte Louis mit roten Ohren. Harry wieß ihn besser nicht darauf hin, dass das auch sein einziger Plan gewesen war. "Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass es diesmal funktioniert, ehrlich."

Louis strahlte ihn begeistert an und hibbelte aufgeregt auf seinem Stuhl herum - und ehrlich, Harry konnte einfach nicht Nein sagen.

Er seufzte. "Hau raus, was ist deine geniale Idee?"

"Gut, dass du fragst." Louis grinste zufrieden und fuhr sich durch die ihm ins Gesicht fallenden Haare. "Bereit?"

Harry nickte.
"Ich hör nichts." Okay, Louis hatte eindeutig zu viel Spaß. Harry räusperte sich. "Bereit, wenn du es bist."

Louis' Augen wurden groß. "Du hast nicht gerade - Harry Styles, du kannst doch nicht einfach Gwen und Gideon ihren Spruch klauen! Das petz ich den beiden, wenn sie das nächste Mal vorbeikommen, um Xemerius endlich eine Katze zu kaufen!"

"Bitte nicht", bettelte Harry. Xemerius wurde es nur Cato petzen und Cato würde ihn monatelang nicht mehr damit in Ruhe lassen. Er ließ sich dramatisch vorwärts auf den Boden fallen und blickte aus flehentlich aufgerissenen Augen zu Louis hoch. "Was soll ich machen, um dich umzustimmen? Egal was, komm schon, du kannst mich doch nicht einfach so verpfeifen. Ich mach alles, was du willst!"

"Äh ..." Louis schluckte hörbar.

Plötzlich wurde Harry seine Position bewusst - und er erstarrte.

Er hatte sich praktisch vor seinem Crush auf die Knie geschmissen und ihm angeboten, "alles, was du willst" mit ihm zu machen. Ihm wurde heiß und kalt gleichzeitig. Das war ja noch schlimmer als das eine Mal, als er versucht hatte, einen Werwolf aus London anzuflirten, der mit seinem Freund unterwegs gewesen war. Verdammt, konnte Karma ihn jetzt bitte erschießen? Danke. Hoffentlich würde Niall ihn vermissen.

Louis starrte ihn von seinem Hocker aus an, der Latte Macchiatto in seiner Hand schwebte längst vergessen in der Luft.

Ein kleiner Teil von Harry fragte sich, ob der blasse Ton, den Louis' Gesicht angenommen hatte, gesund war. Der deutlich größere Rest war schon vor Peinlichkeit gestorben.

"Äh ...", wiederholte Louis. "Äh ..."

Was war er - eine hängengebliebene Schallplatte? Harry war derjenige, der sich gerade zu Tode blamiert hatte, nicht er! Louis hatte kein Recht, ihn so anzustarren, als hätte Harry mit seiner blamablen Aktion seine Festplatte zum Schmelzen gebracht.

Obwohl sein Rücken knackend protestierte, richtete sich Harry auf. Er räusperte sich. "Also ... dein Plan?"

Louis blinzelte. "Mein Plan ..." Harry wartete.

Louis stellte endlich seine Tasse wieder auf den Tresen und fuhr sich erneut mit fahrigen Fingern durch die Haare. Es war wirklich nicht fair, dass er immer noch so gut aussah, obwohl seine wuscheligen Strähnen jetzt nach allen Richtungen vom Kopf abstanden, als hätte er mit beiden Händen in eine Steckdose gefasst.

"Richtig. Mein Plan." Er nickte, wie um sich selbst Mut zuzusprechen. "Wir sperren die beiden einfach zusammen in irgendeine Besenkammer."

"Genau. Weil wir ja auch wollen, dass sich gegenseitig die Köpfe einschlagen anstatt miteinander rumzumachen." Harrys Stimme brachte seine Skepsis deutlich zum Ausdruck.

"Hey, vom Köpfeeinschlagen bis zu Rummachen braucht es weniger, als du glaubst. Solange die beiden nicht wegkönnen, wird die Spannung zwischen ihnen irgendwann zu viel werden und dann - Boom", erklärte Louis.

"Boom", wiederholte Harry verständnislos.
"Ja, Boom."
Louis war ganz offensichtlich nicht dafür gemacht, Pläne zu schmieden.

"Das wird nicht funktionieren. Vertrau mir, selbst wenn das klappen sollte, spätestens wenn sie wieder raus sind aus, geht das Gezicke von vorne los." Harry biss sich auf die Unterlippe. "Ich mein, hat das schon irgenwann mal funktioniert? Außerhalb von kitschigen Filmen, mein ich."

Louis sah zwar in seine Richtung, aber bei dem abwesenden Ausdruck in seinen Augen war sich Harry ziemlich sicher, dass er kein Wort von seiner Kritik gehört hatte.

"Louis?"

"Was?" Louis blinzelte. "Mein Plan ist gut, sag ich doch."

Harry verdrehte die Augen. "Ist er nicht."

"Gut, vermutlich nicht." Louis versuchte sich an einem Schmollen. "Ziehen wir ihn trotzdem durch?"

***

Natürlich zogen sie Louis' Plan durch. Als Termin hatten sie sich auf den Samstag des dritten Advents geeignet, nachdem Harry angemerkt hatte, dass sie sowohl einen Tag finden mussten, an dem Niall und Zayn im Kaufhaus der Wunder waren als auch keine Termine hatten, bei denen man sie vermissen würde.

"Weinst du?", fragte Cato, als er sich am Vormittag - heute thematisch passend begleitet vom Geruch nach Glühwein und Zimt - neben Harry auf der Verkaufstheke seines Ladens materialisierte.

"Nein", log das Feenwesen und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Cato starrte ihn unbeeindruckt aus waldmeistergrünen Augen an.

"Okay, vielleicht", gab Harry zu. "Erinnerst du dich an den frisch verwandelten Vampir, der in den letzten paar Tagen immer wieder hergekommen ist, ohne was zu kaufen?"

Cato legte den Kopf schief. "Ja?"
"Tja, heute hat er was gekauft", erwiderte Harry leise und spürte Stolz in seiner Brust erblühen.

Auch wenn sich der gerade mal erwachsen gewordene Junge, der nun äußerlich nie mehr ältern würde, jede Mühe gegeben hatte, es zu verbergen, waren Harry und Cato sehr wohl die sehnsüchtigen Blicke aufgefallen, die der junge Vampir immer wieder in eine Ecke geworfen hatte -

nur um sich danach beschämt abzuwenden und nach ein paar weiteren Minuten den Laden zu verlassen.

Als ihn Harry heute angesprochen hatte, wäre der Arme fast umgekippt.

Aber die Art, wie sein immer noch zu blasses Gesicht aufgeleuchtet war, als der blonde Vampir schüchtern im bodenlangen, efeugrünen Abendkleid vor den Spiegel getreten war, das er so auf dem Bügel bewundert hatte, war es wert gewesen.

Wie behutsam er über die aufgestickten Perlen gestrichen hatte und mit großen Augen die nackten Schultern seines Spiegelbilds bewundert hatte, ließ erneut Tränen der Rührung in Harrys Augen steigen.

Cato stieß seinen pelzigen Kopf gegen Harrys Oberarm. "Du bist echt zu sentimental für diese Welt."

"Ich weiß", schniefte Harry.

"Da kommt übrigens dein heißgeliebter Louis", schnurrte Cato Harry ins Ohr.

"Er ist nicht mein-"

Cato verpuffte.

Harry seufzte. Warum diskutierte er eigentlich noch mit dieser Katze?

Die Ladentür öffnete sich. Louis, heute in Nirvana-Shirt, Vans und schwarzer Skinny Jeans, sah sich mit großen Augen um. "Wow, das sind ... viele Klamotten. Jetzt fühl ich mich underdressed."

Harry konnte ihn nur anstarren. Gemäß jeder Logik hätte Louis' Skaterboy-Outfit so perfekt nicht in dieses Gewirr von unterschiedlichsten Kleidungstilen und -ären passen dürfen ... aber irgendwie tat er das. Louis passte viel zu gut hierher. Harry musste sich daran erinnern, dass Louis nur hier war, um ihren Plan umzusetzen. Und nicht, um ihn zu besuchen, als wären sie zusammen, und ihm Sandwiches für die Mittagspause vorbeizubringen.

"Wollen wir los?", fragte er schnell. ***

"Also, das Schloss hier hab ich von Jade", erklärte Louis und hielt ein bronzenes, klobiges Vorhängeschloss hoch, um das sich metallene Dornenranken zogen. Inzwischen standen sie auf der anderen Seites des dritten Stocks im Tattoostudio, in dessen Lagerraum sie Niall und Zayn in ein paar Minuten einsperren wollten.

"Das Ding hat kein Schlüsselloch?", fragte Harry verwirrt, nachdem er die Mechanik für einen Augenblick inspiziert hatte.

"Nope. Jade meinte, es geht von allein zu, und zum Öffnen reicht es, den Schlüssel in die Nähe zu halten", erklärte Louis und ließ das Schloss zuschnappen. Als er den ähnlich verschnörkelten, aber rostigeren Schlüssel davor hielt, sprang der Bügel wieder auf. "Siehst du?"

Harry nickte und deutete auf die schlichte, weiß gestrichene Holztür neben der linken der beiden Tattooliegen. "Also da sollen die beiden rein, ja?"

"Jup." Louis legte den Schlüssel auf der Liege ab und öffnete die Tür. Zum Vorschein kam eine kleine Kammer, in die zwei Menschen gerade so hereinpassen würden, ohne sich gegenseitig zu zerquetschen.

Harry trat in den engen Raum hinein und musterte die mit Tinte, verpackten Nadeln und Desinfektionsmittel vollgepackten Regale, während Louis Jades Schloss an der Tür befestigte. Okay, vielleicht - ganz vielleicht - würde diese grandiose Idee ja doch nicht komplett den Bach runtergehen.

"Okay, wir sollten gehen, Niall und Zayn müssten gleich ..." Harry drehte den Kopf. Jedes weitere Wort blieb ihm im Hals stecken.

Louis war hinter ihn getreten und ... verdammt, Harrys Gehirn würde hier und jetzt aussetzen, vernebelt von Louis' Aftershave, das ihm in die Nase stieg. Mal ganz zu schweigen davon, dass Louis sich nur ein paar Millimeter nach vorn lehnen müsste, um mit seinem Oberkörper Harrys Rücken zu berühren. Heilige Scheiße, wie atmete man noch mal? Harrys Hände zitterten, sämtliche Konzentration auf die Wärme gerichtet, die der Körper hinter ihm abstrahlte.

Jap, gleich würde er umkippen. Und dann müsste Louis ihn wachküssen, wie in Dornröschen, und sie würden glücklich zusammen bis ans Ende ihrer Tage-

"Darf ich mal?" Eine Hand griff an Harry vorbei und nahm eine Flasche Desinfektionsmittel von Regalbrett vor ihm. "Unsere Flasche draußen ist fast alle. Dann lass uns mal ..."

Louis brach ab. "Äh ..."

Auf immernoch wackeligen Knien drehte sich Harry um. Louis' kaum beleuchtetes Gesicht befand sich nur eine Handbreit von seinem eigenen entfernt. Seine Lippen begannen zu kribbeln, die Versuchung sich ein paar Zentimeter nach vorn zu lehnen, plötzlich zum Greifen nah. Harry schluckte. Heilige Scheiße.

Sekunde. Kaum beleuchtet?

Die Erkenntnis weckte Harry gleich einem Kübel eiskaltem Wasser aus seiner Trance. Sein Blick schnellte zur Tür.

Zur geschlossenen Tür.

Nein. Absolut nicht. Das durfte doch nicht ...

"Louis?", fragte Harry schwach. "Warum ist die Tür zu?"

Bitte nicht. Dafür gab es bestimmt eine andere Erklärung als die, dass Louis sie aus Versehen eingeschlossen hatte. Bitte.

"Äh ...", wiederholte Louis. "Gute Frage?"
Harry schloss die Augen. Perfekt. Einfach perfekt.
"Hast du den Schlüssel?"
Harrys Bauchgefühl sprach zwar eine eindeutige Sprache, aber vielleicht, nur vielleicht - "Äh ..."
Oh verdammt.

"Der liegt eventuell noch draußen ..." Wenigstens klang Louis angemessen kleinlaut. Harry seufzte. "Wir sitzen also hier fest?"
"Ja?"
Harry seufzte nochmal. "Und jetzt?"

"Warten wir, bis jemand uns findet?"

Großartig. Dieser Plan wurde ja besser und besser.

Was sollte Harry denn machen, bis irgendjemand sie wieder rauslassen würde? Außer versuchen, Louis nicht seine unsterbliche Liebe zu gestehen?

War dieser Raum eigentlich schon immer so klein gewesen? Oder nahm Louis für seine Größe unverhältnismäßig viel Platz ein?

Harry lehnte sich mit dem Rücken gegen eins der Regale. Immerhin zwei Zentimeter mehr zwischen seinen und Louis' Lippen, ein wichtiger Sieg im Krieg gegen den Instinkt, etwas unglaublich Dummes zu tun.

"Hörst du das?" Louis' Finger traf ihn an der Schulter. "Da kommt jemand."

Harry beugte sich in Richtung der Tür. Schmerz explodierte an seiner Schläfe, als er mit Louis' Kopf kollidierte. "Autsch! Verflucht, pass doch auf."

"Sorry", flüsterte Louis zurück.

Schritte erklangen auf der anderen Seite der Tür und ja, jetzt würde Harry vermutlich den letzten Rest seiner Würde opfern und wie ein Dreijähriger gegen das Türblatt trommeln, aber -

"Gott, was machst du bitte hier?", drang Nialls genervte Stimme durch das Holz. "Entschuldige, dass ich hier arbeite", pampte Zayn zurück.

Harrys Magen verkrampfte sich unangenehm. Manchmal nervte es wirklich, immer das Richtige zu tun, aber das hier war sein bester Freund. Er lehnte sich in die Richtung, in der er Louis vermutete, und wisperte: "Die beiden dürfen uns nicht rauslassen."

"Was? Warum?"

Harry biss sich auf die Unterlippe. "Weil sie gerade miteinander reden und die ganz, ganz kleine Chance besteht, dass sie sich tatsächlich auch gegenseitig zuhören."

"Oh", antwortete Louis verhalten. "Von mir aus."

Harry runzelte verwirrt die Stirn. Was war das denn? Es war doch Louis' Idee gewesen, Niall und Zayn zu einer Aussprache zu bringen. Warum klang er dann auf einmal so ... enttäuscht?

"Wie auch immer, hast du Harry gesehen?" Nialls Stimme riss ihn aus seinen Louis-zentrierten Überlegungen.

"Warum sollte ich Harry gesehen haben?"
"Keine Ahnung ... vielleicht weil du hier arbeitest?"

Zayn stöhnte genervt auf. "Oh mein Gott, musst du einem eigentlich immer das Wort im Mund umdrehen?"

"Wär es dir lieber, ich dreh dir den Hals um?" Oh oh. Das ging ja mal so was von schief.

"Tja, eigentlich wär es mir lieber, du würdest mich einfach in Ruhe lassen, aber anscheinend geht das ja nicht, so krankhaft wie du auf mich fixiert bist."

"Wie bitte?" Niall schnappte empört nach Luft. "Ich? Ich bin hier krankhaft fixiert? Wer hat mich denn seit meinem ersten Tag hier nicht in Ruhe gelassen? Greif dir lieber mal an die eigene Nase, du Idiot."

"Was soll der Mist?", redete Zayn sich in Rage. "Ich soll dich nicht in Ruhe gelassen haben? Entschuldige, aber wer hat mir denn nach gerademal einer Woche seine Zunge in den Hals gesteckt und mich angebettelt, dass ich ihm einen runterhole, hmm?"

Etwas klatschte. Harry zuckte zusammen.

"Hast du ... hast du mich gerade geschlagen?!", fragte Zayn ungläubig. "Sag mal, spinnst du jetzt komplett?"

"Ach komm, jetzt tu nicht so, als würdest du nicht drauf stehen", spöttelte Niall. "Zu viele Informationen", murmelte Louis leise.

Harry konnte ihm nur im Stillen zustimmen. Aber leider war es zu spät, die Lawine der gegenseitigen Vorwürfe und Anschuldigungen war bereits losgetreten und alles, was Harry übrig bleib, war zu hoffen, dass Niall und Zayn die Kollision überleben würden.

"Okay, was zum Teufel ist dein verdammtes Problem, Niall?"

"Was mein Problem ist? Ist das dein Ernst?" Niall lachte freudlos auf. "Du bist mein verschissenes Problem!"

"Ich? Ich hab dir nie was getan!", schnaubte Zayn. "Außer vielleicht dir ein paar Orgasmen zu verschaffen, aber wenn ich mich richtig erinner, hast du dich darüber nie beschwert, ganz im Gegenteil, du hast ja gar nicht genug bekommen."

Harry atmete tief durch. Definitiv zu viele Informationen.

"Okay, klar, soll ich dir jetzt auch noch dafür danken oder was? Ist ja nicht so, als hättest du das nicht für deine eigene Genugtuung gemacht, du Arsch."

"Klar. Ich hab dir einen geblasen, um mich selbst zu befriedigen." Zayns Tonfall zweifelte eindeutig Nialls geistige Gesundheit an. "In welcher Parallelwelt lebst du eigentlich?"

"Oh, hör doch endlich auf. Wir wissen beide, warum du mit mir rumgemacht hast!" Nialls Stimme wurde schrill.

"Okay, dann klär mich auf. Was war mein ultra-geheimer Plan, wegen dem ich unbedingt ausgerechnet mit dir schlafen musste?" Spott tröpfelte von Zayns Ton.

"Du hast mich verarscht!" Stille.

"Oh oh", wisperte Louis unbehaglich.
"Was?", fragte Zayn verblüfft. "Wie kommst du denn auf den Blödsinn?"

"Wie nennst du es denn sonst, mit jemandem rumzumachen und ihm Hoffnungen zu machen, wenn man in einer festen Beziehung ist?", konterte Niall kalt.

Oh Scheiße.

"Es ist keine Entschuldigung dafür, andere runterzumachen, zu beleidigen, zu verarschen", klang Nialls Stimme in Harrys Ohren nach. Und in ihm stieg das ungute Gefühl auf, einen wahnsinnig großen Fehler gemacht zu haben. Das hier würde nicht mit einer Versöhnung enden, dämmerte ihm.

"Wovon zur Hölle redest du da bitte?" Zayn klang nun komplett verwirrt. "Welche feste Beziehung-"

Niall schnaubte auf. "Für wie dumm hälst du mich denn bitte? Ich rede von Liam. Klingelt da was? Helles Karmawesen, leitet das Kaufhaus hier, ist dein Partner?"

Für einen Moment schwieg Zayn überrumpelt, dann platzte es aus ihm heraus: "Gott, Niall, manchmal bist du echt bescheuert."

"Oh Mann, diese Vollidioten", wisperte Louis belustigt, sein warmer Atem plötzlich ganz nah an Harrys Ohr. Die Härchen auf Harrys Arm stellten sich auf und er musste sich daran erinnern, weiterzuatmen.

"Ich bin bitte was?", rief Niall empört auf der anderen Seite der Tür, "Nur weil ich dir Wahrheit ausspreche oder-"

"Liam und ich waren nie zusammen", fiel Zayn ihm ins Wort.

"Jap, Vollidioten", wiederholte Louis und schickte erneut eine Gänsehaut über Harrys ganzen Körper.

"Liam und ich sind Partner, das ja", fuhr Zayn stur fort, als Niall ihm ins Wort fallen wollte, "aber das heißt nicht, dass wir uns jemals auch nur geküsst haben. Verdammt, wir arbeiten zusammen, Niall. So wie alle dunklen, bestrafenden Karmawesen mit einem hellen, belohnenden Karmawesen zusammenarbeiten. Und ja, ich weiß, dass es nicht unüblich ist, dass diese Partnerschaft auch romantisch wird, aber nicht bei uns. Ganz abgesehen davon, dass Liam aromantisch ist, natürlich."

Schweigen.

Vorsichtige Hoffnung stieg in Harry auf. Jetzt, wo das Missverständnis aus dem Weg geräumt war, würden Niall und Zayn ja vielleicht wieder anfangen miteinander zu reden, ihre Probleme aufzuarbeiten und aus dem Weg zu -

Krachend knallte ein schwerer Körper gegen die Tür. Harry zuckte zurück. "Was ..."

"Tja, das ist dann wohl der Versöhnungssex", kommentierte Louis trocken das leise Stöhnen, das durch die Tür drang.

"Wie bitte?", zischte Harry fassungslos zurück. "Ich werd mir garantiert nicht das Rumgemache der beiden anhören, die sollen uns gefälligst hier raus-"

Die restlichen Worte wurden von Louis' Hand erstickt, die sich plötzlich über seine Lippen legte. Harry erstarrte.

"Jetzt lass ihnen doch wenigstens ein bisschen Spaß", schnurrte ihm Louis' butterweiche Stimme ins Ohr. Harry schluckte. In diesem Moment und mit dieser Stimme könnte Louis auch von ihm verlangen, nie wieder etwas zu essen, und Harry würde glücklich verhungern.

"Oh mein Gott!", drang eine neue Stimme durch die Tür. "Zieht euch sofort was an!"

Anscheinend war Liam in den Versöhnungssex hereingeplatzt, der offenbar schon ziemlich fortgeschritten war, gemessen an seinem verstörten Tonfall.

Neben Harry begann Louis leise zu kichern. Er wollte ja wirklich nicht dramatisch klingen oder so, aber wenn das nicht das himmlischste Geräusch war, das er je in seinem Leben gehört hatte ...

Plötzlich war Harry sehr froh, dass kein anderes Feenwesen in der Nähe war, das sich beim Lesen seiner übermäßig kitschigen Gefühle sicher übergeben würde.

"Nur damit ihr es wisst: dieses Bild werd ich nie wieder aus dem Kopf bekommen", beschwerte sich Liam bei den frisch versöhnten Turteltauben. "Und so sehr ich mich auch freue, dass ihr euch endlich ausgesprochen habt: darf ich euch bitte erinnern, dass ihr immer noch auf der Arbeit seid? Schlimm genug, dass ich Louis und Harry nirgendwo finden kann."

"Tja, wenn du nicht riskieren willst, noch mehr traumatisiert zu werden, solltest du die beiden lieber nicht suchen gehen", kommentierte Zayn selbstzufrieden.

Louis' Hand vor Harrys Mund verkrampfte sich.
"Echt jetzt?", fragte Liam verdutzt nach. "Louis und Harry?" Niall lachte auf. "Oh Mann, Liam, das weiß doch wirklich jeder."

Oh verdammt. Harrys Hände fingen an zu zittern. War er echt so wenig diskret gewesen, dass das gesamte Belegschaft des Kaufhauses seinen Crush mitbekommen hatte? Gott, musste das jetzt unangenehm für Louis sein ...

Schritte verklangen auf der anderen Seite der Tür und er war allein. Eingesperrt in einer winzigen Kammer mit seinem Schwarm, der jetzt offiziell von seinen Gefühlen wusste. Und der Schlüssel lag immer noch draußen außerhalb ihrer Reichweite. Super.

"Tja, ähm ..." Louis lachte nervös auf und schneller, als Harry blinzeln konnte, war seine Hand aus Harrys Gesicht verschwunden. Enttäuschung brannte in seinem Magen auf. "Ich würde sagen, das war ein Erfolg ... oder?"

"Klar", brachte Harry mit belegter Stimme heraus.

Unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus wie ein immer weiter aufgeblasener Luftballon, der sich mehr und mehr spannte, bis er schließlich mit einem gewaltigen, zerstörerischem Peng zerplatzte.

"Hör zu, es tut mir leid, okay?", platzte es plötzlich aus Louis heraus, "Dass ich uns hier aus Versehen eingesperrt hab und wir jetzt warten müssen, bis uns irgendjemand findet - was bestimmt dauern kann, wenn Liam überall rumerzählt, dass wir in irgendeiner Ecke rummachen, obwohl das absolut nicht der Fall ist - jedenfalls werd ich das sofort richtig stellen, wenn wir hier wieder raus sind, okay?"

"Ist schon gut." Selbst in Harrys Ohren klang seine Stimme dünn. "Kann schon verstehen, dass du nicht willst, dass jemand denkt, du würdest auf mich stehen."

"Ich -" Louis brach ab.

Harry biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass er Blut schmecken konnte. Wie passend, dass genau das auch der Geschmack von Niedergeschlagenheit war, nicht wahr?

Louis setzte erneut an: "Wieso denkst du, dass ... dass ich das nicht will?"

Harrys Blick schoss in die Richtung von Louis' im Dunkeln glänzenden Augen. "Warum solltest du? Ist doch nicht die Wahrheit."

"Äh ..." Louis räusperte sich einmal, zweimal, der Blick durchdringend auf Harry gerichtet. "Wie genau kommst du darauf?"

Harrys Gehirn schmolz durch. War er gerade durch einen Spalt im Nebel in irgendeine Parallelwelt gefallen oder was? Nein, er schwebte nicht durch die Gegend und er hatte auch keine lila Lichter gesehen, geschweige denn den Knall gehört, der laut Liam zum Wechsel zwischen den Welten dazugehörte.

Louis starrte ihn immer noch an.
"Weil ... du stehst doch nicht auf mich", erklärte Harry langsam.
Louis blinzelte. "Äh ... doch?"
Harry kniff überfordert die Augen zusammen. Was ging hier bitte gerade vor sich? Halluzinierte er?

"Harry?" Louis' Hand wedelte vor seinem Gesicht hin und her - nicht hilfreich, seine Gedanken rasten schon so kreuz und quer durch seinen Kopf, anstatt sich ordentlich anzustellen, wie man es von einer ordentlich erzogenen Überlegung erwartete.

"Aber ... aber du hast gesagt, dass du das richtig stellen willst ... dass wir nicht ... du weißt schon ... rumgemacht haben?" Jetzt war Harry völlig verwirrt.

"Ja ...", begann Louis langsam, als würde er Harry nicht mehr folgen können, "weil ich dachte, dir wär das unangenehm. Du weißt schon: weil ich auf dich stehe? Und du nicht auf mich?"

Okay, wovon redete Louis da bitte?

"Ich steh auf dich", korrigierte Harry unsicher. An welchem Punkt des Gespräches genau waren er und Louis eigentlich in unterschiedliche Richtungen abgebogen?

"Du - was?" Louis' Augenbrauen schossen in die Höhe. "Seit wann das denn?" Harry runzelte die Stirn. "Seit ich hier angefangen hab zu arbeiten?"
"Aber ... aber du hast nie was gesagt!", rief Louis empört aus.

"Entschuldige mal, ich dachte nicht, dass es dir genauso geht", verteidigte sich Harry eingeschnappt. Hatte Louis mal in den Spiegel geschaut? Die Chancen, dass dieser absolute Gott ausgerechnet auf ihn stand, waren ja wohl verschwindend gering gewesen.

Louis schnappte nach Luft. "Du bist eine empathisch begabte Fee! Ich dachte, du wüsstest längst Bescheid und wärst nur zu höflich, mich abzuservieren!"

Oh. Oh.
"Ich benutz meine Fähigkeiten fast nie", erklärte Harry verlegen, "in den Gefühlen anderer Leute

rumzuspionieren ist nicht gerade nett. Deswegen ... nein, ich hatte keine Ahnung."

"Oh." Louis' Mund klappte auf.

Ja. Oh.

"Okay, das reicht mir jetzt", mischte sich eine dritte Stimme aus dem Dunkel ein. "Könnt ihr zwei hoffnungslosen Fälle euch jetzt bitte küssen und gut ist?"

"Cato!" Harry schoss die Hitze ins Gesicht.

"Na ja, ganz unrecht hat er ja nicht ...", murmelte Louis und plötzlich war sein Gesicht nur noch fünf Zentimeter von Harrys entfernt, dann zwei, dann einen, dann -

Louis' kurze Finger glitten in seine Haare und seine schmalen Lippen bewegten sich gegen Harrys. Harrys Gehirn und sein Herz setzten synchron aus, als Louis' Finger mit sanftem Druck über seinen Hinterkopf fuhren und leicht an dünnen Strähnen zogen.

Ohne sein Zutun glitten seine Hände auf Louis' Hüfte und zogen den schmalen, kurvigen Körper vor ihm näher zu sich heran. Ein Seufzen entwich seinem Mund, als er den Kopf drehte, um noch mehr zu bekommen von Louis' Zunge und Louis' Geruch und diesem unfassbar süßen, zugleich herben Geschmack, der ihn plötzlich erfüllte. Wie eine warme Kuscheldecke, während Regen auf das Dach trommelte, wie überreife Erdbeeren bei Sonnenuntergang im August, wie das Streicheln eines Sonnenstrahls auf nackter Haut, wie der atemberaubende Blick vom höchsten Berg herab auf die Unendlichkeit des Meeres.

Obwohl Harry ihn noch nie vorher gekostet hatte, wusste er genau, was er bedeutete. ***

Mit einem diskreten Plopp verpuffte Cato in der Ecke. Sah so aus, als wären Louis und Harry noch eine Weile mit ihrem Weihnachtswunder beschäftigt.

ConniKiss

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top