2. Akt
Harry.
Ich kann in Louis Gesicht lesen wie in einem Buch. Das können nicht viele - er ist medienerprobt und managementgedrillt. Bloß kein Lächeln an der falschen Stelle, niemals irgendetwas anmerken lassen, egal wie krass die Gefühle sind die einen durchfluten. Aber ich weiß genau worauf ich achten muss. In diesem Moment als er mich auf der anderen Seite der Bar erkennt, ist er überrascht. Es ist, als könnte ich sehen wie sein Herz rast, wie die Gedanken durch seinen Kopf rennen. Aber ich sehe noch mehr in seinem Gesicht als Überraschung. Ich sehe, dass er nicht mehr ganz nüchtern ist. Genau wie ich, der Alkohol tut schon was er soll und lässt mich meine eigene Nervosität vergessen. Und worauf auch warten? Er ist hier, ich bin hier und diese Nacht wird nur uns gehören.
Wie viel später es ist könnte ich nicht mal sagen, wenn mein Leben davon abhängen würde. Tatsache ist, die Tanzfläche ist voll, die Stimmung ist gut und Louis ist bei mir. Wir gehen fast unter in der Menge der anderen feierwütigen Gäste, werden hin- und hergeschoben, der Bass peitscht, eine Diskokugel wirft flackerndes Licht auf uns. Es ist schwierig einen klaren Gedanken zu fassen, aber es gibt diesen einen Gedanken, der mich einfach nicht loslässt. "LOU." schreie ich ihm über die ohrenbetäubende Lautstärke entgegen. "LOUIS!" versuche ich es nochmal und greife nach seinem Handgelenk, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, die gerade woanders ist. Er wendet sich mir zu, ein betrunkenes Grinsen auf seinem Gesicht. "So heiße ich!" stellt er fest. Ich lasse meine Hand an seinem Handgelenk, es fühlt sich gut an ihn zu berühren, und stelle meine Frage. "Waarum hast du versucht mich zu ignorieren?"
"Was?" Sein Gesicht verzieht sich zu einem großen Fragezeichen. Ich schüttele genervt den Kopf und bereue es sofort, weil durch die hektische Bewegung alles ganz schwummrig wird. So wird das jedenfalls nichts, hier auf dieser Tanzfläche kriege ich meine Frage nie beantwortet. Wie praktisch, dass meine Hand immer noch an seinem Handgelenk ist. So kann ich ihn einfach mitziehen. Er stolpert hinter mir her, während ich versuche mir einen Weg aus der Menge heraus zu bahnen. Ein paar Momente später habe ich es geschafft, im Vorbeigehen schafft Louis es mit seiner freien Hand noch ein volles Glas von dem Tablett eines Kellners zu schnappen, passt dann aber nicht auf und rennt direkt in mich rein. "Hey!" mache ich. Louis zieht entschuldigend die Schultern hoch und grinst. Das Lächeln fällt ihm allerdings sofort wieder aus dem Gesicht als er feststellt, dass sein Glas nach dieser Aktion nur noch halbvoll ist. Der Champagner läuft ihm über die Hand und er wischt sie gedankenlos an seiner Anzughose trocken, während er leise Flüche vor sich hin murmelt. Schon wieder muss ich seinen Namen sagen, um seine Aufmerksamkeit auf mich und meine Frage zu lenken. "Louis, Lou, Lou, Lou." Er blickt auf. "Vorhin, da hast du mich total ignoriert." sage ich.
"Hab' ich gar nicht." antwortet er sofort und ohne zu zögern.
"Hast du wohl."
"Hab' ich gar nicht."
"Du hast getan, als würdest du mich nicht sehen, obwohl ich dir direkt gegenüber stand."
"Hm." Macht Louis.
"Warum machst du das?" frage ich. "Das war gar nicht nett, ich habe mich so auf dich gefreut."
Er zuckt mit den Schultern. "Weiß ich auch nicht. Aber jetzt ignoriere ich dich nicht mehr." Er grinst, während er das sagt und piekst mich in die Seite.
Ich grinse auch. Es ist so schön, dass er da ist. Wirklich so, so schön. Louis kann seine Hände nicht still halten und fährt damit über den künstlichen Schnee, der zu Dekozwecken überall um uns herum auf den Oberflächen verteilt ist. Wie ein neugieriges kleines Kind, dass die Welt entdeckt, indem er alles anfasst, dass ihm in die Quere kommt. Ich beobachte ihn, die echte Freude auf seinem Gesicht, beleuchtet von Diskolicht. "Komisches Zeug." sagt er. "Fühl mal." Ich lasse mich nicht lange bitten und nutze die Situation um meine Hand direkt neben seiner zu platzieren. "Echter Schnee wäre irre."
"Oh ja!"
"Aber der würde schmelzen." Fällt mit dann ein.
Louis zieht eine Schnute. "Blöd."
"Wir sollten dahin, wo echter Schnee ist." entgegne ich.
"Du meinst auf den Mount Everest?" fragt er.
"Südpol."
"Nordpol."
"Kanada."
"Alaska."
"Schweiz."
"Okay."
"Okay was?" Ich kann nicht mehr folgen, mein Kopf bis zum Rand gefüllt mit Gedanken daran, wie es wäre mit Louis an einem schneereichen Ort zu sein, bis zu den Ohren eingepackt in dicke Klamotten, mit kalten Wangen und immer auf der Hut nicht von Snowboardern über den Haufen gefahren zu werden. In meiner Fantasie sehe ich sogar einen Eisbären, der neben uns herstapft.
"Wir sollten in die Schweiz."
"Da gibts nicht mal Eisbären."
"Aber das hier." Louis hält mir sein Handy vor die Nase. Er klickt durch Bilder von verschneiten Hütten mit Bergpanorama im Hintergrund. Endlos blauer Himmel, große Tannen.
"Da schlafen wir." Ich deute mit meinem Finger auf die schönste Hütte von allen, auf das obere Fenster, hinter dem ich ein riesiges Bett und einen gemütlich flackernden Kaminfeuer vermute. Was soll da auch sonst sein?
"Okay." sagt Louis schon wieder. Und schon wieder bin ich mit den Gedanken noch viel zu sehr in meiner Fantasie gefangen, als das ich wüsste wovon er redet. "Okay was?"
"Gebucht."
"Wow." Bringe ich hervor. "Wie cool."
"Wortwörtlich." lacht er und ich stimme mit ein. Ohne, dass ich weiß, wie es passiert ist, finde ich mich plötzlich in enger Umarmung mit Louis wieder. Ich spüre seine Nähe, spüre, wie sehr ich ihn all die Zeit vermisst habe und dass ich ihn nicht noch mal gehen lasse, weil es sich anfühlt wie Schicksal, dass er endlich wieder in meinen Armen ist. Das ist der beste Abend seit langen und ich will dass er niemals endet.
Louis.
Mit brummendem Kopf und flauen Magen wache ich am nächsten Morgen auf. Langsam öffne ich meine müden Augen und lasse etwas orientierungslos meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Schmerzhaft stelle ich fest, dass ich am Vorabend vergessen habe den Vorhang zuzuziehen. Erbarmungslos bahnt sich nun also das Tageslicht seinen Weg in das Schlafzimmer und jagt mir so einen heftigen Stich durch den Körper. Stöhnend lasse ich meinen Kopf wieder in das weiche Kissen fallen und vergrabe mein Gesicht tief in meinen Händen. Der letzte Drink war gestern wohl doch zu viel des Guten gewesen. Angestrengt kneife ich meine Augen zusammen und versuche des gestrigen Abend Revue passieren zu lassen. Das unaufhörliche Pochen gegen meine Schläfe macht es fast unmöglich einen klaren Gedanken fassen. Und trotzdem schießen mir plötzlich verschwommene Szenen der After Show Party durch den Kopf. Harry wie er mich auf dem roten Teppich mit seinem unverschämten Lächeln ansieht. Harry wie er mir an der Bar einen ausgibt. Und schließlich Harry und ich eng aneinandergepresst auf der Tanzfläche. Danach ist alles schwarz. Blackout.
Ein unangenehmes Gefühl von Übelkeit breitet sich in meinem Körper aus. Unfähig zu unterscheiden, wodurch diese hervorgerufen wird: Meinen erbärmlichen Kater oder der Tatsachte, dass ich gestern mit Harry nach all der Zeit gesprochen habe und ich keinen blassen Schimmer habe, was sonst noch alles passiert ist. Ich wage es kaum zu atmen. Blind taste ich nach meinem Handy. Ich brauche Antworten und es gibt nur eine Person, die sie mir geben kann.
Lisa.
Meine Hände zittern vom Restalkohol als ich fahrig nach der Nummer meiner Managerin suche. Wie viel habe ich gestern nur getrunken? Definitiv zu viel. Es ist Ewigkeiten her, dass ich so einen Kater hatte, geschweige denn ein Blackout. Vermutlich Jahre...
„Louis, mein Sonnenschein." Lisas Stimme dröhnt durch den Lautsprecher. Unweigerlich zucke ich zusammen und halte mir den Kopf.
„Shhhhh... Doch nicht so laut!", jammere ich mit kratziger Stimme. Auf der anderen Seite der Leitung ertönt ein lautes Lachen.
„Wie ich höre, geht es dir heute genau so beschissen, wie du es verdient hast." Das Grinsen der Managerin ist nicht zu überhören.
„Fuck You!" murmle ich und bereue es in diesem Moment mehr als alles andere Lisa angerufen zu haben.
„Love, ich wollte dich gestern davon abhalten so viel zu trinken. Du hast mir mit der Kündigung gedroht." Wage bahnt sich die Erinnerung an die Auseinandersetzung mit meiner Managerin an die Oberfläche.
„Bitte sag mir, dass du deinen Job dann wenigsten richtig gemacht hast und mich von anderen Dummheiten bewahrt hast!" flehe ich schon fast.
„Ich bitte dich, Louis. Ich bin deine Managerin und nicht deine Babysitterin. Aber-" Lisa bricht ab und holt tief Luft. Sie möchte mich Ärgern, indem sie mich auf die Folter spannt. Es gelingt ihr.
„Aber, wenn du es als Dummheit bezeichnest, dass du mit deinem Ex von der Party verschwinden wolltest, dann ja- Ich habe dich von einer Dummheit bewahrt."
„Ich wollte was?" Ruckartig setze ich mich auf, was meinen Magen sofort rebellieren lässt. Doch das ist mir egal. Ich muss mehr erfahren.
„Du wolltest mit Harry die Biege machen. Übrigens sehr netter Mann, hättest ihn mir ruhig mal richtig-"
„Lisa! Das ist nicht witzig!" Panisch fahre ich mit der Hand über mein Gesicht.
„Sorry, love! Aber ihr wart gestern einfach nur so niedlich zusammen." Lisas Stimme klingt versöhnlich. „Und wie dich Harry angehimmelt ha-"
„Er hat mich nicht angehimmelt." Unterbreche ich sie forsch. Ich kann mich zwar an nicht viel erinnern, aber Harry hat mich bestimmt nicht angehimmelt. Er ist mein Exfreund. Wir sind getrennt. Seit mehreren Jahren.
„Louis, Schatz, ich bin nicht blind. Selbst wenn, dann hätte ich es erkannt. Denn eine Sache ist offensichtlich: Harry Styles steht noch auf dich!" Bei ihrem letzten Satz macht mein Herz einen verräterischen Hüpfer. Nein, diesen Gedanken möchte ich mir nicht erlauben. Es ging schon einmal schief. Und ich ertrage diesen Schmerz nicht nochmal.
„Lou?" Lisas sanfte Stimme lässt mich hochschrecken.
„Hm?"
„Kann es sein, dass Louis Tomlinson auch noch auf Harry Styles steht?" Ganz vorsichtig verlassen diese Worte ihren Mund und trotzdem werfen sie mich aus der Bahn. Ich möchte nein schreien. Ihr sagen, wie falsch sie liegt und wie Unrecht sie hat. Doch es passiert nichts. Meine Lippen bleiben stumm. Nachdenklich lasse ich meinen Blick zu der großen Glasfront meines Schlafzimmers wandern. Draußen ist es grau, eine dichte Wolkenschicht hat sich über die Stadt gelegt. Und genau wie die letzten Tage auch regnet es, nur mit dem Unterschied das sich nun ein paar Schneeflocken zwischen die Regentropfen verirrt habe. Es ist als könnte sich Petrus nicht entscheiden, ob es nun noch Herbst oder doch schon Winter ist. Das Wetter spiegelt meine aktuelle Stimmung perfekt wider: Verwirrung.
Auf der einen Seite bereue ich es aus tiefsten Herzen, dass ich Harry nicht einfach ignoriert habe. Viel zu viele Dinge liegen noch unausgesprochen zwischen uns. Und doch kann ich nicht abstreiten, dass da dieses Gefühl ist. Das Gefühl, dass mein Herz höherschlagen lässt. Das mir diesen wohligen Schauer bereitet und mich geborgen fühlen lässt. Das Gefühl von Heimat.
„Ich-Ich weiß es nicht." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauch und doch bin ich mir sicher, dass Lisa mich verstanden hat. Verstanden, wie sehr ich gerade mit mir hadere.
„Es tut mir leid, Lou." Schwer atmet sie aus. „Ich hätte gestern besser auf dich Acht geben müssen. Hätte ich gewusst, was dieser Abend in dir auslöst..."
„Schon gut! Ich bin selbst Schuld und früher oder später, hätte ich mich sowieso damit auseinandersetzen müssen." Ich schweige einen Moment bis ich mich räuspere und sie so gefasst wie nur möglich frage: „Aber jetzt erzähl, welche Skandale habe ich gestern verpasst?"
Lisa erzählt noch eine ganze Weile, was alles auf der Party passiert ist, doch richtig zuhören tue ich nicht. Viel zu laut sind meine Gedanken über die neuen Informationen, die ich gerade bekommen habe. Unnötig zu erwähnen, dass das viele Nachdenken und Telefonieren meine Kopfschmerzen nicht unbedingt leichter werden lassen. Deshalb verabschiede ich mich kurz darauf von meiner Managerin und beschließe, dass ein Katerfrühstück jetzt das richtige sein könne. Erst als ich aufstehe, bemerke ich, dass ich noch immer meinen Anzug vom Vorabend trage, weshalb ich mich davor für eine kurze Dusche entscheide.
Ich will gerade im Badezimmer verschwinden als es unerwartet an meiner Haustür klingelt. Mit schweren Schritten stapfe ich zu Tür und staune nicht schlecht, als ich einen riesigen Geschenkkorb mit lauter Naschereien erblicke. Schnell greife ich nach der Karte, die feinsäuberlich gefaltet beiliegt.
Guten Morgen Louis,
ich hoffe, du hast gut geschlafen.
Hier eine kleine Einstimmung auf unser gemeinsames Wochenende in der Schweiz.
xx H
Ungläubig starre ich auf die Karte. Gemeinsames Wochenende? Schweiz? Panisch laufe ich wieder in Schlafzimmer und greife nach meinem Handy. Erst jetzt fällt mir das Symbol für eine ungelesene E-Mail auf. Mit zitternden Händen klicke ich auf den kleinen Brief und lasse bei den Wörtern „Buchungsbestätigung für romantische Hütte in den Schweizer Alpen" vor Schreck mein Handy fallen.
***
Hier der zweite Teil unserer kleinen Geschichte :)
Wenn es euch gefallen hat, lasst uns doch gerne was da.
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