18. Türchen - Wiedersehen

Harrys Pov

Es schneite bereits sein Stunden unaufhörlich, weswegen die ganze Stadt mit einer weißen Schicht verdeckt war. Die Temperatur war in den letzten Tagen nochmal stark gesunken. Bis vor einer Stunde war ich daher noch der festen Überzeugung, dass ich das warme Haus nicht mehr verlassen würde und dennoch stand ich nun in der Kälte.

Seit einigen Minuten stand ich regungslos im Schnee und schaute durchs Fenster der jungen Frau beim dekorieren des Weihnachtsbaumes zu. Da sie durch den Raum tänzelte, während sich ihre Lippen bewegte, vermutete ich , dass Musik lief. Sie wirkte glücklich, aber das wäre ich an ihrer Stelle auch. Sie besaß das, was ich so sehr begehrte. 

Als ich vor etwa einer Stunde mein Haus verlassen hatte, hatte ich ihre Existenz vollständig verdrängt. Leider konnte ich sie nun jedoch mit eigenen Augen sehen, was mir zeigte, dass mein Plan zum Scheitern verurteilt. Ich hatte keine Chance. Obwohl ich dies schon längst eingesehen hatte, bewegte ich mich nicht vom Fleck. Ich wusste selbst nicht, worauf ich eigentlich wartete. Vielleicht hoffte ich innerlich noch immer auf ein Wunder oder ich wollte meinen ganz persönlichen Engel zumindest für wenige Sekunden sehen. Ich konnte nur hoffen, dass mich niemand entdeckte, denn eine sinnvolle Erklärung für mein Verhalten würde mir vermutlich nicht mehr einfallen.  Wie sollte man es auch rechtfertigen, dass man bei der eisigen Kälte auf einem Grundstück, welches einem nicht gehörte, herum stand und durchs Fenster eine Frau beobachtete?

Leider wurde jedoch auch diese Hoffnung durch die Brünette zerstört, die plötzlich in meine Richtung sah. Irritiert blickte sie mich einen Augenblick an, wandte sich dann aber ab und schien mich zu ignorieren. Das wäre der Zeitpunkt gewesen, wo ich aller spätestens das Grundstück hätte verlassen sollen, dennoch blieb ich wie festgefroren stehen. Als würde es mich gar nicht geben, wurde der Weihnachtsbaum weiter dekoriert. 

  "Was machst du da?", ertönte plötzlich eine vertraute Stimme. Erschrocken schoss mein Blick Richtung Haustür, wo ich meinen Engel erblickte. Wie ich befürchtet hatte, fiel mir keine logische Erklärung für meine Anwesenheit ein, weswegen ich lieber schwieg. "Harry", wurde ich angesprochen.

  "Ich ...", setzte ich an, wusste dann jedoch nicht weiter.  

  "Soll ich einen Krankenwagen rufen?" Die Besorgnis in seiner Stimme war nicht zu überhören. Als Antwort schüttelte ich lediglich den Kopf. "Es ist kalt hier draußen, möchtest du nicht reinkommen und dann erklärst du mir, was los ist?" Ohne irgendeine Form der Erklärung würde ich der Situation vermutlich nur schwer entkommen, weswegen ich mit einem Nicken zustimmte. Ich verließ meine Position und näherte mich langsam der Haustür. Der Hauseigentümer war bereits wieder im Inneren verschwunden. 

Nachdem ich den Flur betreten hatte, schloss ich hinter mir die Haustür. 

  "Louis?", rief ich zögerlich. 

  "Küche", kam es zurück. Kurz schaute ich Richtung Wohnzimmertür. Trotz der geschlossenen Tür, konnte man noch gedämpfte die Weihnachtsmusik hören. War es die richtige Entscheidung, dass ich mit eingekommen war? Ich fühlte mich fehl am Platz. 

Bevor ich jedoch weiter über die Situation nachdenken konnte, erschien Louis wieder im Flur. Als er sah, dass ich noch direkt bei der Haustür stand, seufzte er. 

  "Harry, ich mache mir gerade wirklich Sorgen um dich. Was ist los? Warum benimmst du dich so komisch?"

  "Es tut mir leid. Vielleicht sollte ich lieber wieder gehen." Ehe ich meine Worte in die Tat umsetzen konnte, kam der Ältere zu mir, öffnete meinen Wintermantel und streifte mir diesen von den Schultern. Schal und Mütze nahm er mir ebenfalls ab. Nachdem er alles auf einer Kommode abgelegt hatte, kniete er sich vor mich und öffnete die Schnürsenkel meiner Winterschuhe. 

  "Raus da", befahl er. Ich tat, was von mir verlangt wurde. Kaum stand ich auf Socken im Flur, wurden die Schuhe achtlos zur Seite geschoben. Louis griff nach meiner Hand und zog mich mit sich in die Küche, wo ich am Esstisch auf einen Stuhl gedrückt wurde. Von der Küchenanrichte holte Louis zwei mit Tee befüllte Tassen, die er auf dem Esstisch abstellte, ehe er gegenüber von mir Platz nahm. Die vor mir stehende Tasse umschloss ich mit beiden Händen, um diese etwas aufzuwärmen. Abwartend sah Louis mich an, während ich lieber auf den Tee starrte. "Ist irgendwas schlimmes passiert? Ist was mit Anne oder Gemma?" Noch immer schweigend schüttelte ich den Kopf. "Harry, erklär mir bitte endlich, warum du, nachdem wir Jahrelang keinen Kontakt hatten, plötzlich bei dieser Kälte in meinem Garten stehst und Eleanor beobachtest. Willst du was von ihr?" 

  "Nein, ich will nichts von Eleanor und selbst wenn es so wäre, würde ich niemals etwas tun, womit ich dich verletzen könnte", beteuerte ich, wobei ich Louis nun doch ansah. 

  "Wenn du das jetzt nur sagst, weil du mich nicht verletzen willst, kann ich dich beruhigen ... Ich will nichts mehr von Eleanor." Verständnislos sah ich meinen Gegenüber an. "El und ich sind schon lange getrennt und einfach nur noch gut befreundet. Sie ist bereits vor über einem Jahr ausgezogen. Heute ist sie vorbeigekommen, um mir beim Dekorieren zu helfen. Ich habe oben nach einigen Sachen gesucht, als sie mich gerufen hat und erzählte, dass du im Garten stehst. Nur den Grund dafür kenne ich immer noch nicht." 

  "Ihr seid getrennt?", versicherte ich mich noch einmal, woraufhin Louis nickte. "Warum?"

  "Weil es einfach nicht mehr gepasst hat. Wir hatten beiden keine Gefühle mehr füreinander, die über Freundschaft hinaus gingen." 

  "Du bist also Single?"

  "Ja, aber ist das für eine Erklärung wichtig?"

  "Auf jeden Fall." Ich biss mir auf die Unterlippe, um ein Lächeln zu unterdrücken. Dann wurde mir jedoch bewusst, dass nur weil Louis aktuell in keiner Beziehung war, es noch lange nicht hieß, dass ich eine Chance bei ihm haben könnte. "Ich hab dich vermisst", gestand ich ihm dennoch. 

  "Auf einmal?", hakte er nach. 

  "Nein, die ganze Zeit, aber ich habe mich nie getraut, es dir zu sagen. Ich dachte, du seist glücklich mit Eleanor zusammen." 

  "Selbst wenn ich tatsächlich in einer Beziehung gewesen wäre, hättest du doch trotzdem ... " Louis brach seinen Satz ab. Er schien kurz nachzudenken, bevor er weitersprach. "Du hast dich vorher nicht gemeldet, weil du dachtest, dass ich vergeben bin und du mich nicht auf freundschaftlicher Ebene vermisst hast, richtig?" Zögerlich nickte ich. "Seit wann hast du diese Gefühle?" 

  "So genau weiß ich es selbst nicht. Mir wurden die Gefühle langsam bewusst, als du und Eleanor euch 2015 getrennt habt."

  "Wieso hast du nie etwas gesagt?"

  "Weil ich anfangs mit den Gefühlen überfordert war. Ich musste mich selbst erstmal wieder einigermaßen sortieren, bevor ich dir davon erzählen konnte.  Während ich das versuchte habe, bist du mit Danielle zusammengekommen. Nachdem ihr euch getrennt habt, habe ich erneut mit dem Gedanken gespielt, es dir zu sagen. Dann bist du aber wieder mit Eleanor zusammengekommen."

  "Wenn du es mir die ganze Zeit nicht sagen wolltest, weil ich in einer Beziehung war, warum bist du dann heute hier? Du wusstest ja scheinbar gar nichts von der Trennung."

  "Weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich wollte dich zumindest einmal kurz sehen."

  "Ehrlich gesagt bin ich gerade ziemlich mit der Situation überfordert", gestand Louis, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. "Du warst mir immer wichtig, Harry und bist es auch heute noch, obwohl wir uns solange nicht gesehen haben. Das mit uns war schon immer irgendwie anders, aber ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, warum es so war oder ist."

  "Tut mir leid, ich hätte vielleicht lieber nicht herkommen sollen."

  "Was ist, wenn wir es versuchen?" Ich wollte mich gerade vom Stuhl erheben, als Louis Wort zu mir durchsickerten. 

  "Wie meinst du das?"

  "Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen und ich kann dir leider nicht versprechen, dass du am Ende nicht enttäuscht oder verletzt wirst, weswegen die Entscheidung komplett bei dir liegt. Aber wenn du zustimmst, könnten wir ja vielleicht versuchen eine Art Date zu haben ... eine Art Neustart zwischen uns, halt nur auf einer anderen Ebene. Wie eben schon gesagt, ich habe mir nie einen Kopf darum gemacht, was das zwischen uns ist, wodurch ich unbewusst vielleicht auch nie Gefühle in dieser Richtung zugelassen habe. Wenn es diese Gefühle wirklich gibt, ich sie aber all die Zeit ungewollt unterdrückt habe, könnte es auch erklären, warum all meine Beziehungen früher oder später wegen fehlenden Gefühlen gescheitert sind. Es ist aber deine Entscheidung, ob du dieses Risiko eingehen möchtest."

  "Ich würde jedes Risiko eingehen, wenn die Chance besteht, dass ich dich dadurch für mich gewinnen kann." 

  "Dann haben wir irgendwann mal ein Date?", hakte Louis nach. 

  "Wie wäre es direkt mit morgen Abend?"

  "Das lässt sich einrichten", stimmte Louis zu, weswegen wir uns beiden einfach nur anlächelten. 


Ich hatte es nie bereut, dass ich das Risiko eingegangen war. Es blieb nicht bei einem Date, jedoch lebte ich zu Beginn noch in Ungewissheit, in welche Richtung sich das mit Louis entwickeln würde. Mit der Zeit schien er sich seinen Gefühlen bewusst zu werden und ließ diese auch zu. Dennoch brauchte ich einiges an Geduld bis ich Louis endlich als meinen Freund bezeichnen durfte. 

Jede Minute des Wartens hatte sich allerdings gelohnt, denn ich war glücklicher als jemals zuvor. 

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