Pictures of you

55:

Mein Blick fiel auf die vielen Kisten, die sich in dem Gästezimmer stapelten. Am liebsten würde ich sie einfach nie wieder sehen, alles vergessen, was damit zu tun hatte. Diese Kisten zeugten nur von Schmerz, so viel Schmerz und dieser Verlust. Ich hasste es und doch war es ein wichtiger Teil meines Lebens und ich konnte diese Erinnerungen nicht wegwerfen.

Jetzt war alles besser, doch diese Kisten riefen noch immer die Gefühle herauf, die ich versucht hatte zu unterdrücken. Ich hatte schon oft probiert sie ohne Emotionen anzusehen, doch es gelang mir nicht. Dazu waren sie zu sehr mit seinem Leben und dem meinen verknüpft.

Sein Leben. Harry.

Mein lieber, atemberaubender, süßer Harry.

Es war einfach perfekt. Wir hatten die Schule bestanden und waren zusammen gezogen, so wie wir es immer vorgehabt hatten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich es hätte wissen müssen. Es war zu perfekt. Und dann änderte sich alles, es lief schief.

Ein verdammter Brief, nein, nicht einmal ein Brief, nur eine Nachricht.

Harry sollte nach Afghanistan gehen, da dort ein Krieg ausgebrochen war. Ich hatte es nicht glauben könne, Harry hatte seinen Militärdienst abgearbeitet - ein halbes Jahr lang war er jede Woche wieder in eine dieser Kasernen verschwunden und hatte verdammte Kriegsübungen machen müssen. Das war doch sicher genug - aber nein, das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. In Afghanistan war eine Krisensituation ausgerufen worden und sie brauchten alle Soldaten, die sie nur bekommen konnten und dazu zählte auch Harry.

Ich konnte mich noch erinnern, wie er neugierig die Nachricht geöffnet hatte und dann war ganz langsam das Funkeln aus seinen Augen verschwunden, die Mundwinkel kniffen sich zusammen und seine Finger krallten sich fast in das weiße Papier. Besorgt hatte ich ihn angeschaut und meine Hand auf die seine gelegt, sanft darüber gestrichen. Ich hatte ihn gefragt, was denn los sei, doch ich hatte keine Antwort bekommen. Harry hatte den Zettel fallen gelassen und war weggerannt. Ich hatte ihm nur noch nachsehen können, als er über die Treppe nach oben verschwand.

Überrumpelt von seinem Verhalten hatte ich tief durch geatmet und dann den Zettel aufgehoben. Das Papier hatte sich rau in meinen Händen angeefühlt und ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen gehabt.

Doch die Nachricht hatte alles übertroffen, was ich mir jemals hätte vorstellen können.

Es waren nur wenige Sätze gewesen, aber sie hatten unser perfektes Leben zerstört.

In dieser Nacht hatten wir lange wach gelegen und ich konnte mich gut daran erinnern, wie sich Harry klein zusammen gerollt hatte und versucht hatte, sich in meinen Armen zu verstecken. Er hatte es gehasst in den Krieg zu müssen, hasste es immer noch.

Wir hatten nicht viel geredet, aber ich wusste genau, dass er nicht weggewollt hatte. Sein Gesicht war an meiner Schulter vergraben und meine Hand hatte beruhigend über seinen Rücken gestrichen. Ich sah es noch vor mir, wie auf einer Leinwand. Harrys Locken kitzelten mich am Hals und im Gesicht, doch egal wie sehr es mich störte, ich hatte es nicht über mich gebracht ihn von mir zu schieben.

Kaum drei Tage später war er weg.

Und ich war allein.

Damals hatte ich tagelang nichts anderes getan, als weinen und vor dem Telefon zu sitzen, in der Hoffnung, er hätte endlich angerufen. Das hatte natürlich nicht geholfen, aber nach einer Weile kamen wir in einen Rhythmus.

Harry schrieb so viele Briefe, wie er nur konnte und rief einmal in der Woche an, immer am Samstag. Immer am Abend. Ich saß meist schon um vier Uhr nachmittags beim Telefon und wartete ungeduldig. Und Harry rief immer an, er hörte nie auf.

Nur einmal, da war alles anders.

Nervös haste ich durch den Raum. Warum läutet dieses verdammte Telefon nicht? Harry hat versprochen anzurufen, also tut er das ach. Er hat es noch nie vergessen.

Mein Blick fällt auf die große Uhr an der Wand. Langsam tickt der Zeiger im Kreis, so unendlich langsam. Und doch zu schnell, Harry muss jetzt anrufen.

Nichts.

Was wenn er mich vergessen hat?

Oder noch schlimmer, wenn ihm etwas passiert ist?

Oh Gott! Meine Atmung verschnellert sich und ich muss mich hinsetzen, damit ich nicht umfalle. Die Kante des Tisches, an den ich mich gelehnt habe, drückt ungut gegen meine Schenkel.

Warum ruft er nicht an?

Mein Blick schweift erneut zum Telefon. Ruhig liegt es auf dem Tisch, schwarz und wie ein schlechtes Ohmen.

Warum ruft Harry nicht an?

Was wenn er in eine Schießerei geraten ist, wenn er verletzt wurde? Oder wenn er im Lazarett lag und Schmerzen hatte? Oder wenn er vielleicht sogar schon an der Grenze zum Tod war? Oder . . . tot?

Ein schrilles Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken und ich schnappe das Telefon und nehme das Gespräch an.

"Harry?"

Auf der anderen Seite bleibt es kurz still, dann raschelt es. Was ist da los?

"H-harry?", frage ich noch einmal nach, meine Stimme zittert und ich kann die Erschöpfung heraus hören.

"Ist das Louis?", fragt eine fremde, männliche Stimme.

Meine Augen werden riesig. Was ist mit Harry? Warum ruft mich jemand anderes an?

"J-ja."

Ich bemerke es nicht, als stumme Tränen über meine Wangen laufen. Meine Sicht verschwimmt, nichts ist mehr klar erkennbar. Alles was ich weiß ist, dass es nicht mein Harry ist, der mit mir spricht.

Wo ist mein Harry?

"Es tut mir echt leid, dass ich dir das sagen muss, aber Harry kann gerade nicht wirklich ans Telefon. Er hat mich gefragt, ob ich dich anrufen kann, damit du dir keine Sorgen machst.", redet die fremde Stimme weiter, doch er kann mich nicht beruhigen. Was ist denn jetzt mit Harry?

"W-was ist m-mit ihm?", frage ich leise.

"Er ist . . . ahm, er ist im Moment nicht ansprechbar. Sie haben ihm ein Betäubungs- ... gegeben, dass er den F- ... übersteht.", ist alles was ich verstehen konnte, bevor es in der Leitung zu rauschen beginnt und die Verbindung abbricht.

Was ist los?

Ein ersticktes Schluchzen dringt aus meiner Kehle empor und ich versuchte nicht einmal, es zu unterdrücken. Harry ist irgendetwas passiert und ich habe keine Ahnung was, oder wie schlimm es ist. Der Fremde hat etwas von einer Betäubung geredet, also muss er wohl Schmerzen haben.

Ich vergrabe meinen Kopf in den Händen und wippe meinen Körper hin und her. Was soll ich nur machen?

Harry ist doch mein Ein und Alles. Mein Leben.

Er muss erwas überstehen, hat der Kerl gesagt, hat er eine tödliche Verletzung erlangt? Immerhin war er im Krieg, niemand weiß, was da alles passieren kann, aber er war doch mein Harry.

Was war nur passiert?

Ich konnte mich erinnern, wie zerstört ich damals war. Ich hatte wieder tagelang geweint, die verdammten Briefe, die er mir geschickt hatte, tausendmal gelesen. Mit den Fotos an meine Brust gedrückt, verucht zu schlafen, doch daraus war nichts geworden. Ich war zu unruhig gewesen.

Meine Mutter Jay hatte vorbeigeschaut und versucht mich zu trösten, doch auch ihr war es nicht gelungen. Ich war am Boden zerstört gewesen und es hatte nichts gegeben, dass mich aufheitern konnte.

Ich hasste diese Zeit und auch jetzt versuchte ich noch immer, es einfach zu vergessen. Doch das war nicht immer so einfach, vor allem nicht, wenn man den Dachboden ausräumen sollte und da diese verdammten Kisten herumstanden.

"Lou, alles okay?", riss mich eine vertraute Stimme aus den Gedanken über frühere Zeiten. Starke Arme schlangen sich um meinen Oberkörper und zogen mich an eine warme Brust. Mein Körper reagierte, ohne das ich etwas tun konnte und lehnte sich in die Berührung. Zufrieden seufzte ich auf, als ich Finger sanft über meine Seiten streichen spürte.

Ich nickte leicht auf seine Frage und drehte mich zu ihm um. Meine Augen trafen auf diese unwiderstehlich grünen und wie jedes Mal stockte mir fast der Atem, als ich ihn sah.

Mein Harry.

"Nur Erinnerungen", murmelte ich leise, in seine Umarmung gekuschelt. Seufzend strich Harry über meinen Rücken, er hatte an meinem Tonfall erkannt, dass ich über diese schweren Zeiten sprach, in denen er nicht da gewesen war.

"Es tut mir leid.", flüsterte er und zog mich enger an sich. Ich vergrub meinen Kopf in seiner Halsbeuge und drückte einen sanften Kuss auf die nackte Haut seines Halses.

"Es ist nicht deine Schuld.", erwiderte ich und legte meine Arme auf seiner Brust ab. Wie schön es sich nur anfühlte hier bei ihm zu sein, ihn zu umarmen und zu spüren.

"Es ist nicht deine Schuld, dass du angeschossen wurdest und es ist auch nicht deine Schuld, dass die Telefonverbindung abgebrochen ist.", fuhr ich deutlich fort. Ich wusste, dass Harry sich Vorwürfe machte, weil er mir nicht Bescheid gegeben hatte, dass er nach Hause geflogen wurde, um ins Krankenhaus gebracht zu werden. Er hatte gesehen, wie schlecht es mir gegangen war und wollte sich einfach nicht verzeihen.

"Ich weiß . . .", murmelte er und seufzte leise auf.

Harry im Krankenhaus war eine meiner schlimmsten Erinnerungen. Ich war zwar froh, dass ich endlich erfahren hatte, was los war und dass Harry noch gelebt hatte, aber es war schrecklich gewesen, ihn so zerbrechlich zu sehen.

Der Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal nach dem Anruf gesehen hatte, stand mir noch immer deutlich im Gedächtnis.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen gefährlichen Gedanken. Ich habe in den letzten Tagen nichts mehr gemacht, bin nur herumgesessen und habe versucht meine Gedanken, die sich immer um Harry und die Ereignisse drehten zu vergessen. Nichts hat funktioniert.

Schnell fahre ich mit meinem Handrücken über meine Augen und wische ein paar Tränen weg, die sich in meinen Augenwinkeln gesammelt haben. Dann stehe ich auf und gehe zur Tür, die ich langsam aufmache. Davor wartet ein großer Mann in einen schwarzen Anzug gekleidet.

"Sind Sie Mr Tomlinson?", fragt er mich und ich kann nur leicht nicken.

"Nun, jemand hat nach Ihnen gefragt. Kennen Sie einen Harry Styles?", fragt er weiter und bei dem Namen reiße ich ungläubig meine Augen auf.

"Harry?", frage ich aufgeregt nach. Was ist mit ihm?

"Er ist im städtlichen Krankenhaus und vor etwa einer Stunde aufgewacht.", sagt der fremde Mann und ich realisiere nicht, dass mir Tränen über die Wangen laufen. Schnell schlüpfe ich in meine Schuhe, schnappe mir meinen Schlüssel und dränge mich an dem Fremden vorbei.

Ich springe in mein Auto und fahre los. So schnell wie möglich bringe ich die Strecke hinter mich und schon bald bin ich am Krankenhaus angekommen. Das Auto habe ich eilig abgestellt und dann laufe ich in das Gebäude hinein.

Ich gehe zu dieser Frau, die hinter dem Tresen sitzt und den Menschen sagt, wo sie hin müssen und bringe nur ein halb gequältes "Harry Styles" heraus.

Sie sagt mir eine Zimmernummer und schon bin ich auf dem Weg.

Vor der Tür angekommen atme ich tief durch und stoße sie dann auf. Und dann kann ich ihn sehen. Harry, mein wunderschöner Harry liegt wie ein gebrochener Engel auf dem Bett und bewegt sich nicht, die Augen geschlossen, als würde er schlafen.

Vorsichtig gehe ich ein Stück näher an ihn heran.

"Harry", bringe ich flüsternd heraus und seine Augen flattern auf. Atemberaubendes Grün kommt zum Vorschein und ich kann mich nicht zurückhalten, muss mich einfach auf ihn stürzen und an mich drücken. Die Tränen laufen über mein Gesicht, meine Finger müssen ihn berühren, ein Beweis, dass er wirklich da ist.

"Lou, es tut mir leid.", krächzt er hervor und legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab, die neben ihm rastet.

"Ich liebe dich, Harry."

"Ich liebe dich auch, Lou."

Danach war mein Leben besser geworden, Harry wurde wieder gesund und musste nicht mehr nach Afghanistan zurück. Stattdessen konnte er nach Hause kommen und wir waren endlich wieder zusammen gekommen.

Ich hatte es geliebt.

Jetzt, fast vier Jahre danach konnte ich loslassen. Ich wusste, Harry war hier bei mir und würde mich nicht alleine lassen.

Seine Arme, die noch immer um mich geschlungen waren, schützten mich vor allem und ich fühlte mich so gut und sicher, es war so richtig.

Langsam schaute ich auf, direkt in seine unglaublichen Augen.

"Ich liebe dich."

"Ich liebe dich auch."

*****

Hi 😊 Wie gehts?

Ich bins mal wieder mit einem neuen OS, was haltet ihr davon?
(Ich hoffe, es ist nicht zu verwirrend mit den Zeitsprüngen da drinnen..)

WIDMUNG: AlinaLang

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top