Tempus fugit

Für Nerin verging die Zeit, jedoch gefiel es ihr nicht, in welcher Form.

Dank der Markgräfin Reglindis von Meißen war ihr die Möglichkeit einer sicheren Bleibe geschaffen worden. Auf einem kleinen Bauerngehöft in den Niederungen des Zusammenflusses von Saale und Unstrut und in der Nähe der Burg Genea hatte sie mit ihrem Beschützer, dem alten Stanielub, ein Obdach und Auskommen.

Doch war dieses Dasein ein Versteckspiel vor allem und jedem. Für den alten Bauern Gernod und seine zwei Gäste, welche ihm als Vater und Tochter vorgestellt worden waren. Gernod hatte von Reglindis nur erfahren, dass das Leben Beider in Gefahr sei und der Markgräfin persönlich deren Schutz am Herzen liege.

Doch einfacher machte es das Leben Gernods nicht, zwei zusätzliche- wenn auch bescheidene- Mäuler satt zu bekommen. Seine Verschwiegenheit gegenüber Dritten blieb unumstößlich, dennoch fragte sich Gernod über seine Gäste.

Der alte Mann zum Beispiel sprach die hiesige Sprache nur in wenigen Brocken. Er war ein angenehmer Helfer und verstand sich offenbar auf das Jagen und Gerben von Fellen. Jedoch war ihm Arbeit auf dem Feld eher fremd.

Und seine Tochter? Sie war über die Maße ansehnlich, doch schon nach den ersten Tagen war Gernod sich darüber klar, dass die Hände der jungen Frau bislang kaum harte Arbeiten zu verrichten hatten. Sie war freundlich, sprach gut Deutsch und dolmetschte ihrem Vater bei jeder Gelegenheit- daher schien sie recht gebildet für eine Frau einfacher Herkunft. Sie konnte jedoch Teig anrichten und auch passabel Fleisch zubereiten, war jedoch keine gute Köchin- allerdings verstand sich Stanielub bestens auf Dinge der Versorgung.

Doch Nerins Freundlichkeit und Herzlichkeit ließ Gernod diese Bedenken beiseiteschieben. Nur zu gern hätte er die junge Schönheit im Hause auch zufälligen Besuchern vorgezeigt, doch besonders Nerin hielt sich bei ankommenden Fremden sofort verborgen.

Gernod hinterfragte all dies jedoch nicht- auch nicht, dass Stanielub und die junge Frau sich zwar herzlich untereinander verhielten, jedoch Stanielub eine gewisse Distanz zu ihr aufrecht hielt.

Herrin Reglindis hatte sich über den gesamten Winter hinweg nicht auf dem Hof gezeigt. Umso erfreulicher für alle, dass sie im Frühjahr auf einen Besuch an den Hof kam. Gernod erhielt einen guten Lohn für die verschwiegenen Dienste. Und Herrin Reglindis begab sich mit Nerin auf einen Spaziergang zu den in voller Blüte stehenden Kirschbäumen am Fluss, wo die Frauen lange sprachen.

Reglindis ließ sich schildern, wie man den Winter verbracht hatte und gab danach Neuigkeiten bekannt.

„Meinem Gemahl Hermann war es gestattet, über einen Kurier in Verhandlungen zur Freilassung des Oheim Gunzelin und des Markgrafen Wiso mit den Polen zu verhandeln. Die Verhandlungen kamen wohl auch schnell zu einer Einigkeit. Heinrich II. gab sich hierbei mit einem Lösegeldangebot mehr als großzügig, wohl auch, weil beide Markgrafen sich als gute Bündnispartner des Königs hervorgetan hatten und der König sich in deren Schuld fühlte, wie es bei Hermann den Anschein erweckte.", teilte Reglindis mit.

Nerin hinterfragte aus Höflichkeit- jedoch auch aus persönlicher Neugierde- den Ausgang der Verhandlungen.

„Und? Hat dein Gemahl Hermann bereits Erfolg mit den Verhandlungen gefunden? Ist sein Onkel nunmehr aus der polnischen Gefangenschaft heraus? Was hat man berichtet?"

Reglindis holte tief Luft. „Gunzelin und Herr Wiso sind befreit. Hermann ist ja nach dem Feldzug im vorigen Herbst die Schutzherrschaft über Bautzen aufgetragen worden. Er hat in Bautzen auch viel zu tun derzeitig, mit dem Wiederaufbau und der Befestigung der Burg und Stadt. Vor der Stadt Bautzen hat jedoch vor kurzem der Austausch der Geiseln gegen das Lösegeld stattgefunden."

„Und dennoch bist du betrübt, Freundin Reglindis? War besorgt dich?", tröstete Nerin, denn ihr schien Reglindis unglücklich.

„Betrübt bin ich- doch weniger über den Erfolg der Unterhandlungen. Hermann ist derweil in Bautzen gebunden, während ich nunmehr auf Burg Meißen bin und nach Gunzelins Rückkehr- fern von meinem Ehemann. Gunzelin ist, wenn ich offen reden kann zu Dir als meine verschwiegene Freundin, meiner Meinung nach oftmals unehrlich zu Hermann. Wo er kann, versucht er meinen Gemahl vor dem König Heinrich II. zu übervorteilen. Und dies in einer unangemessenen Art und Weise. Auch der Königin Kunigunde missfällt Gunzelins grobes und durchschaubares Vorgehen. Ich denke fast, die Königin mag Gunzelin nicht. Doch der König hält große Stücke auf Gunzelin. Im Vertrauen äußerte Hermann sogar seinen Verdacht, dass Gunzelin und der König vielleicht gemeinsame Sache gemacht haben- was er andeutete, könne er jedoch nicht belegen und Hermann benannte auch nicht, in welcher Art oder welchem Anlass er dies in Frage stellt. Doch irgendetwas in der Vergangenheit scheint den König auch an Gunzelin zu binden. Gunzelin ist zudem grob- auch gegen Hermanns Bruder. Ich mag ihn nicht.", gestand Reglindis.

„Dennoch müsst ihr auskommen. Du musst ihm aus dem Wege gehen, wenn er dir unerträglich erscheint, bis Hermann dich zu sich holt."

„Nun lassen wir die Geschichten zu diesem Unhold ruhen. Doch habe ich durch diese Geiselrückkehr einiges erfahren können aus meiner polnischen Heimat. Meinem Vater und den Geschwistern geht es gut. Auch meiner Mutter Gruß wurde durch Herrn Wiso übermittelt. Markgraf Wiso stand immer gut zum polnischen Haus des Herzogs. Er erzählte mir vertraulich, dass mein Vater Boleslaw I. Chrobry sich dafür verwendete, dass Wiso und Gunzelin in Masowien ehrenvoll behandelt wurden und auch an christlichen Hochfesten des Fürsten von Masowien beiwohnen durften. Vater ist ja ein eifriger Verbreiter christlichen Glaubens und Mutter Emnilda stammt ja sogar aus er Lausitz. So wurden den Gefangenen in Polen alle Ehren zuteil, die man ihnen angedeihen konnte- in Anbetracht der Umstände."

Reglindis packte mit einem Mal die unvorbereitete Nerin bei beiden Armen. Mit festem Blickkontakt zu Nerin fuhr sie fort mit ihrem Bericht.

„Und, liebste Freundin, wenn sein Bericht stimmt, wurden er und Gunzelin durch einen polnischen Ritter mit Namen Larno von Welna nicht nur beim Kampf um die Burg Liubusua festgesetzt- er hatte sie im Auftrag meines Vaters Boleslaw auch bis zum Fürsten von Masowien zu geleiten und übergab sie dort."

Nerins Stimme zitterte. „Dann lebt Larno? Ist dort sogar in Diensten deines Vaters?"

„Nun, ich denke er ist es. So habe ich mir diesen Ritter von Graf Wiso gut beschreiben lassen- jedoch nicht so, dass es seine Aufmerksamkeit fand. Und- so möchte ich sagen- so kennen wir nun den Verbleib deines gesuchten Larno, denn so viele gute Männer seines Namens außer ihm selbst kenne ich nicht. Noch mehr Zufall kann es nicht geben, oder?", sprach Reglindis überzeugt von der Sache.

„Was wurde noch berichtet? Komm, heraus mit allem, was dir bekannt wurde."

„Dein Larno hat wohl den Angriff auf die Burg geführt. Kaum zu glauben, dass er solch Ansehen gewonnen hat. Doch reden wir über Larno, von dem wir Beide nur das Beste zu berichten wissen, nicht wahr?"

„Ja.", bestätigte Nerin die Markgräfin.

„Und mein Vater wird dies auch erkannt haben, so denke ich mir. Doch gab sich Larno als Begleiter der Gefangenen Edelmänner ehrhaft und ritterlich. Doch nicht alles, was ich zu erfahren bekam, sollte dich beruhigen dürfen.", räumte Reglindis ein.

„Warum? Was meinst Du damit?" Nerin war irritiert über diese Anspielung.

„Markgraf Wiso will beiläufig erfahren haben, dass der Fürst von Masowien wohl eine Verbindung seiner Tochter Lieschna- also unserer guten Freundin und Weggefährtin in schlechten Tagen der Gefangenschaft bei den Redariern- mit deinem jungen Ritter Larno nicht ausgeschlossen habe, sollte sich Larno auch weiterhin als dem Herzog treu ergeben beweisen. Meinem Vater, Herzog Boleslaw I. Chrobry, wurde wohl diese Absicht des Fürsten beiläufig angetragen. Daher sieht Markgraf Wiso in dem Ritter Larno von Welna einen – wie er es vermute und beschrieb- aufsteigenden Mann des Herzogtums Polen, den hierzulande jedoch niemand kennt und einzuschätzen weiß, zumal Larno in der Gunst des Herzogs, also meines Vaters- zu stehen scheint."

„Lieschna von Masowien? Aber Lieschna würde uns- oder mir, nicht Larno entreißen wollen. Wir hatten unter uns doch im Kreis deiner Brautjungfern über Larno so oft unterhalten?"

Nerin war fassungslos. Gleichwohl sah sie Frau Lieschna, die Nerin auch als gute Freundin bezeichnen würde, nicht als die Antreiberin einer solchen Verbindung an. Es waren wohl eher unbedachte Intentionen ihres Vaters, des Fürsten, der sich hierdurch vielleicht eine gute Möglichkeit für seine Tochter bedachte- zumal Beide, wenn Lieschna und Larno sich vielleicht einander begegnen würden, vertraulich miteinander erscheinen konnten auf Dritte wie Lieschna's Vater.

'Ach du grausames Schicksal, dass sich hier wieder einmal gegen mein Glück stemmen wollte.', dachte sich Nerin und brauchte es vor Reglindis nicht verbergen. Die Augen wurden ihr feucht, bei der Vorstellung, Larno zu verlieren.

Reglindis tröstete behutsam. „Wer sagt uns, die wir hier in der Fremde sind, dass all dies stimmt."

„Es wird so eintreten, Reglindis. Genauso, wie Du es soeben vermutet hast. Und ich muss mich hier verstecken und sehe einer ungewissen Zukunft entgegen.", gestand sich Nerin offen vor Reglindis ein.

„Verstecken? Ja. Das musst Du hierzulande. Doch sei nicht ohne Hoffnung. Ich denke, die Königin Kunigunde für deinen Belang gewonnen zu haben. Sie wird sich bestimmt für eine Lösung des Eheversprechens an die Redarier stark machen, da es auch ihr nicht dem Glauben und Willen entspricht. Nur abwarten musst Du."

„Doch gelte ich in des Vaters Land der Linonen für tot erklärt, dafür haben wir allesamt gemeinsam Sorge getragen. Ich kann nicht mehr nach Lenzen zurückkehren, auch nach entlastenden Schiedsspruch nicht! Doch eines kann ich angehen: Ich werde mich nach Polen begeben und hoffen, wenn Larno mich erkennt und seine Liebe so stark ist, wie die meine zu ihm, dass Larno mich an seine Seite nimmt. Auch wenn ich Lieschna mag und sie mir eine Freundin ist, so kann und will ich Larno nicht an sie preisgeben!"

„Nein. Und Lieschna würde dies verstehen, dessen bin ich gewiss.", bestätigte Reglindis.

„Du stammst doch aus Polen. Kennst Du Welna oder ein namensgleiches Lehen?"

„Wir waren viel unterwegs mit Vater. Doch an eine Burg oder ein Lehen dieses Namens kann ich mich nicht entsonnen."

„Kannst du dich kundig machen, beste Herrin Reglindis?"

„Wir werden Abhilfe für Dich schaffen, gute Nerin. Ich bitte Dich, vorerst hier noch zu verweilen. Indessen werde ich mich- mit Bedacht allerdings- zu diesem Ort umhören. Doch scheint er nicht sehr bekannt, fürchte ich. Und wenn ich mit Bedacht sage, dann auch, um keine unwillkommenen Aufmerksamkeiten auf uns zu ziehen. Sowohl für Dich, aber auch um mich und Hermannes Wohl und Zukunft, muss dies vorsichtig geschehen. Ich werde berichten, so ich nahe der Burg Genea wieder Gelegenheit dazu finde."

So gingen die Absprachen der Freundinnen in guter Absicht auseinander.

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