Aufregung in Lenzen
Die Burg in Lenzen bereitete sich auf Besucher vor. Boten berichteten, dass sich die zwei Gesandtschaften - wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten - bereits nahe der Ansiedlung befanden.
Fürst Berogast, der Herrscher des slawischen Linonenvolkes, hörte sich die Neuigkeiten befremdet an. Was hatte dies zu bedeuten?
Seit zwei Tagen lagerte eine Abordnung der Sachsen bereits an der anderen Uferseite der Elbe in der weitgezogenen Flussaue. Man konnte die Rauchsäulen der Lagerfeuer am Tage von der Burg aus sehen. Und auch des Nachts sah man dort Lichtschein. Bislang jedoch waren die Sachsen nur mit dem Ausbau ihres Zeltlagers befasst, befestigten es jedoch nicht gegen äußere Widersacher. Dies konnte zum einen bedeuten, dass sie in friedlicher Absicht von Verhandlungen gekommen waren oder sich sicher waren, dass ihnen auf ihrer Uferseite keine Gefahren drohten. Augenscheinlich waren sie auch gut versorgt dort auf der anderen Seite, denn es kamen keine Anfragen hierzu an die Lenzener Burg.
Ein namenloser Ritter der Sachsen hatte sich gestern am Abend über die Elbe setzen lassen und den Anstieg zum Burgberg auf sich genommen. Der ältere Mann hatte sich in er großen Halle dem Fürsten vorgestellt und verkündet, dass man von Seiten der Sachsen erbat, auf der Lenzener Burg unter der Teilnahme des Fürsten Berogast eine Unterredung und Verhandlungen mit einem von Osten erwarteten Tross des Lutizenbundes auf der Burg führen zu dürfen.
Berogast hatte dies gestattet- wohl auch weil seine Neugierde zum einen am Gegenstand der Unterredungen geweckt war, zum anderen fühlte er sich von den höflichen Bekundungen der Sachsen geschmeichelt.
So wollten alle Parteien- wenn sie denn erschienen- einen Tag nach Eintreffen der Lutizen die Besprechungen beginnen, wie der Ritter bekanntmachte. Man habe auch von Seiten der Sachsen nicht die Absicht, die Unterredungen allzu lang auszudehnen. Als Verhandlungsführer der Sachsen seien der Graf Esiko von Kuckenburg und Abt Sigifred von Nienburg bereits zu benennen. Wer für den Lutizenbund ein Wortführer sein wird, dies konnte der Bote der Sachsen nicht mitteilen, ebensowenig wollte er den Grund der Unterredung vorwegnehmen. Der Ritter sprach nur von dringlichen Gründen einer Verhandlung im Beisein des Linonischen Fürsten Berogast.
Berogast lies sich seine innere Unruhe wegen der Ankündigungen und der Gäste nicht anmerken. Unterredungen mit den Sachsen hatte er schon häufig geführt. Zumeist ging es um Angelegenheiten des Handels oder um die Beilegung kleinerer Dispute. Mal war es ein Geistlicher auf einer Missionierungsreise in die slawischen Lande, der von Unbekannten überfallen oder verprügelt wurde, ein anderes Mal um Wilderei oder nicht eingehaltene Handelsabsprachen. Bislang hatte Berogast immer klare Entscheidungen treffen können und in beiderseitigem Einvernehmen eine Klärung herbeigeführt. Denn sowohl Sachsen als auch Linonen waren um ein Auskommen bemüht. Die Zeit der alten Fehden zwischen Linonen und den deutschen Nachbarn auf der anderen Elbseite waren seit vielen Jahren beigelegt.
Was Fürst Berogast beunruhigte, war der Umstand, dass nun eine Dritte Partei mit dem Lutizenbund in die Gespräche hinzukam. Die Ankündigung, dass die Vertreter der östlich siedelnden Stämme der Redarier und Lutizen hier eingebunden waren in die Unterredung, missfiel dem Fürsten. Diese im Lutizenbund vereinigten Stämme hatten große Teile der ostelbischen Slawengebiete seit dem Aufstand der Slawen erobert. Und sie drängten mehr und mehr auch näher an sein Fürstentum heran. Die Linonen hatten sich seinerzeit gegen einen Beitritt zu diesem kriegerischen Slawenbündnis ausgesprochen- und dies würde man auch zukünftig nicht wollen. Die Ziele und Anschauungen waren viel zu unterschiedlich- davon abgesehen hatten die Linonen bereits den christlichen Glauben angenommen. Kaum noch jemand in diesen Landen sprach zu den alten slawischen Göttern. Und seit Jahren war es hierzulande ruhig geblieben. Die Gebiete der Auseinandersetzungen waren mehr im Osten gelegen. Zuletzt waren es die Redarier, welche die Brisanenstämme dort im Osten unterworfen hatten. Doch auch dies lag mehrere Jahre zurück und viel Wasser war seitdem die Elbe heruntergeflossen.
Und warum - dies fragte sich Fürst Berogast- fanden die Unterredungen hier auf seiner Burg statt? Es gab zwar Gründe- die Linonen waren und verstanden sich als Slawen, jedoch unter dem Christengott waren sie über viele Jahre schon näher mit den Sachsen verbunden. Vielleicht war es diese besondere Vermischung, welche von beiden Seiten akzeptiert wurde und Burg Lenzen zum Verhandlungsort empfahl? Bald würde man es erfahren.
Es waren eben all diese Ungewissheiten, die den Fürsten verunsicherten.
Dennoch ließ Berogast ausrufen, Stadt und Burg für die Gespräche festlich vorzubereiten und den Gästen die Gastfreundschaft der Linonen aufzuzeigen.
Korn, Geflügel und Großvieh wurde aus dem Umland herangeschafft. An Nüssen, Honig, Wein und Bier war man gut bevorratet. Das Haus des Fürsten war vorbereitet, ein guter Gastgeber des Treffens zu sein.
Die Aufregungen gingen nicht an den Bewohnern der Burg vorbei.
Der Fürstensohn Beromir von Lenzen sollte seinem Vater in den Unterredungen zur Seite stehen. Mit 17 Jahren war es nach der Auffassung des Fürsten einmal mehr ein Anlass, seinen Sohn den benachbarten Gesandten als zukünftigen Nachfolger vorzustellen und dem Sohn zu zeigen, in welcher Art und Weise mit Nachbarn zu verhandeln ist.
Beromir war aufgeregt. Auch er konnte das Lager der Sachsen auf der anderen Seite der Elbe wahrnehmen. Die Neugierde brannte auch in ihm auf das Heftigste.
Ungestüm betrat er die Kemenate der Frauen- und hielt sofort inne, als ihn Marsia, die Gefährtin seines Vaters durch ein leises Zischen und einen auf den Mund aufgelegten Zeigefinger zur Ruhe mahnte. Der Grund ihrer Zurechtweisung war zu erkennen. Vor Marsia lag gut zugedeckt ein kleines Menschenwesen im festen Schlaf auf der Holzliege. Und seine Schwester Nerin döste ausgestreckt auf der anderen Seite des Raumes auf einer mit Fellen bedeckten Holzbank.
„Ja Marsia. Ist ja gut. Ich habe es ja schon gesehen, dass sie schläft."
Mit „sie" meinte Beromir allerdings nicht seine dreiundzwanzigjährige Schwester Nerin, sondern die kleine Halbschwester Berotha, die- kaum ein Jahr alt- ruhig im tiefen Schlaf lag.
Nerin indes rollte schlaftrunken ihre Augen wach und erhob sich von ihrem Lager der Mittagsruhe.
„Und? Was hast du in Erfahrung gebracht?", flüsterte Nerin kaum hörbar.
Beromir winkte Nerin aus der Kammer heraus- wortlos, und mit einem Mimikspiel Marsia um Nachsicht bittend.
„Also?" Kaum war die Tür wieder von außen verschlossen und ein Bewaffneter vorbeigelassen, fragte Nerin erneut und nachdrücklicher.
„Vater wird eine Unterredung mit zwei Lagern haben. Zum einen die Sachsen, die schon in der Elbaue lagern. Die anderen Teilnehmer sind noch nicht zu sehen, aber es sollen Abgesandte des Lutizischen Bundes sein. Ich darf zu Vaters rechter Seite beisitzen."
„Lutizen? Bist Du dir da ganz sicher?", hakte Nerin nach.
„Ja. Ich habe es von der Wache im Saal gehört. Er war beim Gespräch mit dem Boten der Sachsen dabei. Da gibt es keinen Zweifel."
„Konntest du mit Vater sprechen? Wie denkt er darüber?"
„Das hat er nicht gesagt. Er will nur, dass wir anwesend sind, wenn die Unterhandlungen stattfinden." flüsterte Beromir leise.
„Was? Ich soll auch zugegen sein?" Nerin zog ihre Stirn kraus. Wenn sie dies tat, wollte sie es nicht. Beromir kannte seine Schwester gut genug, um dies zu erkennen.
„Ja. So hat es Vater gesagt. Wollen wir ausreiten und die Lutizenleute suchen? Sie können ja nur in den Flussauen auf dieser Seite der Elbe stromaufwärts sein?"
„Ja- und Nein! Ausreiten: Ja! Die Lutizen suchen: Nein! Wir reiten zur Elde hin. Ich muss mit Jemandem sprechen!", bestimmte Nerin. Und schon machte sie sich auf, ihren Weg zu den Pferdeställen zu gehen.
„Zur Elde?" Beromir klang fast bestürzt. „Das schaffen wir doch niemals bis zum Anbruch der Nacht rechtzeitig zurück. Vater wird außer sich sein!"
„Ach was. Du sagst einfach, ich war schon ausgeritten und Du wolltest mich zurückholen."
„Das glaubt mir Vater niemals!"
Nerin steckte einen Brotlaib und Käse in ein Tuch und umschlug es dann. „Für Unterwegs! So- und nun komm, bevor uns Jemand zurückhält. Beeil dich."
So schnell wie dieser Entschluss gefasst war, so schnell hatten die Fürstenkinder sich aus der Burg gemacht.
Der Weg ging nach Norden. Auf dem flachen festen Grund der Wiesen konnten sie die Pferde zur Eile antreiben.
Nerin war ebenso dickköpfig, wie ihr Vater. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann setzte sie sich dafür energisch ein. Berowin bewunderte Nerin dafür, aber manchmal brachte es - nun ja- Probleme mit sich.
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