Kapitel 8 - Der Verbündete

Ich hob mich aus dem Wasserbecken. Ich sollte hier vermutlich auch schnellstmöglich verschwinden. Schließlich wusste ich, dass ein Lehrer nachts im Schulgebäude war. Vielleicht hatte er oder sie sogar gemerkt, dass der Schlüssel für das Schwimmbad fehlte.

Seltsamerweise war es mir egal. Im schlimmsten Fall würden sie mich von der Schule werfen und das wäre für mich eigentlich das beste Szenario.

Ich blieb am Beckenrand sitzen, ließ meine Beine im Wasser baumeln und genoss die Stille der Nacht. Tatsächlich waren meine Knie vom Tunnelsturz aufgeschürzt. Doch das Poolwasser hatte die Wunde gut gereinigt.

Ein ganze Weile sah ich mir die Reflexion des Mondes auf der Wasseroberfläche an und verlor mich in meinen Gedanken.

Mal wieder fragte ich mich, was ich eigentlich hier tat. Ich gehörte nicht hierher. Mein Heimweh kam wieder zum Vorschein. Ich wünschte Collin würde jetzt neben mir sitzen. Und es wäre mir sogar egal, dass er mich nackt sehen würde.

Ich schloss meine Augen und versuchte mir vorzustellen, dass er wirklich hier wäre. Dass er mich so sehen würde, wie ich jetzt war. Ob es ihm gefallen würde?
Schließlich wurde mir so kalt, dass ich nicht länger die Ruhe dieses Ortes genießen konnte. Ich hatte nicht einmal ein Handtuch, um mich zu bedecken. Also hielt ich eine Hand vor meinen Intimbereich und die andere vor meine nicht sonderlich ausgeprägten Brüste. Es sah nicht elegant aus, aber bedeckte zumindest das nötigste.

Der Weg von der Schwimmhalle zu den Schlafräumen führte einmal über den gesamten Campus. Mittlerweile regnete es nicht nur, sondern es zuckten auch Blitze über den Himmel. Donner dröhnte in meinen Ohren.

Ich konnte spüren, wie mein Körper mit jedem Meter weiter auskühlte und das obwohl ich rannte. Zweimal schrie ich laut auf, weil ich offenbar in etwas Spitzes getreten war. Doch niemand schien mich zu hören. Ich begegnete nicht einem einzigen Menschen auf meinem Weg zurück. Auch nicht dem Jungen, der mich durch das Fenster beobachtet hatte.

Endlich erreichte ich das Gebäude, in dem mein Zimmer war. Wir ein geprügelter Hund lief ich den Gang zu meinem Zimmer entlang.

Dann klopfte ich kraftvoll gegen die Zimmertür. Meinen Schlüssel hatte ich selbstverständlich nicht dabei. Ich konnte nur hoffen, dass Lou mich hörte und mir aufmachte. Wo war er überhaupt gewesen, als die mich geholt hatten? War er eingeweiht gewesen? Wenn ja, würde ich ihm das nicht verzeihen. Von wegen "Team".

Tatsächlich öffnete sich die Tür.

Lou sah mich entsetzt an. Es hätte offensichtlicher nicht sein können, dass er nicht eingeweiht war.

"Oh shit", kam es über sein Lippen. Dann packte er mich sanft am Oberarm und zog mich ins Zimmer. "Was haben die mit dir gemacht?", fragte er und schloss die Tür hinter uns. Er griff nach meiner Bettdecke und legte sie mir um die Schultern. Erst jetzt, wo ich zum Reden ansetzen wollte, fiel mir auf, wie sehr ich mit meinen Zähnen klapperte. Mein gesamter Körper zitterte.

"Willkommensritual", brachte ich mit Mühe hervor.

Lou legt seinen Arm um mich und versuchte mich warm zu rubbeln.

"So etwas habe ich mir schon fast gedacht. Was musstest du machen?"

"Schlüssel für die Schwimmhalle aus Lehrerzimmer holen", bibberte ich. "Und dann nackt vom 10-Meter-Turm springen."

Mitleidig sah er mich an.

"Und dann haben sie die dir Sachen geklaut und sind abgehauen?"

Ich nickte, während er sichtlich wütend war.

"Diese dummen Gänse. Die denken auch, sie wären etwas ganz Besonderes."

"Wo warst du, als die mich geholt haben?"

Schuldbewusst sah er zu Boden.

"Duschen."

"So spät?"

Er nickte.

"Ja, ich gehe immer duschen, wenn alle fertig sind." Er suchte kurz den Blickkontakt zu mir. "Du kannst dir vorstellen warum." Ich nickte, dann fuhr er fort. "Jeder weiß das und ich denke, dass sie die Duschen heute extra lange blockiert haben, sodass ich erst gegen Mitternacht rein konnte und diesen Moment haben sie genutzt."

Wütend presste ich meine Lippen zusammen.

"Das sind wirklich dumme Gänse!"
Er drückte mich noch näher an sich, um mir seine Körperwärme abzugeben.

"Vielleicht sollten wir dich einfach unter die warme Dusche stellen. Ich mache dir derweil einen Tee. Ich denke, danach solltest du wieder warm sein."

Ich nickte.

Lou suchte mir ein großes Handtuch aus meinem Kleiderschrank und brachte mich dann zur Dusche.

"Ich gehe Tee holen", ließ er mich wissen.

Die Tatsache, dass er mich allein ließ, fühlte sich nicht gut an. Was war, wenn sie mit mir noch nicht fertig waren? Wenn sie wiederkamen? Wenn das Teil eines großen Plans war?

"Lou?"

"Hmm?"

"Kannst du bitte hier bleiben? Ich habe Angst."

Mitleidig sah er mich an.

"Willst du, dass ich mit dir in die Dusche komme?"

Ich wusste, dass er ein Junge war, doch irgendwie war er trotzdem anders. Ich hatte bei ihm keinerlei Bedenken mit ihm zusammen in den Waschräumen zu sein.
"Wenn es dich nicht stört. Du kannst dich ja umdrehen."

Ein sanftes Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Mach ich! Versprochen!"

Also gingen wir zu Zweit in die Gemeinschaftsduschen. Lou nahm sich einen Hocker und setzte sich mit dem Rücken zu mir, während ich mir warmes Wasser über den Körper laufen ließ.

"Die nennen sich Lantry Girls", erzählte ich ihm. "Was sollte ich über die wissen?"

Er machte ein abfälliges Geräusch.

"Gar nichts! Das sind unreife Mädels, die zu viele US-Filme mit Studierendenverbindungen gesehen haben."

"Haben sie mit dir damals auch so ein Aufnahmeritual gemacht?"

"Nein, die gab es damals noch nicht. Erst vor zwei Jahren hat dieser Mist angefangen. Denn da kam Mary an die Schule."

"Ist sie klein und leichenblass?"

"Ja!" Der Geist! "Sie hat damit angefangen, weil sie dachte, es wäre cool. Ein paar Mädchen haben sich ihr angeschlossen, aber die meisten finden sie lächerlich. Wenn du mich fragst, würde ich mich von denen einfach fernhalten. Keiner kann sie wirklich leiden."
Auf einmal fühlte ich mich dumm. Warum hatte ich mich überhaupt darauf eingelassen? Ich hätte einfach "Nein" sagen können. Sie hätten mich nicht zwingen können ins Lehrerzimmer einzubrechen.

Mein Körper kribbelte nun und die Haut war feuerrot. Die Durchblutung kam zurück. Mittlerweile war auch das gesamte Bad mit Dampf gefüllt.

Ich schaltete die Dusche aus und wickelte mich in mein Handtuch, das noch den Weichspülergeruch von zuhause hatte.

Dann kopfte ich Lou auf die Schulter, der kurz zusammenzuckte, weil er mich offenbar nicht so dicht hinter sich erwartet hatte.

"Wir können los, ich bin wieder aufgewärmt. Jetzt noch ein Tee und ich bin wieder fit."

Wir verließen gemeinsam die Duschen und machten uns auf zur Teeküche. Plötzlich öffnete sich eine Zimmertür. Lou hatte instinktiv einen Schritt näher an mich herangetreten.

Es war tatsächlich Mary, die herausblickte.

Als sie Lou sah, schien ihr Selbstbewusstsein plötzlich verflogen zu sein.

Moment! Diese Art von Blick kannte ich.

Sie stand auf ihn!

"Hey", sagte sie plötzlich ganz schüchtern, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

Ich hakte mich provokant bei Lou unter, der es nicht nur zuließ, sondern mich noch dichter an sich heranzog.

Weder Lou noch ich antwortete ihr, was sie sichtlich verunsicherte. Wir ignorierte sie und gingen in die Teeküche, während Maryoffensichtlich in einer der Klokabinen verschwand.

"Sie steht auf dich", ließ ich Lou wissen, sobald sie außer Reichweite war.

Er schien nicht überrascht.

"Ich weiß. sie bekommt ihren Mund nicht mal auf, wenn ich auch nur anwesend bin. Aber vielleicht wird uns das noch mal ganz nützlich, denn so ganz ungestraft soll sie ja nicht davon kommen, oder?" Er grinste mich schief an, während er den Wasserkocher einschaltete.

"Du willst Rache?"

"So würde ich es nicht formulieren, aber vielleicht ergibt sich einfach eine Situation, um ein bisschen Gerechtigkeit zu schaffen. Sie sollte in Zukunft besser die Finger von dir lassen. Wir sind jetzt schließlich ein Team."

Bei diesen Worten wurde mir warm in meiner Brust. Es tat so gut zu hören, dass ich offenbar einen Verbündeten in dieser grauen Hölle gefunden hatte. Ich hatte immer nur Semra und Collin als echte Freunde gehabt. Ich war daher denkbar schlecht darin neue Freundschaften zu schließen. Umso mehr freute es mich nun, dass ich es offenbar geschafft hatte, zumindest einen Freund zu finden. 

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