Kapitel 30 - Das Missverständnis

"Negativ!", rief Lou als würde er den Weltfrieden verkünden.

"Na siehst du!", sagte ich freudig.

Lou ließ sich auf seine Knie fallen. Der Stein von seinem Herzen fiel gleich mit.

"GOTT SEI DANK!", rief er. "Oh Gott, Oh Gott, Oh Gott! Du kannst dir nicht vorstellen, wie angespannt ich war. OH. MEIN. GOTT!"

"Doch glaube mir. Denn wäre er positiv gewesen, hätte ich auch meiner Mutter einen positiven Schwangerschaftstest erklären müssen" scherzte ich.

Lou rappelte sich auf und schloss mich in eine innige Umarmung. Er vergrub sein Gesicht an meiner Schulter.

"Du bist die beste! Echt die Beste! Mir konnte echt nichts Besseres passieren, als mit dir in einem Zimmer zu sein."

Ich drücke ihn fest an mich. Er hatte ja keine Ahnung, dass er mir mindestens genauso viel bedeutete.

"Ich liebe dich auch, Lou", flüsterte ich ihm im Spaß ins Ohr.

Als wir die Waschräume verließen, fiel mir auf, dass noch jemand im Flur stand. Jemanden, dem ich eine Erklärung schuldig war.

"Was zur Hölle ist los?", fragte George, der vollkommen aufgewühlt schien.

Nach dem Telefonat mit meiner Mutter hatte ich ihm nur geschrieben "Ich erkläre dir alles später"

Ich zog George ins Lous und mein Zimmer. Es musste ja nicht jeder unser Soap Opera Drama mitbekommen. Noch immer hielt ich den Test in meiner Hand. George war das nicht entgangen.
"Wieso hast du einen Schwangerschaftstest in der Hand?", fragte er erstaunlich sachlich.

Aufgrund der Tatsache, dass wir noch keinen Sex gehabt hatten, könnte er nun wüste Anschuldigungen machen. Doch er tat es nicht. Er schien vollstes Vertrauen darin zu haben, dass ich eine gute Erklärung dafür hatte.

"Das ist meiner", sprang nun Lou für mich ein.

George zog überrascht eine Augenbraue hoch. Er wusste, dass Lou trans war, aber das überstieg dann doch seine Vorstellungskraft.

"Deiner?", fragte er sicherheitshalber noch einmal noch, obwohl ich mir sicher war, dass er ihn auch schon beim ersten Mal gut verstanden hatte.

"Ja, ich hatte einen kleinen Ausrutscher. Und Millie hat mich gedeckt, weil ihre Mutter hier aus heiterem Himmel aufgetaucht ist."

"Aber mir erzählst du es?", fragte George überrascht.

"Na ja, Millie vertraut dir. Also tue ich das auch."

Nie hatte jemand schöner wahre Freundschaft beschrieben. Mein Herz wurde warm und war nun wie eine kleine Wärmflasche in meiner Brust.

"Okay, und was ist rausgekommen?", erkundigte sich George neugierig.

"Negativ", sagten Lou und ich glücklich im Chor.

"Okay", versuchte George abgeklärt zu sein, war aber augenscheinlich noch etwas überfordert. "Und deine Mutter denkt, dass ich dich geschwängert haben könnte?", richtete er das Wort nun wieder an mich.

Zögerliche nickte ich und sofort tauchten Bilder in meinem Kopf auf, wie wir tatsächlich Dinge taten, die zu einer Schwangerschaft führen könnten.

"Tut mir leid", entschuldigte ich mich. "Es ging nicht anders."

Er zog einen Mundwinkel hoch und kam zu mir.

"Schon okay." Er legte seine Arm um mich herum und drückte mich an sich. "Es gibt schlimmere Vorstellungen."

Überrascht sah ich ihn an, doch er lachte nur. Das blieb ihm jedoch im Halse stecken, als meine Mutter plötzlich wieder im Türrahmen auftauchte. Sie wirkte tatsächlich ruhiger, aber noch weit weg von entspannt.
Ich reichte ihr den Test.
"Negativ", sagte ich.

Sie musterte währenddessen George, der mich noch enger an sich zog.

"Gott sei dank! Schlimm genug, dass dein Vater nicht verhüten kann und mit Mitte 50 noch ein Kind in die Welt setzt. Ich hoffe, dass ihr beiden eure Lehre daraus gezogen habt und so etwas nicht noch einmal passiert!"

Abwertend sah sie George an. Das war ein denkbar schlechter erster Eindruck, den er bei ihr hinterließ und das auch noch vollkommen unverschuldet.

"Das ist übrigens mein Freund", ließ ich Mama wissen. "George."
George reichte meiner Mutter die Hand, die sie nur widerwillig annahm.

"Wie auch immer. Ich habe die Zeit genutzt, um mit der Verwaltung zu sprechen und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es das Beste ist, wenn du zu deinem Vater nach Vancouver ziehst. Er muss jetzt eh beruflich kürzer treten und hat wieder mehr Zeit."
"NEIN!", rief wir Drei gleichzeitig.

Mama sah mich verständnislos an.

"Millie, das war doch dein Wunsch. Du wolltest nicht hierher. Du hast uns vorgeworfen, dass wir dich nur abschieben. Und jetzt, wo dein Vater dich wieder bei sich aufnehmen will, ist es auch wieder nicht richtig?"

"Ich habe mich arrangiert. Ich habe hier Freunde gefunden."
"Die wirst du auch in Vancouver finden! Die Entscheidung steht. Ich hatte das eh schon mit deinem Vater vor einigen Tagen besprochen. Laut seiner Aussage hast du nämlich sehr deutlich gemacht, wie wenig du davon gehalten hast, dass wir dich nach England geschickt haben."

"Ja, aber jetzt will ich hier bleiben." Ich klammerte mich an George. "Ich will nicht schon wieder umziehen und die Neue sein."

"Man kann es dir doch eh nicht recht machen! Ich denke, es ist besser, wenn jemand wieder ein Augen auf dich hat. Eine Fast-Schwangerschaft hat mir als Beweis gereicht, dass du einfach noch nicht reif genug bist, ohne richtige Betreuung zu wohnen."

Ich sah, wie Lou zum Sprechen ansetzte, doch ich griff seine Hand und drückte sie fest, damit er nichts sagte. Es ging hier nicht nur um diesen Schwangerschaftstest.

"Ich gehe nicht."

"Doch Millie. Denn wenn wir kein Schulgeld mehr zahlen, kannst du weder hier wohnen, noch am Unterricht teilnehmen. Ich werde noch für diese Woche einen Flug nach Kanada buchen. Pack lieber schon mal deine Sachen."

"Das ist doch mal wieder der beste Beweis, wie egal ich dir bin", beschwerte ich mich. "Ich fühle mich hier wohl. Ich habe hier Freunde gefunden, aber du bist ja mal wieder der Meinung, es besser zu wissen. Kann dir ja aber eh egal sein. Du schiebst mich ja eh wieder nur woanders hin. Du willst dich ja gar nicht mit meinen Alltagsproblemen auseinandersetzen. "
"Weißt du Millie, irgendwoher muss das Geld ja auch kommen. Es ist nicht selbstverständlich, wie privilegiert du aufgewachsen bist. Auch dieses Internat können sich nur sehr wenige leisten. Und das können wir nur, weil sowohl dein Vater als auch ich sehr hart arbeiten."

"Ich hätte lieber weniger Geld und dafür mehr Familienzeit gehabt."

Wütend verschränkte ich die Arme vor meiner Brust.

"Millie, ehrlich gesagt, ist es mir wirklich egal. Ich bin deine Mutter und entscheide, was für dich das Beste ist. Und der heutige Tag hat mir gezeigt, dass du hier nicht gut aufgehoben bist."

"Sie irren sich", mischte sich George ein.

"Du sagst besser gar nichts", keifte meine Mutter ihn an. "Es ist absolut unverantwortlich ohne Verhütung Sex zu haben."

Wieder setzte Lou zum Sprechen an und wieder hielt ich ihn wortlos zurück.

"Mama, ich sage es nur einmal: Ich werde alles tun, um hier zu bleiben. Koste es, was es wolle!"

"Sie hatte keinen ungeschützten Sex", mischte sich Lou nun doch ein.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu.

"Halt die Klappe", zischte ich.

"Sie hatte gar keinen Sex", sprach er einfach weiter. "Zumindest soweit ich weiß."

Meine Mutter sah ihn entgeistert an.

"Dir ist schon bewusst, dass man einen Schwangerschaftstest nur macht, wenn man vorher Sex hatte", redete sie mit ihm als wäre er dumm. Plötzlich hielt meine Mutter inne und sah mich erschrocken an. "Wurdest du vergewaltigt?"

Oh jee, das wurde nur noch schlimmer.

"Ich will nicht drüber reden", war alles, was ich dazu sagte.

"Schatz, ich muss es wissen. Hat dich jemand angefasst?"

Vielen Dank für die Verschlimmbesserung, Lou! Ich funkelte ihn wütend an.

"Nein", antwortete Lou für mich. "Es ist mein Test."

Die Synapsen im Gehirn meiner Mutter schienen nicht mehr hinterher zu kommen.

"Dein Test?", fragte sie vollkommen irritiert. "Du weißt schon, dass Männer nicht schwanger werden können, oder?"

Sie schaffte es nicht ihre Überheblichkeit abzulegen.

"Ich schon", sprach Lou mit kräftiger Stimme. "Ich kann schwanger werden.

Mama verdrehte die Augen.

"Sind hier eigentlich alle verrückt geworden?"
"Ich bin trans", sagte Lou und ich sah ihm an, wie viel Überwindung es ihm kostete. Er hasste Situation, in denen er sich outen musste. "Deshalb teilt ihre Tochter ein Zimmer mit mir. Denn für die Schulverwaltung bin ich noch ein Mädchen. Millie hat mit all dem nichts zu tun. Also lassen Sie sie bitte hier."
Die Kinnlade von meiner Mutter klappte nach unten.

Willkommen in meinem Leben, Mama!

"Trans? Du bist also kein richtiger Junge?"
"Doch!", sprachen Lou und ich im Chor.

"Aber ich wurde im Körper eines Mädchens geboren", fügte Lou noch hinzu.

Mama schüttelte ungläubig den Kopf.

"Ich glaube, jetzt brauche ich wirklich frische Luft."

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie den Raum und ließ uns drei verdattert zurück. 

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