Kapitel 23 - Die Vergangenheit

Wie zu erwarten hatte ich eine leichte Rauchvergiftung, konnte das Krankenhaus am selben Tag aber schon wieder verlassen.

Es war John, der mich mit dem Auto abgeholt hatte und mich zurück ins Internat fuhr.

"Da hast du uns aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich bin froh, dass keiner ernsthaft Schaden genommen hat."
"Ja, es war wirklich knapp. Lou hätte sterben können. Was hat die Polizei dazu gesagt?"

Johns Blick war gerade aus auf die Straße gerichtet. Ich bemerkte, wie er das Lenkrad fest umgriff.

"Du hättest genauso gut sterben können! Deine Heldenaktion hätte auch nach hinten losgehen können", sprach er mahnend. "Die Polizei sagt, dass es ein dummer Jungenscherz war. Tatsächlich hat auch niemand die Umkleiden angezündet, sondern nur die Mülltonnen davor. Der Wind stand wohl ungünstig und hat den Rauch dort hineingetrieben. Daher wird nicht so ernst genommen, wie es eigentlich genommen werden sollte. Ich denke, wir wissen eh alle, wer es war."

Mein Blick schnellte in seine Richtung.

"Du denkst auch, dass es George war?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, nicht George, aber seine Mannschaft."

Damit hatte er wahrscheinlich sogar recht.

"Ja, vermutlich", sagte ich nachdenklich und sah aus dem Fenster, wo kahle Wiesenflächen an uns vorbeizogen. "George würde das niemals tun."

"Ich weiß", murmelte John.

"Könntest du mich bei ihm absetzen? Ich würde gern mit ihm sprechen. Er wohnt im Dorf."

"Klar, kein Problem."

Mir fiel wieder das Gespräch ein, dass ich mit John geführt hatte kurz bevor uns der Brand aufgefallen war.

"Woher kennst du Georges Familie?", hakte ich nach. "Du hast vorhin gesagt, dass du sie kennen würdest."

Er schluckte schwer und ich spürte, dass etwas nicht stimmte.

"Lange Geschichte", versuchte er mich abzuwimmeln.

Doch so schnell gab ich nicht auf.

"Ich habe Zeit", ließ ich ihn wissen.

Kurz sah er zu mir herüber. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Das konnte ich seinem Blick ansehen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.

"Hast du etwas mit dem Unfall von damals zu tun? ...Bei dem Georges Schwester starb."

Er trat auf das Bremspedal, sodass ein Ruck durch das Auto ging. Wir kamen zum Stehen. Ich starrte ihn erschrocken an, doch er wirkte erstaunlich ruhig.

"Tut mir leid. ich wollte nicht so abrupt bremsen", entschuldigte er sich und schien ein wenig neben sich zu stehen.

"Schon okay", sagte ich mit zitternder Stimme, denn seine Reaktion ließ mich unruhig werden. "Habe ich Recht, dass du beim Unfall dabei warst?"

Er deutete ein Nicken an.

"Ich bin nicht gefahren, aber ich saß im Auto. Ich habe gesehen, wie sie gestorben ist. Und ich habe auch George gesehen, wie er geschrien und geweint hat, als er realisierte, dass sein Schwester tot ist." Vor Johns innerem Auge schienen sich Bilder abzuspielen, die ihn in eine andere Welt versetzten. "Ich wusste, dass der Fahrer getrunken hatte und das macht mich mitschuldig. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und es ungeschehen machen." Ich bemerkte wie seine Augen glasig wurden. "Nach dem Unfall hatte ich Lantry erst einmal verlassen, doch ich habe ihnen zu jedem Jahrestag einen Brief geschrieben. Und als ich als Lehrer zurückkam, haben wir beschlossen, dass wir uns treffen. Ich glaube, dass ihnen das gut getan hat, denn sie konnten all ihre Fragen stellen."

Kaum zu glauben, dass ein so netter Mensch wie John so ein Mist gebaut hatte.

"Ich habe echt Scheiße gebaut. Genau wie die Jungs, die heute die Tonne angezündet haben. Nur mit dem Unterschied, dass sie Glück hatten und es gut ausgegangen ist. Wenn man jung ist, denkt man manchmal einfach nicht genug über die Konsequenzen nach. Mach bloß nicht den gleichen Fehler!"

Sein Blick lag nun streng auf mir und ich fühlte mich gezwungen zu nicken, um zuzustimmen, dass ich so eine Dummheit nie anstellen würde.

Dann setzte er unser Auto wieder in Bewegung, während ich mich in meinen Gedanken verlor. Manchmal waren es so kleine Entscheidung, die ein ganzes Leben ändern oder gar auslöschen konnten.

Wir schwiegen den Rest der Fahrt. Es war eine bedrückende Stimmung und ich war froh, als John mich vor Georges Haus absetzte.

"Danke", sagte ich und zwang mir ein Lächeln auf. Auch seins wirkte nicht echt. Ich hatte Wunden aufgekratzt, die er schon für verheilt geglaubt hatte. Ich konnte gar nicht schnell genug aus dem Auto steigen. Ein letztes Mal warf ich ihm einen Blick zu und sah tiefen Schmerz in seinen Augen. Ich musste mir klar machen, dass er der Täter war. Ich sollte mit Georges Familie Mitleid haben und nicht mit John. Doch die Wahrheit war, dass sie mir beide leid taten.

Ich klingelt an Georges Tür. Es war Violet, die mir öffnete.
"Millie, schön dich zu sehen! Ich habe von dem Brand auf eurem Sportplatz gehört. Ist alles in Ordnung?"

Sie hatten Lockenwickler in ihren dicken schwarzen Haaren, doch es schien sie nicht zu stören sich mir so zu präsentieren.

"Ja, alles gut. Es wurde niemand ernsthaft verletzt. Wir sind mit dem Schrecken davon gekommen. Ist George da?"

"Ja, komm doch rein. Er ist oben in seinem Zimmer. Mit seinem Fuß kann er momentan eh nicht viel machen."

"Danke, dann schau ich mal nach ihm."

Schnell lief ich die Treppen hoch. Ich hatte das dringende BEdürfnis ihn zu sehen. Er richtete sich sofort auf, als ich sein Zimmer betrat.

"Hey, was machst du denn hier?"

"Ich habe mich auf dem Weg vom Krankenhaus hier absetzen lassen", ließ ich ihn wissen. Ich hatte ihm bereits geschrieben, was passiert war.

"Wie geht es dir?", erkundigte er sich sichtlich besorgt.

"Ganz gut. Mein Hals tut noch ein bisschen weh und meine Augen brennen, aber morgen sollte das weg sein."
"Du siehst ehrlich gesagt auch so aus, als hättest du gerade gekifft", scherzte er und ich war ihm dafür sehr dankbar. "So rot wie deine Augen sind." Dann streckte er die Hand nach mir aus, um mich zu sich heranzuziehen. Ich setzte mich auf seine Bettkante und er gab mir einen Kuss auf die Wange. Die kurze Berührung löste in mir Gefühle aus, die sich anfühlten, als würde ich gerade im Weltall Achterbahn fahren.

"Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist."

Er streichelte über meinen Handrücken. Die kreisende Bewegungen seines Daumens weckten in meinem Bauch einen Schwarm Schmetterlinge.

"Es waren deine Leute, oder?", fragte ich vorsichtig.

Er zuckte mit den Schultern, ließ meine Hand jedoch nicht los.

"Ich weiß es nicht", sagte er aufrichtig. "Aber ich kann es nicht ausschließen. Ich werde mit ihnen reden, aber sie werden es eh abstreiten." Er ließ senkte voller Scham seinen Kopf. "Es tut mir so leid."

"Es doch nicht deine Schuld", versuchte ich ihm Mut zu zusprechen.

Er hob wieder seinen Blick. Wir sahen uns an und es war, als wäre zwischen uns ein Feuerwerk explodiert. Jedoch ohne den ganzen Rauch, GEstank und Lärm. Sondern einfach nur wunderschöne Funken in allen Farben.

Ich wollte ihn küssen, doch ich traute mich nicht.

"Wir haben bald unseren Dezemberball", sagte ich schließlich als auch er nichts sagte. Wir waren beide wirklich nicht gut darin, uns näher zu kommen. "Möchtest du meine Begleitung sein?"

Sein Blick wurde finsterer. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich war davon ausgegangen, dass er sich freuen würde.

"Millie, ich würde wirklich gerne, aber das geht nicht. Niemand darf wissen, dass-."

"Sie wissen es", unterbrach ich ihn. "Meine Mannschaft weiß, dass wir... befreundet sind."

Überrascht sah er mich an.

"Wirklich? Wie war ihre Reaktion?"

"Ich denke, sie werden es früher oder später akzeptieren."

Ich konnte nur hoffen, dass ich sie davon überzeugen konnte, dass George nichts mit dem Brand zu tun hatte.

"Das hört sich an, als wären sie nicht so begeistert gewesen."
"Sie haben keine Jubelsprünge gemacht, aber sie werden dir auch nicht an die Kehle springen, wenn du beim Ball auftauchst. Also kommst du?"

"Ich kann doch nicht einmal richtig laufen, geschweige denn tanzen."

"Ist mir egal. Ich nehme auch ein humpelndes Date. Ich würde mich wirklich freuen, wenn du kommen würdest."

Er zögerte. Bettelnd sah ich ihn an. Eigentlich sollte das so nicht sein. Ich wollte nicht um ein Date betteln müssen!

"Ich habe Angst, dass es wieder so eskalieren könnte wie beim Fußballspiel", sprach er leise.

Ich strich ihm über den Arm. Er machte sich viel zu viele Sorgen.

"Wird es nicht! Versprochen."

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