Treffen im Dunkeln (24)
Emily Kreuz erwachte mit bohrenden Kopfschmerzen.
Ein immer wiederkehrendes, metallisches Klirren hallte durch die Luft, während die Hauptkommissarin stöhnend ihre Augen öffnete.
Es war dunkel, man hatte ihr die Augen verbunden.
Die Kabelbinder schnitten in Emilys Handgelenke und Knöchel und der Boden unter ihr bebte.
War sie... in einem Fahrzeug?
Emily rollte sich zur Seite.
Ihr Rücken stieß gegen die kalte Metallwand des Raums, in dem sie sich befand.
Sie schob sich mit den Beinen an der Wand nach oben, bis sie saß und schüttelte den Kopf, bis das raue Stück Stoff von ihren Augen rutschte.
Ein dämmriges Zwielicht herrschte in dem Fahrzeug.
Sie war wohl in einem Anhänger, wie man ihn benutzte um Pferde zu transportieren und sie war nicht allein.
An der Hintertür, bei der der Griff, um den Anhänger im Notfall von Innen öffnen zu können, abmontiert worden war, stand Lady Laeta de Dolores höchst persönlich.
Die kleine Serienmörderin schnaubte frustriert, während sie mit bloßen Fäusten auf das Metall einschlug.
Ihre Knöchel blutete bereits und die rote Flüssigkeit besudelte den Anhänger, um die überraschend deutlichen Einschlagsorte ihrer Feuste.
Die Polizeihauptkommissarin runzelte die Stirn.
Wie war das überhaupt möglich? Man konnte ein Metall, das dafür konstruiert war Pferde aufzuhalten, nicht einfach mit bloßen Händen verbiegen!
Emily lehnte den schmerzenden Kopf an die angenehm kühle Wand und sah sich im Anhänger um. Ihr gegenüber lagen zwei Paar zerrissene Kabelbinder, vermutlich die, mit denen die Lady gefesselt gewesen war. Sonst war der Wagen leer.
Mit jedem, unangenehm lauten, Schlag der Serienmörderin intensivierte sich der Schmerz in Kreuzes Hinterkopf.
"Hör auf.", murmelte sie.
Die Lady schlug unbeirrt weiter auf die Türe ein.
"Bitte hör auf."
Dieses mal war Emilys Stimme lauter.
Augenblicklich stoppte das lästige Geräusch und die Lady wirbelte, mit wehenden Haaren, zu ihrer Mitgefangenen herum.
Ein breites Grinsen schob sich über die Züge der Mörderin.
"Kreuzi!"
"Ja.", murmelte die Polizisten erschöpft.
"Du bist wach!"
"Ja."
"Ist das nicht schön? Du und ich, nur wir zwei, ganz allein, auf dem weg in ein spannendes Abenteuer?"
"Nein, ist es nicht. Ich hielt Sie übrigens nie für verrückt, Brunner, auch wenn ich diese Theorie jetzt vielleicht überdenken muss."
Die Lady warf den Kopf in den Nacken und lachte kreischend auf. Das Geräusch schickte eine weitere Welle des Schmerzes durch Emilys Kopf. Erneut stöhnte sie leise und kniff die Augen zusammen. Was für ein Albtraum!
"Ach komm schon, Kreuzi, sei keine Spaßverderberin.", trällert Leata de Dolores, plötzlich ganz nah bei Emily.
Die Polizistin riss die Augen wieder auf und blickte genervt zu der kleineren Frau, die jetzt neben ihr kauerte, hinüber.
"Hau ab.", zischte Emily Kreuz, "Was gibt Ihnen die absurde Ansicht, ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen? Der einzige Moment, in dem ich mich freuen würde Sie zu sehen, wäre vor Gericht, bei Ihrer Verurteilung zu lebenslanger Sicherheitsverwahrung, nach der Sie auf nie mehr Wiedersehen in eine Zelle wandern."
Die Lady sah Emily mit einem komischen Gesichtsausdruck an. Für einen Moment sah sie tatsächlich aus, als hätten Emilys Worte sie verletzt, dann lachte sie wieder.
Es war ein schreckliches Geräusch, schrill, hart und vollkommen fehl am Platz.
Emily wand ihr Gesicht wieder von der Lady ab. Sie wusste, dass die andere Frau eine tickende Zeitbombe, und sie, gefesselt wie sie war, vollkommen hilflos war.
Wie damals Fiona Gnir.
Sie war der Lady ausgeliefert, und trotzdem blieb sie ruhig.
Vielleicht lag es an den Betäubungsmittelen, die sich noch immer in ihrem Körper befanden, aber die Angst vor dem, was die Lady tun könnte, machte sich nur sehr langsam in ihr breit.
Als hätte Laeta de Dolores ihre Gedanken gelesen, schnellte sie plötzlich nach vorn umd packte Emily an dem Kabelbinder an ihren Beinen. Der Schmerz an der Einschnittstelle des Plastiks intensivierte sich.
Tränen schossen in Emilys Augen. Sie hatte die Lady recherchiert, sie kannte ihre Grausamkeit.
Hauptkommissarin Kreuz wollte nicht enden, wie ihr Vorgänger, oder Fiona Gnir, oder Leon Kurz oder einer der etlichen anderen.
"Lass das.", wimmerte Kreuz leise. Die Lady hob den Kopf grinsend.
"Ach, jetzt kannst du mich duzen.", kicherte sie.
Der Schmerz wurde schlimmer, als Laeta de Dolores an den Fesseln zog.
Ein Schnappen hallte durch den Anhänger, als der Kabelbinder zwischen Lady Laeta de Dolores' Fingern einfach zerriss.
Emily sah ihr Gegenüber verwirrt an.
Das Handeln der Lady ließ sich mit nichts, was in ihrem Täterprofil stand, in Einklang bringen. Dem nach war sie eine Psychopathin, die es genoss Macht über andere zu haben, eine Sadistin mit einer gefährlichen Paraphelie, um genau zu sein mit Hämatophelie, dem Fetisch für Blut. Sie geilte sich an der Angst, der Machtlosigkeit und dem Leid ihrer Opfer auf. Folter und Mord brachten der Lady Freude, höchst wahrscheinlich sogar sexuelle Erregung.
Dass sie jetzt, dadurch, dass sie Emily befreite, ihre Machtposition, die ihr Folter und Mord um einiges erleichtert hätte, aufgab, passte nicht ins Bild.
Das beunruhigte Emily etwas, da es so für sie schwerer wurde, die Mörderin einzuschätzen.
"Dreh dich um.", befahl die Lady.
"Nein, warum sollte ich?"
"Deine Hände. Die sind auch gefesselt."
"Ich werde mich ganz bestimmt nicht für Sie auf den Bauch legen, Frau Brunner. Ich kenne Sie und ihre Machtfantasien. Wieso sollte ich Ihnen vertrauen?"
"Weil ich dich liebe."
Jetzt war es an Emily in schallendes Gelächter auszubrechen.
"Nein, Brunner, das tun Sie nicht. Da müssen sie sich schon eine bessere Masche einfallen lassen."
Jetzt gab es keine Zweifel mehr.
Die Lady sah verletzt aus.
Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Emily an ein Kind, das sie einmal aus einer missbräuchlich Familie geholt hatte.
Die Mörderin sah tatsächlich so drein, als habe jemand, der ihr wichtig war, ihr weh getan.
Es war fast, als meine Laeta de Dolores ihre absurde Behauptung tatsächlich erst.
Emily überlegt kurz.
Die berüchtigte Lady Laeta de Dolores hatte sich also in den Kopf gesetzt, dass sie sie liebte, wie schon Brant und Gnir angemerkt hatten.
Die Hauptkommissarin wusste, dass die Lady ihre eigenen Nachforschungen angestellt hatte. Vielleicht hatte sie dabei herausgefunden, dass Emily in einer Machtposition, lesbisch und Single war. Vielleicht hatte die Lady, auf die das auch zutraf, deshalb beschlossen, dass sie Kreuz liebte, denn Emily war sich nach wie vor sicher, dass sie das nicht wirklich tat.
Hauptkommissarin Kreuz selbst konnte die Lady weder leiden, noch fand sie sie sonderlich attraktiv, aber vielleicht ließ sich mit deren seltsamer Obsession für sie arbeiten.
Wahrscheinlich würde ein gewisses Maß an Kooperation die Lady kontrollierbarer und weniger gefährlich machen. Außerdem hatte die Polizistin im Moment keinen besseren Plan.
Also beschloss Emily, dass sie fürs erste mitspielen würde.
"Na gut, gehen wir davon aus, dass Sie die Wahrheit sagen. Wieso sollte ich Ihnen glauben?", meint die Polizistin und verdrehte die Augen.
Auf der Stelle kehrte das Grinsen in die Züge der Lady zurück.
Sie kam näher.
"Unterstehen Sie sich, Brunner! Erklären sie sich mit Worten, nicht mit Taten."
"Nenn mich nicht so. Ich will nicht immer an diese Leute erinnert werden, wenn du mit mir sprichst."
"Ihre Eltern?"
"So kann man sie wohl kaum nennen."
"Wie soll ich Sie nennen? Ich werde Sie übrigens auf keinen Fall mit 'Lady Laeta de Dolores' ansprechen, bevor Sie das vorschlagen."
Die Lady legte den Kopf schief und dachte anscheinend nach.
"Lucy.", antwortete sie dann, "Den Namen habe ich immer gemocht."
"Einverstanden, Lucy, da Sie es wohl für nötig halten meinen Nachnamen zu verstümmeln, können Sie mich Emily nennen."
Die Lady machte einen Satz nach vorne und umarmte Emily stürmisch.
"Ja, Emily! Danke!"
"Lassen. Sie. Mich. Los."
Lucy zögerte.
"Wenn ich deine Fesseln wegmachen darf."
"Sie haben sich noch nicht erklärt. Ich lege mich nicht auf den Bauch, bis Sie mir erklären, warum ich ihnen glauben sollte. Es ergibt keinen Sinn, dass Sie mich ganz plötzlich lieben würden."
Am liebsten hätte sich Kreuz auf die Zunge gebissen.
Sie hatte doch mitspielen wollen!Gleichzeitig verspürte sie das Bedürfnis der Lady an den Kopf zu werfen, dass sie schuld am Tod ihres Bruders war.
Langsam nickte Lucy und nahm erneut einen angemessen Abstand ein. "Ich habe von dir geträumt. Du warst Nola. Also zuerst war da Nola und dann wurde sie zu dir. Dann habe i... dann wurdest du verletzt. Ich konnte es nicht ertragen. Ich musste diese andere Polizistin fast zu Tode foltern, als ich aufgewacht bin.", erklärte sie.
Angewidert verzog Emily das Gesicht.
Sie hatte durchaus verstanden, dass Lady Laeta de Dolores beinahe zugeben hatte, dass sie es selbst gewesen war, die Emily in ihrem suspekten Traum verletzt hatte.
Und die Reaktion der Lady darauf war auch mehr als nur fragwürdig.
Die Lady schüttelte den Kopf. "Du glaubst mir immer noch nicht."
Emily musste ihre komplette Selbstbeherrschung aufbringen, um der Lady nicht zuzustimmen.
"Doch, das tue ich. Ihre Selbstbeherrschung, oder besser gesagt, Ihr Mangel daran, ist nur ziemlich... unattraktiv.", gab sie stattdessen zurück, und hoffte die Mörderin damit nicht zu wütend gemacht zu haben.
Nachdenklich knetete Lucy ihre Finger.
"Heißt das... heißt das, du gibst mir eine Chance, wenn ich versuche ein besserer Mensch zu werden, Emily? Wenn ich mit dem Foltern und dem Töten aufhöre? Heißt das du könntest mich dann attraktiv finden?"
Die Polizistin schnaubte. "Ich bezweifle, dass Sie aufhören könnten.", und weil sie sich ja vorgenommen hatte mitzuspielen fügte sie schnell noch hinzu, "Aber wenn Sie es tatsächlich tun gebe ich Ihnen vielleicht wirklich eine Chance."
"Ich kann aufhören, Emily, ich wollte nur nie. Aber von mir aus, ich höre auf. Vielleicht werde ich wieder anfangen müssen, wenn wir hier raus wollen... aber danach höre ich auf. Versprochen. Großes Serienmörder und Bandenboss Ehrenwort."
"Natürlich.", entgegnete Emily trocken und versuchte ihren steigenden Ekel vor der anderen Frau zu verbergen.
"Und jetzt dreh dich um, damit ich die Fesseln abmachen kann. Ich passe auch auf deinen Gips auf."
"Meinetwegen.", murmelte Emily, und kam nicht umhin zu denken, dass dieses Zugeständnis einer Kapitulation gleichkam.
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