Kalter Atem (16)
Emily versuchte ihre Mine neutral zu halten, während sie durch die Gänge des Krankenhauses eilte. Sie hatte einen Anruf bekommen, mitten in der Nacht. Es waren die Ärzte gewesen, die die verwundete Polizistin Fiona Gnir behandelten. Noch immer hallten die Worte in Kreuz' Gedanken wieder, wie das Fahrwerk eines Zuges, der ohne Bremsen durch einen Tunnel dröhnte, einer Wand entgegen. "Sie schafft es nicht. Wir werden Frau Gnir verlieren, vielleicht noch heute Nacht. Man hat mir mitgeteilt, Sie wollten ihr noch Fragen stellen. Über diese... Person, die ihr das angetan hat. Wenn Sie wirklich noch Fragen haben, dann sollten Sie sich beeilen.", die Stimme des Arztes war ruhig gewesen, obwohl er noch sehr jung geklungen hatte.
Die Polizeihauptkommissarin fühlte sich mies. Sie hatte mit Fionas Befragung noch warten wollen, bis es dieser besser ging, hatte ihr Zeit geben wollen, in der sie nicht an die furchtbaren Geschehnisse im Flugzeug der Lady denken musste. Emilys Finger waren eiskalt. Wieso? Wieso musste sie das machen? Nachts. Allein.
Sie stand nun vor der Türe, hinter der Fiona Gnir lag. Nichts deutete darauf hin, dass dieses unscheinbare Stück Holz und Metall das Einzige war, dass das Folteropfer von der Außenwelt abtrennte. Alles sah aus, wie eine normale Intensivstation. Erneut drängte Emily ihre Emotionen zurück, die drohten hoch zu kochen. Sie atmete tief durch und öffnete die Tür.
Das erste, das Emily auffiel, waren die Geräusche. Sämtliche Lebenszeichen, die Gnir von sich hätte geben können, wurden von dem stetigen Piepen der Monitore und den leisen Geräuschen des künstlichen Beatmungsgerätes übertönt. An der jungen Polizistin, die Emily in Fifemiles' Zelle gefunden hatte, waren unzählige Kabel angebracht. Der Anblick war schwer zu ertragen, vor allem jetzt, da Emily wusste, dass all dies umsonst sein würde. Gnir würde sterben. Das hatte der junge Arzt am Telefon gesagt. Ob sie es wohl wusste? Man hatte Emily nicht mitgeteilt, ob Fiona Gnir über das baldige Ende ihres Lebens unterrichtet worden war. Im Moment schien sie zu schlafen und es widerstrebte Kreuz zutiefst sie zu wecken. Möglichst leise nahm sie auf einem Stuhl Platz, der neben dem Bett positioniert worden war. Obwohl Gnirs Gesicht von der Folter völlig erstellt worden war, so bemerkte Emily doch, und es sandte einen eisigen Schauer über ihren Rücken, dass sie sich enorm ähnlich sahen. Ob die Lady wohl an sie, Emily Kreuz, gedacht hatte, also sie Fiona so zugerichtet hatte? Die Hauptkommissarin schüttelte sich. Und Brant glaubte allen Ernstes, die Lady hätte etwas für sie.
Eine Unregelmäßigkeit im Piepen der Monitore riss Kreuz aus ihren düsteren Gedanken. Gnirs eines, verbleibendes Auge sah müde zu ihr hinüber. "Hallo. Wie geht es Ihnen?", fragte Emily, von der Situation völlig überfordert. Am liebsten hätte sie sich selbst geschlagen. 'Wie geht es Ihnen?' Wirklich? Die Frau würde sterben! Vielleicht schon in wenigen Minuten!
Ein seltsames, kratziges Geräusch drang aus Fionas Kehle. Es dauerte einige Momente, bis Emily erkannte, dass es ein Lachen war. "Wie es mir geht?... Nun... Ich werde sterben,... bald... Ich kann es kaum erwarten... die Schmerzen... die Schuldgefüle... weil ich euch verraten habe... es wird vorbei sein... also denke ich,... ich denke, dass es mir ganz gut geht, ja... wissen Sie,... die haben mir endlich mehr Schmerzmittel gegeben... weil ich sowieso sterben werde.", erklärte Gnir und unter ihrer Atemmaske war ein leichtes Lächeln zu erkennen. "Wie meinen Sie das, die haben Ihnen jetzt mehr Schmerzmittel gegeben?", fragte Emily verwirrt. "Nun,... die Ärzte hatten Sorge,... dass es meinem Magen schaden könnte... wegen dem Nahrungsmangel... oder, dass es mit dem Gift reagiert.", flüstere Gnir schwächlich. Erneut erklang das klägliche Geräusch, zu dem das Lachen der Polizistin verkommen war. "Aber... Ihr seid doch sicher nicht mitten in der Nacht hier her gekommen,... um zu fragen wie es mir geht."
Emily nickte. "Ich hätte tatsächlich noch ein paar Fragen... um... naja"
"Um die Lady... besser einordnen zu können,... natürlich.", beendet Fiona den Satz, den Emily nicht gewagt hatte auszusprechen. Die in Bandagen gehüllte Hand der jungen Frau bewegte sich langsam zu ihrem Gesicht. "Was wollen... Sie wissen?", fragte Gnir und fummelte an der Atemmaske herum. "Hat Laeta de Dolores irgendjemanden erwähnt? Einen Verbündeten? Eine Spes?"
"Nein... Niemanden."
"Sicher?"
"Ja... sie... versteht sich mit... Evil Queen am besten... die Anderen haben Angst vor ihr... Evil Queen auch,... aber sie ist... verrückt genug um es zu... verstecken... die einzige von... denen, um die die Lady... sich schert ist... Fifemiles."
"Danke. Die folgen Lady Laeta de Dolores also nicht freiwillig?"
"Doch... und sie sind... auch loyal... sie haben eben... Angst."
"Verständlich. Hat sie von Hoffnung gesprochen? Irgend etwas... selzames über Hoffnung."
"Nein."
"Danke, Sie machen das super! Hat sie den 'goldenen Palast' erwähnt. Das müsste kurz bevor Sie... abgesetzt wurden gewesen sein."
Langsam schüttelte Gnir den Kopf, das Atemgerät hieng nun schief in ihrem Gesicht.
"Nein, aber... sie war richtig... richtig sauer. Vielleicht... deswegen."
"Eine Frage noch: haben Sie etwas gesehen oder gehört, das interessant sein könnte?"
"Nicht... wirklich."
"Okay. Gnir, was wird das mit der Atemmaske? Sie brauchen die.", fragte Emily vorsichtig. Fiona schnaubte. "Ich sterbe... sowieso... Das Ding... es macht die Luft... kalt... und es ist unbequem.", antwortete sie schwächlich. Die Hauptkommissarin nickte und deckte ihre jüngere Kollegin fester zu. Sie hatte gehört, dass man kurz vor dem Tod zu friern begann. Gnir hatte sich nun von der Maske befreit und schnappte rasselnd nach Luft.
"Warten... Sie... Evil Queen hat... etwas gesagt... sie sagte... die Lady würde... auf Sie, Frau Kreuz,... stehen... War aber bestimmt nicht... ernst gemeint... Verdammter... kalter Atem."
Emily hielt mitten in der Bewegung inne. Evil Queen hatte was gesagt? Das war doch verrückt! Wie kamen die alle auf die Idee? "Ich behalte es im Hinterkopf.", presste Kreuz hervor. "Habt... habt ihr einen Plan... um die Lady... aufzuhalten?", fragte Fiona und sah Emily flehend an. Diese nickte. "Ja, er wird schon ausgeführt. Wir isolieren sie. Hetzen die anderen Verbrecher gegen sie auf. Sie wird fallen, das verspreche ich ihnen."
Ein Lächeln breitete sich auf Gnirs rissigen Lippen aus. "Gut... macht... sie fertig." Dann schloss sie das Auge. Emily blieb neben dem Bett stehen, während Fionas Atem immer leiser wurde, bis die Maschinen ihn komplett übertönten. Dann, irgendwann schrillten die Monitore los. Das EKG zeigte eine flache Linie. Fiona Gnir war tot.
"Ich mache sie fertig, verlass dich darauf.", flüsterte Emily und eilte aus dem Zimmer.
Der große, dürre Mann, der die ganze Zeit reglos und unbemerkt in der Ecke gestanden hatte, lächelte und trat hervor. Er war gut darin unbemerkt zu bleiben, auch wenn er vermutete, dass die Kommissarin ihn im Karlsruher Gefängnis gesehen hatte.
Das war ja interessant gewesen. Er strich sich seinen Kapuzenmantel glatt und verließ rasch das Zimmer, bevor die Ärzte kommen würden. Anders als Emily Kreuz hatte er einen Haufen interessanter Informationen herausgefunden. Seine Frau würde durchdrehen, vor Freude. Der Mann, der den Namen Opes trug, lachte und verschwand in der Nacht.
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