Hoffnung, Macht und Wahrheit (17) (Gore Warnung)
Sie hasste diese Erinnerung. Sie hatte sie, wie fast alle ihrer Kindheitserinnerungen, mit Freunden vergessen, aber jetzt war sie wieder hier. Vielleicht hatten die Geschehnisse mit dem Eis in Karlsruhe die Erinnerungen zurück gebracht, vielleicht lag es daran, dass sie, wegen Nolas angeblicher Wiederkehr so viel an die Vergangenheit gedacht hatte. Oh, wie sehr sie diese Erinnerung verabscheute. Sie war so schwach gewesen, hatte so verzweifelt nach der Anerkennung der Beiden gesucht...
Sie wusste von Anfang an, dass es ein Traum war, dass es nicht echt war, aber sie konnte nicht aufwachen, und es fühlte sich so verdammt echt an.
Sie presste die Zunge an den Gaumen und spannte das Gesicht an, um nicht zu schreien. Sie kniff die Augen zusammen, um ihre Hand auf dem heißen Herd nicht zu sehen. Etwas warmes lief ihre Haut hinab. Schweiß und stumme Tränen. Sie wusste nicht wie lange sie schon so da stand, aber sie wusste, dass sie nicht schreien durfte. Nur das zählte. Sich bloß nichts anmerken lassen, egal wie sehr es stach und brannte. Durchhalten. Sie dachte an die Worte, die die Frau gesagt hatte: "Soldaten zeigen keinen Schmerz. Sie wissen nicht einmal was das ist."
Laura Brunner wusste sehr genau was Schmerz war. Spes und Opes. Zumindest waren Spes und Opes dafür verantwortlich. Eigentlich sah Laura die Frau in den Schatten, die die Armee der Hoffnung leitete, nicht oft. Weil sie nicht so war wie die anderen Kinder, die sich Spes geholt hatte. Ihre Fähigkeiten beschränkten sich auf Kraft, die eine vierjährige nicht haben sollte, Hinterhältigkeit und ihre gut versteckte Grausamkeit, die in ihrem Geist lauerte wie ein hungriges Monster, bereit jederzeit hervorzuspringen und jemanden zu zerfleischen. Sie musste Spes stolz machen.
Deswegen lag ihre kleine Handfläche auf dem Herd, freiwillig. Spes sollte verdammt nochmal endlich stolz auf sie sein!
"Laura, was wird das?", zerschitt Opes' Stimme die Stille in der Küche, "Nimm deine Hand vom Herd, oder du wirst nachher beim Kampftraining scheitern. Schmerzen sind nicht sehr vorteilhaft, wenn man einen Kampf gewinnen will." Das war es also. Die Sache, an der Opes sich störte. Laura könnte beim Kampftraining versagen und noch mehr Schande bringen, als eh schon. Mit Tränen in den Augen und überall auf ihrem Gesicht sah sie Opes direkt an. "Ich weiß gar nicht, was Schmerz ist."
Opes lachte kurz auf. "Du bist total verheult, verarschen kannst du dich selber. Jetzt nimm deine Griffel vom Herd. Es riecht schon ganz eklig hier drin."
Mit einem wütenden Schnauben hob Laura betont langsam die Hand von der heißen Herdplatte. Ihre Haut blieb an der Kochfläche hängen und riss vom Fleisch ab. Laura biss sich auf die Lippe, um einen Schrei zu unterdrücken. Sie schmeckte Blut. Ihre Hand brannte höllisch. Der Schmerz schien sich rasend ihren Arm hinauf zu fressen. Wimmernd presste sie ihre verbrannte Handfläche an ihr Shirt. Gelbliches Wundwasser suppte aus dem geschundenen Fleisch und weichte den blauen Stoff durch. Opes schnaubte verächtlich. "Das hast du davon, Kleine. Mach dich zum Kampftraining fertig und versuche Spes und mich nicht zu sehr zu blamieren.", fauchte er bissig und eilte davon. Laura war allein in der Küche. Sie hatte versagt. Schon wieder. Opes war nicht stolz auf sie.
Der Herd wurde immer größer, bis er Laura um ein vielfaches überragte und Flammen schossen aus der Herdplatte. Laura schie auf und ergriff die Flucht. Mit jedem Schritt wurde sie älter, erwachsener. Aus Laura Brunner wurde langsam aber sicher Lady Laeta de Dolores. Der Herd aus Spes Haus verwandelte sich in Spes und Opes mit ihrer Armee der Hoffnung, die Laura mit gezogen Waffen verfolgten, in die rivalisierenden Verbrecher, die sie gejagt hatten als sie sechzehn gewesen war, in Günter Tischer und seine GSG-9-Truppe, in die anderen Attentäter der Hand, in Polizisten, in die Typen vom goldenen Palast. Sie rannte nicht mehr durch das Haus, das Spes und Opes ihr eignen nannten, sondern durch die Straßen von Berlin, dann durch das Gefängnis in Karlsruhe. Die Stimmen der Gefangen donnerten unnatürlich laut im Rhythmus des Pochens in ihrer verbrannten Hand auf sie ein, von allen Seiten: "SCHMERZ! SCHMERZ! SCHMERZ! LADY LAETA DE DOLORES! SCHMERZ! SCHMERZ! SCHMERZ!"
Die Lady, nun erwachsen, sah plötzlich ein Licht am Ende des Tunnels. Der Ausgang! Sie konnte Nolas weißen Van draußen parken sehen. Ein irres Lachen der Freude verließ ihre Kehle. Sie rannte auf den Lieferwagen zu und ließ sich von Nola in sein Inneres ziehen. Ihr Kopf fühlte sich leicht an, vor Triumph. Sie hatte es geschafft! Sie war entkommen! Ihre Gedanken waren wie weggeblasen. Nur noch unglaubliche Freude dröhnte durch ihren Kopf. Sogar das schmerzhafte Pochen ihrer Hand trat in den Hintergrund. "Oh, Nola! Wir haben es geschafft!", rief Lady Laeta de Dolores, umfasste das Gesicht der größeren Frau mit beiden Händen und zog sie in einen stürmischen Kuss. Nolas schlanke Finger legten sich auf Laeta de Dolores' Schultern während die Lady ihre Hände in die langen, schwarzen Haare der anderen Verbrecherin schob. Deren Fingernägel gruben sich mittlerweile schmerzhaft in die Schultern der Lady, die in die grüne Seide ihres Lieblingskleides gehüllt waren. Ein Grollen stieg in Lady Laeta de Dolores Brust auf und sie drückt Nola fester an sich.
Plötzlich versteifte sich der größere Körper in den Armen der Lady und ehe sie sich versah wurde sie zurück gestoßen. Lady Laeta de Dolores riss die Augen auf und fing sich mit der verwundeten Hand an der Wand des Lieferwagens ab, um nicht zu fallen. Scharfer Schmerz schoss durch ihren Unterarm und sie zischte leise. Dann fiel ihr Blick wieder auf Nola, nur dass es nicht mehr Nola war. Vor ihr stand Emily Kreuz in Polizeiuniform und mit einem wütenden, entsetzten Blick im Gesicht. "Wie können Sie es wagen mich zu Küssen! Sie... widerwertige Person! Mörderin! Monster! Sie sind verhaftet!", brüllte die Kommissarin. Völlig perplex starrte die Mörderin die andere Frau an. "Aber... aber, du... Sie... Nola... bist nicht... Ich liebe dich nicht... oder?"
Emilys dunkelbrauner Pferdeschwanz peitschte hin und her, als sie auf die Lady zuschritt und ihr eine Backpfeife verpasste. Mit einem wütenden Aufschrei stürzte sich die Lady auf Kreuz. Niemand schlug Lady Laeta de Dolores! Plötzlich hielt die Verbrecherin eine Pistole in der Hand. Sie richtete die Waffe auf Kreuz' Stirn und drücke ab. Der Knall schrillte in ihren Ohren. Sie schoss ihr in die Brust. Noch ein Knall. Er klang noch lauter. Die Polizistin brach zusammen und blieb leicht an die Wand gelehnt liegen, in einer Position, die der Lady allzu vertraut war. So, genau so, hatte Nola dagelgen, damals, als die Lady sie getötet hatte.
Lady Laeta de Dolores' Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt und ein Gefühl stieg in ihr auf, das sie so gut wie nie spürte. Reue. So viel Reue. "Nein...", flüsterte sie, "Nicht, Kreuz... nein." Sie spürte Tränen ihre Wangen herab laufen. Das durfte nicht wahr sein! Was hatte sie getan? Sie stürzte auf Emilys Leichnam zu und drückte ihn an sich. Sie verteilte verzweifelte Küsse auf den toten kalten Wangen.
Ein scharfer Schmerz schoss durch ihre Hand.
Nach Luft schnappend wachte die Lady auf. Es war ein Traum gewesen, natürlich, sie hatte es gewusst, aber dennoch. Ihr Blick fiel auf die schmerzende Hand. Die Schnitte, die das berstende Sektglas erzeugt hatte waren aufgerissen und bluteten wieder. Es war nicht echt gewesen. Nichts davon. Die Schmerzen kamen nicht von der Sache mit Spes' Herd, die so lange zurück lag. Es lag allein an den Schnitten. Kreuz lebte noch... sie lebte noch. Die Lady atmete tief durch. Sie war wach. Es war vorbei. Die furchtbare Erinnerung die in den verstörenden Traum gemündet hatte war vorüber. Dann begriff sie. Die Realisierung traf sie wie Emilys Schlag in ihr Gesicht. Fifemiles hatte recht gehabt. Sie hatte sich in Kreuz verliebt. In Hauptkommissarin Emily Kreuz von allen Leuten.
Frustriert und wütend begann die Lady zu schreien.
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