Eisiges Rätsel (8)
Es ging schnell, viel zu schnell. Emily Kreuz konnte gar nicht richtig reagieren. Günter Tischer hatte der Lady eine gewischt, bevor man ihn aufhalten konnte und dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Lady, Sekunden vorher noch mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen, knickte weiter nach vorn und spuckt Blut. Der dunkelrote Schleim lief zwischen ihren Lippen hervor und tropfte langsam auf den Boden. Grotesk hob sich die rote Flüssigkeit von den schneeweißen, am Tag zuvor frisch gewischten, Fliesen ab. Marie, die von Tischer geschubst worden war, stolperte über die Kaffeekanne, die umkippte und deren Inhalt sich über den Boden ergoss. Einige Sekunden passierte nichts. Lady Laeta de Dolores blinzelte ein paar mal und sah, ohne jegliche Gefühlsregung in ihrem Gesicht, dabei zu, wie sich Kaffee und Blut vermischten. Dann schloss sie die Augen. Emily warf den Kopf nach hinten und wollte Günter Tischer anschreien, wollte fragen, was dieses absolut unprofessionelle Verhalten sollte, wollte irgendetwas tun, um zu zeigen, das das GSG-9 eben doch nicht so überprofessionell war wie sie immer taten.
Sie kam nicht dazu. Wäre die Lady nicht absolut still dagesessen, als stünde sie unter dem Fluch der Medusa, dann hätte Emily sie sicherlich dafür verantwortlich gemacht:
Plötzlich ging das Licht aus. Dunkelheit umhüllte den Gang, und dann wurde es kalt. Schlagartig, richtig kalt. Die Polizeihauptkommissarin konnte spüren, wie das Kaffee-Blutgemischt unter ihren Stiefeln zu Eis gefror. Sie versuchte aufrecht stehen zu bleiben, aber sie scheiterte. Ihre Stiefel glitten über die spiegeglatte Eisschicht auf dem Bode und sie rutschte nach hinten weg. Sie schrei auf, fuchtelte mit den Armen, bei dem Versuch Halt zu finden, an etwas, das nicht da war, und drückte versehentlich den Auslöser ihrer Waffe. Ein Krachen ertönte als die Patrone mit der Wand des Ganges Kollidierte. Kurz erleuchtete der Funkenschlag, als das metallene Geschützt in soliden Stahlbeton schlug, den Raum und Emily glaubte eine dürre, hochgewachsene Silhouette neben der Türe zum Gang zu erkennen, dann war es wieder dunkel. Sie hörte ein leises Kratzen, als die Lady scheinbar mühelos auf dem Glatteis auf die Beine kam. Harte Stiefel stießen gegen Emilys Rippen und etwas warmes, schweres landete auf ihr. Emily würde sich und anderen später oft einreden, dass sie versucht hätte Lady Laeta de Dolores festzuhalten. Sie tat es nicht. Zu erschrocken war sie darüber, wie sehr ihr die Situation entglitten war. Buchstäblich. Kurz davor hatte sie die Lady noch gehabt, jetzt lag sie auf dem vereisten Boden in vollkommer Dunkelheit und die Lady entkam ihr.
"Holt sie euch!", rief Emily und stand schlitternd wieder auf. Sie konnte hören, wie die anderen Polizisten ebenfalls ausrutschten. Wieso machte das Eis der Lady nichts aus? Emily fiel erneut auf den Hintern und begann, in der undurchdringlichen Dunkelheit des Ganges, auf allen Vieren, in die Richtung zu rutschen, in der sie den Ausgang vermutete. Ihre klammen Finger umklammerten die Pistole, als sei sie ihre letzte Hoffnung. Ihr Zopf hatte sich vom vielen Fallen gelöst und ihre Haare hiengen in ihr Gesicht. Tastend fuhr ihre freie Hand über den Boden, bis sie die Türe spürte.
Sie zog sich daran hoch und stolperte dann hindurch. Dahinter war es immer noch eiskalt, aber der Boden war nicht mehr gefroren. Sie strich sich die Haare zurück und rannte der Lady nach.
Sie konnte den Sprechgesang der Gefangenen hören, die die Lady anfeuerten. Woher wussten die, dass es Lady Laeta de Dolores war?
Hauptkommissarin Kreuz rannte aus dem Gebäude und eröffnet das Feuer auf die fliehende Verbrecherin. Sie traf nicht. Die Lady sprang in einen riesigen Helikopter. Kreuz konnte hören wie sie dem Piloten Befehle zu brüllte. Es gab einen Streit, bis der Helikopter schlussendlich abhob. Kreutz rannte weiter auf den Heli zu, sprang in die Luft und klammerte sich an einer der Kufen fest. Sie konnte einen Teil der Konversation im inneren der Maschine hören, während der Helikopter immer weiter in die Höhe flog. Es waren nicht TechNick gewesen, das mit dem Eis. Die Lady hatte genauso wenig Ahnung davon was passiert war wie sie. Hatte es etwas mit der Silhouette zu tun die sie im Gang gesehen hatte? War sie wirklich da gewesen? Wieso half sie der Lady und vorallem: wie hatte sie das angestellt? Wie war sie so plötzlich erscheinen? Wie hatte sie die den heißen, zumindest warmen Kaffee so schnell einfrieren können? Wieso hatte sie nicht versucht Emily aufzuhalten, als sie es zur Tür geschafft hatte?
"Wir haben einen ungebetenen Gast.", sagte Tech plötzlich, "Sie hängt außen am Helikopter, Nick, mein Schatz, kannst du dich für uns um sie kümmern?" Emily riss erschrocken die Augen auf. Sie war entdeckt worden! Bevor sie reagieren konnte jagte ein Stromschlag durch die Kufen und in ihre Hände. Sie schrie vor Schmerz und Schreck auf, als sie reflexartig losließ und fiel.
'Ich werde sterben. Das war's. Es ist zu hoch.' Der Gedanke schoss durch Emilys Gedanken und sie was selbst erstaunt, dass es sie nicht im geringsten störte. Dann war es eben so. Immer noch besser als alles was ihr widerfahren wäre, hätte die Lady beschlossen sie in den Helikopter zu holen.
Emilys Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie mit einer Baumkrone kollidierte. Die Zweige bremsten ihren Fall, bis sie schließlich doch auf der Erde aufschlug. Ein stechender Schmerz, der schnell dumpfer und pochend wurde schoss durch ihren Arm und sie unterdrückte einen Fluch. Ein kleiner Junge, der in der Nähe des Baumes mit einem Ball gespielt hatte ließ diesen vor Schreck fallen. "Ben! Ich hab dir doch gesagt, dass Polizisten plötzlich auftauchen wenn man etwas verbotenes macht! Da ist gerade eine vom Himmel gefallen! Wären wir doch nicht ohne zu gucken über die Straße gelaufen! Nichts wie weg!", schrie er und ergriff die Flucht. Trotz der Schmerzen schlich sich ein Schmunzeln auf Emilys Lippen. Wie putzig!
-eine Woche später-
Emily setzte sich mit eisiger Miene auf den Stuhl im Verhörraum in ihrem Polizeirevier in Frankfurt. Ihr gegenüber lümmelte Fifemiles auf ihrem Stuhl und hatte die Füße auf den Tisch, der zwischen ihnen stand, gelegt. "Die Lady ist dir also entwischt?", fragte die Scharfschützin und sah spöttisch von den Verbänden, die Emilys Händen umhüllten und die Brandwunden, die der Stromschlag versucht hatte, verbargen, zu ihrem vergipsten Arm und wieder zurück. "Die Lady schon, Sie nicht und es scheint nicht, als würde Laeta de Dolores kommen um Sie aufzusammeln, nicht wahr? Es wäre besser für Sie zu kooperieren. Ich will nur wissen wer euch im Gefängnis geholfen hat, mehr nicht. Es waren nicht TechNick, so viel weiß ich sicher.", trug Kreuz kalt vor. Ein Grinsen huschte über Fifemiles' Gesicht. "Und ich kann nur sagen, dass ich keine Ahnung habe. Evil Queen ist eine beknackte Spinnerin, viel zu blöd für sowas, obwohl sie Chemie kann... trotzdem zu unvorsichtig, selbst ihr hättet sie bemerkt. Khlopnuť hätte es mit uns abgesprochen. Der... Sonst bin nur ich dabei. Ich kann dir nicht helfen, Emily Kreuz.", meinte sie. "Was? Der was? Wer ist noch dabei?", blaffte Emily und widerstand der Versuchung die Hände auf den Tisch zu schlagen. Ihre Augen funkelten hasserfüllt. Fifemiles' Maske der Gelassenheit verrutschte für einen Moment, dann antworte sie zögerlich: "Die Lady hat so einen Bengel aufgesammelt. Er war es nicht. Er ist nur ein dummes, kleines Kind. Ich hätte ihn erschießen sollen, als ich die Chance dazu hatte." Emily nickte knapp und beruhigte sich ein Bisschen. "Ist das alles was Sie sagen wollen?", fragte sie, nun wieder mit ruhiger, professioneller Stimme. Fifemiles nickte und schwang die Beine vom Tisch.
Nachdem Emily die Scharfschützin zurück in ihre Zelle eskortiert hatte, ging sie in den Aufenthaltsraum. Es war ihr erster Tag zurück im Einsatz. Eine ganze Woche hatten die sie im Krankenhaus behalten. Sie war gleichzeitig mit David entlassen worden. Als sie den Raum betrat standen Petersen und Brant an dem großen Tisch in der Mitte des Raumes und tranken Kaffee. "Und? Sie hat nicht kooperiert, oder?", wollte Marie wissen. "So halb. Sie hat zugegeben, dass die Lady noch irgendein Kind in ihr Team geholt hat. Mehr nicht. Oh, und sie kann das Kind nicht leiden, also Fifemiles.", antwortete Emily mit einem Schulterzucken. "Besser als nichts. Jede Information kann uns helfen! Ich frage mich nur wieso die Lady dich am Leben gelassen hat. Also nichts gegen dich, aber das sieht ihr einfach nicht ähnlich, oder?", meinte Petersen, der die Zeit im Krankenhaus genutzt hatte, um die komplette Akte der Lady zu lesen. "Ich weiß es nicht. Es passt wirklich nicht zu ihr und ich habe es mich selbst schon gefragt.", entgegnete Kreuz und versuchte nicht wieder wütend zu werden. "Ich weiß es.", säuselte Brant, "Die Lady steht auf unsere liebe Polizeihauptkommissarin."
"Tut sie nicht! Wieso sagen das alle? Fifemiles hat auch sowas gesagt, im Gefängnis. Totaler Quatsch.", fauchte Kreuz. David und Marie warfen sich verheißungsvolle Blicke zu. Emily verdrehte die Augen. Die sollten sich um plausible Theorien bemühen, nicht um so einen Mist!
Sie lief aus dem Raum und in ihr Büro. Sie musste kurz von all dem Weg, brauchte eine Motivation weiter zu machen.
Langsam öffnete sie eine Schublade und holte ein Foto heraus.
Es zeigte sie und ihren großen Bruder, ihr größtes Vorbild.
Er war der Ermittlungsleiter im Fall Brunner gewesen. Nachdem ihm die komplette Familie durch die Lappen gegangen war, war er nicht mehr der gleiche gewesen, bis er sich dann drei Jahre nach dem Fall, als Emily dreizehn gewesen war, von einer Brücke gestützt hatte. Er hatte einfach nicht damit umgehen können, dass das ganze Ort ihn nur noch als den Polzisten gesehen hatte, dem die Brunners entwischt waren.
Eine Träne tropfte auf den Bilderramen.
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