Der Langfinger (3)

Der siebzehnjährige Ahmed, der eigentlich immer noch aussah wie andere mit vierzehn, lebte auf der Straße, schon eine halbe Ewigkeit. Er wusste, dass seine Eltern ihn in einem Kinderheim abgegeben hatten, nachdem er geboren worden war, aber Ahmed hatte es dort einfach nicht gefallen und als er elf gewesen war, war er weggelaufen. Das Leben auf der Straße war hart, aber es gefiel ihm besser als im Heim. Außerdem hatte der Junge ein Talent, dass ihm auf der Straße viel mehr brachte als im Kinderheim: Ahmed konnte gut stehlen. Er war so gut, dass die anderen Straßenkinder in nur den Langfinger nannten.

Er hatte ein relativ angenehmes Leben, weil er sich alles, was er brauchte, einfach klauen konnte. Der Langfinger war der Meinung, dass er sehr viel richtig gemacht hatte, in seinem Leben, sonst würde es ihm ja jetzt nicht so gut gehen. Er träumte davon, eines Tages als wichtiges Mitglied in einer richtigen Straßengang tätig zu sein. Mit seinen Fähigkeiten im Klauen, würde er das bestimmt auch irgendwann schaffen, da war er sich sicher. Ja, Ahmed wollte für einen Verbrecher arbeiten, für einen ganz wichtigen und großen, von dem alle reden würden, sowas wie den Paten. Er er kannte nicht wirklich große Verbrecher, aber träumen konnte man ja.

Es war ein Freitag, an dem der Langfinger durch die Straßen von Köln streifte und die Portemonnaies unachtsamer Touristen mitgehen ließ. Er hatte schon reichlich Beute gemacht. Es war ein guter Tag.
In der Nähe des Domes entdeckte er dann etwas äußerst interessantes: eine junge, blonde Frau in sehr teurer Kleidung, umgeben von einer wirklich schrägen Truppe, die allerdings auch nicht weniger reich aussah. Der Langfinger pirschte sich an die Frau heran und mopste ihr ein seltsam Gerät, welches an ihrem Gürtel hieng. Eigentlich hatte er noch den Rest der Truppe ausnehmen wollen, und vielleicht auch noch ein paar andere Sachen klauen, welche an der Frau hiengen, wie äußerst wertvolle Kugeln von einem Weihnachtsbaum, aber, obwohl er den Gürtel der Frau kaum bewegt hatte, drehte sie sich plötzlich zu ihm um.

Der Langfinger verlor keine Zeit, wirbelte herum und verschwand in der Masse der Touristen. Er konnte hören wie die Frau ihren Kumpanen Befehle zu rief und dann wie sie sich ihren Weg durch die Touristen schupsten, um ihn zu verfolgen. Was war das für ein Teil? Was waren das für Leute? Der Langfinger sah ein, dass er vielleicht einen Fehler gemacht hatte und rannte schneller.

Lady Laeta de Dolores hatte vorgehabt ihre Rückkehr zu bestätigen, indem sie eine übel verstümmelt Leiche im Kölner Dom positionierte. Die Polizei drehte immer so lustig durch, wenn sie so etwas machte. Sie war dabei gewesen, mit ihrem neuen Team zusammen, die Lage auszuchecken, und wollte gerade TechNick das vereinbarte Zeichen geben, dass es an der Zeit war den Feueralarm des Domes zu aktivieren und die Leiche über den Altar zu legen, als sie bemerkte, wie jemand das schön vergoldete Gerät von ihrem Gürtel nahm, mit dessen Hilfe sämtliche Kommunikationsmöglichkeiten, außer denen der Gruppe der Lady, in einem Umkreis von 500m lahmgelegt wurden.

Lady Laeta de Dolores drehte sich um, um zu sehen wer sich an ihren Sachen vergriffen hatte. Es war ein Junge. Ein Kind, nicht älter als fünfzehn Jahre, das so aussah als hätte es ein Geschäft der Marke Gucci ausgeraubt (Was er auch hatte). Lange hatte sie nicht Zeit, den Jungen zu betrachten, denn er verschwand in Windeseile in der Menge."Er hat das Gerät! Hinterher!", brüllte die Lady und begann sogleich dem Kind nachzurennen. Ihre Gruppe folgt ihr, sie teilten sich auf, um das Kind einkreisen zu können und ihm den Fluchtweg abzuschneiden.

Mit vor Panik weit aufgerissenen Augen rannte der Langfinger durch die Stadt. Er konnte die Leute einfach nicht abschütteln. Wer waren die? Sicher keine Touries! Mit einer Hand umklammerte er das Gerät fest. Er würde es unter keinen Umständen fallen lassen, dann hätte er nichts mehr mit dem er die Leute überzeugen könnte ihm nichts zu tun, denn mittlerweile war sich der Langfinger sicher, dass es sich bei denen um Verbrecher handelte, oder Polizisten, und er ihnen etwas verdammt wertvolles geklaut hatte.

Der Langfinger achtete gar nicht mehr auf seine Umgebung. Er wollte einfach nur noch weg von den Leuten. Mit quietschenden Gucci-Schuhen rannte er in eine Gasse. Er realisierte sofort, dass dies ein Fehler gewesen war. Vor ihm baute sich der Mann mit der Glatze und den muskelbepackten, tätowierten Armen auf. Der Langfinger sah nach hinten. Er konnte die Frau mit dem lila Kleid und dem lila Haaren sehen, die ihm den Ausgang versperrte. Er fluchte. Die beiden kamen näher und der Langfinger beschloss, dass er sich wohl eher an der Frau vorbei quetschen konnte als an dem Mann.

Er rannte auf die Frau zu, und genau in dem Moment als er unter ihren ausgestreckten Armen hindurchtauchen wollte, hörte er eine ruhige, akzentbehaftete Stimme: "Stehen bleiben. Ich habe dich im Visier. Ein Schritt weiter und du bist tot." Erneut quietschen die Gucci-Schuhe des Langfingers, als er zum Stehen kam. Er wollte nun wirklich nicht erschossen werden. "Aber ich möchte doch bitten! Einer armen, jungen Lady die Sachen klauen... wer macht denn sowas?", fragte eine Stimme, die so warm und weich war wie Samt. Der Langfinger sah erneut nach hinten. Hinter dem Mann trat die blonde Frau hervor, der er das Gerät abgezogen hatte.
"Nein im Ernst", sagte die Frau, ihre Stimme jetzt kalt wie Eis, "Wer bist du, und wieso glaubst du dir erlauben zu können mir, Lady Laeta de Dolores, etwas zu stehlen. Antworte oder du wirst leiden."

Der Langfinger starte die Lady schockiert an. Er hat noch nie etwas von ihr gehört. Die Lady nahm sein zögern wohl nicht so gut auf, denn sie kam näher und drückt ihm ein Messer an die Kehle. "Ich hab dich was gefragt." Der Langfinger spürte wie seine Knie weich wurden und er begann zu zittern. "Ich bin Ahmed. Es tut mir leid. Du kannst das Teil wieder haben! Ich weiß ja nicht mal was es ist! Aber bitte bring mich nicht um, ich bin erst 17.", bettelte der Langfinger und hielt der Frau das Gerät, mit zitternden Händen, entgegen. Die Lady grinste und riss es ihm aus der Hand, nur um es sofortan ihre lilahaarige Kumpanin abzugeben. Wenn das wahre Alter des Langfingers sie überraschte, dann zeigte sie es nicht.

"Guter Junge, Ahmed. Machst du das öfters? Leute auf der Straße beklauen?", fragte sie, nun mit unverhohlen im Interesse in den Augen. Der Langfinger nickte: "Ich mache das ständig. Ich bin sogar so gut, dass sie mich auf der Straße den Langfinger nennen!"
"Äußerst interessant...", meinte die Lady und rieb sich die Hände. "Wie wichtig ist es dir hier zu bleiben? Wenn du so gut bist, dann könntest du doch bestimmt auch etwas für mich erledigen. Sieh es... sieh es als Chance, die Unannehmlichkeiten, die du mir bereitet hast, wiedergutzumachen.", sagte die Lady und ihre Stimme war wieder ganz weich. Der Langfinger nickte. Das war seine Chance! Seine Chance endlich einer richtigen Verbrechergruppe beizutreten.

"Wen soll ich beklauen? Einen Promi? Einen Politiker?", fragte er und konnte die Aufregung nicht aus seiner Stimme verbannen. "Emily Kreuz .", sagte Lady Laeta de Dolores, "Eine Polizistin." Der Langfinger war ein bisschen enttäuscht. Er hatte sich vorgestellt, dass er einen richtig wichtigen Job bekommen würde, aber vielleicht war das ja einer, was wusste er schon? Die Frau mit den blonden Locken klatschte in die Hände. "Fivemiles! Bring unser neues Mitglied doch in die mobile Basis. Erklär ihm seinen Auftrag. Dann warte auf uns. Das wird lustig!", rief sie. Vom Dach des Hauses schlängelte sich ein Seil nach unten. An dem Seil kletterte eine kleine Frau herab, sie hatte Haut in der Farbe von Vollmilchschokolade und tiefschwarze Haare, auf ihrem Rücken war ein Scharfschützengewehr. Der Langfinger wusste sofort, dass das die war, die ihm gesagt hatte, dass sie ihn erschießen würde."Mitkommen!", befahl die Frau und begann im Stechschritt zurück in Richtung Innenstadt zu laufen. Der Langfinger beeilte sich ihr zu folgen.
Ein neuer Abschnitt seines Lebens hatte begonnen.

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