Lady Catherine
"Warum lächelst du nicht mehr, Lady Catherine?"
Mia, ein kleines Mädchen mit blonden Locken und großen blauen Augen und einer Lücke zwischen den Schneidezähnen, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blinzelte die hochgewachsene Brünette, die vor ihr stand, mit einer herzzerreißenden Naivität und Unschuld an.
Die Frau schnaubte leise, die warme Art von Schnauben, die sonst von einem weichen Lächeln begleitet wird; dem Lächeln, das man nur Kindern schenkt. Sie kniete sich vor das Mädchen, um mit ihr auf Augenhöhe zu kommen, und strich ihr sanft durchs Haar.
"Natürlich lächele ich noch", versprach sie ihr, eine Lüge, die erzählt werden musste.
Denn das Kind war zu jung, um über solche Dinge nachzudenken; sie sollte sich nicht sorgen, sie sollte umsorgt werden.
"Aber ich sehe dich nie lächeln." Mia lispelte ein wenig, und obwohl Lady Catherine sie sehr liebevoll behandelte, lag Schmerz in ihren braunen Augen.
Sie gab dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn. "Du siehst nur nie hin", versicherte Lady Catherine ihr, und Mia nickte fröhlich und beruhigt, das ihre Locken wippten. Sie glaubte ihr, denn sie war erst vier Jahre alt und in ihrer Welt logen gute Menschen nicht und Lady Catherine war ein guter Mensch, davon war sie überzeugt.
Diese rückte nun vorsichtig die kleine, rosa Schleife in Mias Haar zurecht und richtete sich dann auf, das lange Kleid glattstreichend. "So, und jetzt geh spielen", wies sie das Kind an, "aber pass auf, dass das Kleid nicht schmutzig wird. Du bist eine kleine Lady, vergiss das nicht." Mia nickte ernst, die funkelnden Kinderaugen weit aufgerissen. "Ich bin vorsichtig, ich verspreche es dir, Tante Catherine." Sie sagte es, als wäre es sehr wichtig, als würde sie ihr Versprechen sehr ernst nehmen. Dann lachte sie ihr fröhliches, glucksendes Lachen und war schon zu den anderen Kinder hinübergelaufen.
Am Ende des Tages hatte das Sommerkleid einen kleinen, braunen Fleck, wo es beim Fangen ein wenig Erde abbekommen hatte. Mia weinte, denn sie hatte Lady Catherine nicht enttäuschen wollen. Auch wenn sie und Mama ihr beteuerten, es wäre nicht schlimm, sie hatte es versprochen und gute Menschen brachen keine Versprechen.
-
Vier Wochen später wurde Lady Catherine Hollows tot in ihrem Zimmer aufgefunden, erhangen, in ihrem schönsten, feinsten Sonntagskleid.
Sie hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem stand, sie wolle nicht mehr allein sein; auch wenn sie ihre Familie liebte, liebte sie ihren Mann und ihre kleine Tochter mehr und wollte ihnen an einen besseren, weniger grausamen Ort folgen. Und dass es ihr leid tat, Mia angelogen zu haben, und dass es nicht schlimm war, dass sie ihr Versprechen gebrochen hat. Auch gute Menschen machen Fehler, schrieb sie.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top